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Schul- und Grabstätte eines „Parvenu“

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Titel: Schul- und Grabstätte eines „Parvenu“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 181–184
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Schul- und Grabstätte eines „Parvenu“.

Als der geschlagene und entthronte Cäsar gefangen auf Wilhelmshöhe saß und seine Blicke hinausschweifen ließ in’s deutsche Land, da mochte doch wohl zwischen den düsteren Betrachtungen der Gegenwart und den bangen Sorgen um die Zukunft manchmal die Erinnerung an das einsame stille Haus in der Heiligkreuzstraße in Augsburg in ihm aufgestiegen sein, das er mit seiner Mutter Hortense bewohnte, die Erinnerung an die Schulbank, auf der er Arm in Arm mit deutschen Jungen gesessen, und an die Tummelplätze, auf denen er mit deutschen Jungen kriegerische Spiele gespielt. Zur Zeit seines Glanzes wenigstens hatte Napoleon öfter die Gelegenheit wahrgenommen, pietätvolle Erinnerungen an jene Tage zu bekunden, was ihn freilich nicht abhielt, den Frieden des Volkes, dessen Gastrecht er genossen, bei dem er die Grundlagen seiner Bildung gelegt, freventlich zu brechen.

„Welches auch der Weg sein mag, den wir jenseits der Grenzen nehmen werden – wir werden auf ihm die ruhmvollen Spuren unserer Väter wiederfinden!“ – so lautete eine Stelle in der Proclamation, die Napoleon am 28. Juli 1870 an seine Armee erließ. Doch die treue „Wacht am Rhein“ wehrte den bewaffneten „Forscherzug“ nach den „Spuren der Väter“ der „großen Nation“ und des „großen Onkels“ von unseren Grenzen ab. Aber gerade im Hinblick auf die gewaltigen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, die sich ja so ganz anders gestalteten, als unsere Feinde geplant und gehofft hatten, dürfte es nicht ohne Interesse sein, den „Spuren“ des „kleinen Neffen“ in Deutschland nachzugehen, die allerdings nur leicht und flüchtig sind und ziemlich fernab liegen vom großen Gange der Weltgeschichte, für uns Deutsche aber dennoch lehrreiche geschichtliche Vergleichungspunkte bilden. Mit ganz anderen Gefühlen betrachten wir sie heute als sonst, da der Mann von Sedan und Chislehurst noch lauernd an unserer Grenze lag.

Die Herzogin von St. Leu (Königin Hortense) lebte mit ihrem Sohne Louis Napoleon vom Jahre 1817–1823 mit wenigen Unterbrechungen in Augsburg. Im Archive der Stadt Augsburg befindet sich nicht die geringste Notiz über den Aufenthalt und das Leben der interessanten Fremdlinge, nur in dem sogenannten Grundbuche, welches über Besitzveränderungen der Häuser geführt wird, steht über das von ihnen bewohnte Haus Litera F Nr. 371 und 372 in der Heiligkreuzstraße Folgendes:

     „1807, 14. Januar. Josepha Fürstin von Waldburg zu Wolfegg und Waldsee;
     1817, 16. Mai. Herzogin von St. Leu;
     1828, 11. März. Albert von Pappenheim, kgl. Generalmajor;
     1848, 4. Juli. Graf Fugger zu Kirchberg und Weissenhorn.“

Das in Rede stehende Gebäude hat keinen bestimmt ausgeprägten Charakter. Es ist einstöckig und bildet im Grundriß eine T-Form. Der mit einem Mansardendach bedeckte Mittelbau grenzt an die Heiligkreuzstraße an. Die unteren Fenster haben Segmentbogen, die oberen einen geraden Fenstersturz. Die Mansardenetage hat gegen die Straßenseite drei größere Fenster. Die zu beiden Seiten des Mittelbaues befindlichen Höfe sind durch eine hohe Mauer von der Straßenseite abgeschlossen und rechts durch eine zum Hause gehörige Remise, links durch das Nachbarhaus abgegrenzt. Das Haus hat einen gelblichen, ziemlich verwitterten Anstrich und, von der Straßenseite betrachtet, weder ein stattliches noch freundliches Aussehen.

Unsere Abbildung zeigt die dem großen, schönen Garten zu gelegene Rückseite des Gebäudes; denn gerade dieser Theil des Hauses wurde, weil er geräumiger und wohnlicher als der Mittelbau und wohl auch wegen der Aussicht in den Garten, von der Herzogin und ihrem Sohne bewohnt, was auch bei der gegenwärtigen Herrschaft der Fall ist. Die Zimmer des Prinzen – ein Arbeits- und ein Schlafzimmer im ersten Stock mit den ersten vier Fenstern rechts gegen den Garten – waren höchst einfach möblirt.

Hortense bewohnte die übrigen Zimmer im ersten Stock, die höchst geschmackvoll, aber ebenfalls prunklos eingerichtet und besonders mit Gegenständen der Erinnerung, namentlich in Bildern und Gemälden, an Hortensens Abgott, an Napoleon I., geschmückt waren. Das Häuschen links vom Beschauer war damals die Hauscapelle, die jetzt in ein profanes Waschhaus umgewandelt ist. Sonst sind wesentliche bauliche Veränderungen nicht vorgenommen worden. Die sämmtlichen Wände des ganzen Gebäudes, mit Ausnahme der in der Straßenlinie liegenden Wand des Mittelbaues, sind bis unter das Dach hinauf dicht mit wilden Reben bewachsen. Diese seine schönste Zierde besaß das Haus zu Napoleon’s Zeit noch nicht. Doch standen damals auf der Straßenseite hohe italienische Pappeln vor dem Hause, die demselben einen so eigenthümlichen Charakter verliehen, daß Napoleon bei seiner späteren Anwesenheit in Augsburg im Jahre 1867 die Bäume, welche mit der Zeit den Weg alles Holzes gegangen waren, sofort vermißte und nach ihnen fragte.

Die auf dem Bilde sichtbaren Kirchen liegen dem Hause schräg gegenüber auf der andern Seite der Heiligkreuzstraße. Die rechts mit dem kleinen Thurme ist die protestantische Pfarrkirche zum hl. Kreuz, die mit dem größeren Thurme die katholische Wallfahrtskirche zum hl. Kreuz, in welcher „das wunderbarliche Gut“ (eine „blutrothe“ Hostie) aufbewahrt wird und wohin am 11. Mai jeden Jahres die fromme Einfalt aus weitem Umkreis schaarenweis „wallfahrten geht“; denn an diesem Tage wird das „wunderbarliche Gut“ in feierlicher Procession durch die Straßen des dortigen Stadttheils getragen.

Unsere Mittheilungen über das Privatleben der Herzogin und das Thun und Treiben des Prinzen Napoleon verdanken wir der Güte einzelner in Augsburg lebender Herren, die theils [182] mit der Herzogin selbst gesellschaftlich verkehrten, theils Mitschüler und Spielgenossen des Prinzen waren und die uns zum Zwecke dieser Aufzeichnungen für die „Gartenlaube“ das Schatzkästlein ihrer Erinnerungen mit Vergnügen öffneten.

Das Leben im Hause der Herzogin von St. Leu war still und einfach. Hortense selbst war fast übertrieben sparsam und kleinlich in häuslichen Dingen, aber dabei höchst wohlthätig und leutselig und daher allgemein beliebt. Ihren Hofstaat, wenn wir ihre häusliche Umgebung so nennen wollen, bildeten zwei Hofdamen, der Hausgeistliche (aumônier) Bertrand, der Hofmeister des Prinzen, Lebas, und der Haushofmeister. Die Amme und der Milchbruder Napoleon’s wurden gleichsam als Familienglieder betrachtet. Die Dienerschaft war nicht zahlreich. Vom Koch,

Das Wohnhaus des Prinzen Louis Napoleon (Fugger’sches Haus) in Augsburg.

Bassinet mit Namen, wird gesagt, daß er das Factotum des Hauses gewesen. Der Beichtvater der Herzogin, ein Emigrant, Namens Bigault, war zugleich Sprachlehrer in Augsburg und wohnte nicht im Hause der Herzogin. Hortense verließ ihre Wohnung nur selten; die Messe hörte sie in ihrer Hauscapelle, und nur einigemal besuchte sie die jetzt abgebrochene, dem Regierungsgebäude (der ehemaligen bischöflichen Pfalz) angebaute Capelle, vielleicht hingezogen von der Erinnerung an Napoleon I., der im October 1805 in der bischöflichen Residenz sein Hauptquartier aufgeschlagen und in jener Capelle mehrmals dem Gottesdienste beigewohnt hatte.[1] In der Hauscapelle empfing Prinz Louis durch den Weihbischof Fürsten v. Hohenlohe das Sacrament der Firmung.

Ihre ganze Sorgfalt widmete Hortense der Erziehung ihres Sohnes, den sie zärtlich liebte. Der Aumonier Bertrand und der Hofmeister Lebas leiteten den Unterricht des jungen Prinzen bis zu dessen Uebertritt an die öffentliche Studienanstalt, das Gymnasium zu St. Anna. Zu jener Zeit bestand in Augsburg nur jenes eine (paritätische) Gymnasium. Erst Ende der zwanziger Jahre wurde wieder ein zweites, specifisch katholisches Gymnasium (zu St. Stephan) errichtet. Im Jahresbericht 1821 der Studienanstalt von St. Anna findet sich unter den „später Eingetretenen“ der Unterprogymnasialclasse der Name „Charles Louis Napoleon, Herzog von St. Leu, aus Paris, dreizehn Jahre alt“ mit folgender Anmerkung des Classenlehrers Martin verzeichnet: „Im Anfange des zweiten Semesters trat der Herzog von St. Leu aus dem Privatunterricht in die Classe und machte – obgleich noch nicht vollkommenen mit der deutschen Sprache vertraut – dieses Hindernisses ungeachtet, einen guten Fortgang.“ Das Verzeichniß von 1822 bringt ihn als den vierundzwanzigsten unter sechsundfünfzig Schülern des Oberprogymnasiums, dessen Classenlehrer Dr. Dobel die Notiz anfügt: „Ehrenerwähnung verdient unter Anderen der Prinz Charles Louis Napoleon, welcher, bei genauerer Bekanntschaft mit der deutschen Sprache, sich einen höhern Platz würde erworben haben.“

Wir finden ihn zuletzt noch im Kataloge von 1823, wo er in der Untergymnasialclasse des Professors Eckert als der neunzehnte unter achtundfünfzig Mitschülern angeführt ist.

Napoleon hatte wie jeder andere Schüler seinen Platz auf der gemeinsamen Schulbank. Er war sehr fleißig und machte namentlich in der Geschichte, seinem Lieblingsstudium, gute Fortschritte. Sein Hofmeister Lebas begleitete ihn regelmäßig bis zur Schulpforte, worauf sich derselbe in die nahegelegene Stadtbibliothek [183] begab, um den Prinzen nach beendeter Schulzeit wieder abzuholen. Napoleon durfte sich unter seinen Mitschülern zwölf specielle Spielcameraden auswählen, wobei nach „demokratischen“ Principien ohne Rücksicht auf Stand und Geburt verfahren wurde. Von diesen zwölf lebt noch ein einziger, der Oberstabsarzt a. D., Herr Dr. Dobelbauer in Augsburg.

Der Prinz war sehr einfach gekleidet; er trug in der Regel ein dunkelblaues Beinkleid, eine Jacke von gleicher Farbe mit gelben Knöpfen und im Winter einen Radmantel. Jeden Mittwoch, Sonnabend und Sonntag von zwei bis vier Uhr Nachmittags waren die Spielcameraden zu dem prinzlichen Freunde geladen. Im Sommer wurden meistens militärische Spiele im Garten veranstaltet, bei denen der eine Theil Griechen, der andere Türken vorstellte. Im Winter fanden Schneeballenkämpfe statt, die manchem Fenster verderblich wurden, oder man vergnügte sich mit Schlittschuhlaufen auf dem sogenannten „Schleifgraben“. Bei ungünstiger Witterung wurde die Zeit im Zimmer des Prinzen mit Lottospiel vertrieben, wobei die Gewinnste in Confect bestanden. Auch Verstecken ward häufig gespielt – nicht zum Vergnügen der Kammerfrau, denn die lustige

Begräbnißcapelle Louis Napoleon’s in Chislehurst.

Schaar respectirte bei solchen Gelegenheiten selbst die Gemächer der Herzogin nicht. Ueberhaupt war es Erziehungsprincip, daß die ganze Cameradschaft sich ungezwungen bewegen und cordial mit einander verkehren solle. Die sämmtlichen Spielcameraden hatten die Weisung, mit dem Prinzen nur Deutsch zu sprechen, worin er sich ziemlich vervollkommnete, und ihn zu duzen.

Die noch überlebenden Freunde und Mitschüler des Prinzen aus jener Zeit rühmen dessen freundliches, verträgliches Wesen. Doch ließ es derselbe auch nicht an manchem mehr als blos lustigen Knabenstreiche fehlen. Einmal stiftete er einen Mitschüler dazu an, ein sogenanntes Knallkügelchen auf den Katheder des Professors zu werfen, das auch richtig explodirte. Dieses allerdings sehr ungefährliche Bombenattentat en miniature brachte dem Thäter zwölf Stockstreiche, dem moralischen Urheber einen zweistündigen Arrest ein, den er mit seinem Mitschuldigen in gemeinsamer Haft verbüßen mußte. Ein anderes Mal riß der Prinz dem Papagei der Schwiegermutter des Haushofmeisters Lacroix, die im Nachbarhause wohnte, sämmtliche Schwanzfedern aus und decorirte damit die Mützen seiner Cameraden. Sein Hofmeister dictirte ihm dafür ebenfalls Arrest und die Cameraden durften acht Tage lang nicht mehr zu ihm kommen.

Harmloser war ein anderes Vergnügen, dem der Prinz gleich dem gewandtesten Augsburger Straßenjungen huldigte, nämlich das Voltigiren über die säulenartigen, zum Schutze des Trottoirs angebrachten „Abweissteine“. Sein nun verstorbener Privatzeichenlehrer Kaufmann zeichnete den Springinsfeld später in dieser Situation und schickte dann das Bild dem Kaiser nach Paris, der darob sehr erfreut war und es natürlich an einer gewichtigen Dankesbezeigung nicht fehlen ließ.

Wöchentlich einmal war bei Hortense größere Abendgesellschaft, wobei in der Regel musicirt wurde. Von den beiden Hofdamen spielte die eine, Madame Cochelet, vortrefflich die Harfe, die andere, Fräulein von Mollenbeck, eine Deutsche, wie schon ihr Name besagt, ausgezeichnet Clavier. Der Herzog von Leuchtenberg, der von München öfters auf Besuch nach Augsburg kam, sang einige Male in jenen musikalischen Soiréen. Abwechslungsweise fand sich die Gesellschaft auch bei dem damaligen Regierungspräsidenten von Augsburg, Grafen von Gravenreuth, ein. Einer unserer Gewährsmänner, Herr Regierungsdirector Dr. von Ahorner, damals Präsidialsecretär des Grafen von Gravenreuth, ein vorzüglicher Musiker, spielte bei Quartetten das Violoncell. Im Winter veranstaltete die Herzogin auch französische Theatervorstellungen, bei denen Prinz Louis mehrmals selbst mitspielte. Seine Spielgenossen durften den Vorstellungen beiwohnen. – Die Ausflüge in die Umgegend erstreckten sich auf das nahegelegene Affing, wo Graf von Gravenreuth ein Gut besaß, und das Schloß Wöllenburg, ein Besitzthum des Fürsten Fugger-Babenhausen. – In den fünfziger Jahren ließ Napoleon für seine Gemahlin das Haus in Augsburg, sowie Ansichten von Affing und Wöllenburg durch einen Münchener Künstler aufnehmen.

So flossen der einstigen Königin und ihrem Sohne die Jahre in Augsburg dahin, äußerlich still und ruhig. Was in dem Herzen Hortensens vorging, was sie ihrem Sohne in den Stunden trauten Beisammenseins zu erzählen, wie sie seine Seele mit Bildern einer schöneren, größeren Zukunft zu entflammen wußte, – darüber fehlt uns freilich die Kunde, aber wir können es ahnen. – Der Tag des Abschieds war herangekommen, und eine glänzende Festlichkeit beschloß diesen Abschnitt des Lebens Napoleon’s. An dem Springbrunnen im Garten, den unser Bild zeigt, wurde zum Schluß des Abschiedsfestes ein großartiges Feuerwerk abgebrannt, was wir, als gewissenhafte Chronisten, zu erwähnen nicht unterlassen wollen.

Napoleon hat während seines ganzen späteren Lebens seinen Lehrern und Genossen aus damaliger Zeit eine dankbare und freundschaftliche Erinnerung bewahrt und derselben vielfach in Wort und That Ausdruck verliehen. – Als Anfangs September 1862 die ehemaligen Schüler der beiden Gymnasien Augsburgs das „Studiengenossenfest“, ein Fest des Wiedersehens und der Erinnerung feierten, zu welchem alle ehemaligen Schüler geladen waren, da bezeigte auch der Studiengenosse auf dem Throne Frankreichs seine lebhafte Theilnahme an der Feier und sendete an den Präsidenten des Festcomités, den nunmehrigen Medicinalrath, Herrn Dr. med. Hertel, ein eigenhändiges Schreiben, das damals natürlich sofort in alle Zeitungen zum Abdruck kam, trotzdem aber an dieser Stelle nicht fehlen darf.

Das Schreiben kam während des Festmahls am 2. September zur Verlesung und lautet also: „St. Cloud, 30. August 1862. Herr Präsident! Ich habe mit größtem Antheil von einer Zusammenkunft der ehemaligen Schüler des Augsburger Gymnasiums gehört, welche mit einem Gastmahl die Erinnerung früherer zusammen verlebter Studienjahre feiern wollen, und wünsche, wenigstens als ein ehemaliger Mitschüler in Gedanken an diesem freundlichen Feste Theil zu nehmen. Ich habe nie die Zeit vergessen, [184] die ich in Deutschland zugebracht habe, wo meine Mutter eine edle Gastfreundschaft fand und ich die ersten Wohlthaten des Unterrichts genoß. Die Verbannung bietet traurige, aber doch nützliche Erfahrungen, sie lehrt fremde Völker besser kennen, ohne Vorurtheil ihre guten Eigenschaften und ihren Werth schätzen, und ist man später so glücklich, den Boden des Vaterlandes wieder zu betreten, so behält man doch für die Gegenden, in welchen man die Jugendjahre verlebte, die freundlichsten Erinnerungen, welche trotz Zeit und Politik sich lebendig erhalten. Ihre Vereinigung giebt mir die Gelegenheit, Ihnen diese meine Gefühle auszusprechen. Empfangen Sie sie als Beweis meiner innigsten Theilnahme und meiner Hochachtung, mit der ich bin Ihr wohlgewogener Napoleon.“ –

Für die Armen der Stadt spendete der Kaiser bei diesem Anlaß fünftausend Franken. Eine Sendung von einhundert Flaschen Champagner kam nicht rechtzeitig an. Das Festcomité versteigerte daher den Wein und bestimmte den Erlös mit den Erübrigungen von den Beiträgen der Festtheilnehmer zu einem Fond, dessen Zinsen alljährlich an arme Studirende vertheilt werden. Der kaiserliche Brief konnte unter den obwaltenden Umständen eines gewissen Eindrucks nicht verfehlen. Nachdem die Versammlung dem kaiserlichen Studiengenossen ein „dreifaches Hoch“ ausgebracht hatte, ging folgendes Telegramm an denselben ab:

„Die versammelten Studiengenossen Augsburgs haben soeben Ew. Kaiserlichen Majestät, als ehemaligem Schüler der Anstalt von St. Anna, ein Hoch ausgebracht und sprechen für die huldvolle Erinnerung und so reichlich gespendete Gabe ihren herzlichsten Dank aus.“

Erscheint diese Huldigung in Anbetracht der damaligen Situation der Festversammlung wohl nicht als eine das Nationalgefühl verletzende, so muthete es uns doch wohlthuend an, wenn wir sofort unsern Völk (den jetzigen Reichstagsabgeordneten), der bei St. Stephan in Augsburg studirte, sich erheben sahen, um dem deutschen Gedanken Worte zu leihen. „Ich glaube,“ sagte er, „daß wir damit (mit dem Hoch auf Napoleon) unser Fest nicht abzuschließen vermögen. Da, wo deutsche Männer versammelt sind, sei es aus was immer für einem Anlaß, kann nicht blos das im Herzen der Deutschen leben, was man zollt den verstorbenen, den lebenden Lehrern; es kann nicht blos das im Herzen der Deutschen leben, was man zollt der Pietät, dem auswärtigen Herrscher, sondern zunächst hat bei uns im Herzen des Deutschen zu leben das Nationalgefühl, ein Deutscher zu sein, einem großen, einigen, mächtigen Ganzen anzugehören.“ Der Redner bringt also dem „großen, herrlichen, deutschen Vaterland“ ein Hoch. Als die Versammlung jubelnd in dieses Hoch einstimmte, da konnte freilich keiner von Allen auch nur ahnen, daß kaum ein Jahrzehnt später jener Studiengenosse, der soeben von den „nützlichen Erfahrungen“ der Verbannung gesprochen, die „fremde Völker besser kennen“ und „ohne Vorurtheil ihre guten Eigenschaften und ihren Werth schätzen lehre“, wiederum in die Verbannung ziehen müsse, weil er unser deutsches Volk nicht kannte …

Am 18. August 1867 begegnen wir dem französischen Kaiserpaar in Augsburg. Die Kaiserbegegnung in Salzburg steht bevor, und auf der Hinreise will Napoleon mit seiner Gattin die Stätten besuchen, an die sich die schönsten Erinnerungen seiner Jugend knüpfen. Im Garten seines ehemaligen Wohnhauses brach Napoleon seiner Gemahlin einen Zweig ab. Von da fuhr das Kaiserpaar zu St. Anna.

Napoleon besichtigte mit seiner Gattin alle die Räume, in denen er einst als Schüler geweilt. Auch auf seinen Namenszug, den er nach Schülerart bei seinem Abgang von der Anstalt mit Bleistift in die äußere Wand einer Fensternische gezeichnet, machte er die Kaiserin aufmerksam. Dieser Namenszug, der so lange der Zeit getrotzt, ist jetzt verwischt. Man sagte uns, es müßten wohl patriotische Schüler der Anstalt gewesen sein, die beim Ausbruch des Krieges den verhaßten Namen austilgten.

Wir sind mit unsern Aufzeichnungen über die Augsburger Episode aus dem Leben Napoleon’s zu Ende. Es ist ein gewaltiges Stück Geschichte, das sich mit dem Lebensgang jenes Mannes von Augsburg bis Wilhelmshöhe vor unseren Blicken entrollt, und erst durch das Capitel „Wilhelmshöhe“ gewinnt das Capitel „Augsburg“ für uns Deutsche ein erhöhtes Interesse. Das letzte Capitel aber in dem Romane „Napoleon, der Abenteurer“ heißt Chislehurst. Nach den kühnen Wagnissen und lärmenden Triumphen dieses wechselvollen Cäsarenlebens – die Katastrophe von Chislehurst! Welch ein tieftragischer Contrast zwischen dem geräusch- und triumphvollen Leben des Decembermannes und seinem stillen, weltabgeschiedenen Sterben! Der Ruhelose, dessen Wort von den stolzen Tuilerien aus sonst die Welt erzittern machte, ist in einem unscheinbaren Capellchen, fern von dem Schauplatze seiner Größe, zur Ruhe gegangen. Sein ganzes Leben war nur ein einziges großes Abenteuer. Geboren im Glanze der mächtigsten Krone, doch als Kind schon hinausgestoßen in die Verbannung, irrte er als Jüngling und Mann unstät und flüchtig von Land zu Land, die Seele voll brennender Sehnsucht nach einem neuen Morgen des Kaiserreichs. Mit der fieberischen Hast des Ehrgeizes stürzte er sich in Verschwörungen und tollköpfige Unternehmungen und erklomm schließlich, mit eiserner Zähigkeit von Stufe zu Stufe, über seine Eide, über Blut und Leichen hinwegschreitend, den Gipfel der ersehnten Macht, um nach einigen Jahren cäsarischer Herrlichkeit seinen Stern wiederum sinken, das stolze Gebäude auf Sand gebaut und in dem letzten verzweiflungsvollen Abenteuer alle Pläne und Hoffnungen vernichtet, Schwert und Krone zerschellt zu sehen und als Verbannter auf fremder Erde zu sterben. Wahrlich, hier hat uns der Griffel der Geschichte wieder einmal eines jener großen Dramen geschrieben, wie sie reicher an grellen Contrasten und erschütternden Effecten keines Dichters Phantasie ersinnen könnte!


  1. Beim Einritt in Augsburg am 18. October 1805, Abends 9 Uhr, stürzte Napoleon mit dem Pferde. Beim Empfang einer Rathsdeputation am nächsten Morgen sprach er das Schreckenswort für die freien Reichsbürger: „Sie haben ein schlechtes Pflaster. Ich muß Sie einem Fürsten geben,“ ein Wort, das der Allgewaltige auch bald darauf zur Wahrheit machte.