RE:Constituere

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Abgabe eines formlosen Versprechens zur Bestätigung einer Schuld
Band IV,1 (1900) S. 1104 (IA)–1106 (IA)
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Constituere heisst die Abgabe eines formlosen Versprechens zur Befestigung einer eigenen oder fremden Schuld, Dig. XIII 5. Cod. IV 18. Cic. pro Quinct. 18; ad Att. I 7. XVI 15. Terent. Phormio 676; Heautont. 726. Andere Stellen vgl. bei Bruns Ztschr. f. Rechtsg. I 33ff. Der Praetor schützte dies Versprechen durch eine besondere Klage, die bald actio de pecunia constituta (Dig. XIII 5, 26. 31. XLVI 3, 59), bald actio constitutoria (Dig. XIII 5, 20), bald actio pecuniae constitutae (Cod. IV 18, 1. Dig. XIII 5, 22, 30) heisst. Der Kläger konnte bei ihr verlangen, dass ihm der Verklagte für den Fall seines Unterliegens eine sponsio dimidiae partis leistete, so dass also sein Forderungsbetrag sich beim Processgewinne um die Hälfte erhöhte, Gai. IV 171. J. Kappeyne van de Coppello Abhandlungen zum römischen Staats- und Privatrecht, nach dem Holländischen. Mit Vorwort von Dr. Max Conrat (Cohn) I. Stuttgart 1885, 200. 230ff. sieht in Anlehnung an Puchta Institutionen¹º § 168. I 507, der dies für die ältere Zeit annahm, in dem Anspruche des Empfängers eines constitutum ein blosses Anrecht auf die sponsio dimidiae partis und eine aus dieser gewährte condictio. Damit steht nicht im Einklange, dass Dig. XIII 5, 31 beim constitutum von einer praetorischen Klage im Gegensatze zu den Civilklagen, zu denen die condictio gehört, ausdrücklich redet, vgl. hierzu Baron Kritische Vierteljahrsschrift XXVIII 240ff. und Pfersche in Grünhuts Ztschr. f. das Privat- u. öffentl. R. der Gegenwart XIV 173ff. Das im iustinianischen Rechte weggefallene receptum argentariorum wird von Iustinian wie [1105] eine besondere Art des constitutum behandelt, Cod. IV 18, 2 pr. Es ist jedoch richtiger, mit Lenel anzunehmen (Ztschr. d. Sav.-Stift., Rom. Abt. II 62ff.), dass dieses receptum argentariorum keine Schuldbefestigung, sondern ein einfaches, in der Regel auf Anweisung erteiltes Versprechen war, das nicht, wie das constitutum, eine schon bestehende Schuld voraussetzte (so auch Dernburg Pand.⁵ II 210 § 77).

Die Schuldbefestigung durch constitutum konnte ursprünglich nur auf eine Geldsumme gehen (Dig. XIII 5 de pecunia constituta). Es wurde dies jedoch auf Zusicherungen anderer vertretbarer, d. h. unter sich gleichartiger und gleichwertiger Sachen, wie Getreide, Öl u. dgl. ausgedehnt. Eine ansprechende Vermutung Karlowas (Grünhuts Ztschr. f. d. Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart XVI 449ff.) nimmt an, dass das constitutum auf diese Sachen angewandt worden sei, um das Interesse des Gläubigers an rechtzeitiger Erfüllung mit der actio constitutoria einklagen zu lassen, weil die actiones stricti iuris dem Kläger keine Verzugszinsen verschafften, also dieses Interesse nicht berücksichtigten. Iustinian gestattete ein constitutum auch als Versprechen anderer nichtvertretbarer Schuldgegenstände, Cod. IV 18, 2.

Ein constitutum kann eine eigene Schuld oder auch eine fremde befestigen. In beiden Fällen kann der Inhalt der befestigten Schuld in dem Bestärkungsversprechen eine Abänderung erfahren (Dig. XIII 5, 1, 5 pr. 16, 1), namentlich die Einfügung eines Zahlungstermins, niemals aber eine Steigerung, weil sonst nicht eine alte Schuld bestärkt, sondern eine neue begründet werden würde, Dig. XIII 5, 11, 1. Das constitutum einer fremden Schuld kann dem Zwecke einer Schuldübernahme dienen, wenn der Gläubiger zugleich auf die Geltendmachung der ursprünglichen Forderung verzichtet. Dies muss durch besonderen Vertrag geschehen; denn ohnedies vertilgt das constitutum (im Gegensatze zur novatio) die ursprüngliche Schuld nicht, sondern setzt neben sie eine neue (vgl. hierzu Windscheid Pand.⁷ II 95 § 284, 11. Leonhard Ztschr. für Handelsrecht XXVI 312 und v. Blume Novation, Delegation und Schuldübertragung, Göttingen 1895, 66ff.). Deshalb kann das constitutum debiti alieni auch zum Zwecke einer Bürgschaft dienen. Wo dies der Fall ist, da unterscheidet es sich von der fideiussio (s. d.) dadurch, dass es den Schuldbetrag, für den der Bürge haftet, ein für allemal feststellt, so dass er von einem weiteren Anwachsen der Hauptschuld nicht berührt wird. Es enthält also eine Bürgschaft mit Feststellung des Bürgschaftsbetrages, Dig. XIII 5, 2. 5, 2, 3.

Litteratur. Göschen Vorlesungen über das gemeine Civilrecht 1839 II 497ff. Schulin Lehrb. d. Gesch. d. röm. R. 217. 338ff. 352. Weitere Litteraturangaben s. bei Windscheid Pand.⁷ II 93. 94. 717. 718 §§ 284. 476, 7. Dernburg Pand.⁵ II 188ff. 210 §§ 69. 77; vgl. insbes. 189 § 69, 4.

Besondere Beachtung verdienen Bruns Das constitutum debiti, Ztschr. f. Rechtsg. I 28ff. = Kleinere Schriften, Weimar 1882, I 221ff. Lenel Ztschr. der Savigny-Stiftung II 62ff. Bekker ebd. III 1ff. Lenel Edictum perpetuum 104. 196ff. Voigt Röm. Rechtsg. I 684 und die bei [1106] Dernburg Pand.⁵ 210. 77, 2 Angeführten. Die Annahme der Neueren, dass Iustinian in der Verschmelzung des receptum argentariorum mit dem constitutum ‚einen gar nicht herb genug zu verurteilenden Fehlgriff‘ (Lenel a. a. O. II 62) begangen habe, lässt sich schwer mit Cod. IV 18, 2 pr. vereinigen, wo Iustinian das receptum als ein schon vor seiner Zeit veraltetes Geschäft behandelt: Recepticia actione cessante, quae sollemnibus verbis composita inusitato recessit vestigio, necessarium nobis visum est magis pecuniae constitutae naturam ampliare.