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RE:Ἔρανος

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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privater Hilfsfond, in Vereinsform organisiert, griechische Rechtssitte
Band VI,1 (1907) S. 328330
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Ἔρανος ist der Name für eine ausschließlich griechische Rechtssitte, für welche es ein entsprechendes deutsches Wort nicht gibt. Das Wesen derselben besteht darin, daß mehrere Personen zu einem bestimmten Zwecke Geld zusammenschießen. Darauf führt schon das älteste Vorkommen des Wortes bei Homer, wo es eine Schmauserei auf gemeinschaftliche Kosten bezeichnet (Od. I 227 mit Schol. XI 414). eine Bedeutung, die sich auch in späterer Zeit erhalten hat (Aristot. Eth. Nicom. 1123 a, 22).

Je nach dem Zwecke, welchem das zusammengebrachte Geld dienen sollte, lassen sich verschiedene Arten des ἔ. unterscheiden. Das Geld konnte entweder einem der Teilnehmer zugewendet oder zum gemeinschaftlichen Nutzen aller verwendet werden.

Der erste Fall scheint der ältere zu sein. Eine Anzahl Personen zahlten einen einmaligen Beitrag zur Unterstützung eines unter ihnen; sie hießen πληρωταὶ τοῦ ἐράνου, da sie ihn vollzählig machten (Hyper. V 7.9. Demosth. XXV 21, vgl. XXI 101). Der besondere Anlaß eines solchen ἔ. war verschieden. Es konnte sein, daß dem Empfänger der Loskauf aus dem Sklavenstande für sich oder andere (Collitz-Baunack Dial.-Inschr. 2317) oder aus der Gefangenschaft ermöglicht werden sollte (ἔρανος εἰς ἐλευθερίαν Demosth. LIX 31), er konnte aber auch zu geschäftlichen Unternehmungen Geld brauchen, wie wir denn bei der Ordnung von Nachlässen unter den Passiva neben anderen Schulden angeführt finden Schulden aus ἔρανοι (Demosth. XXVII 25) oder unter den Aktiva ἐξ ἐράνων ὀφλήματα εἰσπεπραγμένα Is. XI 43, d. h. eingetriebene Gelder, die der Erblasser zu Zwecken von ἔ. hergegeben hatte, oder wie bei der Übernahme eines Geschäftes der neue Inhaber sich sehr beklagt, daß unter den Gläubigern, deren Befriedigung er mitübernommen hat, auch πληρωταὶ τῶν ἐπάνων sind, von denen er vorher nichts erfahren hatte (Hyper. g. Athenog. 9). Ja es kommt sogar vor, daß die Stadt Delphi dem Akarnanier Menandros die Erlaubnis zur Veranstaltung eines ἔ. (διδομένου τε αὐτῷ καὶ ἐράνου ὑπὸ τᾶς πόλιος) als Belohnong für seine Vorlesungen im Gymnasion anbietet (Bull. hell. XXIII 1899, 572). Ein solcher ἔ. wurde benannt nach dem Namen dessen, der ihn eingesammelt hatte, des ἀρχέρανος, wie er [329] einmal heißt, oder ἐρανάρχης,, wie er in späterer Zeit benannt wurde, oder auch nach der Höhe der Beiträge der einzelnen Teilnehmer z. B. ἔρανος πεντακοσιόδραχμος (Recueil inscr. jur. I 49).

Der Empfänger des ἔ. war verpflichtet, wenn sich seine Lage gebessert hatte, seine Schuld zurückzuzahlen, und zwar nicht an die einzelnen πληρωταί, sondern an den Veranstalter der Sammlung, der für jeden Teilnehmer ein Konto anlegte und jedesmal auf den Namen des Zahlenden die eingehenden Abzahlungen buchte (Hyper. V 11). Die Termine für die Rückzahlung beruhten auf den Abmachungen unter den πληρωταί. Das einfachste war die Rückzahlung in Raten. So übernimmt der Käufer des μυροπώλιον des Midas unter den Schulden seines Vorgängers auch einen ἔ., der auf den Namen des Dikaiokrates eingetragen war, οὗ ἦσαν λοιπαὶ τρεῖς φοραί. (Hyper. a. a. O.). Ebenso finden sich in Delphi mehrfach Bestimmungen über Rückzahlung von ἔρανοι, indem einer Anzahl von Sklaven bei ihrer Freilassung die Bedingung auferlegt wird, für die Schulden ihres Freilassers in der Weise einzutreten, daß sie jährliche oder viermonatliche Abzahlungen an ἔρανοι übernehmen, an denen er beteiligt war, und zwar oft mit der Bestimmung ἄρχι κα λήξῃ ὁ ἔρανος, d. h. bis zum Erlöschen der betreffenden Verbindlichkeit (vgl. Collitz-Baunack Dial.-Inschr. 1754. 1772. 1791. 1804. 1878. 1909. 2317. IG VII 3376).

Kam man seiner aus einem ἔ. erwachsenen Zahlungsverbindlichkeit nicht nach, so nannte man das ἔρανον λείπειν (Demosth. XXV 21. XX VII 25). Ein solcher ὑπέρχρεως konnte wohl ebenso wie ein gewöhnlicher Schuldner belangt werden. Die Geber des Geldes besaßen bis zur Rückzahlung des ἔ. eine Forderung an den Empfänger, die sie nach Belieben an andere zedieren konnten. So gibt ein Vater in Mykonos (Dittenberger Syll.² 817) seiner Tochter eine Mitgift von 1300 Drachmen, von denen er 1000 Drachmen in einem ἔ. ausstehen hatte. Der ἔ. wird genannt πεντακοσιόδραχμος, d. h. jeder πληρωτής hatte 500 Drachmen hergegeben. Damit der Schwiegersohn aber zu seinem Geld kommt, verpflichtet sich der Schwiegervater zusammen mit einem zweiten πληρωτής für die Eintreibung des Geldes zu sorgen oder, wenn einer der Beiträge, εἰσφοραί, nicht zu erlangen sei, diesen selbst in bar beizusteuern. Das Geben eines Beitrags zum ἔ. war also eine Art Kapitalanlage, und die Rückzahlung erfolgte gewiß leichter, wenn man sagen konnte, der Schwiegersohn brauchte das Geld notwendig für den jungen Haushalt.

Auf der andern Seite konnte der Schuldner, der den ἔ. empfangen hatte, mit der Ableistung der noch rückständigen Zahlungen andere beauftragen, wie in Delphi, oder zur Sicherstellung seiner rückständigen Schuld eine Hypothek (auch Bürgschaft) bestellen, wofür wir zwei Belege, aus Naxos (s. Hitzig Das griech. Pfandrecht 46) und Amorgos (s. Ziebarth S.-Ber. Akad. Berl. 1897, 674. Dittenberger Syll.² 828, 12) besitzen.

Bei der Häufigkeit der ἔρανοι., der Verschiedenheit ihrer Verpflichtungen und dem privaten freundschaftlichen Charakter dieses Rechtsgeschäftes wird es nicht ausgeblieben sein, daß gerade sie recht häufig zu Rechtsstreitigkeiten Anlaß gaben. Doch sind wir hierüber fast nur auf Vermutungen [330] angewiesen. Leicht mag es vorgekommen sein, daß man derartige Verbindlichkeiten als Ehrenschulden behandelte und nicht in seine Bücher eintrug. So konnte es einem gehen, wie dem Gegner des Athenogenes, der nach Übernahme des erwähnten Spezereigeschäftes fortwährend Besuche erhielt von Leuten, die behaupteten, sie hätten an seinen Geschäftsvorgänger Midas noch Forderungen aus ἔρανοι, für die ein schriftlicher Beleg nicht vorhanden war.

In welcher besonderen Weise die attischen Gesetze für die aus ἔρανοι entstehenden Rechtsstreite gesorgt hatten, wissen wir nicht. Feststeht, daß es ἔρανοι νόμοι und ἐρανικαὶ δίκαι gab; ob das aber Gesetze oder Klagen waren, welche Vereine, die ja auch ἔρανοι hießen, betrafen, oder solche Gesellschaftsverhältnisse, darüber besitzen wir kein Zeugnis (vgl. Lipsius Att. Prozeß 642).

So sind wir zur zweiten, in späterer Zeit häufigeren Art des ἔ. gelangt. Diente das gesammelte Geld dem Nutzen oder Vergnügen der Gesamtheit, so führte dies gewiß meist von einer einmaligen Schmauserei auf gemeinschaftliche Kosten zur Begründung eines dauernden Bandes zwischen den Teilnehmern. Aus dem einmaligen Beitrag wurden regelmäßig wiederkehrende. Es entstand ein geschlossener Verein, über den vgl. den Artikel Vereinswesen.

Literatur siehe bei Thalheim Rechtsalt.⁴ 113; dazu noch Th. Reinach Dict. des antiq. s. Eranos (1892). G. Sérullaz Les sociétés de secours mutuelles. Thèse Lyon 1890, 1–27. Ziebarth Griech. Vereinswesen 15, Beauchet L’histoire du droit privé de la républ. ath. IV.