Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Voigtsdorf
in der Volkssprache Vuhtsdorf liegt 5 Stunden südlich von Freiberg 6½ Stunden von Wolkenstein nordöstlich, ¾ bis 1 Stunde von Saida nordwestlich und nördlich, meist zwischen sanft abhängigen, aber bedeutenden Höhen am Voigtsdorfer oder Dorfbache, welcher ⅛ Stunde unterm Orte sich mit dem Friedebache vereinigt und sogleich die Chemnitz heisst. Der Ort erstreckt sich von unten nach oben erst gegen Nordwest, dann gegen West, dann mit einer jähen Windung um einen steilen, etwa 150 Ellen hohen Berg, gegen Süd; die obersten, etwas abgelegenen Güter richten sich gegen Südwest. Von letztrer steigt die Gegend nach Westen sowohl (¼ Stunde) als nach Osten (½ Stunde weit) zu ihren grössten Höhen an, von welcher die letztere oder Saidaische (richtiger Fridebacher) Höhe 2579 Pariser Fuss sich über die Nordsee erhebt. Beide Höhen gewähren die herrlichste Aussicht, besonders aber die westliche oder Dörrenthaler Höhe, die der Saidaischen wenig nachsteht. Hier sieht man Freiberg, Saida, Lengenfeld, den Keulen- und Kulmberg, Lichtenwaldstein, mehrere böhmische Orte, die Kette des Obergebirgs u. s. w.
Das altschriftsässige Rittergut, welches mit 1½ Ritterpferd verdient wurde, gehörte im 11. und 12. Jahrhundert den Herren von Erdmannsdorf, von welchen es im Jahre 1365 Nicol Hartitzsch erwarb, und bei den Meissnischen Burggrafen solches in Lehen nahm. Von seinen Nachkommen schlug Melchior im Jahre 1540 eine bedeutende Wüstung zum Rittergute. Asmus von Hartitzsch, der Bruder von Hans Hartitzsch, welcher im Jahre 1578 als ein hundertjähriger Greis zu Dresden starb, gründete die sogenannte Voigtsdorfer Linie des Geschlechts und übertraf seinen vorgenannten Bruder an Lebenskraft, indem er im 99. Jahre seines Alters noch heirathete und erst 1591 im 110. Jahre starb. Ihn beerbten nicht Söhne, sondern 3 Enkel und das Rittergut wurde in zwei Hälften getheilt, von welchen die nach Südost zu liegende Nieder-Voigtsdorf, und die nach Nordwest zu liegende Hälfte Ober-Voigtsdorf heisst.
Diese zwei Hälften sind also eigentlich nicht zwei Rittergüter gewesen, wie man hier und da lesen muss. Im 17. Jahrhundert kamen indess die beiden Theile wieder zusammen, die Benennung Nieder- und Ober-Voigtsdorf hat sich aber bis auf die neueste Zeit erhalten.
Bis zum Jahre 1774 wohnten auch die Herren von Hartitzsch stets in Voigtsdorf. In diesem Jahre aber erhielt Hans Alexander Dietrich von Hartitzsch auf Dorf-Chemnitz das hiesige Rittergut, indem der letzte männliche Erbe der Voigtsdorfer Linie Rudolph Dietrich von Hartitzsch hier starb.
Bis jetzt war Erb-, Lehen- und Gerichtsherr der Rittmeister Hans Adolph von Hartitzsch, zugleich auch Besitzer der Rittergüter Dorf-Chemnitz, Röhrsdorf bei Königsbrück und Hayda bei Wurzen.
Da indess derselbe erst vor einigen Monaten mit Todte abgegangen ist und nur seine Gattin und eine einzige Pflegetochter als Erbinnen seines Nachlasses hinterlassen hat, so ist über die Nachfolge seiner Lehenbesitzungen noch keine Bestimmung getroffen.
Das Rittergut Voigtsdorf hat eine kleine Schäferei (links über dem Bache), ihr gegenüber am niedern Ende des Dorfes, seine übrigen, kleinen jedoch gethürmten Gebäude, eine nicht stark lohnende Oekonomie, aber trefflich gehaltene und bedeutende Holzungen, einen Kalkofen, eine Lehmgrube bei Dorf-Chemnitz. Dazu gehören noch 2 Mühlen und das kleine Dörfchen Wolfsgrund.
Uebrigens sind im Orte viele Güter, die grösstentheils wohl gebaut [144] sind und über 40 Acker Feldes besitzen, ferner ein grosses und schönes Erblehengericht mit Wirthshaus und Kalkofen, 2 Mühlen und 2 Oelmühlen, mehre Flachsbrechhäuser. Den Haupterwerb giebt die Viehzucht und der Feld- besonders Flachsbau; doch wohnen auch viele Handwerker hier, unter welchen vorzüglich die Tischler sich auszeichnen durch ihre elegante Arbeit.
Die Schicksale des Ortes anbetreffend, so raffte im Jahre 1582 die Pest viele Menschen hinweg; doch grösser noch war die[WS 1] Sterblichkeit im 30 jährigen Kriege. Soldaten von den kaiserlich Holk’schen Horden mordeten hier und brannten fast das ganze Dorf nieder; was ihnen aber durch Flucht in die Städte entging, das raffte die Pest hin, die durch Taub’sche Soldaten hierher gebracht wurde. Vorzüglich waren die Jahre 1631, 1632 und 1640 für den Ort von den verderblichsten Folgen, indem in den beiden ersten Jahren hier gegen 700 Menschen theils von jenen Kriegern getödtet wurden, theils an der Pest starben, so dass nur 6 Ehepaare übrig blieben. Lange Zeit konnte der Ort, der durch aus den böhmischen Walddörfern Eingewanderte allmählig wieder bevölkert wurde, die Wunden dieses Krieges nicht verwinden; denn noch nach fast 60 Jahren waren von den in jener Zeit eingeäscherten Wohnungen über 20 Häusser noch nicht wieder aufgebaut.
Viel Ungemach und grosse Noth hatte auch die hiesige Einwohnerschaft im Jahre 1813 zu ertragen. Viele Wohnungen wurden in diesem Jahre ein Raub der Flammen.
Der jedesmalige Besitzer von Voigtsdorf übt auch das Recht der Besetzung der Geistlichen und Schulstelle.
Die kleine, aber freundliche Kirche steht in der Mitte des Dorfes auf einem Hügel, den im Süden ein aus den Oberzethauer Büschen kommendes Bächlein netzt. Dieselbe ist in den Jahren von 1780–1782 reparirt und erweitert.
Die früher in der Kirche befindlichen Denkmäler der Familie von Hartitzsch sind seit diesem Baue aus der Kirche geschafft und befinden sich jetzt auf dem Kirchhofe.
Nicht weit von diesen Leichensteinen hat der verstorbene kurfürstlich Sächs. Hofjäger und Förster Ehregott Gotthelf Friedrich Michaelis zu Altendorf bei Chemnitz seinen Aeltern (welche das hiesige Erblehngericht besassen) und seinem Bruder ein Denkmal gesetzt, zugleich aber auch der Kirche 300 Fl. vermacht, wovon die jährlichen Interessen nach gehaltener Stiftungsrede unter hiesige Arme vertheilt werden.
Die Pfarrwohnung ist seit dem Jahre 1795 restaurirt, sowie auch die Schule.
Letztere besuchen 200 Kinder.
In der Nähe von Wolfsgrund, welches auf Voigtsdorfer Grund und Boden ursprünglich angelegt wurde, erhebt sich der grosse Leitsberg im Nordosten und der Steinbusch gegen Süden, von wo aus man eine herrliche Aussicht nach Frauenstein, dem Gränzgebirge u. s. w. geniesst.
Unter dem Dörfchen sind die Ruinen der Dorf-Chemnitzer Kalkbrennerei und am Bächlein, welches bei der Schaafbrücke die Chemnitz erreicht, findet man Schörl- und Magneteisenstein-Stufen, sowie zahlreiche Spuren ehemaligen Bergbaues.
Woher der Ort seinen Namen entlehnt hat, ist schon bei der Beschreibung von Dorf-Chemnitz erwähnt worden und bedarf hier keiner Wiederholung.
Voigtsdorf gehört jetzt mit Wolfsgrund zum Gerichtsamte Saida, zum Bezirksgericht Freiberg, zur Amtshauptmannschaft Freiberg, zum Regierungsbezirk Dresden.
Voigtsdorf hat eine Häusserzahl von 195 mit 288 Familienhaushaltungen und 1182 Einwohnern.
Anmerkungen (Wikisource)
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