Romanzen vom Rosenkranz/Romanze XI: Biondetta in dem Theater

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[145]

Biondetta in dem Theater

Schwarze Damen, schwarze Herren
Wandeln durch Bolognas Straßen.
Werden sie zur Leiche gehen?
Wen bringt man so spät zu Grabe?

5
Doch kein Priester wird gesehen,

Kreuz und Fahne nicht getragen;
Alles strömet laut und rege,
Und die schnellen Wagen rasseln.

Nicht zur Mette oder Vesper,

10
Miserere, Salve, Ave,

Auch zu keiner Totenmesse:
Diese liest man nicht am Abend.

Nein, sie gehn zur letzten Ehre,
Trauernd all in schwarzer Farbe,

15
Was sie lieben anzusehen

In die Runde des Theaters.

Denn die herrliche Biondette
Wird der Bühne heut entsagen,
Morgen dann den Schleier nehmen

20
In der Kirche zu Sankt Claren.


Und der Schein unzähl’ger Kerzen
Füllet leuchtend schon die Hallen,

[146]

Und es lodern alle Herzen
In unsichtbar schönen Flammen.

25
All die schwarzen Fraun und Herren,

All die Diamanten strahlend
Und die schwarzen Augen brennend
Reihen blendend sich zum Kranze.

Bis lebendig alle Wände

30
In viel tausend Herzen schlagen,

Jeder Blick ein Aug muß treffen,
Jeden Ton ein Ohr muß fassen.

So gleich einem Firmamente
Mit viel guten Sternen flammend,

35
Baut sich wundersam ein Tempel,

Um Biondetten zu umfangen.

Da der Vorhang ruhig schwebet,
Sonne, bist du aufgegangen,
Leise Kühlung duftend wehet

40
Um die sehnsuchtsheißen Wangen.


Liliensäulen sich erheben
Eine Rosenkuppel tragend;
Unter einem Blumentempel
Steht Biondetta mit der Harfe.

45
Ach, sie war ein klarer Engel,

Voll von lieblichen Gedanken,
Einer frommen Jungfrau Seele
An der Himmelspforte zagend.

Alles Licht zu ihr sich sehnet,

50
Zu ihr alle Strahlen fallen,

Alles schweigt und liebt und betet
Recht in selgem Wohlgefallen.

[147]

Also schwieg die junge Erde,
Da der Mensch, der Gottgeschaffne,

55
In dem Kelch des jungen Lebens

Sinnend schwankt und weint und lachte.

In ihr nur war alles Denken,
In ihr alle Herzen schlagen,
Mit ihr jedes Aug gesenket

60
Oder freudig aufgeschlagen.


Nun erhebet sie die Rede,
Und die tausend Hörer alle
Fühlen ihrer Lippe Beben
Still in freudigem Erwachen.

65
Züchtig sprach sie: „Hochgeehrte!

Schonend habt ihr mich vor Jahren
Aufgenommen in den Tempel,
Habt geduldet mich seit Jahren.

Wollet heute auch in Ehren

70
Eure Dienerin entlassen,

Daß mich rein ein reinrer Tempel
Aus der Künste Haus empfange.

Als ein Opfer will ich geben
Heut des äußren Lebens Fabel,

75
Daß ich dann das innre Leben

Morgen opfre am Altare!“

Und nun stieg des Tempels Schwelle.
Mit Biondetten, einsam ragend
Stand ein Fels in ödem Meere,

80
Ein Marienbildlein tragend.


Rings die tausend Lichter blendend
Sanken ein, die Diamanten

[148]

Blickten schüchtern, ferne Sterne,
An dem dunklen Firmamente.

85
Eine weite Dämmrung streckte

Sich umher, und keine Schranken
Schienen um den Fels zu stehen,
Als nur liebende Gedanken.

Bei dem Bildlein saß Biondette

90
In dem Scheine einer Lampe,

In den weißen Arm gelehnet
Schimmerte die goldene Harfe.

Schweigend glich das Volk dem Meere,
Über dem ein Gott hinwandelt;

95
Also ruht und wogt die Menge

In Biondettens Sang und Harfe.

Und es sind des Meeres Wellen
An der Jungfrau Lied gebannet,
Weh und Wonne fluten, ebben,

100
Wie sie will in allen Adern.


Hell auf meerumwogten Felsen
Hebt sich über ewges Wasser
Ein Marienbild; des Meeres
Stern auf ihrem Haupte flammet.

105
     „Meerstern, wir dich grüßen,

     Die durch Tränenwüsten
     Aus der sündedunkeln Zeit
     Einsam steuern müssen
     Zu den hellen Küsten

110
     Der gestirnten Ewigkeit.“


Nächtlich steigt zu ihr Sirene,
Opfert Perlen und Korallen,[1]

[149]

Singt auf mondbeglänzter Schwelle
Zu kristallner Harfen Schalle:

115
     „Jungfrau, laut verkünden

     Von des Himmels Bühnen
     Engel deine Herrlichkeit;
     Und aus Meeres Gründen
     Steigt, dich zu versühnen,

120
     Was da lebt in irdschem Streit.“


Aber dunkle Wolken treten
Vor den Mond, das weite Wasser
Sträubt das Wogenhaar zu Berge
Vor den tosenden Orkanen.

125
     „Jungfrau voller Güte,

     Wie das Meer sich türme,
     Stehest du in Heiterkeit;
     Wie gefallne Blüten
     Schütten dir die Stürme

130
     Himmelssterne auf dein Kleid.“


Ach, im zorngen Elemente
Schwankt ein Schifflein notumklammert!
Leuchte, leuchte, Stern des Meeres,
Einer Mutter dich erbarme!

135
Ach, sie flehet nur zu retten

Ihren Säugling, den umarmend
An der Brust sie nährt zum Leben,
Schwankend selbst im Untergange.

Dir, o Meerstern, weiht sie betend

140
Den sie unterm Herz getragen,

Nun zur Wogenwiege leget
Aus den sichern Mutterarmen.

[150]

     „Denk, o Mutter süße,
     Wie du durch die Wüste

145
     Unsern Herren trugst in Pein,

     Daß er für uns büße,
     Trank er deine Brüste,
     Sog er deine Milde ein.“

Schon zerbricht des Sturmes Segel,

150
Und der Blitze Feuerflagge

Zucket einsam auf den Wellen,
Wo das Schiff in Nöten schwankte.

Nieder zu der Gruft der Meere
Sank das Schiff; es folgt dem Sarge

155
Schwarz der Donner, ernstlich betend,

Und der Blitze Leichenfackel.

Und es suchen kleine Sterne
Einsam durch die dunklen Wasser
Nach der Mutter, ach vergebens!

160
Fromme Kerzen ihres Grabes.


     „Jungfrau, Himmelstüre,
     In des Todes Gründe
     Senke deiner Strahlen Schein
     Und helleuchtend führe

165
     Aus dem Meer der Sünde

     Uns zum Quell des Lichtes ein!“

An dem Himmelsdome brennet
Still des Mondes ewge Lampe;
Zu dem Felsen rauscht Sirene,

170
Einen Schatz im Arme haltend.


Denn sie trug das Kindlein flehend
Zu dem steilen Felsenrande,

[151]

Das die Mutter untergehend
Legte in Mariens Arme.

175
Die, ein heller Stern des Meeres,

Trägt den Scheiternden Erbarmen,
Hat es sicher durch die Wellen
In Sirenens Arm getragen.

Aus dem wilden Elemente

180
Trug sie nun das Bild der Gnade

Freudig aufwärts zu dem Felsen,
Ganz in neuer Lieb erwallend.

Liebvoll löst sie ihre Flechten,
Teilt die Locken sich am Nacken,

185
Bildet draus am warmen Herzen

Für das Mägdlein weich ein Lager.

Setzt sich an des Bildes Schwelle
Mit dem süßen Wunderpfande
Und spricht fromm: „O Stern des Meeres,

190
Lasse mich dies Kind erlaben!“


Und nach ihren Brüsten wendet
Sich das Kind und findet Gnade;
Die es lebend hielt in Wellen,
Gab barmherzig ihm die Amme.

195
Als die keuschen Lebensquellen

Über ihrem Herzen wallen,
Muß sie süße Blicke senken
Zu dem Kind in Mutterarmen.

Und dann singt sie; schlummerwebend

200
Tönt das Lied und rauscht das Wasser,

Und es wandeln Mond und Sterne
Leise, daß das Kind entschlafe.

[152]

„Da der Morgen wiederkehrte,
Lag ich in kristallner Kammer;

205
Auf der weichen Purpurdecke

Spielten goldne Sonnenstrahlen.

Und am Mittag wiegt Sirene
Mich in glatten Muschelschalen,
Und ich schlief bis sie mich weckte

210
Mit Gesang und süßer Harfe.


Rötet Abendlicht die Welle,
Trug sie mich in Mutterarmen
Zu dem Bilde, für mein Leben
Der Gebenedeiten dankend.

215
Wenn um Mitternacht die Sterne

Sinnend in dem Meere schwankten,
Flocht mir durch den Traum Sirene
Ihrer Lieder heilge Schlangen.

Also in dem Tand des Lebens

220
Und in Andacht schon erwachsen,

Nannte sie das Kind Biondette
Ob der goldnen Flut des Haares.

Frühe lehrt sie mich zu schweben
Auf des Tanzes Wunderbahnen,

225
Früher noch die Blicke heben

Und zu Gott die Händlein falten.

Und sie lehrt die junge Seele
Sich erschwingen im Gesange
Und mit Engeln auf der Töne

230
Himmelsleiter freudig tanzen.


Aber endlich sprach Sirene:
‚Folge mir in meine Kammer;

[153]

Fest ist schon in dir das Leben,
Lerne nun, dich zu verwandeln!

235
Alles Leben lerne leben,

Alle schöne Klage klagen,
Alle Freude schön erheben,
Alle Geister aufwärts tragen!

Alle Herzen sollen beben

240
In dem Klange deiner Harfe!

Bannen sollst du alle Seelen
In die Kreise deines Tanzes!

Mit der Künste heilgem Zepter
Schlage an das Herz der Sklaven,

245
Die du in den Sinnen fesselst,

Um im Geist sie zu entlassen!‘

Also sprach zu mir Sirene,
Hüllend mich in einen Mantel,
Der sich wie der Leib der Seele

250
Allgestaltend um mich faltet.


Nieder stieg ich. Tief im Felsen
Tut sich auf ein bunter Garten,
Rauschet, strömet Toneswellen
Um das Eiland aller Farben!“

255
Also schwieg das Lied Biondettens.

Neben ihr die kleine Lampe
Ward zu einem Kranz von Sternen,
Um das Bild Mariens strahlend.

Dies erhob sich leis vom Felsen

260
Zu dem Himmel aufgetragen;

Mit dem Felsen sank Biondette
Knieend und die Harfe schlagend.

[154]

Und die wilden Elemente
Schieden sich, sie zu empfangen;

265
Es stieg aus dem öden Meere

Eine Wunderinsel prangend.

Tonumflutet vom Orchester
Trennte sich das Kunstgestade
Von dem Garten des Parterres

270
Und der Logen Glanzterrassen.


Auf den stillen Blumenbeeten
Blinkt der Tau der Diamanten
Und die stillen Tränenperlen
In dem Blick der schwarzen Damen.

275
Und es stieg hoch überschwellend

Melodie aus allen Schranken,
Aus den Wänden tausend Kerzen,
Aus dem Boden tausend Lampen.

Von Marien niederwehend

280
Sank der himmelblaue Mantel,

Schürzt sich feierlich zum Zelte
In des Ölbaums grünen Armen.

Aus dem Zelte tritt Biondette,
Eingeflochten ihre Haare,

285
Stolz geschmückt mit milden Perlen,

Edelstein und goldnen Spangen.

Schwer ein Schwert faßt ihre Rechte,
Von der linken Schulter wallet
Eine blutge Purpurdecke,

290
Hüllend, was die Linke trage.


Und sie schürzt die Decke, sprechend:
„Den durch Gott ein Weib geschlagen,

[155]

Seht das Haupt des Holofernes,
Seht die Decke seines Lagers!

295
Und so wahr der Herr uns lebet,

Rein sein Engel mich bewahrte,
Die ohn Sünde wiederkehret,
Nur mit Freud und Sieg beladen!“

Nun tritt sie zurück zum Zelte,

300
Das nach ihr hernieder wallet,

Aber rings Gesang sich hebet,
Freudig Flöt und Zimbeln klangen.

Jauchzend durcheinander wehten
Alle Töne, und es schwangen

305
Triumphierend sich die Chöre

Wie ein Wald voll Siegespalmen.

Schneller, jubelnder und heller,
Bis zu einer wilden Flamme,
Die sich wieder selbst verzehrte,

310
Bis zur stillen glühen Asche.


Da trat still einher Biondette
Unter weißem Rosenkranze,
Ihre Locken, goldne Flechten,
Von der Stirn zum Gürtel fallen.

315
Um die zarten Glieder bebet

Ihr ein schlichter, weißer Mantel,
An des Gürtels Silberkette
Hängt ein Brot und eine Flasche.

Ihrer Augen blaue Quellen

320
Lassen Tränenperlen fallen

In der Maienglöckchen Kelche
An dem goldnen Knauf der Harfe.

[156]

Als die zarten Finger beben
Durch der Saiten goldnen Garten,

325
Blühen ihrer Lippen Nelken

Und das Rosenfeld der Wangen.

Und sie sang ein Lied bewegend
Von dem Tode eines Lammes,
Das, die Schuld von uns zu nehmen,

330
Starb in heilger Opferflamme.


Also schleiert sich in Nebel
Oft der Mond; aus keuschen Strahlen
Einen Heilgenschein sich webend,
Weint er um die trüben Tage;

335
Also tönt ein Schwan im Sterben,

Der im Spiegel klarer Wasser
Stumm sein Sternbild angesehen,
Grüßt es scheidend im Gesange.

„Lebet wohl, ich will mich wenden

340
Zum Gebirge; einsam wandelnd

Will die reine Tochter Jephtas
Weinen um die jungen Tage!

Weinen um den Schein des Lebens,
Weinen um den Duft des Kranzes,

345
Weinen, daß die Seele heller

Scheine, als des Opfers Flamme!“

Und nun wendet sich Biondette
Trauernd zu dem Felsenpfade,
Der bald sichtbar, bald verstecket

350
Aufsteigt an des Berges Rande.


Wo der Steg zu Tal sich wendet,
Stand sie grüßend mit der Harfe,

[157]

Ferne Sehnsuchtsklänge sendend
Zu verlaßnen Frühlingstalen.

355
Rings die Hirtenflöten flehen,

Und der Herden Glocken stammeln,
Und die Abendlieder schweben
Klagend aus der Büsche Schatten.

Sie geleitend steigt am Felsen

360
Sonnenschein zum Untergange,

In der Tritte Spuren senket
Dämmerung den ernsten Mantel.

Aber schaut! Nun steht Biondette
Hoch am dunklen Tor des Waldes,

365
Niederkniet sie und singt betend

In die Welt, die sie verlassen:

„Lebet wohl, ihr falschen Farben,
Eitler Tränen Regenbogen,
Sterne, die mit falschem Glanze

370
Dienet einem Flittermonde!


Meine Tränen sollen wachsen,
Daß sie mit den bittren Wogen
Ganz mein Irdsches überwallen,
Bis die Schuld ist hingenommen.

375
Aus dem Argen in die Arche

Geh ich gleich der Tochter Noä,
Kleide mich in schwarzer Farbe,
Wie der Rabe ausgeflogen.

Kleide schwarz mich gleich dem Raben,

380
Der als Bote ausgeflogen

Und so traurig auf den Wassern
Schwebte, bis sie abgeronnen.

[158]

Schleire mich mit weißer Farbe
Gleich der Taube, die als Bote

385
Wiederkehrte mit dem Blatte,

Das dem Friedensbaum entsprossen.

Sei gegrüßt, du Tag der Gnade!
Durch den Friedensbogen Gottes
Will ich zu den Vätern wallen

390
Auf der Opferflamme Wolken!“


Aber in den Wald nun senket
Sich die Sonne, und mit Flammen
Scheint Biondetta rings umgeben,
Schwarz geschleiert, nur ein Schatten.

395
Da der Wald im Glanze stehet,

Schweigen rings die Flöten alle,
Und ein Chor von Hörnern schwebet
Klagend auf im Widerhalle.

Und das Volk lauscht tief beweget,

400
Denn die Sonne widerstrahlend

Spielet, die nicht auszusprechen,
Lieder durch die goldne Harfe.

Und so stille war die Menge,
Daß man hört die Tränen fallen

405
Und die heißen Seufzer wehen

Und die bangen Herzen schlagen.

Wie ein Kahn auf stillem Meere
Mondumspielet träumend wanket
Und der Fischer hingestrecket

410
Schlummert ein in dem Gesange:


Also waren alle Schmerzen
In Biondettens Lied entschlafen,

[159]

Scheiden kann sie von den Herzen,
Die in Wunderträumen wandeln.

415
Doch es treibt das Schiff zum Felsen

Und füllt sinkend sich mit Wasser;
Nacht ist’s und der Mond bedecket,
Und der Mann starb unerwachet.

Aber weh! nicht so die Schmerzen,

420
Schlummernd, träumend im Gesange,

Hier im süßen Schlafe starben,
Wie der Fischer, Mond und Nachen.

Um Biondetten wird es heller:
„Wehe, wehe, das sind Flammen!

425
Feuer! Feuer! Helft! o helfet!“

Schreiet alles im Theater.

„Feuer! Helfet!“ schreit Biondette. –
„Stürzet das Gerüst zusammen,
Ist sie nimmermehr zu retten“:

430
So erfüllt das Haus ein Jammer.


Nach den Türen, zu den Treppen
Stürzen alle Herrn und Damen,
Und die Menge des Parterres
Will sich wogend überschlagen.

435
Bald in allen Fenstern stehen

Hohe Leitern; Herrn und Damen
Drängen sich, hinab zu klettern,
Und hinauf die Herrn Soldaten.

Dieser will sein Liebchen retten

440
Und faßt seine alte Base;

Jener, der die Frau will heben,
Wird umklammert von dem Manne.

[160]

Und die duftgen Cicisbeen
Müssen gar zu harter Strafe

445
Helfend auf und nieder klettern,

Wie die nassen Katzen jammernd.

Denn den Fliehend entgegen
Springen schon die Wasserstrahlen;
Wer im Feuer nicht kann leben,

450
Muß sich durch das Wasser baden.


Schreien, Weinen, Fluchen, Beten,
Steigen, Klettern, Ohnmachtfallen,
Trommelschlag und Brandtrompeten,
Wagenrasseln, Glockenschlagen.

455
Und schon winden durch die Menge

Kapuziner, Domnikaner
Sich in braun, schwarz-weißer Kutte,
Wassereimer eilig langend.

Doch die mutigen Studenten

460
Springen jubelnd zum Theater,

Stürmen die papiernen Felsen,
Niederreißend rings die Lampen.

Oben an des Hauses Decke
Hört man schwere Äxte fallen,

465
Sieht auch bald die Zimmrer stehen,

Niederstürzend Fluten Wassers.

Und schon ordnet sich die Menge,
Massen bilden sich und Straßen,
Alles stehet, geht und kehret,

470
Keiner hindert mehr den andern.


Aber unter den Studenten
Achtet einer nicht der Flammen;

[161]

Er hat gar ein wildes Wesen,
Gleichet einem Salamander.

475
Und schon klagt man um den Helden,

Den umkrachten alle Sparren,
Doch er kehrt und trägt Biondetten
In den dunklen, harten Armen.

Da er eilet in die Szene,

480
Schreit die Jungfrau: „O erbarme

Dich, Maria! Rette, rette
Mich von ihm in Jesus Namen!“

Da springt von der offnen Decke
Kühn ein Jüngling, wütend packet

485
Er den Räuber von Biondetten,

Doch der stehet ganz in Flammen.

Alle Glut zu ihm sich wendet,
Und wie auch die Wasserstrahlen
Auf ihn stürzen, wills nicht helfen,

490
Und man hört ihn gräßlich lachen.


Und wie Wirbelwinde drehen
Zu ihm hin sich alle Flammen,
Die wie Haare um ihn wehen,
Wenn er also gräßlich lachet.

495
Und so hat er lachend, brennend,

Eine lange Zeit gestanden,
Da das Feuer rings geendet,
Und das Volk schrie laut: Mirakel!

Da ein Priester zu ihm sprenget

500
Einen Strahl geweihten Wassers,

Ward er, allen zum Entsetzen,
Nur ein Häuflein dunkler Asche.

[162]

Und das Volk kniet ringsum betend.
Von der Höhe des Theaters

505
Sprach der Priester dann den Segen,

Und es schallt ein lautes: Amen!

Fromme Litaneien betend,
Ziehn die Mönche still gepaaret,
Und die hilfreichen Gewerke

510
Folgen betend aus den Hallen.


In des Hauses weiter Leere
Schallet das Geträuf des Wassers;
Rings die stummen Wachen stehen
Bei dem wilden Schein der Fackeln.

515
Aber die Studenten stehen

Staunend um das Häuflein Asche;
Den die Flamme hat verzehret,
War der beste Kandidate.

Er war Famulus des Lehrers,

520
Und sie brechen aus in Klagen,

Bis die rufenden Pedellen
Sie zur Heimkehr laut ermahnen.

In den Weihewasserkessel,
Den die Mönche stehn gelassen,

525
Sammelt unter Tränen jeder

Des verbrannten Freundes Asche.

Und dann ziehen die Gesellen,
Die geliebte Urne tragend,
Trost sich singend, von der Schwelle,

530
Um Apone es zu klagen.


Schweigend steht das Haus. Es sehen
Durch die Öffnungen des Daches

[163]

Stille nieder Mond und Sterne,
Traurig spiegelnd in dem Wasser.

535
An der Erde ruht Biondette;

Als sie nannte Jesu Namen,
Ließ der fürchterliche Retter
Sinken sie aus seinen Armen.

Bei ihr kniet mit seinem Schwerte

540
Stumm Meliore; in die Harfe

Hat er sorglich sie gebettet,
In den himmelblauen Mantel.

Er verließ im Lärm den Kerker,
Er war’s, der den Sprung gewaget

545
Von der Decke, sie zu retten

Aus des Räubers dunklen Armen.

Da es stille war, erhebet
Sich Biondette, und den Mantel
Schlingt sie um sich, von der Erde

550
Hebt sie dann die goldne Harfe.


Spricht, sich zu Meliore wendend:
„Sei gegrüßt! In Jesu Namen
Hast du mich von ihm gerettet
Und gehütet in dem Schlafe.

555
Einen Traum hab ich gesehen:

Asche war ich, und zu Asche
Soll ich einstens wieder werden,
Wenn erfüllet sind die Tage.

Für dich hab ich heut gebetet,

560
Da du fochtest am Altare;

Und du hast für mich gebetet
Jetzt in dringenden Gefahren.

[164]

Du hast liebend mich gerettet
Aus des ewgen Todes Banden,

565
Und ich werde dir’s vergelten

Bald in übervollem Maße.

Laß die Sinne untergehen,
Liebe nicht, was irdisch schwanket;
Die du irdisch angesehen,

570
Wird dir göttlich liebend danken.


Hier auf dieser öden Stelle
Wird es einstens göttlich tagen.
Sieh, es haben schon die Sterne
Ihrem Strahl den Weg gebahnet.

575
Wenn hier an des Altars Schwelle

Eine Jungfrau wird entsagen,
Werd ich durch dich auferstehen
Aus der irdschen Leibesasche.

Und du wirst die Asche nehmen,

580
Streuen sie in deine Haare,

Weil die Schlange wird zertreten
Von des Weibes heilgem Samen.

Was in Träumen ich gesehen,
Hab ich alles dir gesaget;

585
Denn auch du bist ausersehen

Zu unendlich großen Gnaden.

Wir gehn auf demselben Wege;
Lasse uns im Geiste wallen,
Lasse uns nie Abschied nehmen,

590
Gehe hin in Gottes Namen!“


Da geendet sie die Rede,
Konnt er nicht den Blick ertragen;

[165]

Also mächtig war ihr Wesen,
Daß er schweigend ging von dannen.

595
Und zur Harfe sang Biondette:

„Lob sei Gott dem Herren! Amen!“
Und das öde Haus erbebte,
Widerhallend: Amen, Amen!

Amen! sprachen Mond und Sterne,

600
Träufelnd sprach das Wasser: Amen!

Und da sie verließ die Schwelle,
Riefen rings die Wachen: Amen!

Anmerkungen des Herausgebers

  1. [401] Aus dem Umstande, daß Biondetta hier ihr eigenes Leben vorführt und ihre verstorbene Pflegemutter in der Statistinnenrolle einer Sirene dargestellt wird, hat man gefolgert, diese habe Sirene geheißen, nachdem sie von Kosme verstoßen war. Diese Folgerung erscheint gänzlich unzulässig.
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