Richard Cobden

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Titel: Richard Cobden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 245-248
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[245]

Richard Cobden.

Der Charakter, die ganze geistige Richtung, insbesondere aber der scharfe und praktische Blick eines Mannes lassen sich oft aus einem einzigen Ausspruche desselben erkennen, und wenn Richard Cobden in irgend einer Rede einmal sagte:

„den Chinesen baumwollene Nachtmützen anzugewöhnen, sei für England wichtiger als alle Protokolle der Diplomaten“ –

so tritt aus dieser so wunderbar klingenden und doch so wahren Bemerkung sogleich hervor, daß sich in ihr der [246] Geist eines Mannes abspiegelt, der, frei von allen phantastischen Träumereien, nur den Eingebungen des Verstandes folgt, und der auf das innigste davon überzeugt ist, daß Handel und Industrie, die beiden großen Pulsadern der gesellschaftlichen Zustände, die thätigsten und wirksamsten Verbreiter der Civilisation sind, je weniger sie in ihrem Aufschwunge gehemmt werden. Und in der That hat Richard Cobden, der einfache Kattunfabrikant von Manchester, seit seiner funfzehnjährigen öffentlichen Thätigkeit für diese seine Ueberzeugung rastlos gewirkt, und den, von ihm verfochtenen Grundsätzen des Freihandels-Systems einen so glänzenden Sieg errungen, daß sein Name als einer der bedeutungsvollsten hervortritt in der neuesten nationalökonomischen Entwicklung des gesammten britischen Weltreichs.

Indessen begann Cobden nicht unvorbereitet seine öffentliche Laufbahn. Um sich einen tieferen Blick in die Verhältnisse der Zeit und in die Zustände verschiedener Länder zu verschaffen und sich Erfahrungen einzusammeln, unternahm er im Frühjahre 1837 eine längere Reise, die ihn besonders nach der Türkei, Aegypten und Griechenland führte. Seine Beobachtungen und Erlebnisse theilte er zu Anfange des Jahres 1841 in einer schottischen Zeitschrift mit, und machte sich dadurch als einen rein praktischen Mann und scharfen Beurtheiler bekannt. Doch schon bald nach der Rückkehr von seiner Reise hatten ihm die gedrückten Verhältnisse der Fabrikarbeiter wie überhaupt der Manufakturthätigkeit Gelegenheit geboten, öffentlich gegen die drückende Herrschaft des Monopolsystems, hauptsächlich aber der Korngesetze[1], die zu Gunsten der reichen Grundbesitzer auch bei den ergiebigsten Ernten den Preis des Brotes auf einer bestimmten Höhe erhielten, aufzutreten und sich in seiner Vaterstadt Manchester mit mehreren gleichgesinnten Freunden zu verbinden. Cobden’s erstes Auftreten gegen das Monopol und seine Vertheidiger entging zwar der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht, aber der Anfang war an sich zu unbedeutend, als daß es die stolzen Landlords hätten der Mühe werth erachten sollen, wider den gegen sie ankämpfenden Kattunfabrikanten zu Felde zu ziehen, um so mehr, da die Trennung zwischen den Ackerbautreibenden und den Fabrikdistrikten Englands noch eine viel zu schroffe war, und man unter den Ackerbauern leicht die Ansicht verbreiten konnte, daß Cobden nur auf Kosten des Landbebauers die Fabrikanten und ihre Arbeiter bereichern wollte. Gegen diese falsche Ansicht, die sich nur auf ganz verkehrte nationalökonomische Grundsätze stützen konnte, mußte entschieden angekämpft werden, und da dies weder einem Einzelnen noch einigen, wenn auch durch gleiche Meinung vereinigten Männern mit nachhaltigem Erfolge würde gelungen sein, so wurde hauptsächlich auf Cobden’s Antrieb im September 1838 zu Manchester der Verein gegen die Korngesetze (Anti-Korngesetz-Verein) gegründet, an dessen Spitze Cobden als einer der Hauptbegründer trat und bis zu dem großen Triumphe, den die Lehren dieses Vereins davon trugen, die Seele desselben blieb. Von diesem Augenblick an begann, unter der Leitung Cobden’s und seiner näheren Freunde (Wilson, Bright, Villiers, Tompson u. A.), der Kampf gegen die Korngesetze, die Hauptstütze der Aristokratie Englands, nach einem bestimmten Plane, mit einer gewissen Berechnung; und wenn sich der Verein auch vorzüglich die Vernichtung dieser drückenden Gesetze zum Hauptziele gesteckt hatte: so richtete er gleichzeitig seine Waffen auch gegen alle Handelsbeschränkungen, gegen das Monopol im Allgemeinen und pflanzte die Fahne des Freihandelssystems auf. Wie lange dieser Kampf dauern würde, war, da es die Gegner des Anti-Korngesetz-Vereins nicht an hartnäckiger Gegenwehr fehlen ließen, nicht zu berechnen; es hing Alles daran, die öffentliche Meinung für die Ansichten zu gewinnen, daß billiges Brot wie überhaupt Billigkeit der nothwendigsten Nahrungsmittel und freie Konkurrenz im Handel und Verkehr nicht einer Klasse der Gesellschaft, sondern allen Klassen gleiche Vortheile bieten, und dies konnte nur durch eine friedliche, aber zugleich auch großartige Agitation, wie sie die freien Institutionen Englands gestatten, erreicht werden.

Mit unermüdlicher Anstrengung war Cobden für den Verein thätig, und kaum hatte er durch seine Bemühungen demselben eine Anzahl einflußreicher Männer in Manchester gewonnen und in öffentlichen Versammlungen in einfacher, klarer Rede den gewaltigen Druck nachgewiesen, den die Korngesetze auf den gesammten Verkehr ausübten, so bildeten sich in kurzer Zeit, nach dem Muster des Hauptvereins in Manchester, in allen Fabrikdistrikten Zweigvereine, in deren Versammlungen ganz nach der, von Cobden vorgeschriebenen Taktik verfahren wurde.

Aus unscheinbaren Anfängen war der Verein bis zum Jahre 1841 schon zu solcher Bedeutung gelangt, daß er während der um die Mitte dieses Jahres eintretenden Parlaments-Auflösung, der sofort eine neue Wahl folgte, eine in vieler Beziehung wichtige Rolle spielte. Cobden, längst in ganz England gekannt, auch von vielen seiner Gegner gefürchtet, trat bei der Neuwahl in Stockport als Bewerber um einen Sitz im Unterhause auf und wurde mit überwiegender Mehrheit gewählt. Die Zahl der Korngesetzgegner so wie der Kämpfer gegen das Monopolsystem war im Unterhause bis jetzt nur klein gewesen, durch die Wahl von 1841 wurde sie ansehnlich verstärkt, und daß Cobden selbst, der Hauptführer der Freihandelspartei nun auch parlamentarisch für die Wahrheit seiner Ansichten kämpfen konnte, erhöhte die Wichtigkeit seiner Person wie die Sache des Vereins außerordentlich. Aber Cobden und seine Freunde mußten auch jetzt ihre Anstrengungen verdoppeln, denn mit dem 1. September 1841 trat Sir Robert Peel, der Führer der torystischen Partei, an die Spitze der Regierung, und wenn auch von diesem klugen und vorsichtigen Staatsmanne zu erwarten stand, daß er sich bei allen das Zoll- und Finanzwesen betreffenden Fragen nur durch die Forderungen der öffentlichen Meinung leiten lassen würde: so war doch gerade von ihm keine freiwillige Annahme der Grundsätze zu erwarten, deren Verwirklichung Cobden zur Aufgabe seines Lebens gemacht hatte. Ein energischer Charakter indessen läßt sich durch Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellen, nicht von der Verfolgung eines einmal aufgesteckten Zieles abschrecken. Gerade von dem Augenblicke an, wo Sir Robert Peel die [247] Leitung der Geschäfte übernahm, arbeitete Cobden mit der ganzen Kraft seines thätigen Geistes daran, den Anti-Korngesetz-Verein zu einer Macht zu erheben. Versammlungen über Versammlungen wurden gehalten, zahllose Schriften über das Schädliche der Korngesetze und die segensreichen Folgen der Vernichtung derselben im ganzen Lande verbreitet, Lehrer der Volkswirthschaft angestellt und gleichsam als Sendboten ausgeschickt, um überall, auch in den kleinsten Orten, Vorlesungen zu halten und die Wohlthaten des Freihandelssystems dem Volke anschaulich zu machen. Alle diese Schritte und Maßregeln überwachte Cobden mit scharfem Blicke, und der erste Lohn seiner Anstrengungen war der, daß der Premierminister Sir Robert Peel, als er am 9. Februar 1842 im Unterhause seine Zoll- und Finanzgesetze vorlegte, nicht nur an den alten Korngesetzen durch wesentliche Abänderungen des früheren Zollsatzes rüttelte, sondern auch eine so bedeutende Reduktion des allgemeinen Zolltarifs vornahm, daß dadurch den von Cobden und seinen Freunden vertretenen Prinzipien wenigstens der Anfang einer Bahn gebrochen würde.

Die Art und Weise, wie Robert Peel seine Zollreformen eingeleitet, ließ mit Gewißheit voraussehen, daß er zu umfassenderen Zollverbesserungen geneigt sei und nur die hierzu passende Zeit abwarte. Cobden hielt es demnach für unumgänglich nöthig, daß der Anti-Korngesetz-Verein nach allen Seiten hin seine Anstrengungen verdoppele, vornehmlich aber darauf hinwirke, die Bevölkerung der Ackerbau-Distrikte, die Pächter, für die Lehren des Vereins zu gewinnen und dahin zu überzeugen, daß das wohlfeile Brot, was der Fabrikarbeiter verzehre, auch ihnen Vortheil bringe, daß also die Aufhebung der Korngesetze auch ihre Lage wesentlich verbessern werde. So schwierig diese Aufgabe war, weil gerade in den Ackerbaudistrikten der Einfluß der Grundherren überwiegend war, so wurde sie doch zum größten Theile gelöst, und bis zum Jahre 1845 war der Anti-Korngesetz-Verein zu einer solchen Macht angewachsen, und das Volk im Allgemeinen für die, von Cobden und seinen Freunden gepredigten Grundsätze in so hohem Grade gewonnen, daß die Verfechter des Monopols, die reiche Geldaristokratie, der nächsten Zukunft mit Zittern und Zagen entgegensahen. Die Organe der Vollblut-Tories erschöpften sich in Schmähungen gegen den „Demagogen und Aufwiegler“ Richard Cobden, und doch war seit dem siebenjährigen Kampfe, den der Anti-Korngesetz-Verein führte, noch kein Tropfen Blut vergossen, nirgend Ruhe und Ordnung gestört, niemals ein bestehendes Gesetz verletzt worden. Bald sollten die Tories es erleben, daß der ihnen verhaßte Cobden vollständig und für immer den Sieg über sie davon tragen werde.

Eine seltsame Naturerscheinung kam den Bestrebungen Cobden’s und seiner Freunde zu Hülfe. Im Herbste des Jahres 1845 brachte die, bis dahin unbekannte Kartoffelkrankheit wie einen Theil des Kontinents, so auch England, namentlich Irland, dessen Bewohner auf die Kartoffel als ihr Hauptnahrungsmittel angewiesen sind, in nicht geringe Noth. Alle Nachrichten, die Robert Peel über den Ausfall der Kartoffelernte in Irland anstellen ließ, bestätigten die schreckliche Aussicht, daß, wenn nicht ungesäumt Hülfe geschafft werde, das furchtbarste Elend über die unglückliche Insel hereinbrechen müsse.

Die Kartoffelseuche brachte eine momentane Ministerkrisis hervor, weil sich die Räthe der Krone über freie Getreideeinfuhr nicht einigen konnten. Endlich siegte doch Robert Peel’s Ansicht, und gestützt auf die öffentliche Meinung und die wirklich Achtung gebietende Macht des Anti-Korngesetz-Vereins, der gerade in dieser Zeit, auf Antrieb Cobden’s, die beispiellosesten Anstrengungen gemacht hatte, trat der Premierminister am 27. Januar 1846 in einer mehrstündigen Rede mit seinen neuen Zollgesetzen auf, erklärte das Bestehen der Korngesetze für rein unmöglich und bekannte sich offen zu den Grundsätzen einer freisinnigen Handelspolitik.

Das war der Augenblick, wo Cobden den größten Triumph feierte. Zwölf Nächte hindurch wurde im Unterhause mit furchtbarer Erbitterung gestritten, aber leider lag der Mann, auf den jetzt die Augen von ganz England gerichtet waren, Richard Cobden, in Folge der großen Anstrengungen krank darnieder und nur bis gegen Ende des parlamentarischen Kampfes erholte er sich so weit, daß er der Schlußdebatte beiwohnen und als einer der letzten Redner das Wort für seine Lehre ergreifen konnte. Mit überwiegender Majorität wurden Peel’s Vorschläge angenommen, und ihre Annahme wurde im ganzen Lande als der glänzendste Sieg Cobden’s und des von ihm geleiteten Vereins gefeiert, und ihm, der dem Interesse der großen Sache einen bedeutenden Theil seines Vermögens geopfert, auch sein eigenes Geschäft vernachlässigt hatte, eine Nationalbelohnung bewilligt, reich genug, um ihn als ganz unabhängigen Mann hinzustellen.

Nachdem sich Cobden wieder erholt, trat er eine große Reise durch die Kontinentalstaaten Europa’s an und ward überall mit Achtung und Bewunderung aufgenommen. Auf der Bahn, die er gebrochen, sind die englischen Staatsmänner bis jetzt rüstig vorwärts gegangen; seit 1849 haben die Korngesetze faktisch aufgehört und mit jedem Jahre haben die Grundsätze des Freihandelssystems sich weiter ausgedehnt, da die überwiegenden Vortheile desselben so sehr in die Augen springen, daß selbst die eingefleischtesten Anhänger des Monopols es nicht mehr wagen, offen für dasselbe aufzutreten. Das letzte Tory-Ministerium, an dessen Spitze Graf Derby stand, machte zwar während seines kurzen Bestehens die verzweifeltsten Anstrengungen, die Korngesetze in sehr mäßiger Weise wieder herzustellen; aber die Drohung Richard Cobden’s, daß dann auch der Anti-Korngesetz-Verein sofort wieder in’s Leben treten werde, benahm den Monopolrittern alle Luft und sie selbst gaben ihr Vorhaben auf. Bei dem Zurücktritte des Derby’schen Ministeriums glaubte man allgemein, daß Richard Cobden Mitglied des neuen Cabinets werden würde; dies ist aber nicht geschehen; jedoch steht mit Gewißheit zu erwarten, daß der Besieger der Korngesetze, der immer noch unermüdliche Agitator für vollständige und uneingeschränkte Annahme des Freihandelsytems vielleicht schon in der nächsten Zukunft eine einflußreiche Rolle als Staatsmann spielen werde.

Cobden wird jetzt ungefähr fünfzig Jahre alt sein und dürfte bei seiner thätigen und mäßigen Lebensweise ein hohes Alter erreichen, so daß es ihm wahrscheinlich noch beschieden ist, in seinem Vaterlande allgemein den [248] Wohlstand verbreitet zu sehen, der, wie er fast in jeder seiner Reden vorausgesagt, der Anerkennung und Ausführung seiner Grundsätze folgen werde und müsse. Richard Cobden gehört nicht zu den glänzenden Rednern, an denen England so reich ist; er spricht einfach und doch eindringlich, was ihm aber an oratorischem Schmucke abgebt, wird durch jene edle Freimüthigkeit ersetzt, die aus seinen Worten überall hervortritt und ihnen eine solche Kraft giebt, daß sie ihren Eindruck auf den Zuhörer selten verfehlen. Er ist ein praktischer, nüchterner und hochherziger Mann, der sich zu der hohen Mission berufen fühlt, für das Wohl der Menschheit zu wirken.




  1. Die Korngesetze besteuern eingeführtes Korn im Verhältniß zu dem Preise, den das im Lande gewonnene Korn auf dem Markte hat. Steht der englische Marktpreis hoch, so ist der Einfuhrzoll niedrig, im umgekehrten Falle wird der Einfuhrzoll erhöht, so daß eine Konkurrenz des fremden Korns mit dem einheimischen gar nicht möglich ist.