Schlossers Gundchen von Oederan

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Autor: Widar Ziehnert
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Titel: Schlossers Gundchen von Oederan
Untertitel:
aus: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. Band 2, S. 207–216
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Rudolph & Dieterici
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Erscheinungsort: Annaberg
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Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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[207]
23.
Schlossers Gundchen

von
Oederan.

[208] Diese geschichtlich wahre Begebenheit fällt kurz nach der Erbauung der Augustusburg, welche Churfürst August, Heinrichs des Frommen Sohn und Moritzens Bruder, in den Jahren 1568 bis 72 vollendete.




[209]

Von Augustusburg nach Oed’ran
     fuhr durch Finsterniß und Regen
ein Gespann mit zween Fackeln
     langsam in den rauhen Wegen.

5
Drinnen saß der Churfürst August

     und, geschmiegt an seine Seite,
seine liebe Gattin Anna,1)
     nah der neunten Mutterfreude.

Anna saß so stumm und traurig,

10
     still bekämpfend ihre Wehen;

doch sie konnt’ es nimmer tragen,
     bat verschämt mit leisem Flehen:
„Laß uns, August, wenig Stunden
     nur hier rasten! Ach, mich plagen

15
bitt’re mütterliche Schmerzen,

     daß ich’s kann nicht länger tragen!“

„„Aber hier in Frost und Regen
     können wir unmöglich rasten;
wollen uns, herzliebe Anna,

20
     lieber bis nach Oed’ran hasten!““

So der Churfürst, und sein Diener
     muß die Rosse mächtig treiben,
daß sie bald nach Oed’ran kommen,
     um da über Nacht zu bleiben.

25
Doch als sie die Stadt erreichten,

     war schon Mitternacht verflossen,
alle Fenster ringsum finster,
     alle Thüren fest verschlossen.

[210]

Und die edle Fürstin möchte

30
     alles Aufsehn gern vermeiden,

und in keiner Herberg’ schlafen,
     sondern nur bei Bürgersleuten.

Da, o Freude, blinkt’ ein Lichtchen
     ihnen durch die Nacht entgegen,

35
und am hellen Erkerfenster

     schien sich etwas zu bewegen.
Gundchen war’s, des Schlossers2) Tochter,
     die vom frohen Kindtaufschmause
mit dem alten guten Vater

40
     erst vor kurzem kam nach Hause.


Wunderlieblich war das Mädchen,
     Wangen roth wie junge Rosen,
ihre Stirne weiß und sammtig
     wie die Haut der Aprikosen,

45
wie Vergißmeinnicht die Augen,

     schöngelockt die schwarzen Haare,
schlank ihr Wuchs wie junge Birken,
     und ihr Alter zwanzig Jahre.

Aus den Locken wand sie eben

50
     die mit Gold durchwirkten Bänder,

lüpfte Busen, Hals und Nacken
     von dem Zwange der Gewänder.
Seitwärts in dem Sorgenstuhle
     saß ihr Vater, sich entkleidend

55
und dabei verschmitzt die Augen

     an der Tochter Schönheit weidend.

[211]

Horch, da ruft es auf der Straße;
     Gundchen schaut hinaus, und höret
staunend, wie ein Unbekannter

60
     Einlaß in das Haus begehret.

Furchtlos mit dem Messinglämpchen
     eilet sie die Stiegenstufen
flink hinab, und schließt die Thür auf,
     schelmisch fragend, wer gerufen.

65
Da, am Arm die kranke Gattin,

     tritt der Churfürst ihr entgegen:
„Liebes Mägdlein, willst du heute
     deine Fürstin Anna pflegen?
Sieh, ich bin dein Churfürst August,

70
     und will heute bei euch wohnen,

aber darfst kein Wörtchen schwatzen!
     reichlich will ich dir’s belohnen.“

Leis vertraut er noch der Dirne,
     was der kranken Fürstin fehle,

75
bindet ihr mit sanfter Bitte

     ihre Pflege auf die Seele.
Gundchen neigt sich freundlich nickend
     vor dem Fürsten, und geleitet
ihn hinauf zu ihrem Vater,

80
     der nicht weiß, was das bedeutet.


Lange steht er stumm und schüchtern,
     als ob er’s nicht glauben könne,
daß er den verehrten Churfürst
     seinen Gast für heute nenne,

[212]
85
aber durch des Fürsten Fragen

     kommt er allgemach in’s Schwatzen,
und erzählt von seinem Gundchen,
     von dem Pabst und Nachbars Katzen.

Gundchen auch in ihrer Kammer

90
     war indessen vielbeschäftigt,

hatte die ohnmächt’ge Fürstin
     mit dem Balsamglas gekräftigt,
hatte sie aufs Bett gehoben,
     und behutsam ausgekleidet,

95
sie in süßen Schlaf geplaudert,

     und Melissenthee bereitet.

Jeden Odenzug belauschend
     saß sie neben ihr am Bette
rieb sie sanft mit Oel und Kräutern,

100
     daß sie süße Lind’rung hätte;

und die Freude! Anna wachte
     schon nach zween Ruhestunden
neugeboren auf vom Schlafe,
     und ihr Leiden war verschwunden.

105
Gundchen strählt ihr nun die Haare,

     legt ihr an die Sammtgewänder,
den mit Schmelz besetzten Gürtel,
     Spangen, Glöcklein, Perlen, Bänder.
Freundlich küßt die edle Fürstin

110
     ihr die holdgegrübten Wangen:

„Sag’ nun meinem Gatten, daß ich
     seiner harre voll Verlangen.“

[213]

Gundchen ging; der gute Churfürst,
     hochentzückt ob solcher Kunde,

115
flog in Anna’s Arm, und hörte

     Gundchens Lob von ihrem Munde,
strich ihr sanft das Kinn, und drückte
     einen Beutel, schwer von Golde,
ihr gar freundlich in die Hände:

120
     „Nimm zum Lohne dies, du Holde!“


Aber Gundchen zog die Hände
     rasch zurück vor solcher Gabe:
„„Das sey fern! Mir gnügt es, wenn ich
     eure Huld errungen habe!““

125
Still sich solchen Sinnes freuend,

     spricht der Fürst mit sanftem Tone:
„Nun so sag’, du Herzensmägdlein,
     wie ich deine Mühe lohne?“

Gundchen, die die Schürzenzäckchen

130
     sinnend glättet und zerknittert,

während eine dunkle Röthe
     über ihre Wangen zittert,
lispelt, sich zur Fürstin wendend:
     „„Ja, mein höchster Wunsch auf Erden

135
wäre, wenn ihr erst entbunden,

     eure Dienerin zu werden.

O ihr solltet, hohe Fürstin,
     nie saumselig mich erblicken!
Doch, die arme Schlosserstochter –

140
     nein! das will sich doch nicht schicken!
[214]

Ei ich Närrin, daß ich vor euch
     solch ein hohes Glück begehret!
Haltet’s meinem Stand zu Gute,
     thut, als ob ihrs nicht gehöret!““

145
Freundlich bittend schaut die Fürstin

     in die Augen ihres Gatten;
dieser nickt mit mildem Lächeln,
     Gundchens Wünsche zu gestatten.
„Wohl, spricht Anna drauf, so will ich

150
     dich zu meiner Zofe wählen,

und der Schlosserstochter, hoff’ ich,
     wird der Adelsbrief nicht fehlen.

Fromme Unschuld adelt höher,
     als es Kaiser je vermögen!

155
Kunigunde, du sollst fürder

     bei mir seyn auf allen Wegen!
Sollst schon heute mich begleiten,
     noch vor Tage geht es weiter,
brauchst dabei nichts mitzunehmen,

160
     als die besten deiner Kleider.“


Gundchen neigt sich tief, und danket
     freudig überrascht dem Paare.
Sinnend reibt der Meister Schlosser
     mit dem Käppchen sich die Haare:

165
„Hm, und bei mir also bliebe

     keines mehr von meinen Kindern?
Nun, meintwegen! geh nur, Gundchen,
     will dich nicht am Glück verhindern!“

[215]

Doch als früh der Reisewagen

170
     mit der Tochter weiter rollte,

weint’ er heimlich, als ob Gundchen
     niemals wiederkehren sollte.
Still, der Fürstin gegenüber
     saß das Mädchen! Heimweh preßte

175
aus dem Aug’ ihr manches Thränlein,

     das die Wangen lieblich näßte.

Aber bald im schönen Dresden
     war die Bangigkeit verschwunden;
ihre Fürstin Anna wurde

180
     glücklich eines Sohns entbunden.

Gundchen mühte sich, durch Sorgfalt
     vor den andern Zofen allen
immer mehr mit jedem Tage
     ihrer Herrin zu gefallen.

185
Bald der neuen Zofe schenkte

     Anna ihre ganze Gnade;
bei des Fürstensohnes Taufe
     war die Schlosserstochter Pathe,
und zur Edeldam’ erhoben,

190
     führte sie nach einem Jahre

von Voppelius, der Freiherr,
     als Verlobte zum Altare.3)






[216]
Anmerkungen.

1) Anna, in der Reihe der Churfürstinnen als Mutter Anna bekannt, eine dänische Prinzessin, gebar ihrem Gemahl 9 Söhne und 6 Töchter.

2) Der Schlosser hieß Meister Mathesius, bewohnte das Haus, welches jetzt Nummer 108 ist.

3) Nachkommen des Herrn Voppelius und Kunigundens leben noch jetzt, sind aber seit Jakob von Voppelius dem Sohne Kunigundens, dessen Benehmen das strenge Kriegsrecht Gustav Adolphs im dreißigjährigen Kriege wohl zu hart bestrafte, ihres Adels verlustig geworden.