Sänger als Handelsartikel

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Sänger als Handelsartikel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 249–251
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Sänger als Handelsartikel.
Mitgetheilt von Brehm.


Seit geraumer Zeit arbeite ich an einem Buche, welches den Titel „Gefangene Vögel“ führen und im Laufe dieses Jahres im Verlag der Winter’schen Buchhandlung zu Leipzig erscheinen wird. Es soll ein Handbuch für den Liebhaber werden und ihm verläßlichen Rath geben über alle Vögel, einheimische wie fremde, welche man gegenwärtig in und außer Europa in Käfigen, Gesellschaftsbauern, Parks und Thiergärten gefangen hält. Da nun aber die Aufgabe, wie ich mir sie gestellt, die Kraft des Einzelnen fast übersteigt, habe ich meine Berufsgenossen, welche sich für diesen Gegenstand interessiren, alle mir bekannten Liebhaber und alle namhaften Thierhändler Europas um Mithülfe ersucht, und ist mir solche auch freundlichst gewährt worden, Männer wie Bartlett, Bodinus, Cabanis, Cronau, Finsch, Geoffroy, Girtanner, Gräßner, A. von Homeyer, Adolf Müller, Karl Müller, F. Schlegel, Bekemans, Westermann und Andere sehen die Bogen durch, ehe sie die Presse verlassen, ändern, berichtigen, verbessern, vervollständigen; mir bekannte und bis dahin noch unbekannte Liebhaber liefern Beiträge, die Ergebnisse besonderer Erfahrungen etc., sodaß es möglich wird, etwas Zweckdienliches zu schaffen.

Einen der eingegangenen Beiträge möchte ich unendlich weiteren Kreisen vorlegen, als die „Gefangenen Vögel“ jemals erreichen können, weil ich glaube, daß derselbe Vielen erwünschten, vielleicht ungeahnten Aufschluß geben wird über den einzigen Stubenvogel, welcher sich Bürgerrecht erworben auf der Erde, soweit gesittete Menschen sie bewohnen – den goldenen Sänger der glücklichen Inseln, deren Namen er trägt: unseren allbekannten Canarienvogel. Ich verdanke die Mittheilung dem Weltgroßhändler in diesem Zweige, Herrn Reiche in Alfeld, welcher Geschäft und Geschäftskunde von seinen Vorfahren ererbt und den Handel mit Canarienvögeln auf eine Höhe erhoben hat, daß er gegenwärtig viele Tausende von blanken Thalern zurückrollt in die Gebirgsdörfer am Harz, Vogelsberg, der Rhön und anderen Bergen, und in gar viele arme Hütten seinen Segen trägt. Diesen meinen Gewährsmann lasse ich im Nachstehenden reden und gebe damit zugleich Bruchstücke meines Buches.

„Der Handel mit Canarienvögeln und abgerichteten Dompfaffen nach außerdeutschen Ländern besteht seit Ende des vorigen Jahrhunderts; ich weiß, daß schon mein Urgroßvater und Großvater damit sich beschäftigten. Beide hatten sich St. Petersburg zum Absatzorte erwählt und brachten in jedem Frühjahre größere Mengen dorthin. Im Herbste und Winter besuchten sie zu gleichem Zwecke Holland und England. Doch wurde das Geschäft damals überall nur in sehr geringer Ausdehnung betrieben, da bei den unentwickelten Verkehrsmitteln jener Zeit die Versendung äußerst lästig und kostspielig war, schon weil sie so langsam von Statten ging. Zudem glaubte man, daß den Vögeln das Fahren schädlich sei, und ließ sie deshalb bis Hamburg oder Lübeck auf dem Rücken tragen. Im Hafen mußte man nicht selten, widrigen Windes halber, wochenlang liegen bleiben, und wenn endlich die Weiterreise angetreten werden konnte, nahm sie andere Wochen in Anspruch, falls nicht besonders günstige Winde das Segelschiff über Erwartung förderten. Daß der Handel solchen Hindernissen gegenüber unmöglich gedeihen konnte, bedarf nicht der weiteren Auseinandersetzung.

Wie noch heute geschieht, wurden die von den Züchtern aufgekauften Vögel sogleich in kleine hölzerne Käfige, sogenannte ‚Harzer Bauer‘ gesteckt und diese auf das ‚Reff‘, ein leichtes Traggestell, gesetzt, bis die Ladung von einhundertsechszig oder einhundertsiebenzig Bauern zusammengebracht war. Dieselbe wurde alsdann kunstgerecht mit Leinwand verhüllt und nun konnte der Träger sich auf den Weg machen. Zu Hause begann zunächst das Sortiren der Vögel durch einen in alle Geheimnisse ihres Wesens und Seins eingeweihten Sachverständigen, und hierauf trat man die Reise an. Zu einer Anzahl von ungefähr tausend Vögeln gebrauchte man sechs starke Träger, und eine Reise vom Harz bis Lübeck nahm zwölf Tage in Anspruch, während ich jetzt die vierfache Anzahl in nur zwei Tagen mehr von derselben Stelle nach New-York befördere.

Damals brach man bereits eine Stunde vor dem Tagwerden auf, legte die erste Meile zurück, fütterte, ging die zweite Meile ab, fütterte wieder, und rückte, nachdem man die dritte Meile hinter sich gebracht, in die Nachtherberge ein; denn nicht allein die Last der ‚Trägte‘, sondern auch ihre räumliche Ausdehnung verlangsamte den Weg, namentlich bei ungünstigem Wetter, starkem Winde etc. Die Ladung hatte eine Höhe von fünf, eine Breite von zweieinhalb, eine Tiefe von zwei Fuß und ein Gewicht von mindestens hundert Pfund, beanspruchte also die volle Kraft eines Mannes: – in der Regel mußte von zehn zu zehn Minuten einige Zeitlang geruht werden.

Zum Füttern und Uebernachten hatte man auf allen Wegen seine bestimmten Haltepunkte und Einkehrorte. Traf man, um zu füttern, im Wirthshause ein, so wurden sämmtliche Vögel rasch vom Reffe genommen und hierauf mit Futter und Trinken versorgt, so gut dies eben gehen wollte. Je sieben Bauer waren durch einen leichten Holzstock, Spille genannt, derart an einander befestigt, daß die Futterkästchen auf der einen, die Trinknäpfchen auf der anderen Seite sich befanden. Eine solche Reihe nach der anderen nun nahm einer der Träger vom Reff und gab sie in die Hände des zweiten, welcher etwas Futter in das Kästchen schüttete, während der dritte mittelst einer zweckmäßig eingerichteten Kanne die Trinknäpfchen mit Wasser versah, und der vierte die Reihen übereinander an den Wänden aufstapelte, Letzteres geschah, um jedem Vogel Licht und Luft zu geben und doch alle leicht übersehen, erkrankte ausscheiden und besonderer Pflege theilhaftig machen zu können. Im Verlaufe einer Stunde hatte man so etwa tausend Vögel abgefertigt, ließ sie hierauf eine fernere Stunde ruhig stehen, erquickte sich selbst mit Speise und Trank, packte auf und trat die nächste Meile an. Je von drei zu drei Tagen wurden sämmtliche Käfige gereinigt, zu diesem Zwecke also auch die Reihen auseinander genommen und wieder zusammengesteckt – eine Arbeit, welche so viel Zeit wegnahm, daß an diesem Tage nur zwei Meilen zurückgelegt werden konnten. Das für die Reise nöthige Futter wurde von einem besonderen Träger mitgeführt, während man die für die Seefahrt bestimmte Nahrung der Vögel als Frachtgut vorausgesandt hatte.

So lästig diese Versendung aber auch war: die schwerbepackten Träger zogen heiter und vergnügt ihres Weges dahin, begleitet auf Schritt und Tritt von den schmetternden Liedern aus hundert Vogelkehlen. Herbeigelockt durch den weithin schallenden Gesang, erschienen zuweilen Schaaren von freilebenden Verwandten: Finken, Hänflinge, Stieglitze, Lerchen und dergleichen, umschwebten die in [250] das Ausland ziehende Karawanen und gaben ihr oft auf weite Strecken hin das Geleite. Sie schickten den Abziehenden ihre besten Grüße zu, freuten sich aber doch, zu den Glücklichen zu gehören, welche in den schönen Fluren und Wäldern der Heimath verbleiben durften. Allein die Heiterkeit der Abziehenden wurde dadurch nicht herabgestimmt. Fröhlich sangen sie zurück: ,Wohl entbehren wir die goldene Freiheit; aber dafür ziehen auch die Stürme des Herbstes, die bitterkalten Tage, des Winters machtlos an uns vorüber. Für unsere Nahrung und Bequemlichkeit wird gesorgt, und die zartesten Hände widmen sich unserer Pflege.‘ So wenigstens glaubte ich den gegenseitigen Vogelgesang deuten zu dürfen, als ich im Frühlinge des Jahres 1841 mit tausend nach St. Petersburg bestimmten Vögeln unterwegs war; und wenn auch diese Deutung wohl nicht ganz richtig war: sie gewährte mir Freude, erleichterte die Bürde und kürzte den Weg.

Im Jahre 1842 wagte ich den ersten Versuch, Canarien- und andere in Deutschland geborene Vögel in Nordamerika einzuführen. Es war das erste derartige Unternehmen überhaupt. Ich mußte mich eines Segelschiffes bedienen und gebrauchte Monate, bevor ich in Amerika ankam. Noch war nicht die Liebhaberei für ausländische, am wenigsten für deutsche Singvögel drüben erweckt worden, und es bedurfte der größten Anstrengungen, um im Laufe des Herbstes und Winters für meine tausend Vögel Abnehmer zu finden. Es fehlte an Allem: an Liebhabern, an Käfigen, an Futter, wie es die Vögel von der Heimath her gewohnt, an Kenntniß, sie zu behandeln, an Verständniß für ihre Leistungen. Doch schon nach wenigen Jahren war allen diesen Mängeln abgeholfen worden, und die Liebhaberei vermehrte und verbreitete sich von Jahr zu Jahr.

Bereits 1846 nahm ich meinen jüngeren Bruder in das überseeische Geschäft, und wir betrieben nunmehr unseren Handel regelrecht und in immer steigender Ausdehnung. Im Jahre 1853 hatten wir es zu einem Absatze von zehntausend, im Jahre 1860 von fünfzehntausend Canarienvögeln gebracht. Seit dieser Zeit versieht mein Bruder das Geschäft allein, während ich den Einkauf diesseits des Weltmeeres und die Versendung übernommen habe; denn nur durch diese Theilung der Arbeit sind wir im Stande, den Anforderungen unseres Handels zu genügen.

Im verflossenen Jahre habe ich sechsundzwanzigtausend männliche Canarien- und etwa fünfzehnhundert verschiedene andere Singvögel nach New-York abgesandt. Andere Händler haben denselben Markt ebenfalls ausgesucht und zusammen in dem genannten Jahre etwa sechszehntausend Vögel dorthin gebracht, weshalb man mit Bestimmtheit annehmen kann, daß in dem einen Jahre mindestens zweiundvierzigtausend, wahrscheinlich aber nicht unter fünfundvierzigtausend Stück Canarienvögel nach Nordamerika ausgeführt worden sind.

Wir verkaufen jetzt größtentheils dutzend- und hundertweise an Wiederverkäufer und stehen mit allen Städten der Vereinigten Staaten in Verbindung. Von New-York an bis Californien, von Canada bis Missisippi – allüberall hat sich in den wenigen Jahren der deutsche Canarienvögel Eingang, Liebhaber und Freunde verschafft; sein frischer, klangvoller und tonreicher Schlag füllt das Prachtzimmer der vornehmsten Frau und klingt wieder im einsamen Walde, welcher das neuerrichtete Blockhaus noch umgiebt. Vor Jahren waren wir in Verlegenheit, zu den Vögeln die Gebauer zu liefern: gegenwärtig beschäftigt Günther, ein Deutscher, in seiner mit Dampfmaschinen verschiedener Art ausgestatteten Fabrik gegen hundert Arbeiter einzig und allein mit Anfertigung von Vogelbauern, welche er aus Blech und Draht ebenso gut als zierlich herstellen läßt.

Aber nicht allein nach Nordamerika wendet sich unser Handel. Abgesehen von den Tausenden, welche im Vaterlande selbst vertrieben werden, finden sich immer ungefähr fünftausend Stück ihren Weg nach England und Rußland, und werden alljährlich mindestens ebensoviele nach Südamerika (Rio de Janeiro, Buenos Ayres, Valparaiso), nach Indien und Australien versandt. Es ist nicht zu viel, eher zu wenig gesagt, wenn man angiebt, daß jährlich sechszig- bis siebenzigtausend Canarienvögel von Deutschland ausgeführt und nach überseeischen Plätzen gebracht werden.

Die Ausfuhr beginnt im Monat August, wenn die Abkömmlinge der ersten Frühlingsbrut schlagtüchtig und somit versendungsfähig geworden sind; sie währt ziemlich ununterbrochen fort bis zum April: dann ist aller Vorrath vergriffen. Wir versenden in Massen von tausend Stück und darüber gegenwärtig an jedem Sonnabend eine Anzahl von mindestens tausend Stück allein von Bremen aus. Leute, welche jahrelang Vögel gepflegt haben und vollständig seefest geworden sind, besorgen unterwegs die Wartung. Die Verschiffung geschieht mit den ausgezeichneten Dampfern des norddeutschen Lloyd, auch wohl mit denen der Hamburger Gesellschaft. Da die Sendungen in New-York von unserem Hause sofort nach Ankunft des Schiffes in Empfang genommen werden, fahren die Ueberbringer schon mit dem nächsten Dampfer zurück und sind so zweiunddreißig Tage nach ihrer Abfahrt von Bremen wieder in Deutschland.

Durch diese Massenversendung und den regelmäßigen Verkehr haben wir es ermöglicht, daß der Liebhaber in Amerika für zwei bis drei Thaler sich einen Vogel verschaffen kann, welcher über tausend Meilen von seiner Heimath gezüchtet und von den besten Meistern seiner Art zu einem vorzüglichen Schläger ausgebildet worden ist. –

Regelmäßig gezüchtet wurde der Canarienvogel früher nur am Harz; seitdem aber der Bedarf in so hohem Maße gestiegen, hat sich dieser Erwerbszweig – denn einen solchen bildet die Zucht des Canarienvogels – viel weiter ausgebreitet. In Nordhausen und Umgegend, auf dem ganzen Eichsfelde, in Hannover und Braunschweig, Hessen etc. bestehen Züchtereien; in mehreren Städten, in Hannover, Hildesheim, Wolfenbüttel, Clausthal etc. haben sich Vereine gebildet, deren Zweck es ist, den Gesang zu veredeln und zu verbreiten.

Die Zucht beginnt, je nachdem man heizbare oder nicht heizbare Räume zur Verfügung hat, zwischen Februar und April. Man bildet fliegende Hecken in Zimmern und Fluggebauern, ausnahmsweise nur in kleineren Käfigen. Je nach der Größe des Raumes setzt man drei bis sechs Männchen mit ungefähr dreimal, mindestens doppelt sovielen Weibchen zusammen. Der Raum ist ausgerüstet mit hoch oder niedrig angebrachten Sprunghölzern und etwa doppelt so vielen Nistkästchen und Körbchen, als Weibchen vorhanden sind; letztere hat man an den Wänden und im den Winkeln befestigt. In der Mitte des Brutzimmers steht der Futtertisch; auf dem besandeten Boden liegen Moos, Grashalme, Hirsch- oder Kuhhaare, Leinenfasern und andere Baustoffe, aus denen die Vögel nach Belieben sich wählen können. Täglich wird frisches, gesundes und reines Futter verabreicht, zumeist Sommerrübsen und nur zuweilen Glanz und Canariensamen, später, wenn es schon Junge giebt, zwei- bis viermal im Laufe des Tages hartgesottenes und kleingeriebenes Ei, vermischt mit derselben Menge gestoßenen und angefeuchteten Zwiebackes oder altbackener Semmel – etwa ein Ei täglich auf zwanzig Vögel. An frischem reinem Wasser darf natürlich niemals Mangel sein.

In den ersten Tagen des Zusammenseins entstehen in der Regel heftige, nebenbuhlerische Kämpfe unter den Vögeln, welche nicht selten einem und dem anderen das Leben kosten. Dagegen läßt sich nichts machen. Ist erst die Paarung vorüber und hat sich jedes Männchen – nicht wie das freilebende eine Gattin – seine Weiber errungen, das stärkere mehrere, das schwächere wenigere, so kehren Friede und Eintracht wieder, und es beginnt nunmehr ein sehr reges Familienleben. Die Weibchen wählen sich nach längerem Suchen und Bedenken endlich die ihnen am meisten zusagende Niststelle und machen sich sodann eifrigst mit dem Auf- und Ausbau des Nestes zu schaffen, werden dabei auch unterstützt, so weit es angeht, von dem Männchen, welches außerdem für Unterhaltung der Weiber sorgen zu wollen scheint und fleißig singt.

An fortwährender Aufsicht darf es der Züchter nicht fehlen lassen. Jedes Nest erhält seine Nummer, und jedes gelegte Ei, namentlich aber der Beginn des Brütens, wird gebucht, damit man wisse, wann die dreizehn Tage, welche die Zeitigung der Eier erfordert, abgelaufen sind und eine andere Art der Beaufsichtigung sich nöthig macht. Gegen das Ende der Brutzeit wird jedes Nest tagtäglich untersucht, nicht minder nach dem Ausschlüpfen der Brut, damit man faule Eier oder abgestorbene Junge rechtzeitig entferne und der oft launenhaften Mutter die Brut nicht entfremde. Auch der Sicherheitsdienst muß geübt werden: es gilt zu erforschen, ob sich nicht etwa ein unverbesserlicher Streithahn oder sonstiger Taugenichts in der Hecke befinde. Es giebt solche, welche sich nicht paaren wollen, oder solche, welche fortdauernd Unheil anrichten, indem sie anderer Nester zerstören, die brütenden Weibchen belästigen und ärgern, ja selbst Eier vernichten und wehrlose Junge tödten. Solche Störenfriede müssen unter allen Umständen entfernt werden.

[251] Nachdem die Jungen erster Brut die Nester verlassen und sich selbstständig gemacht haben, das heißt nicht mehr verlangen, von den Eltern gefüttert zu werden, fängt man sie heraus und bringt sie in einen anderen Raum, damit die zweite Brut durch sie nicht gestört werde. Mit der zweiten Brut verfährt man genau ebenso, mit der dritten wird die Hecke geschlossen.

Von größter Wichtigkeit ist es, möglichst ausgezeichnete Schläger in die Hecke zu setzen; denn so wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen, und die Güte des Gesanges bestimmt den Werth des Vogels.

Der veredelte Gesang soll nur aus wohlklingenden Tönen bestehen. Am beliebtesten sind die Glocken- und Flötentöne, die ‚Hohl-, Pfeif-, Lach- und Bogenrollen‘ oder Triller. Sodann wird von dem wahren Liebhaber verlangt, daß der Schlag des ‚guten‘ Vogels nicht allein aus einer großen Mannigfaltigkeit lieblicher Töne bestehe, sondern diese auch in angenehmer Weise für das Ohr in einander übergehen, verschmelzen, an- und abgesetzt werden. Solch ein Gesang, solch staunenswerthes Kunstwerk, läßt sich nur durch unausgesetzte Mühe, Beharrlichkeit und Sorgfalt von einzelnen Züchtern, den Altmeistern des Gewerbes, erzielen.“

Zum Sammeln der Vögel verwendet Reiche mehrere Aufkäufer, erfahrene, bewährte Kenner im Wählen und Ausscheiden; denn es handelt sich nur um Männchen oder Hähne, und das sichere Unterscheiden der Geschlechter erfordert langjährige Uebung, das Bestimmen der Preise das feinste Ohr für alle Schattirungen des Schlages.

„Aus allen diesen Mittheilungen,“ so schließt mein Gewährsmann, „geht wohl zur Genüge hervor, daß die Zucht des Canarienvogels und der Handel mit ihm ein erwähnenswerther Erwerbszweig geworden ist, welchen zu befördern von Staatswegen noch nicht das Geringste geschah. Nicht einmal zu unbedeutenden Zugeständnissen hat man sich herbeigelassen, nicht einmal eine Erleichterung des Versendens auf den Eisenbahnen gewährt. Während die Taxe für andere Eilgüter etwa ¾ Silbergroschen für den Centner und die Meile beträgt, müssen wir für lebende Vögel in Käfigen oder für lebende Thiere überhaupt 2½ Silbergroschen für die Centnermeile bezahlen, und während unsere Sendungen doch vor sonstigen Eilgütern nicht den geringsten Vorzug genießen, müssen wir selbst alle Gewähr übernehmen, ohne daß uns erlaubt wird, mit Eilzügen zu versenden und unsere Verluste dadurch zu verringern. Jedes Zugeständniß, welches man uns machen wollte, würde aber nicht allein uns, sondern in höherem Grade noch den meist armen Züchtern zu Gute kommen.“