Richard Foerster (Nachruf)

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Textdaten
Autor: Wilhelm Kroll
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Titel: Richard Foerster
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aus: Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur. Band 97 (1919–1924), S. 1–8
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Entstehungsdatum: 1922
Erscheinungsdatum: 1925
Verlag: G. P. Aderholz’ Buchhandlung
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Erscheinungsort: Breslau
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Diesen Nachruf auf Richard Foerster hielt Wilhelm Kroll auf der Trauerfeier der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur am 5. November 1922
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[1]
Richard Foerster
Von Wilhelm Kroll.

Zu einer Jubelfeier hatten wir gehofft, uns am 2. März in diesen Räumen zu vereinigen: nach menschlichem Ermessen hätte Richard Förster an diesem Tage unter Teilnahme weitester Kreise in der Frische, die wir oft an ihm bewundert haben, seinen 80. Geburtstag feiern können. Nun ist aus der Jubelfeier eine Trauerfeier geworden; die unerbittliche Hand der Parze hat den scheinbar noch so kräftigen Lebensfaden abgeschnitten und dem rastlosen Wirken des unermüdlichen Mannes ein Ziel gesetzt. Wir müssen die Fackeln, die wir hoch zum Himmel heben wollten, trauernd zu Boden senken, aber wir wollen nicht in weichliche Klagen ausbrechen, sondern uns den Inhalt dieses reich gesegneten Lebens in kurzem Überblick vergegenwärtigen.

Der äußere Gang von Försters Leben ist schlicht, wie es bei deutschen Gelehrten der Fall zu sein pflegt. Er war am 2. März 1843 in Görlitz geboren und aus dem gewerbetreibenden Mittelstand hervorgegangen; dieser Herkunft hatte er wohl den Sinn für die Realitäten des Lebens und die Freiheit von aller unklaren Phantasterei zu danken, die einen Grundzug seines Wesens ausmachte. Die landschaftlichen und künstlerischen Reize seiner schönen Heimatstadt mögen schon früh in ihm die Liebe zur Kunst geweckt haben, die seinen Arbeits- und Interessenkreis wesentlich bestimmen sollte. Mit zehn Jahren wurde er in das altberühmte Gymnasium Augustum aufgenommen, das ihm die Liebe zum Altertum, namentlich zur griechischen Literatur, ins Herz pflanzte. Die Schule war von je ein Paradies für erlaubte Schülerverbindungen, und auch Förster hat einer solchen angehört, den Septem, einem exklusiven Kreise tüchtiger Schüler, von dem Alte Herren noch heute leben und bisweilen tagen. Als Förster im Jahre 1861 die Universität bezog, wählte er als Studienfach die klassische Altertumswissenschaft; er ging zuerst nach Jena, wo er das Band der Arminen trug und sich besonders an Mor. Schmidt anschloß. Aber schon im Winter wandte er sich nach Breslau und verbrachte hier seine übrige Studienzeit, außer durch Hertz und Roßbach besonders durch F. Haase gefördert, zu dem er in nahe persönliche Beziehungen treten durfte. Er promovierte im Juni 1866 und fand rasche Anstellung am hiesigen Magdalenengymnasium, dem er bis zum Jahre 1875 angehörte; aber daneben wurde er schon im Herbst 1866 Privatdozent an der Universität. Er habilitierte sich mit einer Arbeit über die Attraktion der Relativsätze, die eine Fortführung seiner Doktorarbeit war; kein Geringerer als H. Steinthal begrüßte sie mit Freuden, weil sie mit [2] der eben erst einsetzenden psychologischen Sprachbetrachtung Ernst zu machen versuchte. Gleich darauf ging er als Stipendiat des archäologischen[WS 1] Institutes auf zwei Jahre nach Italien und legte hier den Grund zu seiner Kenntnis sowohl der Bibliotheken als auch der Monumente und der Topographie Roms, die er in Vorlesungen eingehend zu behandeln liebte. Wie alle alten Romfahrer hing er an dem päpstlichen Rom und plauderte gern von seinen Erlebnissen unter dem Zeichen der Tiara. Im Jahre 1873 erhielt er den Titel, zwei Jahre später die Stellung eines a. o. Professors; aber schon im Herbst 1875 wurde er als Ordinarius nach Rostock berufen und war hier fast sechs Jahre tätig; er fand in F. V. Fritzsche einen alten Hermannianer vor, und man rechnete es seinem diplomatischen Geschick hoch an, daß er mit diesem knorrigen Alten gut auskam. Im Frühjahr 1881 folgte er einem Rufe nach Kiel; hier hatte er in P. W. Forchhammer einen Holsteiner von altem Schrot und Korn neben sich, der im Leben wie in der Wissenschaft eigensinnig seinen Weg ging und bis zuletzt – er wurde 93 Jahre alt – an seiner Wassermythologie festhielt. Mit dem gelehrten und scharfsinnigen, aber etwas trockenen F. Blass verband ihn die Liebe zum Griechischen; in den letzten Jahren knüpften sich angenehme Beziehungen zu I. Bruns, einem frischen aufstrebenden Gelehrten von großer persönlicher Liebenswürdigkeit. Da starb im Jahre 1889 Studemund, als er eben begonnen hatte, das philologische Studium an unserer Universität zu reformieren, und bald darauf erging an Förster der Ruf, sein Nachfolger zu werden. Er zauderte nicht, ihn anzunehmen: ihn lockten die Heimatsprovinz, der größere Wirkungskreis und die Beziehungen zu früheren Kollegen und Lehrern, unter denen namentlich M. Hertz eifrig für seine Berufung gewirkt harte. Er las hier von Anfang an neben philologischen Vorlesungen auch archäologische, und als A. Roßbach im Jahre 1898 starb, übernahm er auch die offizielle Vertretung der Archäologie, d. h. die doppelte Arbeitsleistung von der, die ein Professor zu leisten pflegt. Drei Jahrzehnte ist er hier tätig gewesen mit nur einer größeren Unterbrechung: im Winter 1895/96 unternahm er eine große Studienreise nach Italien und dem Orient, die ihn zuletzt bis nach Antiochia brachte, der Heimatsstadt des Sophisten Libanios, dem ein Teil seiner Lebensarbeit galt. Ich habe damals in Rom schöne Stunden mit ihm verlebt und denke namentlich mit vielem Vergnügen an einen Ausflug auf der Via Appia, die wir als rüstige Fußgänger bis hinter die Caecilia Metella begingen. Eine kürzere Reise nach England und Holland, z. T. durch die Herausgabe der Reiskebriefe veranlaßt, war im Jahre 1892 vorausgegangen. Viele Ehren häuften sich auf seinem Scheitel: er wurde Rektor und Dekan, er konnte seine Brust mit hohen Orden schmücken, seinen 70. Geburtstag und das goldene Doktorjubiläum unter lebhafter Teilnahme [3] von Kollegen, Schülern und weiteren Kreisen feiern. Krankheit schien bei einer gleichmäßig ruhigen Lebensweise seinem zähen Körper nichts anhaben zu können, und nur Wenige werden sich erinnern können, daß er wegen Unwohlsein seine Vorlesungen aussetzte oder eine andere Pflicht versäumen mußte. Erst in seinen letzten Jahren machte sich ein inneres Leiden bemerklich und veranlaßte ihn, sich im Jahre 1920 von seinen amtlichen Verpflichtungen entbinden zu lassen; seine Lehrtätigkeit hat er trotzdem nicht ganz aufgegeben und noch im letzten Sommersemester die Vorlesung über Apuleius’ Märchen von Amor und Psyche gehalten, an der er sehr hing. Von einer ernsten Operation hatte er sich überraschend erholt, namentlich die Luft der heimischen Berge hatte ihm fast wieder jugendliche Frische verliehen. Auch im Juli dieses Jahres hatte er seine beliebte Sommerfrische in Krummhübel aufgesucht; aber hier fiel er in einen bedrohlichen Schwächezustand, der seine Übersiedlung nach Breslau notwendig machte; kaum hier angelangt, verschied er in den Morgenstunden des 7. August und wurde eine Woche später unter größter allgemeiner Teilnahme zur letzten Ruhe gebettet. Namens der Universität widmete ihm Herr Geheimrat Koch warme und herzliche Worte.

Versuchen wir zunächst, seiner wissenschaftlichen Leistung gerecht zu werden. Försters Lehrjahre fallen in eine Zeit, wo die Philologie noch wesentlich sprachlich und kritisch gerichtet war und die Beschäftigung mit einzelnen und vereinzelt geschauten Autoren, die man meist als Klassiker ansah, im Mittelpunkte stand. Historische Probleme und geschichtliche Betrachtungsweise lagen jener Zeit fern; Viele, die damals groß wurden, sind über das Hantieren mit Handschriften und kleine sprachliche Beobachtungen nicht herausgekommen. Erst in den 70er Jahren setzte kräftig die Reformbewegung ein, die aus der Philologie eine Altertumswissenschaft machte. Förster hat aus jener älteren Schule ein unschätzbares Gut mitgebracht, die philologische Akribie, die Treue gegen den Buchstaben, die Fähigkeit, auch entsagungsvolle Arbeiten wie Handschriftenvergleichungen ohne Murren und mit ungeschwächter Aufmerksamkeit auszuführen. Ich habe es im Winter 1895/96 bewundern können, wie er auf der Vatikanischen Bibliothek oder auf seinem Zimmer im Archäologischen Institut frierend und in den Mantel gehüllt unablässig arbeitete: in diesem unermüdlichen Fleiß ruhte zum großen Teile das Geheimnis seines Erfolges. Man wird ihm in seinen zahlreichen Publikationen und Ausgaben kaum irgendwelche Versehen und Irrtümer nachweisen können, die durch größere Sorgfalt vermieden hätten werden können; liederliche, und unsaubere Arbeitsweise bei Anderen war ihm ein Greuel, und er erzog seine Schüler ebenso zu peinlicher Genauigkeit, wie er dazu erzogen war.

[4] Aber er ist doch nicht in diesem begrenzten Interessenkreise stecken geblieben, sondern hat im Gegenteil seinen Blick schon früh über die Grenzpfähle der Philologie im engeren Sinne hinausgerichtet. Es mag der Einfluß Roßbachs gewesen sein, der damals wohl noch Anregung zu geben im Stande war, der ihn auf Archäologie und Mythologie hinwies; von der alten Kunst fand er dann durch das Interesse für die Kulturentwicklung der Heimat und die Eindrücke, die er in Italien in sich aufnahm, den Weg zur neueren Kunstgeschichte. So war sein Interessenkreis ungewöhnlich weit, und er pflegte ihn nicht bloß als Dilettant in seinen Mußestunden, sondern er ist auf allen diesen Gebieten auch forschend und schriftstellernd tätig gewesen. Dabei unterstützte ihn sein ungewöhnliches Gedächtnis und die Fähigkeit, auch scheinbar unbedeutende Notizen zu behalten; diese Polyhistorie setzte ihn in den Stand, Anderen bei ihren Arbeiten zu helfen, und sein Name erscheint in den Vorreden vieler Werke, weil er den Verfassern mit seinen großen bibliographischen Kenntnissen zur Hand gegangen war.

Auf dem eigentlich philologischen Gebiet waren es, wie gesagt, die Griechen, die ihn am meisten anzogen. Seine Dissertation handelte über eine sprachliche Erscheinung bei Aischylos, und seine Habilitationsschrift dehnte die Beobachtung auf die spätere Entwicklung der griechischen Sprache aus; erst später verfolgte er das Phänomen auch auf das lateinische Gebiet: ich möchte glauben, daß sich hier der Einfluß seines Lehrers F. Haase zeigte, der damals einer der besten Kenner der lateinischen Sprache war. Aber die Grammatik im engeren Sinne stand nicht im Mittelpunkt seines Interesses, obwohl er bei Stenzler Sanskrit gehört hatte und bisweilen auch grammatische Vorlesungen hielt. Wohl aber faßte er schon früh die Herausgabe einiger bisher vernachlässigter Texte ins Auge und führte sie mit der ihm eigenen Zähigkeit zu Ende. In dem einen Falle handelte es sich um ein Vermächtnis des früheren Breslauer, vor genau hundert Jahren verstorbenen Professors J. G. Schneider, das ihm Roßbach ans Herz gelegt hatte, eine Ausgabe der Physiognomiker. Das sind Texte, die über den Ausdruck von Charaktereigenschaften und seelischen Stimmungen durch körperliche Erscheinungen handeln und begreiflicher Weise auch für die Beurteilung der Formensprache der antiken Kunst von Wichtigkeit sind. Texte von späterer Herkunft, z. T. nur lateinisch und arabisch erhalten, die aus den verschiedensten Quellen geschöpft werden mußten. Es war so recht eine Aufgabe für Förster: indem er allen Spuren unermüdlich nachging und Kollegen, Freunde und Schüler für die Sache interessierte, gelang es ihm in Jahrzehnte langer Arbeit, das Material zu sammeln und zu verarbeiten. Im Jahre 1893 konnte er die zweibändige Ausgabe Roßbach zum 70. Geburtstage darbringen.

Sehr viel schwieriger, aber auch wichtiger war die andere große [5] Aufgabe, die Förster mit ähnlicher Konsequenz Jahrzehnte hindurch verfolgt und fast bis zu Ende geführt hat, die Ausgabe des Libanios. Libanios ist nicht gerade ein geistiger Heros, vielmehr ein Sophist des 4. Jahrhunderts n. Chr. mit allen Schwächen eines solchen; aber er ist ein charakteristischer Vertreter der Kultur jener Zeit, ja durch seinen ausgedehnten Briefwechsel für ihre Geistesgeschichte von hervorragender Bedeutung. Während von seinen Reden eine Ausgabe von Reiske vorlag, die freilich hauptsächlich von Reiskes Gattin besorgt war und erhebliche Mängel aufwies, war man für die Briefe auf eine unhandliche, unvollständige und ungenaue Ausgabe angewiesen. Als Förster im Jahre 1868 nach Italien reiste, wies ihn Hercher auf die schöne Aufgabe hin, den Libanios so zu edieren, wie es die moderne Wissenschaft verlangte. In unermüdlicher Arbeit verschaffte sich Förster Kunde von den mehr als 500 Handschriften, und 1903 konnte endlich der erste Band erscheinen, dem bis 1915 die Bände 2–8 mit den Reden folgten. Die Briefe sind 1921/22 als Band 10 und 11 herausgekommen; handschriftlich vollendet sind die umfangreichen Prolegomena. Es ist eine Ehrenpflicht der deutschen Wissenschaft, dieses Werk eines getreuen Arbeiters trotz der Ungunst der Zeiten zu Ende zu führen.

Die Sache bringt es mit sich, daß eine so große Aufgabe auf allerlei Seitenwege lockt. So ist Förster durch Libanios zu Chorikios geleitet worden, einem Sophisten des 6. Jahrhunderts, und hat hier und da einzelne Reden als Bausteine zu einer künftigen Ausgabe abgedruckt. Namentlich aber hat ihn die Person des früheren Libaniosherausgebers Reiske angezogen und ihm Anregung zu mehreren Arbeiten gegeben. Reiske war der bedeutendste Gräzist und Arabist Deutschlands im 18. Jahrhundert, eine eigenartige und durch ihre Lebensschicksale anziehende Persönlichkeit, deren Leben noch nicht genügend aufgehellt war; besonders war der rege Briefwechsel, den er mit den ersten Männern seiner Zeit (darunter Lessing und Winckelmann) unterhalten hatte, noch wenig bekannt. Auch hier brachte Förster durch zielbewußte Sammeltätigkeit binnen einer Reihe von Jahren das Material zusammen und konnte im Jahre 1897 den Briefwechsel Reiskes in einem stattlichen Bande publizieren. Bei diesen Reiskeforschungen hatte er das Glück, einen Lessingfund zu machen, Anmerkungen Lessings zu äsopischen Fabeln, die sich in einer Handschrift der hiesigen Universitätsbibliothek fanden, eine wertvolle Bereicherung der Lessingphilologie.

Was seine archäologischen und mythologischen Forschungen angeht, so ist zu betonen, daß Förster aus einer Zeit stammte, wo diese beiden Wissenschaften noch eng mit der Philologie verbunden waren und es weder eine reine Religions- noch eine reine Kunstgeschichte [6] gab, die aufgrund einer Vereinigung von ästhetischer und historischer Betrachtung die Entwicklung der Kunst darstellte. Obwohl nun Förster die ästhetische Auffassung keineswegs fern lag, so ist es doch begreiflich, daß ihn als Philologen solche Stoffe besonders anzogen, bei denen auch die literarische Überlieferung in Betracht kam. So hat ihn lange Zeit das Laokoonproblem beschäftigt, dessen Lösung von der Deutung einzelner antiker Stellen abhing; auf der Görlitzer Philologenversammlung im Jahre 1889 hielt er zwei Vorträge darüber und faßte zuletzt im Jahre 1914 seine Ergebnisse zusammen. Hier haben inschriftliche Funde das Hauptergebnis seiner Forschungen durchaus bestätigt und die Entstehung der Laokoongruppe um die Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. sicher gestellt. In der Mitte zwischen Archäologie und Mythologie steht sein 1874 erschienenes Buch: „Der Raub und die Rückkehr der Persephone“. Auch hier handelt es sich um einen von der Literatur vielfach verherrlichten Mythos, und das Buch befaßt sich besonders mit seiner dichterischen und monumentalen Behandlung; auch hier bewährt sich Försters Begabung, ein großes Material zu sammeln und zu ordnen.

Von der alten Kunst führte ihn der Weg zur modernen. Sein römischer Aufenthalt wurde der Anlaß zu den Farnesinastudien, in denen er jene wundervollen, aber nicht ohne Weiteres verständlichen Fresken der Hochrenaissance mit Hilfe der antiken Schriftsteller erläuterte. Besonders aber boten ihm die letzten Jahrzehnte seiner hiesigen Tätigkeit die Anregung, den Lebensschicksalen und der Wirksamkeit schlesischer Künstler nachzugehen, die mehr oder weniger verschollen waren, wie Gareis und Blaschnik, oder Festreden brachten ihn auf Stoffe wie den preußischen Adler, Tizians Himmlische und irdische Liebe, die er aus der antiken Mythologie deutete, oder Schwinds Rekonstruktion der Philostratischen Gemälde.

Diese wissenschaftliche Arbeit ist so reich und weitsichtig, daß sie allein auszureichen scheint, ein ganzes langes Menschenleben zu füllen. Das war aber bei Förster keineswegs der Fall; er war kein Stubengelehrter, sondern es drängte ihn zu praktischer Betätigung, und vielleicht bewunderten ihn die am meisten, die es verfolgen konnten, wie er eine Menge verschiedener Geschäfte neben seiner Gelehrtenarbeit erledigte, wie er mehrere Eisen nebeneinander im Feuer hatte, immer umsichtig und pflichttreu, mit genauer Kenntnis der Personen und Sachen. An erster Stelle steht da seine akademische Lehrtätigkeit, die von ungewöhnlicher Ausdehnung war: es gibt wenige Gebiete im Bereiche seiner Wissenschaft, über die er nicht einmal gelesen hat. Dazu kam seit dem Jahre 1899 die Direktion des archäologischen Museums, d. h. ein vergeblicher Kampf um bessere Unterbringung der in kellerähnlichen Räumen verkommenden Sammlung. In seltenem [7] Maße besaß er die Gabe, seine Schüler zu wissenschaftlicher[WS 2] Arbeit anzuregen und ihnen Themen zuzuweisen, die ihrer Begabung entsprachen; ein Verzeichnis solcher Dissertationen, die oft das Ricardo Foerster Sacrum auf dem Widmungsblatte tragen, würde viele Seiten anfüllen. Die Dankbarkeit der Schüler zeigte sich bei seinen Jubiläen, so besonders bei der Feier seines 70. Geburtstages, wo einige auch aus der Ferne herbeigeeilt waren und in beredten Worten den Gefühlen für ihren Lehrer Ausdruck gaben.

Weiteren Kreisen des Publikums wurde er zunächst dadurch bekannt, daß er die Professur der Eloquenz bekleidete, zuerst noch neben Hertz und Marx, dann allein: er ist der letzte Eloquenzprofessor an unserer Hochschule gewesen, vielleicht der letzte überhaupt, in dieser Hinsicht ein Nachfolger seines Libanios. Er besaß eine leichte natürliche Beredsamkeit und benutzte sie, um bei den Festfeiern der Universität Themen aus dem Bereiche seiner Wissenschaft Laien nahe zu bringen: so hat er in der Aula der Universität von Reiske, Otfr. Müller und seinen Reisen erzählt und Stoffe aus der antiken und modernen Kunstgeschichte behandelt; in dem Bändchen: „Das Erbe der Antike“ liegt eine Reihe solcher Festreden gesammelt vor. Namentlich aber widmete er seine Kräfte je länger je mehr seiner Heimatsstadt und Provinz. Bald nach seiner Rückkehr übernahm er den Vorsitz im Verein für Geschichte der bildenden Künste, dessen eifriges Mitglied er schon früher gewesen war, und brachte ihn zu neuer Blüte; nicht bloß sorgte er mit erstaunlicher Umsicht für Vorträge, deren er viele selbst hielt, sondern auch für dankenswerte Publikationen; die der Cranachschen Madonna in Glogau bot ihm Gelegenheit, in einem Aufsatz auf andere Bilder des Meisters in unserer Provinz hinzuweisen. Er wurde auch in das Kuratorium des Schlesischen Provinzialmuseums berufen und begnügte sich nicht mit der nominellen Zugehörigkeit, sondern nahm – was damals sehr nötig war – regen Anteil an den Verwaltungsgeschäften. Am bedeutungsvollsten aber wurde es, daß man ihn nach Heidenhains Tode[1] zum Präses der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur wählte. Das geistige Leben in unserer Stadt und Provinz nach Möglichkeit zusammenzufassen war so recht eine Aufgabe für seine Energie und Umsicht; hier konnte er seine Vielseitigkeit, seine Menschen- und Sachkenntnis glänzend entfalten. Durch sein Geschick hat er die Gesellschaft glücklich durch gute und böse Tage und durch die Fährlichkeiten der Kriegszeit geleitet, namentlich aber anläßlich des 100 jährigen Jubiläums die Errichtung des schönen Gesellschaftshauses durchgesetzt und durchgeführt, das nicht [8] bloß der Gesellschaft selbst ein würdiges Heim bietet, sondern auch von anderen gemeinnützigen Vereinen und vielen Privatleuten dankbar benutzt wird.

So manche Seiten seiner Tätigkeit, wie etwa die Beteiligung an kirchlichen Körperschaften, muß ich übergehen, aber das Bild würde unvollständig sein, wenn wir nicht auch des Menschen gedenken wollten, seiner immer gleichmäßigen und Behagen verbreitenden Heiterkeit, die sich kaum jemals erschüttern ließ; und in diesem Zusammenhang möchte ich sein Familienleben nennen, das für alle die von mir geschilderte Tätigkeit die Voraussetzung und den Hintergrund bildet. Hier in der Heimat hat er die Gattin gefunden und 52 glückliche Jahre mit ihr verlebt, hat drei reichbegabte Kinder heranwachsen und in angesehene Stellungen eintreten sehen, den ältesten Sohn sogar als Kollegen an unserer Universität neben sich gehabt. Sein Heim war ein Mittelpunkt schöner Geselligkeit, und viele haben an seinem Herde sitzen und den Segen seines Familienglückes empfinden dürfen.

Nun ist dieser rastlose Geist zur ewigen Ruhe eingegangen, die immer tätige Hand hat die Feder hingelegt, seine Stimme wird nicht mehr diesen Saal füllen. Und doch ziemt es uns nicht zu trauern, sondern dankbar zu sein für den ungewöhnlichen Reichtum, der diesem Leben beschieden war und der ein Segen für so viele geworden ist. In den Annalen unserer Universität und in der Geistesgeschichte unserer Stadt und Provinz wird der Name Richard Förster fortleben und Vielen ein Ansporn und Vorbild sein.


  1. Das Präsidium ruhte nach Heidenhains Tode (1897) kurze Zeit (bis 1899) in den Händen von Flügge, v. Mikulicz-Radetzky und vertretungsweise von Bender.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: archäoligischen
  2. Vorlage: wissenschafticher