RE:Euthalios 2

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
fertig  
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Diakon in Alexandrien?
Band VI,1 (1907) S. 1495 (IA)–1496 (IA)
Euthalius in der Wikipedia
GND: 100998623
Euthalios in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register VI,1 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|VI,1|1495|1496|Euthalios 2|[[REAutor]]|RE:Euthalios 2}}        

2) Diakon in Alexandrien? Er ist in die altchristliche Literaturgeschichte eingeführt worden durch L. A. Zacagni Collectanea monumentorum veterum eccl. graecae ac lat. tom. I Rom 1698, wo die vierte und letzte Nummer den Titel trägt: Euthalii episc. Sulcensis Actum Ap. et XIV S. Pauli aliarumque VII cathol. epist. editio ad Athanasium iuniorem ep. Alexandr. S. 401–708 bieten die Editio, in der Vorrede beschäftigt sich Zacagni p. LIV–XCI mit E., von dem er annimmt, er sei 458 Diakon in Alexandrien, unter dem Patriarchen Athanasius II. um 490 Bischof von Sulce gewesen und habe eine masoretische Bearbeitung der Paulusbriefe 458, später auf das Drängen des genannten Patriarchen hin auch der Act. Ap. und der katholischen Briefe unternommen. Die Ausgabe selber ist von hohem Interesse für die Geschichte des neutestamentlichen Textes, der Nachdruck bei Gallandi und namentlich Migne Gr. 85 unbrauchbar, aber auch Zacagni’s Apparat wird aus den zahllosen Hss., die den E. mehr oder minder vollständig verwertet haben, erst gründlich bereichert werden müssen, ehe wir Klarheit über die E.-Frage zu gewinnen hoffen dürfen. Sie ist, nachdem Jahrhundertelang niemand an den Thesen Zacagni’s gerüttelt hatte, in ein neues Stadium getreten durch H. Omonts Notice sur un très ancien msc. grec en onciales des Épitres de St. Paul (cod. H) Paris 1889, worauf im Centralbl. f. Bibliothekswesen VIII 385ff. A. Ehrhard und X 49ff. E. v. Dobschütz in die Debatte über E. eintraten mit ganz neuen Vorschlägen, Ehrhard dem, daß hinter E. in Wahrheit der um 399 gestorbene Origenist Euagrius Ponticus stecke, v. Dobschütz mit dem, daß im euthalianischen Corpus verschiedene Hände und Schichten zu unterscheiden seien und ein Teil des Materials aus Theodorus von Mopsuestia stamme. Neue Beiträge lieferten 1893 Rendel Harris und 1895 F. C. Conybeare; besonders gefördert wurde die Arbeit durch Armit. Robinson Euthaliana (Texts and Studies III 3, 1895) und v. Dobschütz Euthaliusstudien (Z. f. Kirchengesch. XIX 1898, 107ff.). Gesichert sind bisher fast nur Negationen; der Bischof von dem unauffindbaren Sulce wird aufgegeben, der Auftraggeber Athanasius nicht mehr in dem Patriarchen von ca. 490, sondern in dem älteren berühmten Athanasius des 4. Jhdts. gefunden, auch die wenigstens schüchtern von Zacagni vorgenommene Identifikation seines Diakonen E. von 458 mit dem durch ein Schreiben der Chalcedonischen Synode 451, actio III (Mansi VI 1096) als damals in Chalcedon anwesend bezeugten Diakonen der älexandrinischen Gemeinde E. wird kaum noch beachtet. Daß der E. zu den Paulusbriefen um 500, wo Philoxenus von Hierapolis ihn benützte, fertig war, andrerseits Eusebios Kirchengeschichte den Terminus post [1496] quem bildet, dürfte v. Dobschütz sichergestellt haben; sonst wissen wir vorläufig nur, daß Zacagni’s E. eine von recht verschiedenen Interessen geleitete, aus sehr verschiedenen Quellen gespeiste, durch allmähliches Anwachsen neuer Stücke bereicherte Arbeit ist, bei der die Frage, ob einmal ein E. oder ein Euagrios mitgeholfen hat, ziemlich unerheblich ist. Die in Noten überlieferten Daten 396 und 458 zwingen schon, zwei Hände zu unterscheiden; und gewiß ist die Bearbeitung der Apostelgeschichte und der katholischen Briefe erst später, als das Corpus Paulinum als Muster vorlag, ausgeführt worden. E. ist in erster Linie eine Edition der Texte nach dem in den Rhetorenschulen für die klassische Literatur herkömmlichen Verfahren; zunächst stichische Schreibung, um das Vorlesen bequemer zu machen, Zerlegung in Kapitel, Inhaltsangaben für diese Kapitel, Zusammenstellung der Kapitel und ihrer Überschriften in Tabellen, Aussonderung längerer ἀναγνώσεις = Leseabschnitte, Zählung der στίχοι und Anfertigung von Tabellen über die für jedes Stück gefundenen Zahlen; außerdem Vergleichung des Textes mit Muster-Hss. und Beifügung der Varianten, bezw. der kritischen Zeichen, endlich Beifügung von einleitenden oder das Verständnis von Einzelheiten im Text fördernden Ausführungen, wie Vita und Martyrium Pauli, Chronologie der Briefe, Verteidigung ihrer Echtheit, Quellennachweise für die in ihnen vorkommenden Citate. Schon die starken Abweichungen, die sich in den bisher daraufhin untersuchten Hss. bezüglich der Auswahl aus dem E.-Material finden, zwingen zur Vorsicht im Urteil über den Wert, das Alter, die Grundsätze und die Entstehungsweise des Corpus Euthalianum; sind Eusebius von Caesarea und Theodor von Mopsuestia Quellen, Athanasius von Alexandrien Geburtshelfer, die syrischen und armenischen Monophysiten hervorragende Liebhaber des E. gewesen, so laufen in ihm die verschiedensten Fäden zusammen: die genaue Datierung und Abgrenzung der einzelnen in dem E. des Zacagnius zusammengehäuften Schichten wird abhängen von einer zuverläßigen Registrierung der in den Hss. des Apostolos irgendwo vorhandenen euthalianischen Stücke; sie wird ihrerseits für die Gruppierung der Hs. wiederum vielleicht unberechenbaren Gewinn abwerfen. Kürzlich hat H. von Soden Die Schriften des Neuen Testaments in ihrer ältesten erreichbaren Textgestalt I 1, 1902, 637–682 mit Hülfe glücklicher Handschriftenfunde einen E., Bischof von Sulce (Sulci) auf Sardinien um 670 nachgewiesen, der vorher in seiner syromacedonischen Heimat, vielleicht Antiochien, als Diakon gelehrte Studien getrieben haben könnte in Ergänzung älterer Bearbeitungen von Bibeltexten. Als Letzter hat er den Vorteil genossen, das Verdienst an dem Ganzen zugeschrieben zu erhalten; so wäre der Euthalios des Zacagni zugleich ein Produkt des 7. Jhdts. und einer um mindestens drei Jahrhunderte älteren Gelehrsamkeit. Der Bischof von Sulce ist damit enträtselt worden, nicht in gleichem Maße auch seine literarische Hinterlassenschaft.