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Raubtierkräfte

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Raubtierkräfte
Untertitel:
aus: Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Jahrgang 1912, Heft 21, S. 473
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Commons
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[473] Raubtierkräfte. – Daß Bär, Löwe, Tiger und die anderen Vertreter der großen Raubtiere über Kräfte verfügen, die man ihnen ihrer Körpergröße und ihrem Gewicht nach kaum zutrauen möchte, ist genugsam bekannt. Aber auch unsere kleinen einheimischen Raubtiere besitzen eine geradezu staunenswerte Muskulatur.

„Eines Vormittags,“ so berichtet ein ostpreußischer Gutsbesitzer, „war ich mit der Büchse aufs Feld gegangen, um womöglich einen der zahlreichen Füchse, die unter meinem Wildstande schon gehörig aufgeräumt hatten, abzuschießen. Als ich gerade um die Ecke eines hochstehenden Lupinenfeldes bog, bemerkte ich einen Fuchs, der anscheinend soeben einen armen Hasen im Lager überrascht und abgemurkst hatte. Bevor ich noch die Büchse hochbekam, war Meister Reineke, den ausgewachsenen Hasen mit sich fortschleppend, in den Lupinen verschwunden. Ich schickte ihm meinen Jagdhund nach, der aber in den hohen und sehr dichten Lupinenstauden nur schwer vorwärts kam. Schließlich mußte meine Diana dem roten Räuber aber doch wohl ziemlich nahe auf den Pelz gerückt sein, denn ich sah mit einem Male, wie sich der Fuchs, um sich schneller davonzumachen, in hohen Sätzen über die Lupinen hinausschnellte, ohne dabei jedoch den Hasen loszulassen, den er fest in der Schnauze hielt. Jedenfalls war es ein seltener Anblick, Meister Reineke in kurzen Zwischenräumen über dem gelben Blütenmeer des Lupinenfeldes auftauchen und wieder verschwinden zu sehen. Da er mir außer Schußweite war, lief ich geduckt um das Feld herum ungefähr auf die Stelle zu, wo er der bisher eingeschlagenen Richtung nach wieder auf das Brachland austreten mußte. Und wirklich, meine Rechnung stimmte. Wenige Minuten später hatte der Fuchs eine hübsche Portion Schrot im Leibe, machte noch ein paar wilde Todessprünge und – aus war’s mit ihm. Jetzt, als ich mir den armen gemordeten Hasen, der wenige Schritte von dem Rotrock auf dem Boden lag, herbeiholte und näher besah, wurde mir erst bewußt, welch kolossale Kraftleistung der Fuchs soeben mit seiner Flucht durch das Lupinenfeld fertiggebracht hatte. Man bedenke, daß der Hase vielleicht anderthalbmal so schwer war wie der recht zusammengehungerte Meister Reineke selbst, bedenke ferner, daß dieser mit dem Hasen in der Schnauze übermeterhohe und sicher ebenso lange Sprünge über die Lupinen hinweg ausführen mußte, und zwar ununterbrochen auf einer Strecke von vielleicht achthundert Meter. Das wird dem roten Räuber kaum ein anderes Tier nachmachen.“

Ein zweites, ebenso eigenartiges Erlebnis mit einem Fuchs hatte Graf Alexander Rosczinski auf seinen schlesischen Besitzungen. Der Graf war in Begleitung seines Försters nach dem zu seinen Gütern gehörigen Wiladnosee gefahren, um die dort an den Ufern für das Raubzeug aufgestellten Tellereisen nachzusehen. Eines der Fuchseisen, das mit einer Kette an einen Baumstumpf befestigt gewesen war, fehlte. Blutspuren und der ringsum aufgewühlte Boden zeigten, daß sich hier fraglos ein Fuchs gefangen, dann aber mitsamt der Falle davongemacht hatte. Da eine deutliche Spur des nachgeschleiften Tellereisens nach dem See hinabführte, ließ sich der Graf in einem Boot übersetzen, um am anderen Ufer nach einer weiteren Fährte des Flüchtlings zu suchen, trotzdem der Förster seinen Herrn darauf aufmerksam machte, daß der Fuchs das an jener Stelle einen halben Kilometer breite Gewässer unmöglich mit der Last des Eisens beschwert durchschwommen haben könnte. Aber Graf Rosczinski behielt recht. Man fand drüben nach einiger Zeit wirklich eine noch ziemlich frische Spur, ließ die Hunde diese aufnehmen und überraschte bald den völlig erschöpften Meister Reineke in einer nahen Schonung, wo er sich wohl von den Strapazen der Schwimmtour zu erholen gedachte. Ein Schuß machte seinem Leben ein schnelles Ende. Am linken Hinterlauf hing noch das Tellereisen, das mit der Kette zusammen fast dreizehn Pfund wog. Und mit dieser Last am Fuß hatte der Fuchs es fertig gebracht, einen fünfhundert Meter breiten See zu überqueren. In seiner Art eine Kraftleistung, die kaum hinter der eines ein Rind davonschleppenden Tigers zurücksteht.

Von der Kraft eines Marders wieder weiß ein Jäger aus Lothringen folgendes zu erzählen: „Einen Igel im Mardernest fand ich am 6. März, als ich mit einem Jagdgenossen vor dem Schnepfenstrich verschiedene Marderhorste untersuchte. In einer hohen Fichte sah mein Begleiter ein Nest und schoß mit Schrot Nummer 7 hinein, worauf ein Gelbkehlchen (Baummarder mit gelber Kehle im Gegensatz zum Steinmarder mit weißer Kehle) den Kopf aus dem Neste hängen ließ. Da mein sehr beleibter Begleiter lieber auf den Marder verzichtet als ihn aus seiner luftigen Höhe herabgeholt hätte, so kletterte ich selbst hinauf und fand außer dem Marder einen ausgewachsenen Igel, der tot neben dem Marder im Nest lag. Durch diesen Fund wurde mir bestätigt, was andere Jäger mir schon oft berichtet hatten, voran ich aber bisher nie recht glauben wollte: daß nämlich der Marder imstande ist, jedes Tier, das er gerissen hat, mit in sein Nest zu nehmen, mag die Beute auch noch so schwer sein. Nun hatte ich einen deutlichen Beweis vor Augen, über welche Kräfte der kleine Räuber verfügt. Das Nest, aus dem ich den Igel herunterholte, lag gut sieben Meter über dem Erdboden, und der Igel selbst war sicher noch einmal so schwer als der Marder.“

W. K.