Romanzen vom Rosenkranz/Romanze XV: Meliore und Biondetta – Biondettens hohes Lied
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Meliore und Biondetta – Biondettens hohes Lied
Gieße, Mond, dein Silber milder
Durch die blauen Himmelsmeere;
Blicket fromm, ihr Heldenbilder,
Nieder aus dem Sternenheere.
Grüße aus dem Himmel sende;
Blüten, Blumen, eure Fülle
Duftend sich der Nacht verschwende.
Philomela, süßer Stimme
Daß es zu den Sternen glimme
Und um Gottes Liebe flehe.
Klang der süßberauschten Zither
Unter Liebchens Fenster bebe;
Daß sie Liebesworte gebe.
Jünglingen, die schlummernd liegen,
Komm ein Liebestraum entgegen;
Auf die Kindlein in den Wiegen
Und die Wünschelrute sinke
Jedem auf des Schatzes Schwelle,
Und dem Durstgen, daß er trinke,
Sei der Schatz die kühle Quelle.
In die mondberauschten Becken;
Leis im West, ihr Blätter, spielet,
Um die Vöglein nicht zu wecken.
Nacht, in deines Zaubers Schlingen
Unter lustbetauten Schwingen
Bräutliches Entzücken betten.
Was die Seele, was die Sinne
Hoch begeistert, tief erreget,
Seien alle ausgeleget.
Spinnet bei dem Mondenlichte
Eure feinsten Netze, Elfen,
Und die schlauen Zauberwichte,
Felsbewohnende Sibyllen,
Leichte Nymphen flüchtger Quellen,
Einet alle euren Willen,
Diese Netze aufzustellen.
In die Netze, ihr Sirenen,
Und den Tönen nicht gelingend,
Laßt gelingen es den Tränen.
Denn es will uns heut entfliehen
Will zu heilgerm Himmel ziehen,
Daß sein Herz sich nicht mehr sehne.
Königin der Sternenzinne,
Priesterin verklärter Herzen,
Heldin, Trösterin der Schmerzen,
Nacht! durch deines Tempels Mitte
Sehe ich Biondetten gehen,
Scheu verhüllt in züchtger Sitte;
Auf dem Platze mondbeschienen
Bleibt sie ruhig schauend stehen,
In die düsteren Ruinen
Noch einmal zurück zu sehen.
In der Nachtluft einsam Wehen
Ihre Töne sich verschlingen
Wie der Andacht schwankend Flehen.
„Herr, ich steh in deinem Frieden,
Starb mein Heiland doch hienieden,
Daß ich sein Verdienst erwerbe.
Will der Schmetterling zum Lichte,
Muß die Larve er zerbrechen,
Meine Freiheit auszusprechen.
Laß die Flügel mich erquicken,
In der Andacht sie erstrecken,
Und zum Himmelsgarten zücken
O, wie hast du hoch gezieret
Diese Weltnacht, mir die letzte;
Eine Seele triumphieret,
Deren Tod mich hoch ergötzte.
Herr, nach einem solchen Leben,
Laß mich mit so klaren Sinnen
Dir die Seele wiedergeben!
Denn in deinen Händen liegen
Wie die Kindlein in den Wiegen,
Still entschlummert, ohne Schmerzen.“
Also sang sie, und geschwinde
Eilt sie auf verschlungnen Wegen,
Nächtlich grüßend sich bewegen.
Rascher flügelt sie die Schritte
Ihres Hauses Tor entgegen,
Da begegnet ihrem Tritte
Ach, und weiter noch zwei Schritte
Liegt, vom Mantel leicht bedecket,
Der den bösen Mord erlitten,
Stumm ein Jüngling ausgestrecket!
Will er noch die Blicke heben;
Den der Tod schon fest umstricket,
Kann die Schönheit noch beleben.
Gleich dem frommen Samariter
Mühsam nun den toten Ritter,
Trägt ihn hin nach ihrem Bette.
Lebend konnts ihm nie gelingen,
In ihr Kämmerlein zu sehen,
Durch des Todes Pforte gehen.
Schnell die Lampe angezündet
Unter bangen Herzensschlägen!
Ach, das Herz, das sie verbindet,
Balsam macht sie aus den Giften,
Die sie sonst im Tanz umgeben,
Mit der Öle süßen Düften
Ruft sie wieder ihn zum Leben.
Seinen Koller überm Herzen,
Sauget ihm sein Blut gelinde
Aus der Wunde mit den Schmerzen.
Ach! und ihren frommen Lippen
Quelle böser Zauberklippen,
Liebesgift war an dem Degen!
Auf der Brust ihm eingeschnitten
Ihren Namen liest Biondette,
Hängt darauf an goldner Kette.
Doppelt ihren Schleier windet
Sie, mit Tränen ihn benetzend,
Und die Wunde sie verbindet,
Und sie eilt und schmückt das Zimmer,
Zündet an wohl hundert Kerzen,
In der Spiegel Widerschimmer
Gold und Silber freudig scherzen.
Öffnet sie mit leichten Händen,
Daß ein eitles Triumphieren
Rings entstrahle allen Wänden.
Und die falschen Götterbilder
Aus dem Schoße goldner Schilder
Läßt sie seidne Röslein glänzen.
Reiherbüsche pflanzt sie flitternd
Auf des Boden Purpurdecken,
Zäumt sie ein mit Federhecken.
In der Torheit Garten glimmend
Rüstet sie ein Weihrauchbecken,
Daß die Weihrauchwolken schwimmend,
Weh! wer hat sie so verrücket?
Alle Blumen muß sie brechen;
Wie des Wahnsinns Braut geschmücket,
Muß ihr keusches Herz erfrechen.
Ihre Brust zu Tag zu legen,
Weh! da blicket Gottes Siegel,
Die Goldrose ihr entgegen.
Doch sie ist so tief verstricket,
Ihre Blöße sie entzücket,
Und sie mag sich nicht bedecken.
Und mit süß vertrauten Blicken
Sitzt sie auf des Jünglings Bette;
Wenn sie nie gebetet hätte.
Und sie fühlt in allen Sinnen
Ein unheiliges Ergötzen
Wild durch ihre Adern rinnen,
Seine Lippen, seine Stirne,
Ihren Namen ihm am Herzen,
Küsset heiß die arme Dirne
Unter süß berauschten Schmerzen.
Ihre zarten Hände bebend,
Doch umsonst die Küsse zielen,
Seine Lippen nicht belebend.
An den Busen ihn zu drücken,
Fühlet sie ein wild Entzücken,
Doch er will sie nicht erkennen.
„Meliore,“ spricht sie liebend,
„Deine Augen zu mir wende,
Die ich zärtlich dir verschwende!
Sieh, es will der gütge Himmel
So dich an das Herz mir legen,
Wie ich in des Brands Getümmel
Wenn du auch nicht wiederküssest,
Winkend nur ein Zeichen gebe,
Mir zum Troste, daß du wissest,
Wie ich dich nicht überlebe!“
Läßt die Saiten wild erbeben;
Ach, die heißen Liebesgrüße
Können nicht sein Aug erheben.
Keuscher Tod, du drückst sie nieder,
In dem Klang der giftgen Lieder
Soll er sie nicht wiedersehen.
„Ihn, den meine Seele liebet,“[1]
Singt sie, „sucht ich in dem Bette,
Fand ihn doch an keiner Stätte.
Und ich fragt die Wächter bittend,
Die da durch die Straße gehen:
Ihn, den meine Seele liebet,
Und vorübergehend finde
Ich den Liebsten meiner Seele,
Ihn mit Rosenketten binde,
Ihn auf ewig mir vermähle!
Den ich fand auf meiner Schwelle,
Führ ihn in der Mutter Zimmer,
Führe ihn in meine Zelle.
Sieh, ich bin ein Rauch von Myrrhen,
Und, wie Bienenschwärme irren,
Küsse meinem Mund entschweben.
Weiß und rot ist, den ich minne,
Golden sich sein Haupt erhebet;
Schwarz die Nacht den Mantel webet.
Seine Augen mich erquicken
Und die Seele mir erhellen,
Wie die Taubenaugen blicken
Wie Gewürze duftend, grüßen
Seiner Wangen Blumenzellen,
Süße Myrtenöle gießen
Seiner Lippen Rosenquellen.
Seine klaren Silberhände,
Elfenbeinern und saphieren
Trägt der Goldfuß seine Lende.
Und er stehet aufgerichtet,
Wie der Libanon umlichtet,
Der dem Himmel sich vermählet.
Wie mein Saitenspiel, erklinget
Süß und lieblich seine Kehle,
Lustberauschet meine Seele.
O, du Büschel süßer Myrrhen,
Zwischen meinen Brüsten hängend,
Sag, wo deine Schafe irren,
Töchter Zions, meine Bitte
Höret und den Freund mir wecket,
Schlummernd vor der Zederhütte
Unter Rosen ausgestrecket.
Süße Freundin, zu mir spreche,
Komme her, die Gott gedichtet,
All die Rosen mit mir breche!
Sieh, verschwunden ist der Winter,
Und die Blumen, Frühlingskinder,
Spielen schon auf grünen Wegen.
Meine Wangen lieblich flimmern,
In den Spangen, in der Kette
Und es grünet unser Bette!
Wie die Traube Copher schwillet
Zu Engeddi in den Gärten,
Und der Lippen Kelch erfüllet,
Zedern fest das Haus uns stützen,
Unsre Latten sind Zypressen,
In dem Schatten will ich sitzen
Und der Schmerzen all vergessen.
Des die Seele mir begehret,
Wie der Apfelbaum bei wilden
Bäumen, ist mein Freund verehret.
Deiner Lieb Paniere schwinge
Und du Freundlicher, mich bringe
In des süßen Weines Keller!
Und mit Blumen mich erquicke,
Mich zu laben Äpfel gebe;
Blicke auf, mich zu beleben!
Unter deinem Haupt die Linke,
Muß dich meine Rechte herzen,
Wenn ich deinen Kuß nicht trinke,
Sieh, die Honigbienen irren
In dem honigsüßen Lenze,
Und die Turteltauben girren;
Komme, mein Freund, daß ich dich kränze!
Knospen; aus dem Aug der Reben
Süße Wollusttränen dringen;
Also weint mein junges Leben!
Wie in dunklen Felsenritzen
Also will ich bei dir sitzen
In dem Glanz der Blütenäste.
Und es tönet meine Stimme
Süß, o süß ist meine Kehle,
und verglimme Philomele.
Und ich singe zu dir nieder:
Mein bist du und mir gegeben,
Und es sehn dich meine Lieder
Wie sie also töricht singet,
Spricht Meliore: „Meine Schwester,[2]
Fromme Taube, ach, es schlinget
Sich des Todes Band nur fester!
Und es wecket mir im Herzen,
Wenn sich gleich mein Auge schließet,
Deine Liebe bittre Schmerzen!
Mein Gewand, ich legt es nieder,
Nach dem Bad die Füße wieder
Mir besudeln auf den Wegen?
Deine Augen gleichen Blitzen,
Deine Augen von mir wende!
Scheinen deine zarten Hände!“
Aber wehe! nicht vernimmet
Sie den schweren Namen Schwester,
Glühender ihr Wahn entglimmet,
Und sie spricht: „Der Kelch der Lilien
Unserm Bett das Rauchfaß schwenket,
Unser Dursten zu vertilgen
Sich der Traube Becher senket.
Ich bewahrte dir, mein Leben,
Heurige und fernge Früchte,
Beide kann ich dir nun geben!
O, du Liebe in Wollüsten!
Trauben gleichen meine Brüste,
Trauben wundersüßer Reben!
Einer Palme aufwärts dringend
Gleichet meines Leibes Länge,
O, wer sich hinan so schwänge!
Laß uns durch die Felder ziehen,
Ob uns sieht das Aug der Reben,
Ich will, wenn Granaten blühen,
Dich, der meiner Mutter Brüste
Saugte, Bruder, dich den Schönen,
Wenn ich dort dich brünstig küßte,
Ach, wer wollte mich verhöhnen!“
Springt sein Blut ihr neu entgegen;
Der Verband, der Hilfe bringet,
Kann die Raserei nicht legen.
Und von ihrem Nonnenbilde
Daß damit das Blut sich stillte,
Und es dienet ihrem Zwecke.
Als sie zu dem Bilde blicket,
Fühlet sie ein tief Erschrecken,
Und sie eilt, sich zu bedecken.
Von des Bildes Augen fließen,
Wunder Gottes! bittre Tränen,
In die Arme muß sies schließen,
Und dem Bilde gegenüber
Sitzt zur Harfe sie am Bette,
Und die Augen strömen über
Der verlorenen Biondette.
Aufgeht, auf den Freund gelehnet?“
Spricht Meliore nun, und grüßte
Sie, nach der sein Herz sich sehnet.
„Auf dein Herz gleich einem Siegel
Goldne Rose, deinen Spiegel
Hat die Schlange bös verletzet.
Um den Apfelbaum sich schlingend,
Der die Mutter dir bedeckte,
Bös die Schlange mich erweckte!“
Aber traurend sitzt die Süße,
Läßt die Harfe leis erbeben,
Daß ihn schön das Leben grüße,
Wie die Töne sich ergießen,
Fühlt die Jungfrau in dem Herzen
Wunderbaren Zauber fließen
Und so süße, wilde Schmerzen.
Denket nicht mehr des Gesellen;
Wie der Schwan im Tode singet,
Glühend ihre Töne schwellen.
Tausend Töne, die sonst schliefen,
Und in allen Herzenstiefen
Hört sie laut das Echo sprechen.
In dem Tode hallt es wider;
Schüchtern zu des Lebens Schwelle
Seine Blicke werden helle.
Wer erklärt ihm die Gesichte,
Wer ergießt des Himmels Segen?
Ist so mild das Weltgerichte,
„Süßer Tod, den ich erlitten!
Goldne Töne zu mir gehen,
Selig in des Himmels Mitten
Soll ich wieder auferstehen!“
Strömet ihm das selge Wähnen,
Gottes Mutter sei erschienen,
Und er betet unter Tränen.
Doch die arme Jungfrau singet
Während sie die Hände ringet:
„O, welch schmerzlich glühes Sehnen!
Schwarz bin ich, doch voller Liebe,
Wie die Hütten Kedars stehen,
Salomons im Tempel wehen.
Die Weingärten zu behüten,
Setzten sie mich ein zum Wächter,
Meinen konnt ich nicht behüten,
Wie der Tod so stark ist Liebe,
Fest der Eifer wie die Hölle,
Glut und Feuer meine Triebe,
Wie des Herren Blitz so schnelle.
Und wenn alle Ströme rännen,
Würden sie sie nicht besiegen,
Nimmer sie erlöschen können!
Was in meinem Haus sich findet,
Um die Liebe, die mich bindet,
Ach, ich hätte nichts gegeben!
Schön und lieblich meine Füße
In den goldnen Schuhen stehen,
Ist wie eines Helmbuschs Wehen!
Wie zwo Spangen schön sich schwingend,
Von des größten Meisters Händen
Eben aneinander dringend,
Doch nun lischt der Kerzen Schimmer
Und Biondette singet: „Wehe,
Wehe, Wehe, Lebensschimmer,
Holdes Leben, nicht vergehe!
Wollt, o wollt nicht von mir schweben!
Sterbet nicht, ihr raschen Glieder,
Laßt euch froh zum Tanze heben!“
Eh die Lampe auch verglimme,
Doch sie hört nicht ihre Stimme,
Fühlt nicht ihrer Füße Schweben.
Weh! es walten böse Künste,[3]
Laut die frühen Hähne krähen;
Denn der Tag will auferstehen!
Und Meliore kömmt zu Sinnen.
Licht und Lied und Lieb entschweben,
Mächtig fühlt er sich von hinnen
Kühl umwehn ihn Morgenwinde,
Wunderbar ist ihm geschehen,
Denn er kann noch ihre Binde
Auf der frischen Wunde sehen.
Und er hört die ersten Messen:
Bete, bete, nie gelinget,
Die Geliebte zu vergessen!
Anmerkungen des Herausgebers
- ↑ [403] Zu den folgenden Gesängen, die Biondetta in Liebesraserei singt, in welche sie sich durch das Gift aus Meliores Wunde versetzt hat, diente dem Dichter das „Hohe Lied“ als Vorbild, aus welchem er einzelne Stellen direkt entnommen hat, und zwar, wie Michels richtig bemerkt, nach der lutherischen Übersetzung.
- ↑ [403] Meliore hört aus dem ihm unverständlichen brünstigen Werben der keuschen Biondetta nur die Worte des „Hohen Liedes“ (das in vielen Versen ein Bestandteil kirchlicher Liturgie und in diesen jedem Katholiken vertraut ist) und antwortet mit den Worten desselben: „Meine Schwester“ (Kap. 4, V. 9, 10, Kap. 5, V. 1 usw.) und mit den Worten (Kap. 5, V. 3): „Ich habe meinen Rock ausgezogen“ usw.
- ↑ [403] Hier beginnt Apos Zauber (Romanze 18), der sie zu ihm zieht, zu wirken.
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