Ritter Ewald

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Autor: Eva Treu
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Titel: Ritter Ewald
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 114–120
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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„Ritter Ewald.“
Novelle von Eva Treu.

Es ist nun schon undenkbar lange her – ich war damals noch ganz klein, gerade groß genug, um meine blauen Augen und mein krauses schwarzes Haar ein winziges Endchen über den Tischrand empor zu recken, da hatten wir einmal ein Dienstmädchen, das hieß Engel.

Ich bitte sehr um Entschuldigung. Ich bin wohlerzogen genug, um zu wissen, daß es im allgemeinen nicht für guten Ton gehalten wird, von seinen Dienstboten zu sprechen. Es läßt sich aber wirklich diesmal nicht ganz umgehen, und dann war Engel ja eigentlich auch nicht mein Dienstbote; mein Vater hätte keinem von seinem halben Dutzend Sprößlingen raten mögen, der Magd etwas zu befehlen. Und endlich will ich mich über Engel keineswegs beklagen oder gar ihre Lebens- und Liebesgeschichte preisgeben, sondern ich will nur ganz wenig über sie schreiben.

Also – wir hatten einmal ein Dienstmädchen, das hieß Engel. Es trug diesen etwas verwunderlichen Namen nicht etwa wegen seiner hervorragenden Schönheit oder anderer himmlischer Eigenschaften, sondern war ganz ehrlich so getauft. Schön – nein, schön war Engel, so weit ich mich entsinnen kann, nicht, auch stand sie durchaus nicht mehr in der ersten Jugendblüte; wenn ich es mir jetzt nachträglich überlege, so muß sie „um die vierzig herum“ gezählt haben – aber wir Kinder hatten sie gern. Nicht, weil sie gut schrubbte und scheuerte, obschon sie dies mit allem nötigen Pflichteifer brav und wacker that, sondern weil sie nie schalt, wenn wir mit unseren schmutzigen Schuhen den eben sauber „gefeuelten“ Flur verunreinigten, weil sie uns manchen Riß im Kleide und manchen Fleck auf der frischen Schürze heimlich bei ihrer kleinen Küchenlampe sorgsam ausbesserte, ehe es uns einen Tadel von unserer vielgeplagten Mutter eintrug. Und dann konnte Engel auch singen.

Bei uns wurde überhaupt viel gesungen, und wenn am späten Winternachmittage, während nur das Ofenfeuer seinen roten, flackernden Schein über den Fußboden und Teppich warf und sonst alles dunkel war, mein Vater sich an das alte, tafelförmige Klavier setzte und mit seiner schönen, herzbewegenden Stimme sang, meine Mutter wohl auch dann und wann einfiel, da kauerten wir still und andächtig in Winkeln oder um das Feuer her und lauschten wie auf Himmelstöne. Aber wir hörten auch Engel gern zu, wenn sie in der Küche beim Abtrocknen der Schüsseln, oder am Waschfaß, während sie die mageren Arme tief in das schaumige Seifenwasser tauchte, vor sich hin sang. Denn Engel wußte so merkwürdige Lieder, wie wir sie sonst nicht zu hören bekamen, und die sie, selbst oft bis zu Thränen gerührt, unzähligemal wiederholte.

Es waren meistens Lieder vom Scheiden und Meiden, woraus ich schließe, daß Engels jungfräuliches Herz trübe Erfahrungen gemacht hatte. Am liebsten aber sang Engel in weihevollen Stunden die betrübsame Ballade vom Ritter Ewald und der Minna. Die war sehr schön und zum Herzbrechen traurig. Sie fing so an:

„In des Gartens dunkler Laube
Saß am Abend, Hand in Hand,
Ritter Ewald neben Minna,
An die Teure festgebannt.“

Dann kam etwas sehr Rührendes von Trennung und darauf eine erschütternde Strophe von einem „bleichen Leichenstein“, den man im Mondenscheine erblickte, und auf dem „in Marmor“ geschrieben stand: „Minna bleibt auf ewig dein!“ Schließlich ging Ritter Ewald in ein Kloster, und „eh’ die Rosen wieder blühten, gruben Mönche dort ein Grab!“

Nie habe ich später wieder jemand etwas mit so hingebender Wehmut singen hören.

Ja, es war wirklich poetisch und sehr ergreifend, und das beste dabei war für mich, daß das Lied von einer Minna handelte, denn ich hieß auch Minna, und selbstverständlich fühlte ich mich gehoben und geehrt durch dieses Zusammentreffen, nicht ahnend, daß es mir einst zum Verhängnis werden sollte.

Auch nachdem Engel uns nach mehrjährigen treuen Diensten verlassen hatte, um mit einem taubstummen Schuster, der sie durchaus heiraten wollte, nach Amerika auszuwandern, lebten Ritter Ewald und die Minna unter uns Kindern fort, obgleich uns die Singerei von Engels Liedern verboten war. Das wahrhaft Schöne läßt sich eben nicht ausrotten!

Die Jahre vergingen, und von Engel hörten wir nie wieder. Bei uns schrubbte bald eine Ebbe, bald eine Antje oder Schana den Flur, aber so schöne Lieder wie Engel wußte keine. Wir Kinder hätten auch nicht mehr so viel Gelegenheit gehabt, sie zu hören, denn wir gingen nun alle in die Schule.

Die großen Brüder trugen ihre bunten Schülermützen mit mehr oder weniger Stolz, die älteren Schwestern schleppten ihren Atlas in die Schule, lernten Englisch und konjugierten widerwillig unregelmäßige französische Verben. Meine schwarzen Haare wuchsen sich zu ein paar dicken Zöpfen aus, die mir sehr lang und wohl oft recht zerzaust über die von der Sonne gebräunten Schultern hingen, und wenn es durchaus sein mußte und sich gar nicht vermeiden ließ, übte ich Tonleitern in Dur und Moll und lernte Geschichtstabellen und Einwohnerzahlen auswendig, bei denen ich mir nicht das mindeste dachte. Um so mehr dachte ich mir bei jeder Blume, die am Feldrain blühte, bei jedem Vogel, der vor mir aufflatterte, bei jedem Vers, der – oft unverstanden – mit Wohllaut mein Kinderohr umschmeichelte, und meine verträumten Augen sahen, glaube ich, Dinge, die niemand sonst sah.

Ja – wer noch einmal wieder so sehen und hören könnte wie damals, so voll Glanz die Welt, so voll geheimen, flüsternden [115] Lebens, so verheißungsvoll, so rein! – Still, das ist es ja nicht, wovon ich erzählen wollte!

Aber die Welt war unerhört schön damals, sogar bei Regenwetter, das ist sicher.

An einem herrlichen Sonntagnachmittag mitten im Sommer saßen Toni und ich im allerhintersten Winkel unseres Gartens, wo die hohe Lindenwand denselben von der Straße trennte. Toni, ein Bild scheußlicher Häßlichkeit, war meine große Puppe, von mir aufs innigste und mütterlichste geliebt und aufs sorgsamste behütet. Wir hatten uns hierher zurückgezogen, weil mich die großen Jungen mit meiner Puppenmutterei zu necken pflegten, wie ich denn überhaupt damals der Ueberzeugung lebte, daß die großen Brüder ausdrücklich zur Strafe für die kleinen Schwestern vom lieben Gott erschaffen wären.

In angenehm erreichbarer Nähe standen Stachelbeerbüsche, allerlei unmoderne Blumen, für die mein Vater eine Vorliebe hatte, Akelei, Rittersporn, Eisenhut, blühten um uns her; der Jasmin und die Centifolien dufteten stark und süß, die guten, emsigen Bienen summten lustig von Blume zu Blume, zarte Schmetterlinge gaukelten von Zweig zu Zweig und setzten sich mir fast auf die kleine Hand; ganz von ferne hörte man das Rufen und Lachen von Kindern, Ameisen bauten zu meinen Füßen eine schmale Landstraße quer über den Fußsteig. Mit einem Worte, es war ein richtiger Sommersonntagnachmittag.

„Minnie, Minnie!“ scholl es da durch den Garten, und gleich darauf erschien Lotte, wegen ihrer dünnen unteren Gliedmaßen „Weff Hühnerbein“ genannt, auf der Bildfläche. Lotte war meine ältere Schwester. Sie teilte, obgleich sie mir an Jahren erheblich überlegen war, meine Puppenliebhaberei, und wir waren deshalb sehr befreundet. „Komm flink, Minnie!“ rief sie schon von weitem, merkwürdigerweise ohne sich bei den Stachelbeeren aufzuhalten, „komm flink, Heine Hamm will predigen!“

„Ist wahr?“

„Ja, komm nur geschwind, ehe er anfängt!“

Nun war das allerdings sehr verlockend, denn Heine Hamm predigen zu hören, war ein von uns allen hochgeschätzter Genuß, und ich war Lotte wirklich zu großem Dank verpflichtet, weil sie mich gerufen hatte. Das thaten die anderen Großen nie, wenn sie etwas Besonderes vorhatten; im Gegenteil suchten sie sich der „Kleinen“ oft auf eine schon nicht mehr schöne Weise zu entledigen, wenn es ein gemeinsames Unternehmen galt. Nur Lotte, die gute Seele, nahm sich meiner in solchen Fällen schwesterlich an.

In aller Eile wurde Toni in ihren Wagen gepackt, und dann liefen wir, Lotte und ich, selbander im schnellen Trabe – bei dem Lottes dünnes Gebein dem meinigen immer weit voraus war – aus dem Garten durch die weiße Pforte in den Nachbarhof.

Dort stand schon eine ganze Schar von Kindern versammelt, mitten unter ihnen der redegewaltige Heine Hamm.

Heine Hamm war ein großer, beinahe schon erwachsener Junge mit allerlei körperlichen und geistigen Gebrechen: ein wenig lahm auf dem einen Fuß, ein wenig steif auf dem einen Arm, und ach, weit mehr als ein wenig wunderlich in seinem armen Kopfe, unfähig zu irgend einer nützlichen Wissenschaft oder Hantierung, aber ein ganz harmloser und vollkommen glücklicher Mensch. Denn in einer absonderlichen Laune hatte die Natur ihm eine einzige Gabe verliehen, die ihn für alles entschädigte, was er sonst entbehrte: ein ganz wunderbares Gedächtnis.

Lange Predigten und Reden, deren Sinn zu fassen ihm nie gelang, behielt Heine dem Wortlaute nach tagelang in der Erinnerung, bis endlich ein neuer Eindruck den alten auslöschte, als wäre sein Gehirn eine Tafel von fest begrenztem Umfange, die man vollschreiben konnte, um dann nach einiger Zeit das Geschriebene wieder wegzuwischen, damit für Neues Platz werde.

Bei keiner Predigt, keiner kirchlichen Trauung, keinem Begräbnis fehlte Heine, und um ihn völlig glücklich zu machen, bedurfte es nur einer Kinderschar, die sich nachher um ihn sammelte und ihn zum Predigen aufforderte. Dann wiederholte er das Gehörte in derselben feierlichen und eindringlichen Weise, mit denselben begleitenden Gesten, wie er es vernommen hatte, und er entließ uns endlich mit dem Bewußtsein, ein gutes Werk an uns vollbracht zu haben, da er im allgemeinen die Welt sehr verderbt fand.

Heute nun hatte Heine einer Trauung beigewohnt. Als Lotte und ich anlangten, hatte man gerade im Rate der Großen beschlossen, Heine nicht so ganz zwecklos predigen zu lasten, sondern, um die gute Gottesgabe seines Redestromes nicht zu vergeuden, einmal wirklich Hochzeit zu spielen.

Dazu bedurfte man nun allerdings zunächst eines Brautpaares, und siehe da, Trauung spielen wollten wohl alle, aber niemand wollte die Braut und niemand wollte der Bräutigam sein.

Der eine fand diesen, der andere jenen außerordentlich geeignet für diese Rolle, nur an sich selbst konnte niemand Talent dafür entdecken. Man stieß sich, man lachte, man versteckte sich, und endlich, nachdem die Großen ein paar Minuten die Köpfe zusammengesteckt hatten, schlug jemand vor, daß man losen wolle.

Gut. Wir versprachen alle, uns dem Lose als einem unabwendbaren Schicksal unterwerfen zu wollen. Mile Kark, ein großes Mädchen mit roten Haaren, hielt mir zuerst die fest geschlossene Faust hin, aus der eine Anzahl von Grashalmen hervorsah, „denn du bist die Kleinste,“ sagte sie, „und bei den Kleinsten fängt es immer an.“

Ein wenig zaghaft zupfte ich mir einen Halm hervor.

„Du hast schon den kürzesten!“ rief Mile Kark und warf alle anderen Halme fort. „Minnie ist die Braut, sie hat das kürzeste Los gezogen!“

Nun hätte ich in meiner Unschuld aus mir selbst heraus wahrscheinlich gar nichts dagegen gehabt, auch einmal eine Braut zu spielen. Stellten wir doch in unseren Spielen oft genug alles mögliche und unmögliche vor, ohne daran Anstoß zu nehmen. Da ich aber sah, daß alle Großen sich weigerten, setzte sich natürlich sofort bei mir die Vorstellung fest, daß ich damit etwas Unpassendes und Lächerliches thun würde.

„Aber nein!“ rief ich deshalb erschrocken, „ihr anderen sollt auch erst ein Los haben!“

„Das ist nicht nötig, wir wissen schon, daß dies das kleinste ist.“ erscholl es im Chor, in den, glaube ich, nur meine brave Lotte nicht einstimmte, während Gustchen, meine andere Schwester, sich lieb- und treulos gänzlich auf Seite der Tyrannen schlug.

Bei den Knaben schien man unterdes ein ähnliches abgekürztes Verfahren angewendet zu haben, denn auch von dort erschollen von allgemeinem Widerspruch übertönte Proteste. Der mir zugedachte Hochzeiter war ein mir fast fremder Junge, Eduard Callsen mit Namen, schon erheblich größer als ich, aber doch immerhin einer von den Kleinen. Ich hatte, glaube ich, noch nie ein einziges Wort mit ihm gesprochen, denn seine Großmutter, bei der er lebte, war erst vor kurzem in unser Städtchen gezogen.

Ja, da half nun nichts: was die Schickung schickte, mußten wir ertragen. Nie hat wohl der grausame Zwang der Verhältnisse ein widerstrebenderes Paar zusammengeführt wie Edu Callsen, meinen Bräutigam wider Willen, und mich!

Ich wiederholte ebenso unermüdlich wie fruchtlos: ich wolle nicht getraut werden, während man in aller Geschwindigkeit die große Scheunendiele des Nachbars mit Blumen und grünen Zweigen festlich herrichtete. Ich schluchzte zum Herzbrechen, als man mir zu dem weißen Mullkleidchen, das ich ohnehin trug, ein Stück Gardine von zweifelhafter Weiße als bräutlichen Schleier und einen dicken Kranz aus Buchsbaum in den krausen Haaren befestigte. Und ich schritt endlich als tiefgebeugtes Opfer menschlicher Ungerechtigkeit an der Seite meines aufgezwungenen Bräutigams, der mürrisch mit den Händen in den Taschen neben mir herging, ohne mich auch nur von der Seite anzusehen, zu dem aus einer leeren Kiste improvisierten Altar, an dem uns Heine Hamm, angethan mit einem schwarzen, bis an den Hals hinaufgehenden Frauenkleiderrocke, bereits erwartete. Der Hochzeitszug folgte in bunter Reihe. Man hatte uns veranlassen wollen, Arm in Arm dahinzuschreiten, aber keine Macht der Welt hätte uns dazu gebracht.

Nur eines gewährte mir einen leisen Schimmer geheimen Trostes, daß nämlich meine beiden großen Brüder, die mit ihren fünfzehn und sechzehn Jahren sich über solche Kindereien natürlich längst erhaben fühlten, nicht zugegen waren, um mich in meiner Erniedrigung zu sehen, denn ich war weit davon entfernt, diesen Tag als meinen Ehrentag zu betrachten wie andere Bräute.

Die übrigen fanden es indessen sehr naturgetreu und passend, daß ich so gerührt erschien, und Heine Hamm hielt eine Traurede, welche gewiß außerordentlich schön und angemessen war, denn das Paar, welchem sie vor einigen Stunden ursprünglich gegolten hatte, bestand aus einem älteren Witwer mit fünf [116] teilweise schon erwachsenen Kindern und einer Dame, welche auf alle Reize der Jugend längst verzichtet hatte.

Ringe zum Wechseln hatten wir nicht, und mit einem „lauten und deutlichen Ja“ antworteten wir auch nicht, aber Heine brachte die Feierlichkeit doch mit großem Anstand zu Ende, und dann lief eines der größeren Mädchen zu Bäcker Lembke und holte für 35 Pfennige, welche man aus gemeinsamen Mitteln zusammengeschossen hatte, kleine braune Pfeffernüsse, von denen es fünfundzwanzig für einen Nickel gab.

Von diesem schwelgerischen Hochzeitsmahl, welches in der Scheune vertilgt wurde, erhielt ich übrigens nichts, weil ich gleich nach beendigter Ceremonie nicht davon abzuhalten gewesen war, Kranz und Schleier gewaltsam aus meinen Haaren zu entfernen, was die anderen „eklig“ fanden, denn es hätte „so reizend ausgesehen“. Auch hatte ich dabei die heimlich zu diesem Zweck entlehnte Gardine zerrissen, was doch nicht ungerächt hingehen konnte, und so zog ich denn wirklich keinerlei Vorteil aus dem Opfer, das ich den Verhältnissen hatte bringen müssen.

Jedoch in Anbetracht der Thatsache, daß wir viele Stachelbeeren hatten und ich die kleinen Pfeffernüsse auch nicht besonders gern mochte, schmerzte mich dies wenig. Ich entschlüpfte dem Hochzeitsjubel, sicher ohne von Edu Callsen im mindesten entbehrt zu werden, und eilte zurück zu meiner Toni, die mir in ihrer stillen Art allen Trost gewährte, den sie irgend auftreiben konnte.

Aber ach, einen so bedeutungsvollen Schritt, wie ich ihn gethan hatte, thut man im Leben selten ungestraft.

Ich hätte vermutlich die ganze Geschichte ziemlich schnell verwunden, wenn nicht Parkau gewesen wäre. Parkau war mein dritter Bruder, der bis jetzt über die Quinta noch nicht hinaus gediehen war. Getauft war er Karl; da dieser Name aber für den täglichen Gebrauch natürlich zu lang war, wurde er abgekürzt in „Parkau Bootmann mit’n Hut, Peter Laß und Schubkarre“. Wenn wir es jedoch sehr eilig hatten, was meistens der Fall war, sagten wir bloß Parkau.

Parkau nun hatte als Trauzeuge fungiert, und, roh wie Bruder nun einmal sind, hatte er die ganze Begebenheit sofort bei der Heimkehr den großen Jungen brühwarm beigebracht. Darob natürlich großes Jubelgeschrei und der selbstverständliche Beschluß, mich in Zukunft mit Edu Callsen zu necken.

Als ich nun ganz harmlos zum Abendbrot erschien, an welchem unglücklicherweise an diesem Tage die Eltern nicht teilnahmen, scholl mir aus drei brüderlichen Kehlen im sentimentalsten Mollklang entgegen:

„In des Gartens dunkler Laube
Saß am Abend, Hand in Hand,
Ritter Edu neben Minna,
An die Teure festgebannt.“

Ich setzte meinen Milchbecher auf den Tisch, sprang auf und stürzte weinend aus dem Zimmer. Mein ohnehin etwas zartbesaitetes Gemüt war tief verletzt.

Da fühlte ich eine Hand freundschaftlich auf meine Schulter klopfen, und Hans, unser ältester, sagte liebevoll:

„Und er sprach zu Minna tröstend:
Teure, laß dein Weinen sein!
Eh’ die Rosen –“

Er konnte die Strophe nicht beenden, denn ich machte die Thür bereits von außen zu, und zwar, wie ich fürchte, keineswegs sehr leise. Aber noch auf dem Flur hörte ich fortissimo:

„Und in Marmor stand geschrieben:
Minna bleibt auf ewig dein!“

An diesem Abend weinte ich mich in den Schlaf, das ist mir noch deutlich erinnerlich.

Von nun an war Edu Callsen nicht nur bei uns, sondern bald auch in der ganzen Nachbarschaft in „Ritter Ewald“ umgetauft, und das alte, dumme, vorher schon beinahe ganz verschollene Lied erlebte eine fröhliche Auferstehung, denn es wurde unzähligemal gesungen, nämlich immer, wenn die grausame Jugend Lust verspürte, meine Augen vor Zorn funkeln oder in Thränen schwimmen zu sehen.

Wie oft – ach wie oft rief man mich aus irgend einem entfernten Winkel, in dem ich träumerisches kleines Ding mit einem Märchenbuch oder irgend einem phantastischen Blumenspiel saß, eifrig und beflissen herbei. „Minnie, Minnie, komm’ ganz geschwind mal her!“

„Was soll ich denn?“ fragte ich dann wohl argwöhnisch.

„Schnell mal herkommen – ganz geschwind, es wird dir sonst nachher leid thun!“

Kam ich dann zögernd, so zeigte man auf eine vorübergehende Gestalt: „Ich wollte dich nur aufmerksam machen, da geht Ritter Ewald.“ Ich zweifle nicht, daß man dem guten Jungen „die Minna“ ebenso beharrlich und zartfühlend in die Erinnerung zurückzurufen pflegte.

Er war nämlich wirklich ein guter Junge, der Edu Callsen, und auch durchaus nicht dumm oder feige, so daß man sich diese Fopperei wohl nicht erlaubt haben würde, wenn er nicht noch so fremd gewesen wäre. Aber obschon er sich einmal mit Parkau ganz regelrecht wegen der Sache prügelte, war und blieb er doch „Ritter Ewald“, und die natürliche Folge war, daß wir beiden Kinder, die wir uns sonst vermutlich nicht im mindesten im Guten oder Bösen umeinander gekümmert hätten, einen großen Haß eins auf das andere warfen; wenigstens weiß ich ganz gewiß, daß ich für meine Person einen wahren Abscheu gegen „Ritter Ewald“ hegte, obgleich er doch auch nur ein Opfer der Verhältnisse war wie ich. Und dieser Abscheu blieb auch, als nach und nach die Geschichte von der Trauung mehr in Vergessenheit geriet und das verhaßte Lied nicht mehr so oft als Mittel benutzt wurde, mich zu ärgern.

Ich wurde größer, und es wurde für angemessen erachtet, mich mit den älteren Schwestern in die Tanzschule zu schicken. „Ritter Ewald“ war ebenfalls da. Aber nie forderte er mich auf, mit ihm zu tanzen. Uebrigens muß ich auch leider gestehen, daß ich eine keineswegs sehr begehrenswerte Tänzerin war. Die Geheimnisse des Walzers wollten sich mir gar nicht erschließen, und erst viel später habe ich so etwas wie ein Verständnis dafür gewonnen. Auch „Ritter Ewald“ zeichnete sich durch besondere Grazie beim Tanzen nicht aus, und ihm ist es noch schlimmer damit gegangen als mir: er hat es nie ordentlich gelernt.

So war der große Tag des „Abtanzballes“ herangekommen, mit dem der Tanzunterricht abgeschlossen wurde. Ich muß leider der Wahrheit gemäß bekennen, daß ich dabei mehr als einmal betrübt als Mauerblümchen in meinem weißen Kleide auf der Bank sitzen blieb. Auch Edu war kein eifriger Tänzer, und so kam es, daß, als schließlich der Cotillon getanzt werden sollte, ich denselben – ich empfand es als tiefe Schmach mit meinen neun Jahren – nicht vergeben und „Ritter Ewald“ sich nach einer Tänzerin auch nicht umgesehen hatte.

Da saßen wir nun, die beiden einzigen Uebriggebliebenen, ich einsam auf meiner Bank, er halb versteckt hinter einem Pfeiler, bis Herr Piek, unser dicker Tanzlehrer, eilenden Fußes auf ihn zuschritt und lebhaft auf ihn einflüsterte.

Eine Weile schüttelte „Ritter Ewald“ trotzig den Kopf, dann erhob er sich langsam und schob sich zögernd – sehr zögernd! – quer durch den ganzen großen Saal auf mich zu und machte mir, dunkelrot im Gesicht, seine knabenhafte kleine Verbeugung.

Ich blieb sitzen, ohne mich zu rühren.

„Willst du – willst du nicht den Cotillon mit mir tanzen?“ sagte der arme Ritter mit offenbarer Selbstüberwindung.

Da blitzten ihn meine blauen Augen – sie konnten blitzen, wenn sie auch für gewöhnlich träumerisch dareinschauten – zornig an. „Nein, du Hans Huckebein,“ sagte ich, tiefste Verachtung in Ton und Miene, „mit dir tanze ich nicht.“

Sprach’s, stand auf, wandte ihm den Rücken und ließ den verblüfften „Ritter Ewald“ stehen, bereute auch hinterher durchaus nicht, was ich gethan hatte, obgleich mich meine resolute Mutter zur Strafe für mein unerhörtes Benehmen augenblicklich nach Hause und zu Bett schickte.

Ein paar Wochen später starb die alte Frau Callsen, „Ritter Ewalds“ Großmutter; Edu kehrte zu seinen Eltern, welche auswärts wohnten, zurück, und er entschwand meinem Leben völlig, bald auch meiner Erinnerung fast ganz, da das Lied, welches mich so oft geärgert hatte, nun endlich totgeschwiegen wurde, ein Schicksal, welches es nach meiner damaligen Ueberzeugung längst verdient gehabt hätte.

Wenn die großen Brüder ihre arme kleine Schwester necken wollten – und sie fühlten leider noch recht oft dieses Bedürfnis – so thaten sie es hinfort auf andere Weise, und ich lernte nach und nach, mich mit Humor zu wehren anstatt mit Thränen.

[118] Nach ein paar Jahren gingen die großen Jungen zur Universität ab, noch ein wenig später verlobten sich meine beiden Schwestern, erst die eine, dann die andere, dann verschwand auch Parkau, der Kaufmann geworden war, um „über See“ zu gehen, und schließlich wurde es ganz still bei uns. Ich war bei den Eltern ganz allein zurückgeblieben in meinem lieben, trauten, altmodischen Vaterhause, ja, ich hatte sogar schon das ehrwürdige Alter von dreiundzwanzig Jahren erreicht und war immer noch Haustochter.

Natürlich hatte sich inzwischen allerlei ereignet.

Aber die Begebenheiten, die mein Dasein ausfüllten, waren durchaus nicht welterschütternder Art. Ich freute mich meines Lebens, aber auf meine eigene Weise, die immer noch mehr nach innen als nach außen gerichtet war. Eine Schönheit war ich nicht geworden: die dicken schwarzen Flechten und die blauen Augen hatte ich zwar, wie das ja auch nicht anders zu erwarten war, behalten, dazu hatte mir Mutter Natur freundlicherweise helle, zarte Farben, hübsche Zähne und ein schlankes Figürchen verliehen, doch gehörte ich durchaus nicht zu denen, welche Männeraugen magnetisch auf sich lenken, hatte auch, offen gesagt, keineswegs den brennenden Wunsch, das zu thun.

Auf Bällen brauchte ich nicht mehr das Mauerblümchen zu sein, da ich seit geraumer Zeit ordentlich Walzer tanzen konnte, aber die Rolle einer Ballkönigin war mir noch kein einziges Mal zugefallen. Einmal hatte mich jemand heiraten wollen. Den hatte ich aber nicht gemocht, und er hatte sich dann auch bald über den Korb getröstet und sich eine Frau mit viel Geld genommen. Einmal wäre ich gern jemandes Frau geworden; der hatte sich aber leider gar nicht um mich gekümmert. Doch nachdem ich diesen Kummer längere Zeit im verborgensten Herzenswinkel mit mir herumgeschleppt hatte, schwand er nach und nach von selbst in sich zusammen, und ich wurde wieder fröhlich, sah auch mit ziemlicher Gelassenheit der Möglichkeit entgegen, daß ich mich vielleicht zur ledigen Familientante auswachsen könnte, obgleich mir dieser Zustand durchaus nicht als der hienieden wünschenswerteste erschien. Ja, eigentlich war ich schon so etwas wie eine Familientante, denn bei allen meinen Geschwistern gab es jungen Nachwuchs in reichlicher Zahl, und Tante Minnie war mit allen keinen Neffen und Nichten sehr intim befreundet.

Besonders lieb unter den Geschwistern war mir immer Lotte geblieben, trotzdem sie auch jetzt noch sehr tugendhaft und belehrend war und mit Vorliebe erziehend auf mich einzuwirken suchte. Zu ihr ging ich auch am liebsten als Logiergast zu Besuch, denn sie wohnte in wunderhübscher Gegend in einer kleinen sehr gemütlichen Stadt, wo mein Schwager Prediger war.

Und wieder einmal hatte sie mich zu sich eingeladen; es war im Spätsommer.

Das junge Volk, ein Neffe mit stolzer Sextanermütze und zwei niedliche blonde Zwillingsmädel, welche gewiß niemand „Weff Hühnerbein“ nennen konnte, holten mich in jubelndem Triumph vom Bahnhof ab, und noch hatten wir den kurzen Weg bis zur Pfarre nicht zur Hälfte zurückgelegt, als ich bereits über das große Ereignis, welches alle Gemüter in Aufruhr versetzte, unterrichtet war.

Der Sedanball stand für morgen bevor! Der Sedanball, das große, alljährliche Schulfest des Gymnasiums, an dem sich Fritz als hoffnungsvoller Sextaner zum erstenmal beteiligen durfte, was er mir, durchdrungen von einem Gefühl überwältigender Wichtigkeit, mitteilte, und zu dem auch die Zwillinge, Anne und Marie, seit Ostern „höhere Töchter“, eingeladen waren.

„Und weiße Kleider bekommen wir an, Tante Minnie, sie sind schon länger gemacht, sie waren zu kurz,“ berichtete Anne, an meiner Seite dahintänzelnd.

„Und schottische Schärpen, Tante Minnie,“ ergänzte Marie, „nicht, Anne?“

Anne nickte. „Und Handschuhe, Tante, weiße, gewebte Handschuhe, Mutter sagt, das sind die feinsten – nicht, Mite?“

Marie nickte nun ihrerseits. „Ja, – und – und –“

„Und dreißig Pfennig bekommt jedes, um sich selbst Kuchen zu kaufen,“ erklärte Fritz, der meine schwere Plaidtasche vor uns hertrug, sich triumphierend nach mir umwendend, aber in dem ganz gelassenen Tone des gereiften Jünglings.

„Es ist wohl nicht möglich, Fritz, so schrecklich viel Geld?“

„Ja, für Kuchen – bei der Kuchenfrau – nicht, Anne?“ belehrte Mite.

„Ja, und um Drei fängt es an – nicht, Mite?“

„Ja, und bis Sieben dürfen wir tanzen. Du, Tante,“ sagte Mariechen, plötzlich nachdenklich und ernsthaft werdend, „du hast doch wohl dein weißes Kleid mitgebracht?“

Ich fing an zu lachen. „Sollte ich etwa von Drei bis Sieben mittanzen, Mieze? Wenn das nur geht!“

„Du brauchst mich auch nicht gleich auszulachen,“ sagte Mieze ein bißchen gekränkt, „ich habe gar nichts Dummes gesagt. Wenn der Kinderball zu Ende ist, tanzen doch immer noch die Großen bis Zwölf und auch noch länger, alle richtigen Herren und Damen, weißt du, Tante, aber –“ und nun stockte sie errötend, „Tanten tanzen wohl überhaupt niemals mehr?“

„Das kannst du dir doch wohl vorstellen, daß Tanten nicht mehr tanzen,“ erklärte Anne überlegen, „sie sind zu alt – nicht, Tante?“

„Nun, ausnahmsweise tanzen auch so alte Leute in ganz besonders dringenden Fällen wohl einmal; diesmal wird aber wohl nichts daraus werden, denn an ein weißes Kleid habe ich wirklich nicht gedacht, Kinder. – So, da sind wir ja! Lotte, Liebste, wie geht’s, wie steht’s?“ Und ich lag Schwester Lotte, die mich an der Pfarrhausthür erwartet hatte, in den Armen.

Am Nachmittage gab es dann gleich alle Hände voll im Pfarrhause zu thun. Schwester Lotte hatte eine ganz herzerquickende Unverfrorenheit darin, gar keine Umstände zu machen und ihre Gäste nützlich zu beschäftigen, und sie hatte deshalb fürsorglich, „damit ich mich gleich recht heimisch fühlen möchte“, die bewußten weißen Kleider für die Zwillinge Anne und Marie zum Plätten für mich zurückgelegt.

Dabei klärte mich Lotte denn darüber auf, daß ich allerdings wohl Gelegenheit haben würde, nach Schluß des Kinderballes auch noch ein Tänzchen zu machen, daß aber Balltoilette dafür durchaus unpassend und nur für die Backfische nötig wäre, und daß ein heller Sommeranzug völlig genüge. Bekannte hatte ich genug im Städtchen, um auf Tänzer rechnen zu dürfen, „und sehen lassen kannst du dich ja“, meinte Lotte mit schwesterlichem Stolz, was eigentlich ganz gegen ihre sonstigen pädagogischen Grundsätze war, die sie mir gegenüber zu befolgen pflegte.

Als der großartige Ballstaat fertig am Kleiderhaken hing, stand schon die Jugend ungeduldig trippelnd auf dem Flur, mit Hüten und Jacken angethan, denn Tante Minnie hatte versprochen, einen weiten Spaziergang mit den Kindern zu machen. Diese Spaziergänge durch die Felder machten mir ebensoviel Freude wie den Kleinen, da diese die ganze Gegend gründlich kannten und mir schon manchen hübschen Platz gezeigt hatten.

Heute wollten wir nach einem kleinen, nahe gelegenen Teich wandern, um dort einige späte Wasserblumen zu holen. Die Zwillinge hielten mich an den Händen gefaßt, der Sextaner Fritz schritt würdevoll voraus, sich nur dann und wann nach uns umwendend, um in überlegener Weise eine Bemerkung in unser Gespräch einzustreuen. Ein Endchen vor uns her ging ein Herr, nach Gang und Haltung schien er jung zu sein.

„Tante,“ flüsterte Fritz geheimnisvoll, verstohlen mit dem Finger auf den Herrn zeigend, obschon uns dieser den Rücken zuwendete, „weißt du, wer das ist?“

„Bedaure, Fritz, nein, ich habe nicht die Ehre.“

„Das ist mein Lehrer!“ hauchte Fritz.

„I was, Fritz,“ flüsterte ich zurück, ohne daß mich die Mitteilung gerade übermäßig interessiert hätte, „dein Klassenlehrer?“

Fritz nickte. „Ja, das heißt, weißt du, Tante, eigentlich ist ja Dr. Boie mein Klassenlehrer – der kleine, dicke, weißt du –, aber der ist jetzt krank, und nun ist dieser so lange hergekommen, um uns Stunden zu geben. Nachher geht er wieder weg.“

„Aha, als Stellvertreter, ich verstehe schon. Mögt ihr ihn denn leiden, oder ist er nicht nett?“ erkundigte ich mich weiter.

„Ach, ich weiß nicht, einige mögen ihn leiden und einige nicht. Ich mag ihn leiden, denn, weißt du, Tante,“ sagte Fritz und sein hübsches Kindergesicht bekam plötzlich einen Ausdruck, für den ich ihn hätte küssen mögen, wenn dies nicht gar zu sehr unter seiner Würde gewesen wäre, „er ist so gut gegen die allerdümmsten, Tante, die nicht gut lernen können, mit denen hat er [119] so viel Geduld, und das ist doch nett von ihm, nicht? Denn sie können doch nichts dafür, daß sie dumm sind!“

Das fand ich nun allerdings auch recht hübsch von dem Lehrer, jedoch wurde hier die Unterhaltung durch die Zwillinge in andere Bahnen gelenkt, und bald hatten wir auch den Teich erreicht.

Es war ein kleines, schweigsames Gewässer mitten im flachen Wiesenlande, rings am Rande bis ziemlich weit in das Wasser hinein umwachsen mit Schilf und wunderschönen Wasserblumen, von denen hier vom Frühling bis zum Herbst immer irgend eine Art blühte, vom bescheidenen Vergißmeinnicht und der Sumpfprimel bis zur poetischen Wasserrose und farbenprächtigen Iris, und für Käfer, Schmetterlinge und Libellen jeder Gattung schien der Ort ein wahres Paradies zu sein. Zwar war es nun schon etwas spät im Jahre, wir hatten aber doch mit kundigem Blick schnell einige große, prächtige Blumen erspäht, die gerade das waren, was Lotte für ihre Vasen brauchte. Nur schade, sie standen gar zu weit vom Rand entfernt!

Vergebens streckten die Kinder ihre kurzen Arme danach; es war ihnen nicht möglich, auch nur eine einzige zu erfassen.

„Laßt, Kinder, ihr fallt ins Wasser!“ wehrte ich erschrocken, „wenn eines sie erreichen kann, bin ich es. Ihr geht beiseite, Anne und Mite, du, Fritz, fassest mich bei der Hand, damit ich nicht gleite. Bleibe aber recht fest stehen, rühre dich nicht – so!“ Und behutsam setzte ich meinen derb beschuhten Fuß auf den Uferrand, mich vorsichtig und langsam vorbeugend, indem ich tastend die Hand ausstreckte.

Da – nun hatte ich sie – fast! – nur ein Zoll noch! Ich streckte die Hand noch ein wenig weiter, ich faßte die erste Blume – da wich der nasse, schlüpfrige Uferboden unter meinen Füßen, und ich glitt in das Wasser hinab. Die Kinder kreischten auf, Fritz ließ im ersten Schreck meine Hand fahren, und das war gut, denn ich war viel zu schwer und glitt viel zu schnell, als daß der Junge mich hätte halten können. Ich hätte ihn höchstens mit hinabgezogen.

Das Wasser war nicht tief – ertrinken hätte ich nur können, wenn ich vornüber gestürzt wäre, was ich nicht that – aber es war sehr kalt und keineswegs ganz rein; auch wußte ich, daß Frösche darin waren, und immerhin ging es mir doch da, wo ich nun stand, bis unter die Arme, und ich versuchte vergebens, mich an dem weichen, bröckeligen Ufer wieder in die Höhe zu arbeiten, wagte auch nicht, die Hilfe der Kinder in Anspruch zu nehmen.

„Hilfe! – Hil–feee! – Hilfe!“ Ich weiß nicht, schrie ich es, oder schrieen es die Kinder, oder stimmten wir alle vier zugleich ein, aber gerufen wurde es sicherlich, und zwar nicht leise.

„Hilfe!“

„Ja, ja, ich komme schon,“ antwortete eine männliche Stimme erst aus einiger Entfernung und gleich darauf ganz nahe, und dann kam jemand mit langen Schritten über die Wiese, eine feste Hand faßte meine flehend ausgestreckte Rechte, eine zweite packte mich kräftig am linken Arm – ein Ruck, ein Schwung, und ich stand, aus meiner Nixenrolle erlöst, wieder auf trockenem Lande, triefend von Wasser, noch zitternd vor Schreck.

„Ich danke Ihnen, o, ich danke Ihnen, mein Herr,“ sagte ich, mir mit der nassen Hand das Haar aus dem Gesicht streichend, und dann mein nasses Taschentuch aus der nassen Tasche ziehend, um mir die Hände „abzutrocknen“, damit ich ihm eine derselben zum Danke reichen könnte. Dabei sah ich ihn scheu an. Ich schämte mich entsetzlich, wie ich so dastand. Er war jung, blond und hübsch.

„Verlieren Sie mit dem Danken keine Zeit, mein Fräulein,“ sagte er mit einem gutmütigen Lachen, „das bißchen Hilfe ist herzlich gern geleistet, und wenn Sie hier stehen, erkälten Sie sich. Eilen Sie lieber, nach Hause zu kommen. Wenn ich Ihnen meine Begleitung anbieten darf –“

„O nein, nein,“ wehrte ich ab, „mir fehlt ja nichts, ich bin nur naß. Aber – “

Er nickte. Es mochte ihm begreiflich sein, daß mir in meinem jetzigen Zustand Herrenbegleitung nicht angenehm sein könnte.

„Wenn ich Ihnen dann raten darf, so gehen Sie, so schnell es Ihre nassen Kleider erlauben, nach Hause,“ sagte er, zog den Hut und wollte gehen, wandte sich aber dann wieder um und fügte hinzu: „Lauf voraus, Junge, bringe Bescheid, damit man zu Hause bei der jungen Dame nicht erschrickt, wenn sie so ankommt,“ worauf er dann noch einmal höflich grüßte und wirklich ging.

„Ja, lauf, Fritz, lauf geschwind, damit Mutter keinen Schreck bekommt,“ wiederholte ich, und schon trabte Fritz pflichteifrig davon, ganz erfüllt von dem großen Bewußtsein, ein unerhörtes Ereignis brühwarm melden zu können.

Die Zwillinge und ich, wir trabten auch, so gut es ging; aber beschwerlich war es in den nassen Gewändern, die sich mir fest und fester um die Glieder legten, jede Bewegung hemmend, und als ich endlich ganz erschöpft in der Pfarre ankam, da hatte Lotte, die gute Seele, schon ein gewärmtes Bett, heißen Thee und wollene Decken bereit, um mir mit diesem ganzen Apparat schleunigst den inneren und äußeren Menschen wieder zu erwärmen. Sie vergaß sogar, mir eine Strafrede zu halten, die sie nach ihren pädagogischen Gewohnheiten wohl eigentlich bei dieser Gelegenheit hätte anbringen sollen und die ich auch ehrlich verdient gehabt hätte, vielmehr war sie ganz Liebe und schwesterliche Fürsorge.

Als ich nach kurzer Frist wohlverpackt in meinem guten Bette lag und Thee trank, fiel mir plötzlich etwas Schreckliches ein. Ich hatte ja meinem Retter gar nicht genügend gedankt, und nun wußte ich nicht einmal, wie er hieß, konnte also das Versäumte auch nicht nachholen.

Als ich jedoch hierüber in reuevolle Klagen ausbrach, beruhigte Lotte mich sofort. „Liebste, das weiß ich, darum mache dir nur keine Sorgen! Fritz erzählte mir gleich, es sei der junge Lehrer gewesen, der jetzt zur Stellvertretung für Dr. Boie hier ist. Ich weiß ja auch nicht, wie er heißt, er ist erst seit vierzehn Tagen hier und hat keinen Besuch gemacht, aber Fritz weiß es natürlich. Habe deswegen nur gar keine Angst. Mein Mann wird zu ihm hingehen und wir werden ihn nächstens einladen, und es wird alles in Ordnung kommen. An Dank soll es nicht fehlen, wenn wir nur mit dem Schreck davonkommen und du uns nicht krank wirst!“

Ja, wir kamen mit dem Schreck davon. Als ich meinen Thee getrunken hatte, deckte Lotte mich gut zu, ich schlief bis zum andern Morgen und wachte gesund und frisch wieder auf; nicht einmal einen Schnupfen hatte ich davongetragen, und es lag gar kein Grund vor, weshalb ich nicht als Balltante mit auf das Kinderfest gehen und die Pfarrjugend ihre leider noch sehr mangelhaften Tanzkünste ausführen sehen sollte.

Es war ein hübsches Gartenfest. Die Kinder tanzten in einem lustig geschmückten Zelt; die Schüler der oberen Klassen hatten Erlaubnis, bis zu den späteren Abendstunden zu verweilen, und gegen das Ende des Festes, um die Zeit des Cotillons herum, oder auch etwas früher, schlossen sich die übrigen Erwachsenen, so ziemlich alles aus der Gesellschaft, was noch nicht ganz alterssteif war, an. Nachmittags gingen wir „alten Leute“ im Garten umher oder sahen dem Tanze der Kinder zu.

Ich hatte mich bald mit ein paar guten Bekannten zusammengefunden, und wir lustwandelten unter den großen alten Bäumen, da sah ich meinen Schwager mit einem hübschen, blonden jungen Herrn auf uns zukommen. „Minnie!“ rief er schon von ferne in seiner ungenierten Weise, „bitte, bleibe mal stehen!“

Ich that es, und nun erkannte ich in dem Fremden ohne Mühe meinen Lebensretter von gestern. Er lächelte ein bißchen schalkhaft, als er mir vorgestellt wurde und mich fragte, wie mir das unfreiwillige Bad bekommen sei, und sah mich einen Augenblick von der Seite an mit einem Blick, den ich mir durchaus nicht zu deuten wußte. Seinen Namen verstand ich natürlich nicht. Es scheint ja nicht zum guten Ton zu gehören, Namen bei Vorstellungen verständlich auszusprechen, aber darauf kam es hier ja auch weniger an. Die Hauptsache war, daß ich meinem Retter jetzt gründlich danken konnte, was ich denn auch mit einiger Verlegenheit, aber aus aufrichtigem Herzen heraus that, während er es dagegen möglichst abzukürzen suchte. Und da meine Freundinnen, die ganz unbeachtet blieben, sich ungnädig entfernt hatten, so gingen wir, mein Schwager Paul, mein Lebensretter und ich miteinander weiter und kamen in ein recht lebhaftes Gespräch.

Und war es nun, weil er mir doch sozusagen das Leben gerettet hatte – denn allerschlimmsten Falles hätte ich ja doch immerhin ertrinken können, wenn es auch einige Mühe gekostet haben würde – oder kam es daher, weil er so hübsche gute Augen hatte, oder gefiel mir seine Stimme, oder sagte mir seine natürliche Art sich zu unterhalten zu, oder las ich etwas in seinem Gesichte, woraus ich schloß, daß ich ihm nicht mißfiele, oder war es vielleicht dieses alles miteinander – genug, als sich endlich Retter und Gerettete zum Abschied freundlich die Hand gaben, da ging ich meiner [120] Wege mit einem sonderbar frohen und glücklichen Gefühl, wie man es wohl manchmal früh beim Erwachen hat: als müßte jetzt etwas recht Schönes sich ereignen.

Natürlich war das dumm von mir, und wenn ich darüber nachgedacht hätte, würde ich das selbst gefunden haben; ich fühlte nun aber einmal so, und ich dachte nicht darüber nach. Vielleicht habe ich damals auch gemeint, ich freute mich nur über das schöne Wetter; das weiß ich nicht mehr.

Das Fest nahm seinen programmmäßigen Verlauf. Die Kinder tanzten, aßen Kuchen und tranken Limonade, bis sie an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angekommen waren und widerstrebend nach Hause befördert wurden; dann wurde der Saal geräumt, und während er aufs neue für die Erwachsenen in Ordnung gebracht wurde, trank jedermann zu Hause Thee, die Backfische warfen sich in ihren duftigen Ballstaat, wir anderen jungen Mädchen steckten uns bescheiden zu unseren hellen Sommerkleidern ein paar Astern oder eine späte Rose ins Haar und an die Brust, und der Jubel konnte von neuem angehen.

Zuerst gehörte das Feld allein den Backfischchen, die im ganzen Hochgenuß ihres ersten Balles schwelgten, und den erwachsenen Schülern, von denen zwei überjährige Primaner sogar einen Frack trugen; wir „Alten“, die wir ja eigentlich nicht dazu paßten, hielten uns anspruchslos im Hintergrunde. Aber als der Abend weiter vorrückte, wagte sich bald hier, bald da ein „Jubelpaar“ unter die grüne Jugend, und als der Cotillon nahte, ließen selbst die ältesten Meergreise ihr Bier und ihren Skat im Nebenraume im Stich, unb eine wahre Tanzwut schien in die ganze Honoratiorengesellschaft gefahren zu sein. Kaum daß sich Lotte auf ihre Tugend und geistliche Würde besann.

Vor mir verbeugte sich ein blonder, junger Mann mit hübschen, guten Augen, und mit einem Lächeln sagte er:

„Ich bin zwar nur ein sehr fragwürdiger Tänzer, Fräulein Andersen, aber würden Sie mir in Anbetracht meiner gestrigen verdienstvollen Leistung wohl als Belohnung den Cotillon schenken?“

„Ja, gerne,“ sagte ich vergnügt und legte meinen Arm in den seinen.

„Diesmal haben Sie mir ihn doch nicht verweigert,“ meinte er, wieder mit dem mir unverständlichen Seitenblick, als wir dahinschritten.

„Diesmal? Wieso? Ich wüßte nicht, daß ich früher schon einmal in der Lage gewesen wäre.“

„Doch! ein bißchen lange ist es freilich her, aber mir ist es doch noch recht deutlich erinnerlich. Mit Erlaubnis zu sagen, sehr höflich waren Sie damals gerade nicht gegen mich.“

„Aber haben wir uns denn überhaupt schon jemals vor gestern gesehen?“ fragte ich immer verblüffter.

Er lachte. „Ach Gott, wir sind sogar – Fräulein Andersen, erinnern Sie sich vielleicht aus Ihrer Kindheit eines ziemlich tölpelhaften Jungen, den Sie ungefähr so gern leiden mochten wie einen Regenwurm oder eine Spinne?“

„Ja!“ sagte ich errötend, „aber das sind – Sie heißen doch nicht – entschuldigen Sie, aber ich habe vorhin Ihren Namen nicht recht verstanden und mochte nicht nachfragen – Sie sind doch nicht –“

Er verbeugte sich. „Ich kann es leider nicht leugnen, mein Name ist Callsen – Eduard Callsen. Es ist allerdings, wie gesagt, ein wenig lange her, seit wir uns gesehen haben, aber vielleicht entsinnen Sie sich nun doch. Wir sind ja sogar –“ er brach wieder ab, fing an zu lachen und fuhr dann fort: „Wir haben uns damals rechtschaffen verabscheut, Fräulein Andersen, aber nicht wahr, wir wollen nun die Fehde nicht aufs neue entbrennen lassen?“

„‚Ritter Ewald‘,“ sagte ich unwillkürlich und unbedacht leise und ärgerte mich dann sofort schmählich über das dumme Wort.

„‚Neben Minna‘,“ fügte er ebenso leise hinzu, auf mich niedersehend, und dabei schien er sich durchaus nicht zu ärgern, wenigstens sah er sehr vergnügt aus.

Ich will es nur gleich gestehen, wir sind nachher überhaupt sehr vergnügt miteinander gewesen, und die Streitaxt haben wir vollständig begraben an jenem denkwürdigen Abend. „Ritter Ewald“ hatte durchaus nichts mehr von einem Hans Huckebein an sich, wenn ich auch allerdings Leute gekannt habe, die besser walzten. Er sagte, er hätte mich gleich erkannt, als er mich aus dem Wasser gezogen hätte, und ich glaube fast, eigentlich rechnete er es sich zum besonderen Verdienst an, daß er mich trotzdem nicht darin hatte stecken lassen.

Als er sein Bouquet zu verschenken hatte, weihte er es mir, und ich schmückte ihn dafür mit einem Orden als einer Verdienstmedaille, die er sich rechtmäßig erworben hatte. Ich weiß nicht, es kommt mir vor, als wenn es wirklich ein ungewöhnlich hübscher Cotillon gewesen wäre. Nur ein wenig aufgeregt hatte mich das Tanzen wohl, denn ich schlief nachher die ganze Nacht nicht, bis zum Morgen.

An einem der nächsten Tage machte „Ritter Ewald“ Besuch bei uns. Er gefiel meinem Schwager recht gut und Lotte nahm ihn sofort in ihren mütterlichen Schutz und wirkte pädagogisch auf ihn ein. Dies schien ihm jedoch nicht unangenehm zu sein, denn er kam, nachdem er sehr bald danach eingeladen worden war – der Lebensrettung wegen – dann aus alter Feindschaft recht oft von selbst und – ja – ich weiß nicht recht, wie man so etwas sagt, es ist so schwer, die richtigen Ausdrücke zu finden – genug, ich will nur lieber schlankweg erzählen, was eines schönen Tages passierte.

Eines schönen Tages also, als unsere neue Bekanntschaft ungefähr zwei Wochen gedauert hatte, traf mich Doktor Callsen allein zu Hause. Es war schon dämmerig, und er war, wie er sagte, gekommen, um ein Buch von meinem Schwager zu leihen.

Es war ein schöner Spätsommerabend, und ich ging, ein leichtes Tuch um die Schultern geschlagen, im Garten spazieren, als er durch die Pforte eintrat.

„Bedaure, Herr Doktor,“ sagte ich, auf ihn zugehend, „die Geschwister sind ausgegangen.“

„Ich nehme auch mit Ihnen fürlieb, Fräulein Minna,“ entgegnete er und sah mich an. So hatte er mich noch nie genannt und auch noch nie angesehen. Mir wurde ein bißchen unbehaglich.

„Das war unverschämt gesagt, nicht wahr?“ fragte er, und dann faßte er plötzlich nach meiner Hand.

„Fräulein Minna – Minnie – kümmern Sie sich nicht darum, wie das klingt, was ich sage! Kümmern Sie sich nur darum, wie ich es meine! Ich sah Ihre Geschwister ausgehen und bin absichtlich gekommen, um Sie allein zu treffen. Ich muß Ihnen durchaus etwas sagen. Ich habe Sie so sehr lieb – und da Sie doch eigentlich von Rechts wegen schon meine Frau sind, wollen Sie nun nicht auch meine liebe, süße Braut sein? Es ist ja doch klar: das Schicksal hat uns für einander bestimmt.“

Ich weiß nicht, ob ich etwas that, was ihn dazu berechtigte – ich glaube es entschieden nicht – ich entsinne mich nur, daß ich ihn ansah und die Lippen zu einer Antwort öffnete, aber ob er das nun mißverstand – er legte mir plötzlich den Arm um die Schultern, zog mich an sich und küßte mich.

„Und das war unverschämt gethan!“ sagte er darauf, lachte und küßte mich noch einmal mitten auf den Mund.

Ja, was sollte man da nun machen? Getraut waren wir lange, zwei Küsse hatte er mir auch gegeben, und zurückgeben kann man die ja leider nicht, ohne sich noch mehr zu kompromittieren – ich sah es ein, mir blieb nichts übrig, als mich noch ein wenig fester in seinen Arm zu schmiegen und mein Gesicht an seiner Schulter zu verbergen.

Als die Geschwister heimkamen, saßen „Ritter Ewald“ und die Minna „in des Gartens dunkler Laube“ und waren verlobt.

Zum zweitenmal getraut wurden wir dann freilich noch lange nicht. Drei Jahre haben wir auf einander gewartet, denn „er“ hatte weder Geld noch vorläufig ein festes Amt, und ich war auch nur eine Kirchenmaus. Dann aber haben wir eine Hochzeit gemacht, die sich sehen lassen konnte, und wenn ich dabei geweint habe, so sind es Freudenthränen gewesen.

Schwager Paul traute uns, Lotte und Gustchen schmückten mich mit Kranz und Schleier, die Brüder aber – auch Parkau war dabei – die alle mit Frauen und Kindern als behäbige Leute in Amt und Würden angereist kamen, sangen am Polterabend dreistimmig mit vielen passenden Variationen das schöne Lied:

„In des Gartens dunkler Laube
Saß am Abend, Hand in Hand,
Ritter Ewald neben Mnna,
An die Teure festgebannt.“

Ja, sie hatten sogar die Keckheit, uns, als vor ein paar Jahren unser Aeltester getauft werden sollte, einmütig den Vorschlag zu machen, wir möchten ihn doch Ewald nennen, worauf wir aber natürlich nur mit schweigender Verachtung antworteten.