Sorge (Ernst)
[24] Sorge.
Willkommen, stiller Mond, im Schlafgemach!
Gieß deine Lichtflut neben mich aufs Kissen
Und laß in deine Strahlen mich die bleichen
Gedanken meines Grames flechten!
Du bist gewohnt, der Liebe sanfte Klagen,
Der Wonne Hauch als Opfer zu empfangen,
Und Glück, das in verschwiegner Nacht erblüht,
Vor dem verwandten Zauber deines Lichtes
Mit der gemeinsten Sorge nah ich dir,
Und deine Freundschaft, dein Vertraun erfleh ich
In wacher Einsamkeit der stummen Nacht.
Ja, küsse dieses Weib! Sieh, wie erlöst
Ist sie nicht schön? Die Arme ausgebreitet,
Die Lippen warm erschlossen – hingegeben
Der Wonne ganz, vom Tag erlöst zu sein.
Befreit von niedrer Sorge und nun ganz
Auf dieser Stirn, versenk’ ihr Träumen ganz
In deine Silberflut! Ein hoher Geist
Träumt hinter dieser Stirn von lichten Tagen.
Doch ihn erdrückt des Tages harte Last,
[25] „Nahrung — Brot!“
In diesem Schrei stirbt unser Leben hin.
Vergebens hehl ich ihr die grasse Not:
Verstellung schmilzt so bald im Strahl der Liebe!
In Hungers Knechtschaft ringen sie und ich
Mit Arm und Geist, und atemlos geschäftig
Gehn wir am Tag einander stumm vorbei.
Kaum noch gekannt lebt einer mit dem andern,
Durch Leid entfremdet nicht, allein durch Sorge.
„Fürs nackte Leben heisch ich eure Kraft,“
So schreit uns Armut an, „und nicht fürs Lieben.
Was brauchen Bettler denn das Festgewand
Das ist mein Fluch, das ist mein rastlos Mühn:
Die Seelen so mit Sorge zu umklammern,
Daß sie einander nie gehören können
Und müd und stumpf der Liebe sich entwöhnen!“
Noch irgendwo im reichen Erdengarten
Aus dunkler Nacht so duft'ge Rosen blühn
Wie diese Kinder? Du umschmeichelst selbst
Der zarten Glieder weiche Lieblichkeit
Im Traum nach Früchten, die der Traum gereift!
Die Lippen lallen Worte eines Spiels –
Ein helles Lachen jetzt — und ganz im Schlaf,
[26] Im festen, ruhigen, zufriednen Schlaf!
Ihr Leben Traum, und selbst ihr Traum noch Leben.
Ein Engel hütet sie: sie pflücken Blumen
Am Abgrund unsres Elends …
O verdammt
Willkommen, Schmerz! Zerreiße du mein Inn’res
Und laß mein Blut dahin in Strömen fließen,
So will ich sterben und die Erde segnen!
Laß mich auf deinem Schlachtfeld sterben, Erde;
Durch deinen eklen Kot! Ist’s denn erlaubt –
Daß diesen wunderbaren Bau des Hirns
In tausend Windungen nur ein Gedanke
Durchkreist, daß eine einz’ge Mahnung nur
Sich dieser Lebens reicher Quell erschöpft
Nur um das Eine: daß wir fressen können?
O Schmerz, ein Sohn des Himmels bist du sonst;
Erlosch'ne Geister schürst du wieder an
Lockst du in heißen Wellen rotes Blut;
Die Stirn des schwachen Menschen schmückst du herrlich
Mit Götterglanz; den Weg durch Meer und Wüste
Führt ihn fortan des Trotzes Feuersäule.
Ein widerwärtiges, gemeines Weib,
[27] Das unverschämt im Haus die Herrin spielt,
Auf off'nem Markt sich in den Arm uns hängt,
Vor Edlen uns erröten macht, zugleich
Kein Winkel ihr in unserm ganzen Innern;
Sie höhnt mit schutz’gem Lachen unsre Andacht
Und speit auf unsern Stolz. Ja selbst, wenn Krankheit,
Wenn Tod uns und Verrat zu Boden schlugen,
Und sucht mit frechem Grinsen unsern Blick,
Wenn er ins Leere starrt …
Du schwindest, Mond;
O fliehe nicht; denn ich bin einsam, raunt
Ich will dich sehen, bis du ganz versinkst.
Laß mich mit dir durchwandeln diese Nacht!
Laß durch den Nebel, der mein Haupt umwogt,
Die Ströme deines weißen Lichtes rinnen –
Nach aller Qual den Weg zur Morgensonne! –