Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Lützschena
Lützschena, in zweistündiger Entfernung von Leipzig an der Landstrasse nach Halle und den Flüssen Elster und Luppe gelegen, gehört zu den bekanntesten und besuchtesten Ortschaften des Leipziger Bezirks. Schaaren fröhlicher Spaziergänger wandern durch die herrlichen Eichenwaldungen der Bürgeraue oder die freundlichen waldbegrenzten Wiesenteppiche der Elsteraue nach Lützschena, um dort einige frohe Stunden zu verbringen und erheitert durch das berühmte Lützschenaer Bier erst am späten Abend zu den Sorgen des Lebens zurückzukehren. Aber nicht nur materielle Genüsse bietet Lützschena, auch der Kunstsinnige findet hier reiche Unterhaltung, denn ein besonders dazu errichtetes Gebäude, sowie ein Saal des Herrenhauses bergen prachtvolle Sammlungen von Gemälden und Kunstschätzen, zu welchen die Güte des Besitzers jedem Gebildeten Zutritt gestattet. Noch vor dreissig Jahren war Lützschena ein unansehnliches durch die Ueberschwemmungen der nahen Gewässer fast unzugängliches Dorf, das erst durch den jetzigen Besitzer zu seiner Bedeutung kam. Derselbe sorgte vor allen Dingen für Gesundheit und Reinlichkeit durch Anlegung einer chaussirten Strasse und Herstellung hoher starker Dämme, durch ihn entstand ein herrlicher mit Tempeln, Monumenten, Schattengängen und vielen anderen Abwechselungen geschmückter Lustwald und auf der Stelle sumpfiger Lehden und Gründe blühten bald üppige Obstbäume. Die Ziegelei und Schäferei wurden erweitert, verbessert und namentlich letztere bald zu einer Musteranstalt erhoben, auch liess der Schöpfer aller dieser Umgestaltungen Schweizervieh aus dem Canton Bern kommen, wodurch ein trefflicher Rindviehstand erzielt worden ist. Der umfangreiche Hopfenbau kam der neuerbauten Baierischen Bierbrauerei ungemein zu statten und wurde zugleich ein Erwerbszweig für die Lützschenaer Jugend, wie denn überhaupt die neuen Etablissements nicht nur höchst günstig auf den Wohlstand des Dorfes eingewirkt, sondern auch der ganzen Umgegend und selbst den angrenzenden Preussischen Ortschaften vielen Segen bereitet haben. Unter solchen Umständen musste Lützschena sich natürlich immer mehr vergrössern und bevölkern, so dass jetzt in zwölf Nachbarhäusern und siebenundvierzig anderen Feuerstätten, (darunter das Schloss mit den Wirthschaftsgebäuden, der Gasthof, die Brauerei, Ziegelei, Schäferei, Pfarre, Mühle und das Armenhaus) über fünfhundert Einwohner leben. Da die Leipzig–Magdeburger Eisenbahn Lützschenas Fluren durchschneidet, so traten bei deren Bau das Rittergut, die Pfarre und verschiedene Nachbargüter einige Feldgrundstücken ab. Das Rittergut besitzt 418⅔ Acker Areal, 900 Schafe, 60 Stück Rindvieh, 30 Pferde und 60 Stück Schweine; es war früher ein altschriftsässiges Mannlehngut ist aber seit 1835 in ein Allodium verwandelt worden.
Lützschena ist eine wendische Ansiedelung und wohl ebenso alt wie das benachbarte Leipzig. Der Name bedeutet eine schöne Lage (Lute = Lage und schena = schön), es ist aber nicht bekannt wann hier die ersten Hütten entstanden und welche Schicksale den Ort bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts betrafen. Das Dörfchen war klein und unansehnlich, denn noch im vorigen Jahrhundert befanden sich hier nur funfzehn Nachbarhäuser und einige kleine Gärtnerwohnungen. Die älteste Nachricht, welche wir über Lützschena auffanden ist vom Jahre 1404, wo Wilhelm von Uechtritz, ein Sohn Ottos von Uechtritz auf Schwerdta in der Oberlausitz, nach Meissen kam und das hiesige Rittergut erkaufte, welches damals zum Stift Merseburg gehörte. Er vermählte sich mit Magdalene von Lichtenhain aus Ostra, die ihm zwei Söhne, Bernhard und Heinrich, gebar, von denen Ersterer zu Lützschena auch Freiroda kaufte und die Güter um 1450 seiner Wittwe Justine von Rüxleben aus Auleben hinterliess. Deren Sohn, Heinrich von Uechtritz, verheirathete sich mit Anna von Dieskau aus Dieskau, die ihm nur einen Sohn, Gottfried oder Götz schenkte, der sehr zeitig zum Lutherthum übertrat. Als diesem seine Gemahlin, Margaretha von Haacke aus Oberthau, einen Sohn gebar, liess Götz von Uechtritz denselben nach Leipzig bringen und von dem dasigen Superintendenten Pfeffinger taufen, denn zu Lützschena fungirte damals noch ein katholischer Priester. Dieser Täufling hiess Andreas, vermählte sich mit Anna [70] Maria von Breitenbach aus Krostewitz, erkaufte das Rittergut Medewitzsch bei Borna und starb am 20. December 1606 in hohem Alter. Bernhard, sein älterer Sohn, erbte die Güter und starb als Vicedirector des engern Ausschusses der stiftisch Merseburgischen Ritterschaft, vermählt mit Sidonie von Ende aus Zschepplin; der jüngere Sohn aber, Johann Christoph, war fürstlich Holstein-Gottorpscher Kammerjunker und Attaché einer Gesandtschaft, welche aus Holstein nach Persien ging.
Ein Sohn Bernhards von Uechtritz, Heinrich, erlebte merkwürdige Abentheuer. Da Deutschland ihm zu jener Zeit keine Gelegenheit zu kriegerischer Auszeichnung bot, ging Heinrich von Uechtritz nach England, und nahm Dienste bei einem Regiment Cavallerie. In der Schlacht bei Worchester, die König Carl II. auf lange Zeit der Hoffnung beraubte den Thron Englands wieder einzunehmen, wurde Heinrich von Uechtritz gefangen und von Cromwell selbst scharf examinirt, mit anderen Edelleuten im Triumphe nach London geführt und endlich auf die Galeeren gebracht. Von hier kaufte ihn für achthundert Pfund Zucker ein Graf Weitecker, der ihn auf seinen Pflanzungen zu Barbados als Sklaven benutzte. Zwei Jahre lang hatte Heinrich von Uechtritz allen Jammer des Sklavenlebens ertragen, als einige Niederländische Schiffe auf Barbados anlangten und der Unglückliche seinen Herrn bat, ihn mit einem dieser Schiffe nach der Heimath zurück zu senden, da er adlichen Standes und reich genug sei ein angemessenes Lösegeld zu zahlen; dabei berief er sich auf einen anderen mit ihm hierher gekommenen Sklaven, der in König Carls Heere Capitainlieutnant gewesen war und seine Aussage bestätigen könne. Graf Weitecker zeigte sich sofort geneigt seinen vornehmen Sklaven zu entlassen doch verlangte er vorher den Kaufschilling der achthundert Pfund Zucker und Uechtritz bat nunmehr die Niederländischen Kaufleute um ihre Unterstützung. Kaum hatten diese seinen Namen vernommen, als sie ihn fragten, ob er ein Vetter des berühmten Gesandtschaftsreisenden Johann Christoph von Uechtritz sei und auf des Sklaven frohe Antwort zeigten sie ihm die Beschreibung der Persischen Reise und verlangten dass Uechtritz unter den vielen darin enthaltenen Portraits ihnen das seines Oheims zeige. Nun hatte Uechtritz diesen zwar nur einige Male und vor vielen Jahren gesehen, er war aber doch so glücklich, das rechte Bild zu finden und nunmehr stand er unter dem Schutze der Kaufleute, die ihm 450 Thaler liehen, später aber, aus Achtung vor dem Oheim, die Schuldverschreibung zerrissen und dem Befreiten auch noch einen Wechsel von hundert Thalern auf ein Amsterdamer Handelshaus schenkten. Glücklich und wohlbehalten kam Heinrich von Uechtritz in Lützschena an, erstattete mit dankbarem Herzen seinen Wohlthätern, unter denen sich namentlich Hans Lüder auszeichnete, die ausgelegten Gelder zurück, und heirathete Rahel Sophien von Neidschütz auf Rösseln, die ihm nur einen Sohn, Heinrich, gebar.
Nach Bernhards von Uechtritz Tode erhielt die Güter Wolf Rudolph von Uechtritz, sein Sohn, der am 22. Mai 1685 als Director der erbländischen Ritterschaft des Delitzscher Bezirks starb. Er war zweimal vermählt, zuerst mit Sibylla Magdalena von Zscheplitz aus Domsen, das andre Mal mit Sophia Ludmilla von Lochow aus Neuhaus. Von den vier Kindern Wolf Rudolphs von Uechtritz erbte der einzige Sohn desselben, auch Wolf Rudolph genannt, die väterlichen Güter, zu denen er auch Spansdorf hinzukaufte, und sich mit Friederike Agasella von der Schulenburg vermählte, welche jedoch bald starb, worauf der Wittwer Johanna Eleonore von Einsiedel aus Hopfgarten zur Gemahlin wählte. Nach seinem Tode erhielt Lützschena mit Freirode Joseph Jedidjah von Uechteritz, dessen Enkelin sich mit dem königlich Sächsischen Rittmeister von Klengel vermählte. Herr von Klengel starb 1816 und durch traurige Zeitverhältnisse veranlasst musste nach vierhundertjährigem Besitze die Familie Uechtritz das Rittergut Lützschena mit Freiroda und Antheil an Schkeuditz nebst Kritschiner Mark im Jahre 1822 verkaufen. Besitzer ist seit jener Zeit Herr Maximilian von Speck, Königlich Baierischer Freiherr von Sternburg, Ritter des Kaiserlich Russischen Wladimirordens.
Die Umgegend Lützschenas ist reich an historischen Erinnerungen. Hier war es wo am 16. October 1813 die Schlesische Armee unter Blüchers und Yorks Commando sich bei dem heissen Kampfe um Deutschlands Freiheit betheiligte und die Franzosen unter Marmont nach furchtbarem Widerstande aus dem brennenden Möckern weichen mussten. Das nahe Dorf Wahren, welches schon im dreissigjährigen Kriege den Plünderungen der Kaiserlichen ausgesetzt war, theilte auch im Jahre 1813 die Schrecknisse seiner Umgebung. Bei Lindenthal und Breitenfeld tobte im September 1631 die blutige Schlacht in welcher dem unbesiegten greisen Tilly von Gustav Adolfs Feldherrntalent der reiche Lorbeerkranz entrissen wurde. Siebenmal stürmten Pappenheims eiserne Mauern gegen die tapfern Schwedischen Colonnen, und als Alles verloren war, als der verwundete schlachtenergraute Tilly mit dem geschlagenen Heere auf Halle floh, da kämpften die todesmuthigen Wallonenregimenter im Tannenwäldchen bei Linkel und wandten sich erst zum Rückzug als die geschlagene Armada einen Vorsprung erlangt und ihre zersprengten Glieder wiederum geordnet hatte. Bei demselben Wäldchen entbrannte am 7. September 1813 ein Gefecht zwischen Kosaken und Franzosen, noch weiterhin stand in der Völkerschlacht auf der Anhöhe bei Lützschena das Russische Corps der Generale Sacken und Langeron und nicht weit davon eine Raketenbatterie und das Corps des Königs von Schweden. General Stuart Londonderry erzählt in seinen Memoiren wie von Lützschena aus Blücher und Gneisenau die Angriffe auf Möckerns Ziegelscheune und das Dorf leiteten, wie eine siegreich zurückkehrende Colonne zweihundert Französische Gefangene hierher brachte und in Scheuern sperrte, und wie endlich hier die merkwürdige Unterredung zwischen Napoleon und dem gefangenen General Meerveldt stattfand, durch welchen der Kaiser seinem Schwiegervater, dem Kaiser Franz, den Frieden anbot und über den Rhein zurückzugehen versprach.
Die Kirche zu Lützschena wurde im funfzehnten Jahrhundert erbaut, hat aber im Laufe der Zeit mehrfache Veränderungen erlitten, so dass sie eigentlich aus zwei bis drei Abtheilungen besteht. Eine Hauptreparatur erfuhr die Kirche im Jahre 1823, wobei die neue Gerichtsherrschaft sich sehr wohlthätig zeigte. Die herrschaftliche Kapelle besitzt einen alten Wandaltar zum Umschlagen mit einem guten Oelgemälde, Mariä Verkündigung darstellend, und in der Kirchenwand ist noch das Tabernakel zu sehen, eine mit Rundbogen versehene Nische welche eiserne Stäbe verwahren. Mehrere Monumente gelten dem Andenken verstorbener Personen aus der Familie von Uechtritz, deren Leichen in der 1781 erweiterten Erbgruft ruhen. Als dieselbe 1810 gänzlich verfallen war, baute man auf dem vor dem Dorfe gelegenen Friedhofe ein Familienbegräbniss mit der Inschrift: „Hier ruhen die Herzen, welche [71] treu für uns geschlagen.“ In ihr schläft der Letzte aus dem Stamme der Lützschenaer Uechtritze, Hans Moritz Alexander von Klengel; die Gemahlin des Herrn Baron von Speck-Sternburg, Charlotte geborne Hänel von Cronenthal, ruht seit dem 13. Mai 1836 in einer geschmackvollen im Parke errichteten Grabkapelle. Jetzt besteht die Parochie Lützschena aus diesem Orte, Hänichen und Quasnitz, bis zum Jahre 1537 aber hatten Lützschena und Hänichen jedes seinen besonderen Pfarrer, erst damals ertheilte Bischof Sigismund von Merseburg auf Ansuchen Gottfrieds von Uechtritz und des Plebans Conrad Kraft in Schkeuditz, als damaligen Collatoren, das noch vorhandene Unionsdekret. So vereinigt blieben Lützschena und Hänichen auch nach der Reformation, nur in Ansehung der Pfarrwohnung und der Collatur entstanden in der Folge Abänderungen, indem verordnet wurde, dass der Pfarrer in Lützschena, der Küster aber in Hänichen wohnen sollte. Seit 1607 ist der Pfarrer in Lützschena wohnhaft geblieben, auch als 1717 die hiesige Pfarrwohnung gänzlich wegbrannte und die Gemeinde selbige nicht wieder aufbauen sondern den Pastor nach Hänichen übersiedeln wollte, mussten sie dennoch nach einem sechsjährigen Prozesse sich zum Aufbau der Pfarre entschliessen; doch wird der Pfarrer mit den Seinigen observanzmässig auf dem Friedhofe zu Hänichen begraben. Hinsichtlich der Collatur ist zu bemerken, dass 1737 der damalige Pastor senior in Schkeuditz M. Zschorn das wechselnde Patronatsrecht in Lützschena und Hänichen dem Administrator des Stifts Merseburg übertrug, von dem es an die königlich Sächsische Regierung übergegangen ist. Das Vermögen der Kirche zu Lützschena ist gering, dabei befindet sich ein Legat von 100 Thalern, das die selige Frau Baronesse von Speck-Sternburg bei ihrer Geburtsfeier am 8. Mai 1833 zum Besten der Schule schenkte; die Filialkirche zu Hänichen ist dagegen ziemlich wohlhabend, denn sie besitzt ein Vermögen von 8000 Thalern und einige Wiesengrundstücken in der Elsteraue. Die ganze Parochie besteht aus etwa achthundert Personen.