Schiffszusammenstöße

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Autor: Reinhold Werner
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Titel: Schiffszusammenstöße
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 124–129
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Schiffszusammenstöße.

Von Viceadmiral a. D. Reinhold Werner.


Die öffentliche Meinung beunruhigt sich mit Recht über die stets wachsende Zahl der Schiffszusammenstöße, bei denen Hunderte von Menschenleben verloren gehen. Vor nicht langer Zeit erst hat wieder der Untergang des französischen Passagierdampfers „Bourgogne“ ein erschreckendes Beispiel davon gegeben, dem sich die Unfälle der deutschen Dampfer „Cimbria“ und „Elbe“ 1883 und 1895 traurigen Angedenkens anreihen. Aehnliche Katastrophen kleineren Umfangs zählen nicht allein nach Hunderten, sondern nach Tausenden, wenn sie auch zum bei weitem größten Teile gar nicht zur Kenntnis des binnenländischen Publikums kommen, sondern in den Schiffahrtszeitungen der Seestädte als Unglücksfälle registriert werden, an denen die Versicherungsgesellschaften das hauptsächlichste Interesse nehmen, während sie an weiteren Kreisen fast spurlos vorübergehen. Und doch hat die Statistik allein in den englischen Gewässern in einem Jahre 713 solcher Zusammenstöße verzeichnet. Diese Gewässer sind freilich diejenigen, in denen in verhältnismäßig engen Grenzen die meisten Schiffe zusammenströmen; rechnet man aber alle übrigen Unfälle gleicher Art außerhalb derselben dazu, so wird man sie mit Tausend nicht zu hoch schätzen. Welche Menge von Menschenleben dabei geopfert, welche Unsummen von Eigentum dabei zu Grunde gegangen sind, kann man sich denken, und die Frage drängt sich dabei unwillkürlich auf, ob es denn gar nicht möglich ist, solchen haarsträubenden Zuständen vorzubeugen oder sie wenigstens einzuschränken.

Es ist wunderbar genug, daß bisher diesen Verhältnissen so wenig Beachtung geschenkt ist. Wenn einmal eine solche Katastrophe zur allgemeinen Kenntnis gelangt, dann sind alle Zeitungen davon voll, alle Leser sind entsetzt darüber; nicht aus den Seestädten, aber wohl aus dem Binnenlande werden auch Vorschläge gemacht, die sehr gut gemeint, aber in fast allen Fällen unausführbar sind, da sie auf gänzlicher Unkenntnis der Schiffsverhältnisse beruhen; damit ist nach kurzer Zeit die Sache vergessen und es bleibt alles beim Alten. Man nehme doch einmal an, daß auf den Eisenbahnen eines Landes von der Größe der englischen Gewässer in einem Jahre Hunderte von Zusammenstößen mit auch nur annähernd so schlimmen Folgen wie auf See vorkämen, würde da nicht die ganze Bevölkerung, und auch mit vollem Recht, in die furchtbarste Aufregung geraten und einmütig darauf dringen, daß unter allen Umständen Abhilfe geschaffen werde?

Nun, es liegt wahrhaftig genug Veranlassung vor, auch für die Schiffahrt ein Gleiches zu fordern, um so mehr, als es Mittel giebt, zwar nicht die Zusammenstöße gänzlich zu verhindern – das liegt nicht in der Macht des Menschen –, aber ihre Zahl zu vermindern. Dazu bedarf es nur eines Willens und einer vom gesamten Volke unterstützten energischen Regierung, um auf die Aenderung des internationalen Gesetzes über das Seestraßenrecht zu dringen, dessen Fassung an vielem Unheil schuld ist.

Mit diesem Gesetze ging England im Jahre 1863 vor, und es schlossen sich ihm allmählich die übrigen seefahrenden Staaten an. Es enthielt in 26 Paragraphen die Vorschriften über das Ausweichen zur See, behandelte das Lichter- und Signalwesen, welches auf ersteres Bezug hat, und setzte die Strafen fest, die den Verstößen gegen die Bestimmungen folgen sollten.

Die Mangelhaftigkeit der letzteren wurde bald empfunden. Bereits 1889 trat in Washington ein von den meisten Seestaaten beschickter Kongreß zur Aufstellung neuer Regeln zusammen, die nach mehrjährigen Verhandlungen eine internationale Anerkennung gefunden haben.

Eine Verbesserung des Gesetzes ist dadurch aber nach meinem Dafürhalten nicht geschaffen worden. – Das ältere, 1871 für das Deutsche Reich als gültig eingeführte, enthielt 26 Paragraphen, das neue enthält noch drei mehr. Von diesen soll der Schiffsführer oder Wachhabende die letzte größere Hälfte so im Gedächtnis haben, daß sie ihm in Fleisch und Blut übergegangen sind, um sie unter den verschiedenen Verhältnissen ohne Zögern anwenden zu können, während dies bei der ersten Hälfte nicht so unbedingt nötig ist. Nun, ich meine, es ist zu viel verlangt, um in einem Falle, wo jeder Augenblick verhängnisvoll werden kann, 14 bis 15 Paragraphen klar im Kopfe zu behalten. Bei Tage und in hellen Nächten, wo man Zeit zur Ueberlegung hat, mag dies möglich sein, aber dann finden auch in den wenigsten Fällen Zusammenstöße statt. Dagegen wird die nötige Geistesgegenwart leicht fehlen bei Nebel, in dem man oft kaum einen Gesichtskreis von ein paar hundert Schritten hat, bei Schneetreiben, bei unsichtiger, dicker Regenluft in mondlosen Nächten, wo es an Zeit gebricht, wo der auf der Kommandobrücke stehende, von der Witterung und der überdampfenden See halb geblendete Wachhabende plötzlich in unmittelbarer Nähe ein Fahrzeug aus dem Dunkel auftauchen sieht und ihm oft keine halbe Minute zu Gebote steht, um eine Entscheidung zu treffen, bei der Schiff und Menschenleben auf dem Spiele stehen – dafür sind jene Regeln nicht einfach genug und müssen eine kürzere Fassung erhalten. Daß dies möglich ist, hat R. Prien in seinem ebenso erschöpfenden wie höchst beachtungswerten, 1896 bei Guttentag in Berlin erschienenen Werk „Der Zusammenstoß von Schiffen“ dargethan. Er hat jene 26 Paragraphen des alten Gesetzes in zehn zusammengefaßt, die an Verständlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen, und damit würde schon einem großen Mangel abgeholfen sein.

Das ist aber nicht der Hauptpunkt, sondern der unglückliche § 13 der alten und § 16 der neuen Vorschrift bedarf vor allem einer Aenderung, denn in seiner jetzigen Fassung verschuldet er die meisten Kollisionen.

Er lautet folgendermaßen: „Jedes Schiff, ob Segel- oder Dampfschiff, muß bei Nebel, dickem Wetter oder Schneefall mit mäßiger Geschwindigkeit fahren.“ In einem Gesetze, das solche ungemeine Wichtigkeit für die Allgemeinheit hat wie das Seestraßenrecht, darf unmöglich ein Ausdruck gebraucht werden, dessen Auslegung nach Belieben in das subjektive Ermessen des Einzelnen gestellt wird. Dies ist aber hier unbedingt der Fall, denn das Wort mäßig ist ein ganz vager, nach keiner Seite begrenzter Begriff und die in Washington zugefügte Bemerkung „unter sorgfältiger Berücksichtigung der obwaltenden Umstände und Bedingungen“ ist ebenso unbestimmt und ändert nichts. Wir haben jetzt Passagierdampfer, die, wie „Kaiser Wilhelm der Große“ vom Bremer Lloyd, dauernd 22 Knoten (51/2 deutsche Meilen) in der Stunde machen. Wenn ein solcher nun 18 oder 16 Knoten läuft und es passiert ein Unglück dadurch, dann kann dem Kapitän das Gesetz nichts anhaben, denn er hat in der That die Geschwindigkeit ermäßigt, also dem Gesetze Genüge geleistet, und doch kann diese Geschwindigkeit an einer Katastrophe, bei der viele Hunderte von Menschenleben zu Grunde gehen, die alleinige Schuld tragen.

[126] Man bedenke nur folgenden, aus dem Leben gegriffenen Fall. Es kommen sich zwei Dampfer, die mit voller Fahrt 20 Knoten laufen, im Nebel entgegen. Beide haben ihre Fahrt bis auf 16 Knoten ermäßigt (was leider aber fast nie geschieht) und sie sehen sich bei Nebel oder Schneetreiben im günstigsten Falle auf 400 m zuerst. 16 Knoten entsprechen einer Geschwindigkeit von 8 m in der Sekunde und beide nähern sich in dieser Zeit einander um 16 m; dann haben sie, um auszuweichen, gerade 25 Sekunden Zeit, die sich natürlich noch verkürzt, wenn sie ihre ursprüngliche Fahrt beibehalten haben. Nun, wie soll in dieser Zeit der Schiffsführer ausweichen? Er mag noch so viel Geistesgegenwart besitzen, noch so prompt die richtigen Befehle geben: sie können einfach nicht ausgeführt werden. Ehe einmal das Ruder gedreht werden kann, das Schiff ihm gehorcht oder die Maschine zum Zurückschlagen kommt, ist das Unglück unvermeidlich geschehen und die Schiffe prallen mit einem Bewegungsmoment aufeinander, das furchtbar ist, Geschwindigkeit mal Gewicht, d. h. 16mal 200000 oder noch mehr Centner. Solche Verhältnisse sind Ursachen der meisten Zusammenstöße und an ihnen trägt lediglich der unglückliche Ausdruck „mäßig“ des betreffenden Paragraphen die Schuld. Dies Wort muß aus dem Gesetze entfernt und durch eine bestimmte Geschwindigkeit ersetzt werden, und zwar von 5 bis 6 Knoten. Ich weiß sehr wohl, daß viele Reeder großer Passagierschiffe behaupten, die letzteren wollten bei so geringer Fahrt nicht steuern, halte das aber nur für eine nicht stichhaltige Ausflucht. Weshalb ist eine solche Fahrt denn unsern großen Kriegsschiffen bei Nebel etc. vorgeschrieben und weshalb steuern sie? Unser großer Kreuzer „Kaiserin Augusta“ von 118 m Länge und über 22 Knoten Fahrt geht doch durch den Kaiser Wilhelm-Kanal, wo nicht schneller als mit 6 Knoten Schnelligkeit gefahren werden darf. Das sind also nur Ausreden; aber selbst, wenn für ausnahmsweise große Schiffe 7, ja sogar 8 Knoten gestattet werden müßten, so wäre auch damit schon viel gewonnen; dann hätten bei 400 m Sehweite die Schiffe doch nahezu eine Minute, mit 6 Knoten 11/4 Minute zum Ausweichen Zeit, abgesehen davon, daß die Gewalt des Stoßes so bedeutend geringer und weniger gefährlich würde.

Natürlich kann eine solche Bestimmung nur Erfolg haben, wenn sie innegehalten wird, und dies geschieht leider in den meisten Fällen nicht. Wer trägt aber die Hauptschuld daran, die Kapitäne oder die Schiffseigentümer? Ich behaupte: fast immer die letzteren. Mir ist nur eine transatlantische Linie, die englische Cunard-Linie, bekannt, die ihren Kapitänen strenge Befehle erteilt, im Nebel etc. die Fahrt auf ein Minimum zu ermäßigen, und meines Wissens ist sie von Zusammenstößen verschont geblieben. Bei den meisten anderen Linien bestehen solche Befehle nicht, es wird mit voller Fahrt drauf los gerast, und das muß unter allen Umständen aufhören.

Das können aber nur sehr scharfe Strafbestimmungen bewirken, an denen es bis jetzt fehlt. Jeder Schiffsführer oder Wachhabende, dem nachgewiesen wird, daß er unter den beregten Witterungsverhältnissen zu schnell gefahren ist – ob ein Unglück daraus entstanden ist oder nicht – muß kriminell bestraft werden.

Das würde nach Erlaß eines solchen Gesetzes freilich selten eintreten, denn die Schiffsführer wissen sehr wohl, daß sie bei einem Zusammenstoße ihr eigenes Leben riskieren, aber sie befinden sich bis jetzt in einer Zwangslage. Man versetze sich nur an die Stelle eines solchen Mannes, der z. B. mit einem Konkurrenzdampfer gleichzeitig den Hafen verläßt, aber so und so viel später am Bestimmungsorte eintrifft, weil er Nebel getroffen und seine Fahrt bedeutend ermäßigt hat. Was wird die Folge bei seiner Rückkunft für ihn sein? Keinesfalls wird er vom Reeder freundlich empfangen, und wenn er noch öfter das Unglück hat, gewissenhaft zu sein, dann wird der Reeder zu ihm sagen: „Es thut mir leid, Sie entlassen zu müssen. Sie sind ein ganz tüchtiger Mann, aber Sie fahren nicht glücklich.“

Was bleibt dem armen Manne übrig, als das nächste Mal „glücklicher“ zu fahren, d. h. mit voller Fahrt durch Nebel und Schneetreiben zu preschen, um nicht aufs Trockene gesetzt und brotlos zu werden. Eine Appellation giebt es für ihn nicht, auf Entschädigung hat er keinen Anspruch.

Das muß aber mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden und das Gesetz muß die Reeder veranlassen, daß sie unter keinen Umständen die Gewissenhaftigkeit der Kapitäne ungünstig beeinflussen. Und das geschieht am sichersten und einfachsten dadurch, daß ihnen die volle Haftpflicht für allen Schaden auferlegt wird, der durch zu schnelles Fahren ihrer Schiffe entsteht. Ist das nicht nur gerecht und logisch? Werden nicht alle Eisenbahnen in ähnlicher Weise haftbar gemacht; weshalb sollen die Reeder in gleichen Fällen frei ausgehen? Die höchste Strafe für einen Schiffsführer, der gegen die Vorschriften des Seestraßenrechts bewußt fehlt, ist Patententziehung und Geldstrafe bis zu 1500 Mark und nach dem Strafgesetz des Deutschen Reiches bis zu 5 Jahren Gefängnis, wenn Menschen dabei zu Tode kommen. Ist dies eine Sühne für den Verlust von Hunderten von Menschen, die durch seine oder indirekt des Reeders Schuld ihr Leben einbüßen?

Was kommt es darauf an, ob die Schiffe 8 oder 10 Stunden früher oder später eintreffen, wenn es sich darum handelt, so viele Menschen dagegen zu sichern, daß sie einer gewissenlosen Gewinnsucht und dem Konkurrenzneide zum Opfer fallen? Daß Handel und Verkehr durch solche Beschränkung irgendwie erheblich leiden sollten, ist auch nur eine Legende. An und für sich ist ja eine solche Schnelligkeitskonkurrenz nicht zu tadeln, nur darf sie nicht dahin führen, daß sie Gefahren in sich trägt, welche die Sicherheit der Schiffahrt aufs schwerste bedrohen, und das Leben von unzähligen Menschen aufs Spiel setzt, die sich willenlos zur Schlachtbank führen lassen müssen und nicht imstande sind, selbst etwas zur Abwehr der ihnen drohenden Gefahren zu thun.

Wenn aber die Reeder nicht nachweisen können, daß sie ihren Kapitänen befohlen haben, die von einem solchen Gesetze vorzuschreibende Schnelligkeitsgrenze nicht zu überschreiten, und ihnen die volle Haftpflicht auferlegt wird, dann muß sich die Sache sehr bald ändern. Handelt dann der Kapitän solchen Befehlen entgegen, so ist er der allein Schuldige und muß demgemäß dahin bestraft werden, jedoch nicht mit bloßer Patententziehung und 1500 Mark Geldbuße oder einigen Jahren Gefängnis. Das amerikanische Gesetz geht darin schon viel weiter. In ihm heißt es: „Geht durch Nachlässigkeit im Bau ein Menschenleben verloren, so wird dies einer Tötung gleich geachtet und der Betreffende zu Gefängnis mit schwerer Arbeit bis zu 10 Jahren bestraft.“ Wenn aber durch gesetzwidriges Schnellfahren bei einer Kollision Hunderte von Menschen ihr Leben einbüßen, dann ist das keine Nachlässigkeit mehr, sondern eine Ruchlosigkeit, ein Verbrechen, das gar nicht hart genug bestraft werden kann.

Dem Vernehmen nach hat sich vor einiger Zeit eine Vereinigung gebildet, die aus Vertretern verschiedener nationaler Vereine in Deutschland, England, Frankreich, Belgien, Holland, Norwegen, den Vereinigten Staaten und Italien besteht. Sie hat bereits in Brüssel eine Besprechung gehabt und soll demnächst in Antwerpen tagen, um eine einheitliche Festsetzung des Seerechtes anzustreben. Auf dem Programm steht auch die Frage der Kollisionen, und es soll dabei die Regelung der Schuldfrage, der Ersatzleistung für die Ladung und die Schadloshaltung der Angehörigen der Personen, die einem Zusammenstoße zum Opfer fallen, beraten werden.

Man sieht daraus, daß sich allmählich dem Volke die Ueberzeugung aufdrängt, es müsse nach dieser Richtung etwas Ernstes geschehen, sowie daß die Haftung als notwendig erkannt wird, die ich schon vor Jahren als unerläßlich bezeichnet habe. Ich fürchte nur, daß bei dieser von Privaten beschickten, wenn auch noch so gut gemeinten Konferenz nicht viel herauskommen wird. Die Regierungen müßten darin die Initiative ergreifen, und wenn auch nur eine damit beginnt, so würden die anderen bald moralisch gezwungen sein, ihr zu folgen!

In zweiter Reihe giebt es noch andere Punkte, durch die Zusammenstöße herbeigeführt werden können und oft werden, und für welche die Kapitäne oder Wachhabenden verantwortlich gemacht werden müssen.

Da ist vor allem Mangel an Ausguck, und ein schlagendes Beispiel dafür ist der Untergang der „Elbe“ mit Hunderten von Passagieren im Jahre 1895, veranlaßt durch den englischen Kohlendampfer „Crathie“. Es war eine klare Nacht; die Lichter der zu führenden Laternen müssen gesetzlich auf zwei Seemeilen (eine halbe deutsche) zu sehen sein, und sie werden daraufhin in Deutschland durch die Seewarte und deren Agenturen geprüft, was [127] leider bis jetzt in England und anderwärts nicht der Fall ist. Die „Elbe“ sah die Lichter der „Crathie“ früh genug und ließ noch Raketen steigen, um aufmerksam zu machen. Nach dem Seestraßenrecht mußte sie ihren Kurs beibehalten und der Engländer ausweichen. Das that er aber nicht und wollte sich nachher damit entschuldigen, daß er die „Elbe“-Lichter erst unmittelbar vor dem Zusammenstoße gesehen habe. Das ist der klare Beweis dafür, daß kein Ausguck gehalten wurde, und er wird noch dadurch bekräftigt, daß der Schiffsführer am Ruder stand, wohin er durchaus nicht gehört, sondern auf die Kommandobrücke, um den ganzen Horizont übersehen zu können. Höchst wahrscheinlich haben die Matrosen geschlafen oder sind betrunken gewesen. Nun, die „Crathie“ ist zum Schadenersatz für die „Elbe“ verurteilt; aber genügt die Patententziehung des Schiffsführers als Sühne für dessen Verhalten, durch welches Hunderte von Menschen ihr Leben verloren?

Dann ist ein weiterer Punkt, der wieder die Reeder angeht: beim Ausweichen ist es für den Dampfschiffsführer außerordentlich wichtig, daß er weiß, welche Kreisbogen sein Schiff mit übergelegtem Ruder bei voller und halber Fahrt macht, wie groß der Durchmesser dieser Kreisbogen ist, wieviel Zeit er dazu gebraucht, wieviel Raum er nötig hat, um sein Schiff durch Stoppen oder Umkehren seiner Maschine zum Stillstände oder Rückwärtsgehen zu bringen. Alle diese Dinge werden in unserer Marine vor dem ersten Inseegehen erprobt, in einer Tabelle an Bord ausgehängt und müssen von Kommandant und Offizieren gekannt sein. Dagegen auf den Handelsschiffen geschieht dies bis jetzt nicht. Auch hier muß der Staat oder die Seeberufsgenossenschaft mit Zwang eingreifen, weil zu viel davon abhängt und Kollisionen oft dadurch vermieden werden können.

Außerdem giebt es noch ein einfaches, aber äußerst wirksames Mittel, um die Drehfähigkeit eines Schiffes zu erhöhen, und auch das sollte von Staatswegen obligatorisch gemacht werden. Die hintere Schärfe des Schiffes steht wie eine perpendikuläre Wand im Wasser, die beim Drehen das Wasser fortdrängen muß, wodurch natürlich Zeitverlust entsteht, der verhängnisvoll werden kann. Gittert man nun dies sogenannte Totholz, was der Festigkeit des ganzen Gebäudes nicht den geringsten Eintrag thut, bei Neubauten ohne alle Schwierigkeit und Kosten, bei älteren Schiffen aber auch nur mit verhältnismäßig geringem Geldaufwand geschehen kann, so fließt bei Drehungen das Wasser durch die Oeffnungen, und infolgedessen beschreibt das Schiff einen viel kleineren Kreis, was natürlich beim Ausbiegen sehr ins Gewicht fällt. Ich habe dies praktisch erprobt und kann es deshalb nur aufs wärmste empfehlen. Der jüngst verstorbene Fährenbesitzer Grell in Hamburg, der Erfinder des Gitterkiels, stellte mir seinerzeit zwei ganz gleich gebaute Dampfer, einen mit, den andern ohne Gitterkiel, zur Erprobung. Das Resultat war überraschend; der erstere beschrieb einen Kreis von fast nur halbem Durchmesser und nahezu in der halben Zeit wie der letztere. Es wird das auch jedem Laien einleuchten: je weniger Widerstand das Unterschiff im Wasser findet, desto schneller und kürzer wird es drehen. Wäre es möglich, ihm die Form eines Kegels, mit der Spitze nach unten, zu geben, dann würde es sich fast auf der Stelle drehen. Einen weiteren Beweis dafür liefern die neueren Rennjachten, namentlich die unseres Kaisers, der „Meteor“, und die des Prinzen Heinrich, die „Iduna“. Sie haben unter Wasser die Form eines stumpfwinkligen Dreiecks, dessen Basis die Wasserlinie bildet, und drehen deshalb, wie der Seemann sagt, „wie auf einem Teller“.

Als fernere Ursachen von Zusammenstößen gelten zu schwache Besatzung und Ueberladung der Schiffe. In vielen Fällen trifft dies zu, wenn auch nicht bei den großen Passagierdampfern, und dies wird mit Recht verkehrter Sparsamkeit und Gewinnsucht der Reeder zugeschrieben, die mit möglichst geringen Kosten viel verdienen wollen. Ersteres geht aus einem Vergleich hervor. Im Jahre 1817 rechnete man bei Segelschiffen auf je 17 Tonnen Gehalt einen Mann der Besatzung, 1883 dagegen auf 35 Tonnen einen Mann. Bei Dampfern steht es dagegen noch viel schlimmer. 1854 kamen auf 100 Tonnen 7,47, 1885 dagegen auf dasselbe Volumen nur 2,77 Mann. Wenn auch zugegeben werden muß, daß auf den Schiffen Mannschaft ersparende Verbesserungen eingeführt sind, so stehen dieselben doch zur Verringerung der Besatzung in keinem Verhältnis, und auch hier müßte der Staat scharfe Kontrolle sowohl über Mannschaftszahl wie Ueberladung führen.

Ein anderer Vorwurf trifft wiederum hauptsächlich die Reeder der großen Passagierschiffe. Die Offiziere derselben gehen in drei Wachen; das ist zu wenig bei der außerordentlich großen Verantwortung, die sie tragen, und der gespanntesten Aufmerksamkeit, die ihnen die Führung des Schiffes auferlegt, neben der sie ja noch viel anderen Dienst haben. Man muß sie erleichtern und in vier Wachen gehen lassen, damit sie die nötige Spannkraft des Geistes und Körpers bewahren können, die ihnen sonst verloren geht.

Ich weiß wohl, daß in vielen Fällen die dadurch entstehenden Kosten dagegen ins Feld geführt werden, doch gebe ich darauf gar nichts. Wenn der oft geradezu unsinnige, Hunderttausende kostende Luxus in Ausstattung der Kajütenräume etwas eingeschränkt wird, so bleibt Geld genug für andere Sachen übrig, welche die Sicherheit des Schiffes und der auf ihm Weilenden ganz bedeutend erhöhen. Was hat es für einen Zweck, daß alles mit fürstlicher Pracht eingerichtet wird! Für viel weniger Geld läßt es sich so gut, zweckmäßig und bequem machen, wie ein Passagier es nur irgend wünschen kann, und jedenfalls wird ihn das Bewußtsein einer um so viel größeren Sicherheit seines Lebens voll für die Abwesenheit eines ganz unnötigen und raffinierten Luxus entschädigen, der dem bei weitem größten Teile der Reisenden weder je vorher noch nachher im Leben geboten wird, während er auf der Hälfte der kurzen Seereise seekrank ist und deshalb überhaupt keinen Genuß davon haben kann.

Auch der Schiffsbau muß in gewisser Beziehung unter staatliche oder berufsgenossenschaftliche Kontrolle gestellt werden, mag von seiten der Reeder noch so sehr dagegen opponiert werden, und teilweise ist er es ja auch schon. So z. B. müssen alle vom Reiche subventionierten Postdampfer nach den Bauregeln des Germanischen Lloyd hergestellt werden, welche die Garantie für zuverlässigen Bau abgeben. Weshalb unterliegt denn der Bau der Häuser staatlicher Aufsicht? Stürzt ein Haus zusammen, so wird der Bauleiter dafür verantwortlich gemacht; weshalb soll das nicht bei Schiffen stattfinden, wo schlechter und zu schwacher Bau das Leben von so viel Hunderten von Menschenleben aufs Spiel setzen kann?

Ferner muß dafür gesorgt werden, daß an Bord genügende Rettungsmittel vorhanden sind, wenn trotz aller Vorsicht dennoch eine Katastrophe eintritt. Das Naturgemäße sind Boote, und von Laien ist vielfach Klage darüber geführt worden, daß nicht genug vorhanden sind. Allerdings haben sie darin öfter recht, aber leider gestatten die Verhältnisse nicht, daß mehr mitgeführt werden. Ueber zwölf lassen sich auch auf großen Schiffen nicht gebrauchsmäßig unterbringen, und wenn man auch durchschnittlich 40 Personen für ein Boot rechnet, so reicht das, wenn sich 800 bis 1000 Passagiere an Bord befinden, nicht zur Hälfte aus. Außerdem muß man bedenken, daß bei Zusammenstößen häufig der Fall eintritt, daß die Hälfte der Boote gar nicht zu Wasser gebracht werden kann, weil, wie bei unserm „Großen Kurfürst“, der „Cimbria“, der „Elbe“ und ganz neuerdings bei der „Bourgogne“, ein Stoß dem Wasser in solchen Massen Zutritt zu dem Schiffsinnern gewähren kann, daß das Schiff sich in wenigen Minuten ganz auf eine Seite neigt und auf der anderen die Boote nicht heruntergeführt werden können.

Deshalb muß man nach anderen Mitteln suchen, um bei einer solchen Katastrophe wenigstens den größten Teil der Menschen zu retten. Schwimmwesten sind ja für jede Person an Bord vorhanden, aber wie viele denken bei einer Panik und besonders nachts daran, sie anzulegen, wenn sie auch, was allerdings oft fraglich ist, vorher darüber belehrt werden, und es gehört außerdem, namentlich für Frauen, ein Entschluß dazu, damit über Bord zu springen. Auf den Passagierschiffen der amerikanischen Binnenseen, wo aus Konkurrenzneid weniger Zusammenstöße als Kesselexplosionen stattfinden, sah ich, daß nach dieser Richtung sehr vorgesorgt war. Auf dem Deck lagen 20 bis 30 Fuß lange leichte Blechröhren, von denen drei in Dreiecksform zusammengenietet waren, während sich 30 bis 40 Handgriffe aus schwimmendem Manillahanftauwerk zum Festhalten daran befanden. Das gab Flöße, an denen sich 30 bis 40 Menschen über Wasser halten konnten. Von ihnen lagen größere [128] und kleinere, 10 bis 12 Stück, auf dem Deck und sie konnten wegen ihrer Leichtigkeit bequem von zwei Menschen über Bord gesetzt werden. Außerdem hatte jeder Stuhl, jede Bank und jeder Tisch unter dem Sitz oder der Platte einen hohlen Blechkasten und gab Rettungsgerät ab. Das war praktisch und zugleich billig, und es wäre gewiß zu empfehlen, wenn dergleichen in geeigneter Art auch auf unsern Passagierschiffen eingeführt würde. Freilich in einem Falle wie auf der „Elbe“, bei 10 bis 12 Grad Kälte, würden sie auch nicht viel genutzt haben, aber es ist ja doch auch nur ein unglücklicher Zufall, daß die Katastrophe sich gerade bei solcher Temperatur zutragen mußte.

Man hat auf den Schiffen ringförmige Rettungsbojen aus Kork, die man den Verunglückten nachwirft und die einen Mann, wenn er sie sich über den Kopf und unter die Arme streift, tragen und bis zur Brust über Wasser halten. Auf unsern Kriegsschiffen befinden sich auch außerdem solche aus kupfernen hohlen Kugeln, die durch ein Querrohr miteinander verbunden sind. Durch seine Mitte geht ein senkrechter Metallstab, der oben einen Kasten mit Zündmasse trägt und das Gerät auch für die Nacht gebrauchsfähig macht. Die Boje ist hinter dem Schiffe aufgehängt und durch zwei Zugdrähte mit ihm verbunden. Sobald der Ruf „Mann über Bord!“ erschallt, zieht der bei der Boje stehende Posten bei Tage nur am zweiten, in der Nacht zuerst am ersten Draht, der die Zündmasse zum Brennen bringt und dann am zweiten, der die Boje freimacht und ins Wasser fallen läßt. Das Licht brennt 10 bis 15 Minuten, um dem nachfolgenden Boote den Weg zu zeigen, da es immer einige Zeit dauert, bevor das Schiff zum Stillstand gebracht und das Boot niedergelassen werden kann. Dies Rettungsmittel hat jedoch einige Nachteile. Wenn der Verunglückte die Stange mit dem Lichtträger ergreift, so kann diese leicht schief niedergezogen werden und das Licht im Wasser verlöschen oder die aus dem flachen Kasten herabträufelnde Zündmasse verbrennt ihm Hände und Arme. Am Tage dagegen thut die Boje untadelhafte Dienste und hält auch zwei Personen gut über Wasser.

Als eine Verbesserung dieser Rettungsmittel ist die in neuerer Zeit vom Korvettenkapitän a. D. Meller in Kiel erfundene elektrische Rettungsboje anzusehen. Bei ihr ist der Lichtträger nicht mit dem übrigen Körper fest verbunden, sondern in der Mitte eines als Versteifung des Bojenringes dienenden Metallkreuzes cardanisch, wie ein Schiffskompaß, aufgehängt. An der Spitze des Trägers befindet sich eine mit Lichtstärke von 10 Kerzen 3 bis 4 Stunden brennende elektrische Lampe, während am untern Ende die Accumulatorenbatterie das Gegengewicht bildet. In der mit einem Netz unten für die Füße versehenen Boje finden 2 bis 3 Menschen Platz, und sie hat so viel Tragkraft, daß sich noch 12 bis 15 an den außen befestigten Schwimmgriffen festhalten können. Diese Bojen nehmen verhältnismäßig so geringen Platz ein, daß sie zusammengeklappt ohne weitere Unzuträglichkeiten an der Schiffsseite aufgehängt werden können. Sie fallen auf elektrischem Wege durch den Druck eines Knopfes auf der Kommandobrücke. Auf verschiedenen Schiffen unserer Marine sind sie mit vollem Erfolg probiert; bei 16 Knoten Fahrt direkt in die Heckwelle geworfen, aus 5 m Höhe ebensoweit seitwärts geschleudert, zeigten sie sich bei allen Versuchen tadellos, und sie werden jetzt allgemein in der Marine eingeführt. Beim Anbringen von drei solchen Bojen würden sie also bei nicht zu ungünstigen Witterungszuständen immer zur Rettung von 40 bis 50 Menschen beitragen können, und ihre allgemeine Einführung auf den großen Passagierschiffen würde sich dringend empfehlen. Zwar sind sie nicht billig, denn der Preis stellt sich auf 650 Mark für das Stück, aber das kann meiner Ansicht nach nicht in Betracht kommen, wo es sich um so und so viele Menschenleben handelt, und eine geringe Einschränkung des erwähnten Luxus würde die Kosten zehnfach ausgleichen. Die Bojen werden in Niedersedlitz von der Fabrik „Elektrizitätswerke, vormals O. L. Kummer“ gefertigt.

Eine andere, weit wertvollere, zur Rettung von Hunderten von Menschen sich eignende und von der Witterung ziemlich unabhängige Einrichtung bietet das von Kapitän Wraa in Altona erfundene Floß, das etwaigem Mangel an Booten abhilft. Jedes größere Dampfschiff besitzt eine oder auch zwei quer über das Schiff von Bord zu Bord laufende Kommandobrücken. Sie sind erhöht, und von ihnen kann der Wachhabende Schiff und Horizont übersehen.

Wraa schlägt nun vor, diese Brücken mit angemessener Verbreiterung so zu konstruieren, daß sie aus zwei Teilen, einem untern festen und einem obern beweglichen, bestehen. Der letztere stellt ein seefähig gebautes Floß dar, versehen mit Rudern, Segeln und sonst notwendigen Sachen zum augenblicklichen Gebrauch, wie dies auch bei den Booten sein soll. Es ruht auf dem Unterbau in horizontaler Lage und ist mit ihm durch ein ebenso einfaches wie praktisches und solides Eisengestänge so fest verbunden, daß es sich auch beim schwersten Seegang nicht zu rühren vermag.

Bei einem Unglücksfalle läßt sich jedoch das Floß ebenso leicht und mit dem geringen Zeitaufwande von nur einigen Minuten von seiner Unterlage lösen und das eine oder andre Ende so weit senken, daß es mit der Außenseite des Oberdecks gleichkommt, um so nahe wie möglich dem Wasserspiegel zu gelangen; es gleitet dann ebenfalls mit beliebig zu regelnder Geschwindigkeit zu Wasser. Eine entsprechende Pforte in der Verschanzung öffnet ihm den Weg. Da ein angeranntes und sinkendes Schiff sich fast stets erst nach einer Seite neigt, so wird in meist allen Fällen das Floß nicht zu steil in das Wasser kommen.

Die Flöße lassen sich natürlich so groß bauen, daß Hunderte auf ihnen Platz finden, und ebenso giebt es Material genug wie Kork, Balaholz, Blechröhren etc., um ihre Schwimmkraft ungemein zu erhöhen, während es sich der Leichtigkeit halber selbst aus verzinktem Wellblech herstellen läßt.

Jedenfalls erscheint mir die Erfindung für den beregten Zweck so wichtig, daß sie der allgemeinsten Beachtung wert und dazu angethan ist, vielen Schiffskatastrophen ihre Schrecken zu nehmen oder sie wenigstens in hohem Grade zu vermindern. Sie müßte von der Reichsbehörde, der das Seewesen unterstellt ist, erprobt und, wenn sie sich bewährt, auf den großen Passagierschiffen obligatorisch eingeführt werden. Dann wäre dem so oft beklagten Mangel an Booten abgeholfen, und die Unmöglichkeit, beim Neigen des Schiffes einen Teil derselben nicht zu Wasser lassen zu können, fiele nicht mehr so schwer ins Gewicht.

In Bezug auf die Boote sind bei Zusammenstößen öfter und auch mit Recht darüber Klagen erhoben worden, daß die Apparate zum Herunterlassen nicht gut funktionieren. Dies muß deshalb ebenfalls einer Kontrolle, sei es seitens des Staates oder der Berufsgenossenschaft, unterliegen und sich tadellos zeigen. Ebenso muß nachgewiesen werden, daß für Besatzung der Boote die nötige Zahl Leute bestimmt ist und diese auch mit den Fahrzeugen umzugehen verstehen. Unter der Mannschaft der Dampfer befindet sich stets eine große Zahl Nichtseeleute, und sie dürfen nicht für die Boote verwendet werden. Bei Seegang hängt zunächst das Schicksal der Fahrzeuge von deren richtiger Führung ab. Uebungsfahrten sind durchaus nötig und vor jeder Reise zu machen. Der betreffende Angestellte kann sich in einer Viertelstunde vollständig davon überzeugen, ob die Besatzung das Boot richtig behandelt, und dieser geringe Zeitverlust kann und darf angesichts der Wichtigkeit nicht in Betracht kommen. – Ein Umstand, der auch Kollisionen herbeiführen kann und verschiedentlich herbeigeführt hat, ist, abgesehen von zu geringer Leuchtkraft der Positionslaternen, eine falsche Aufstellung derselben. Man kann nach der Statistik der Seeunfälle rechnen, daß von allen Zusammenstößen 1/5 auf den Tag und 4/5 auf die Nacht kommen und daß daran die Lichter schuld tragen. Entweder brennen sie nicht hell genug, weil sie von vornherein nicht die vorgeschriebene Helligkeit für 2 Seemeilen Sehweite haben, oder sie werden während des Brennens aus Nachlässigkeit nicht gut genug nachgesehen, oder sie befinden sich nicht in der richtigen Stellung. Das Erste und Letzte sind Sachen, die einer internationalen Regelung bedürfen; wenn durch die Nachlässigkeit ein Schaden entsteht, muß der Wachhabende dafür haftbar gemacht werden. Bei uns in Deutschland werden alle Positionslaternen durch die Seewarte auf Helligkeit und richtige Stellung untersucht und kontrolliert, aber in anderen Ländern nicht, und dafür müßte ebenfalls gesetzlich gesorgt werden. Ueberhaupt aber ist es fraglich, ob die gegenwärtig übliche horizontale Lage der Lichter und ihre verschiedene Färbung, wie rot und grün, für die linke und rechte Seite des Schiffes den dafür ins Auge gefaßten Zwecken entspricht. Die Lichterstellung soll dem Gegensegler den Kurs angeben, den dieser steuert, um danach ausweichen zu können, aber dies geschieht dadurch nur in mangelhafter Weise, [129] und es ist die Frage, ob sich nicht ein besseres Lichtersystem aufstellen läßt. Ein dahingehender Vorschlag, der viel für sich hat, ist bereits gemacht worden. Danach sollen die Seitenlichter nicht horizontal, sondern vertikal übereinander angebracht werden, und zwar soll jede Laterne ein rotes und grünes, durch einen undurchsichtigen Streifen voneinander getrenntes Segment haben. Die untere Laterne soll rot 10 Strich (112½°) an Backbord (linke Seite des Schiffes) bis ½ Strich (55/8°) an Steuerbord (rechte Seite) zeigen, während die grüne von 7 bis 10 Strich an Steuerbord scheint; die obere dagegen umgekehrt. Beide Laternen sollen an einem gemeinsamen Gestell fest miteinander verbunden sein.

Durch diese Aenderung wird es möglich, den Kurs des Gegenseglers und seine Aenderung gleich beim ersten Erblicken der Lichter wenigstens insoweit zu erkennen, daß die Kollisionsgefahr bedeutend verringert wird.

Jedenfalls ist die Sache ernster Erwägung wert und dabei festzustellen, ob sie auch auf Segelschiffen zur Anwendung kommen kann und deren Vorsegel nicht hinderlich sind. Aber wenn das auch nicht gehen sollte, würde sie sich unzweifelhaft bei Dampfern, die ohnehin schon eine dritte Toplaterne führen müssen und die gefährlichsten Elemente sind, einführen lassen, und damit würde schon viel gewonnen sein. Auch die verschiedenen jetzt vorgeschriebenen Schallsignale – Glocke, Nebelhorn – sind unzureichend und können leicht zu verhängnisvollen Irrtümern führen.

Man sieht, die obenerwähnte Konferenz hat eine Reihe großer und hochwichtiger Aufgaben vor sich. Es läßt sich ja nicht leugnen, daß dabei bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden sind, da die betreffenden neuen Bestimmungen international sein müssen, um segensreich zu wirken und ihre Zwecke ganz zu erfüllen. Aber da bereits zweimal ein solches Gesetz zustande gekommen ist, kann es doch sehr wohl auch zum drittenmal geschehen und um so eher, als alle Sachverständigen zu der Ueberzeugung gelangt sind, daß die bestehenden Bestimmungen mangelhaft sind, weil sich inzwischen teilweise die Schiffahrtsverhältnisse sehr geändert haben.

Das trifft namentlich für den besprochenen § 16 zu. Das Seestraßenrecht wurde vor 36 Jahren – 1863 – entworfen. Damals war die größte Geschwindigkeit der Passagierdampfer 12 bis 14 Knoten, die der Frachtdampfer 8, und das Wort „mäßige Fahrt“ zwar auch nicht richtig, aber immer noch eher anwendbar; jetzt jedoch bei 22 bezw. 14 Knoten ist es durchaus zu verwerfen, weil zu gefährlich. Unbedingt müssen die Staaten doch endlich zu der Ueberzeugung kommen, daß etwas zu geschehen hat, um den beregten Uebelständen abzuhelfen und dadurch unberechenbarem Schaden an Gut und Leben vorzubeugen.

Zum Schlusse möchte ich aber nochmals auf das im Eingang des ersten Artikels erwähnte Priensche Buch aufmerksam machen: es kann nur dazu beitragen, größere und einflußreiche Kreise für die gute Sache zu interessieren und ihr zum Siege zu verhelfen und es sollte in jeder öffentlichen Bibliothek zu finden sein.

Würde unsere deutsche Regierung die Initiative ergreifen, so müßten ihr die übrigen Staaten gewiß auf dem Wege folgen und sie würde sich den Ruhm erwerben, sich wieder als Vorkämpferin auf dem Gebiete der Humanität zu bewähren, wie sie es schon durch die kaiserliche Botschaft über das Invaliden- und Unfallgesetz gethan hat.