Schiller (Otto Ernst)
In einer großen Stadt, wo ich gewohnt,
In einem volk- und häuserreichen Viertel,
Sah ich aus meiner Kammer unterm Dach
In das Gewirr der Steine oft und lang.
Kamine, Mauern, Dächer und Mansarden,
Ein wirres Auf und Ab und Durcheinander,
Ein steinern Meer, im Wellenspiel erstarrt.
Und aus den Schlünden dieses Meeres drang
Des Hungers Seufzen und Gebrüll des Rausches,
Der Schrei der Gier, der Kindheit Morgenlachen,
Der Arbeit Hämmern und des Tanzes Spiel.
Und immer, immer, wenn ich Sinn und Seele
Schlich glücksgewiß und still mein Blick zur Seite,
Wo sich ein Wunder groß und ernst erhob.
Da, dicht umwühlt von Essen, Erkern, Giebeln,
Und ganz doch unberührt von ihrem Schwall,
Stieg eines Domes Turm zu Himmelshöh’n.
In breiten Massen wuchtig aufgeschichtet,
Schwang er doch leicht sich auf ins reine Blau.
Es überschlug der Blick sich, der ihn maß,
Denn seine herrlich ragende Gewalt
Von Zeit zu Zeit erdröhnte dumpf erhallend
Der Glocken tiefer Ton – dann drang ein Zittern
Und wohl durch manche Seele, manches Haus
Ging Wunsch und Hoffnung, groß und rein zu sein.
Und klang am Feierabend gar ein Lied
Vom Turm herab, dann quoll’s wie Rosenwolken
Durchdrang den Lärm, und hoch an rauchgeschwärzten
Gemäuern hing ein stiller Abendglanz
Wie herbstlich rotes Weinlaub …
Aber auch
Wie ewige Gedanken überdenkend,
Stieg mancher Blick empor an seinen Zinnen,
Empor in eine ahnungsreiche Welt.
Ja, auch die nie durch seine Pforte schritten,
Sie sah’n ihn mit Bewunderung, mit Andacht,
Ja ja, sie liebten ihn aus dunklem Drang
Und wandten gern zu ihm den müden Blick —
Denn daß er groß war, das war Trost und Glück.
Erhaben sich und schönheitsmild erhob,
Das war Befreiung aus bedrängtem Leid.
Daß er aus allen Engen sich entriß,
Das war Erlösung.
Die Hoffnungslosen schauten milden Blicks
Auf diesen Weiser nach dem bess’ren Land.
Schon mehr als hundert Jahre stand der Turm,
Und ragen wird er durch Jahrhunderte
In Hütte und Palast wird manch ein Antlitz
Sich neigen und dies Mal der Hoffnung suchen,
Und manche Seele wird an ihm empor
In unsrer Sehnsucht Heimatland entschweben.