Schwärmereyen und ernsthafte Launen

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Titel: Schwärmereyen und ernsthafte Launen
Untertitel: aus dem Tagbuch eines einsamen Wanderers.
aus: Neue Thalia. 1792–93. Dritter Band, S. 261–283
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[261]
III.
Schwärmereyen
und
ernsthafte Launen
aus dem
Tagbuch eines einsamen Wanderers.


Du erwachtest, braver Constantin, und dein Freund war verschwunden. Schon lagen Hügel und Gebürge zwischen ihm und dir, als die Morgensonne ihr allbelebendes Feuer über die Erde ausgoß. Die Quaalen der Trennung sind mir nicht fremd; aber von dir scheide ich nicht, du schwebst um mich auf allen meinen Wegen. Was mich freut, erzähle ich dir, was mich grämt, weine ich aus an deinem Busen.

Weißt du noch, wie sehr uns die naive Freude des jungen Potaveri aus Otaheite gefiel, als er in dem botanischen Garten zu Paris schwermüthig [262] umhergieng, unvermuthet einen vaterländischen Baum erblickte, ihn schwärmerisch, mit Freudenthränen umarmte und ausrief: „Ah, das ist O-Taiti, das ist O-Taiti!“ – Eben so geht es mir jetzt, wo ich nur ein Plätzchen ausspähe, das mit unsern Lieblingsplätzchen Aehnlichkeit hat – und die süßeste aller Träumereyen umgaukelt meine Sinne.

Wenn du mich sähest, wie ich einherstürme über die Ebenen, wie ich rastlos Felsen erklettere, und wie mir wohl ist unter dem heitern offnen Himmel Gottes. O, mein Einziger, es giebt noch Freuden auf diesem Erdenrunde, ich war ein Thor, daß ich mich mit Unmuth quälte. Ist doch jede Pflanze, jedes Würmchen, geschweige denn der göttliche Blick ins Universum für den gesunden Beobachter eine unerschöpfliche Quelle reiner unbeneideter Wonne. Gesund müssen wir freylich seyn, gesund an Körper, Verstand und Herz, sonst schwimmt die ganze herrliche Welt vor unsern Augen, wie häßliche, schauerhafte Trümmer, voll Schlangen, Nattern, Drachen, oder was noch ärger ist, voll horazischer Ungeheuer: Venusköpfe auf Pferdehälsen, Basiliskenleiber mit Mädchenbusen und Fledermausflügeln; nirgends Harmonie, überall Zwietracht und empörender Widerspruch! –

[263] Es war Mitternacht als ich meine Reise antrat. Der Mond ruhte helleuchtend über dem Gebürge, in den Wäldern hörte ich dann und wann ein geheimnißvolles Säuseln, alle meine Sinne waren gespannt, die Einbildungskraft glühte, indem mich von den Gipfeln der Berge die frische Morgenluft umwehte. Mit Rührung nahm ich Abschied von der geliebten Gegend wo mir so manche reine Freude geblühet hatte, ich riß mich los von deinem Elysium, reizendes Jena!

Da winktet ihr mir aus der blauen Ferne, romantische Ruinen von Kuniz, noch schwimmend in Nebel über den das Haupt eures Thurms hervordrang; und du, ehrwürdiger Jenzig, der du dastehst – „den Fuß in Ungewittern, das Haupt in Sonnenstrahlen.“ – Wie oft vergaß ich in deinem dunkeln Tannenwalde den Gram der an meinem jungen Herzen nagte, wie fröhlich schlug dieses Herz, wenn es auf dir stark und lebendig empfand, daß nichts so süß ist, als Ruhe am Busen der Natur.

Fast verzweifle ich, die Freuden wieder zu finden, welche mich auf den Gebürgen um Jena so oft entzückten. Manchen Abend stand ich, und blickte hinüber auf den schwarzen, unübersehbaren [264] Thüringerwald, wenn ihn die untergehende Sonne zum Schauplatz fantastischer Bilder einweihte, und ich mich voll Unmuths sehnte in ihm auf Abentheuer herumzuwandeln, wie Ritter Hüon im Gebürge Libanons. Da dachte ich nur alle die großen, wimmelnden Städte, welche mit ihren Thürmen und Schlössern hinter ihm liegen, und ahndete, in ihnen zu finden, was mir so oft mangelte, warmen deutschen Händedruck, Zutrauen und Gerechtigkeit. O, es ist eine unnennbare Quaal, dazustehen mit einem Herzen voll Liebe und Traulichkeit, das so gerne überflösse, so gern sich hingäbe, und sich verstoßen sehen muß von mistrauischer kalter Sittenrichterey!

Nie, Constantin, werde ich die Stunden vergessen, wo ich auf der Spitze des Jenzig so lange in den schönen Ultramarin schaute, der unsern Horizont umgürtet, bis ich in dichterische Entzückungen verlohren, Palläste, gothische Dome, romantische Felsenburgen und die Gärten der Semiramis aus dem lichten Nebel hervorgehen sah, die mir alle winkten, die mich freundlich einluden, bald in die blaue Ferne zu kommen. Hier las ich im Xenophon die goldenen Worte des großen Socrates; hier entzükten mich die feinen Lehren Horazens und Wielands; hier stärkte mich zuerst das Mark aus Müllers Geschichte [265] der helvetischen Freyheit. Oft überraschte mich hier die Mitternacht in meinem Enthusiasmus, und die glühende Scheibe des Monds winkte mir zu einem kühnern Blick in das unermeßliche Sternenheer. Wie ich dann so stolz ward, wie ich so lebendig fühlte, es sey etwas Großes und Erhabenes ein wahrer Mensch zu seyn, und wie ich auf die Brust schlug, und schwur alles anzuwenden, um es zu werden, wie ich vor Freuden weinte, den Berg herabstürmte, die majestätische Reihe zusammengedrängter herrlicher Natur durchflog, wie mir das Herz hüpfte und pochte von seltenen Gefühlen, nie empfundenen Ahnungen!

Gern möchte ich dir noch ein paar Worte sagen von unserm lieben traulichen Rauthal, und von dem sanften Gemurmel womit sein kleiner Wasserfall meine stürmenden Gefühle einlullte; aber ich muß mich endlich losreißen von meinen Lieblingen.


Ich hatte nie Klöster gesehen und suchte mir also in Erfurt diesen merkwürdigen Gegenstand recht anschaulich zu machen. Die Carthäuser zogen mich zuerst an sich; ihr Orden schien meiner Melancholie zuzusagen und ich freute mich recht darauf im dunkeln Kreuzgange ein schauerliches Memento mori zu hören. Allein [266] ich sah niemand als den Pater Pförtner, einen braven jungen Mann der erst kürzlich von Maynz hieher versetzt war. Er führte mich in seine Zelle, wo ich einen Todtenkopf unter neuern, vernünftigen Erbauungsbüchern aufgestellt fand, der dem sonst ziemlich engen Raume ein sonderbares Ansehen gab. Im Nebenzimmer hatte der Fromme eine kleine Schlosserwerkstatt, die mich überraschte und mich noch mehr für den Mann einnahm. Wir sprachen über verschiedene Gegenstände und kamen endlich auf Luther. Nun glänzte auch der denkende und gelehrte Kopf. Er war genau bekannt mit der Geschichte jener großen Kirchenrevolution und hatte Respect vor den Männern die sie bewürkten. Auch gefiel ihm Schmidts Hypothese nicht, er glaubte die Welt hätte sich eben so gut verschlimmern als verbessern können, wenn Luther nicht einmal wieder öffentlich Lärm geblasen hätte. Hier war ich nun ganz seiner Meinung. Mich dünkt, die Geschichte zeigt nur zu deutlich, daß die Seelenmasse des Universums, so gut als das irdische Conglomerat desselben, dann und wann gewisser gewaltsamer Erschütterungen bedarf, um die Lebensgeister wieder ein wenig aufzufrischen. Unsre Zeiten wären unstreitig noch nicht so hell, als sie jedem gesunden Beobachter erscheinen müssen, wenn nicht Männer aufgestanden wären, [267] die, nach Hallers Ausdruck, dem Donner Brüder schufen. Was wären wir ohne Colon und Luther? Nimmermehr würde der Geist freyer Untersuchung so schnell um sich gegriffen haben, wenn nicht ihre Wagstücke die Kräfte schlummernder Nationen aufgeweckt hätten. Trägheit ist dem Menschen so natürlich, und steht doch zugleich mit seiner Vernunft, und noch mehr mit seiner Einbildungskraft, so sehr im Widerspruche, daß es manchem Schwärmer noch lange ein Problem bleiben wird, ob des Menschen Glück in arkadischer Schäferruhe oder in genialischem Ungestüm bestehe. Wir wollen den Mittelweg gehen, wenn wir können, und werden uns gewiß wohl dabey befinden.

Der gute Carthäuser sprach noch vieles was mich sehr interessirte, und was ich in seinem Kloster nicht gesucht hätte. Seltsam war mir die Empfindung, hier gleichsam mit der einen Hand das Jahrhundert des strengen Bruno zu berühren und mit der andern manche süße Frucht unsrer aufgeklärtern Zeiten pflücken zu können.

Nun gieng ich in ein Nonnenkloster, und hatte bald darauf vor dem Gitter ein Gespräch mit zwey jungen Nonnen, die von einem alten Argus bewacht wurden. Beyde sanfte Blondinen, die [268] eine schien den großen Kampf der Resignation auf alle Freuden der Welt schon gekämpft zu haben, die andre rang noch mit ihm wie Jacob mit dem Erzengel.

Wenn ich mir die Quaal gedenke, worin eine liebende Seele versinkt, wenn sie plötzlich aus ihrer lieblichen Traumwelt herausgerissen und in ein kaltes, finstres Kloster versetzt wird, wo statt des Geliebten Stimme nur unverständliche lateinische Horas klingen und wo um Mittag und Mitternacht ein dumpfes Glockengetöse die arme Seele fürchterlich an ihren Verlust und das ewige, öde Einerley der Zukunft erinnert!

„Kannst du noch dir in die Seele rufen
Jenen feyerlichen Trauertag,
Als gestreckt auf des Altares Stufen
Jegliches von uns ein Opfer lag?
Als bey tausend Thränen hoch und theuer
Warme Jugend sich der Welt entschwur? –
Dennoch, ach! empfieng der Weiheschleyer
Seinen Kuß von kalter Lippe nur,
Rund umher erbebte Gottes Tempel;
Jede Kertze sank in Dämmerung;

[269]

Staunend sah der Himmel dies Exempel
Unbegreiflicher Eroberung.
Als wir drauf zum Hochaltare giengen,
O, wie schlug das volle Herz in mir!
Heloisens Aug’ und Seele hiengen
Nicht am Kreutze, hiengen nur an dir.
Liebe, statt der Gnade, deine Liebe
War das Herzgeschrey der Schwärmerinn.
Ach! Wenn diese nicht ihr übrig bliebe,
So wär’ alles, alles für sie hin! [1]

Mit gerührtem Herzen eilte ich aus dem Kloster und aus Erfurt; lange noch beschäftigte sich meine Phantasie mit der kleinen Blondine, ich kann ihre großen, schmachtenden Augen nicht vergessen, noch immer höre ich ihre Stimme um mich her, wie die schauerliche Milde der erschütternden Harmonika.

[270] Eben komme ich von der berühmten Wartburg bey Eisenach, wo unser Luther so manchen Donnerkeil schleuderte gegen den Hof zu Rom und seine Creaturen. In einer romantischen Wildniß liegt diese Felsenburg, ihr gegenüber trauern Ruinen und unten lebt oder vegetirt die Stadt Eisenach. Ich ließ mich herumführen, gab aber wenig Achtung auf die Weisheit meines Cicerone, vielmehr kränkte es mich, den Namen eines großen Mannes, von einem der armseligsten Kerle, die ich je gesehen habe, so oft profanirt zu hören. Allein es ist ja das Loos unsrer deutschen Unsterblichen, daß der Pöbel Dintenfässer vorzeigt, womit sie dem Teufel Löcher in den Kopf geworfen haben sollen, während die Gelehrten sich herumzanken wie alt die älteste Mume der virorum clarorum war, anstatt sich um den Geist ihrer Schriften und um die ewige Würkung ihrer Reden und Thaten zu bekümmern.


Ich schwebte über die schöne Bergstraße daher, ohne zu wissen wie, ohne zu fühlen, daß mein Ich in einem Körper eingehüllt ist. Endlich hörte ich Glockenklang, und näher kam ein Heerzug betender Landleute, angeführt von Geistlichen mit Lichtern, Cimbeln, Kreuzen und Fahnen. Die Wallfahrt gieng nach einer einsamen Kapelle, [271] deren uraltes roth und grün gedecktes Thürmchen ich aus dem Dickigt des Waldes hervorschimmern sah. Feyerlich rollte der dumpfe Gesang in das Thal hinab, wo er sich mit dem Gesumme der Glocken vereinigte, und es ward mir als wandelte ich unter einem Haufen begeisterter Druiden, die mit herzerschütternder Poesie, mit stürmendem, Harfenklang den Gott ihrer Väter lobten. Alles Schöne und Erhabene, womit mich Ossian und die skandinarischen Barden je überraschten, glühte wieder in meiner heftig gereizten Phantasie. Aber ach! ein Waldbruder empfieng uns vor der Kapelle, und der größte Theil des Zaubers, der meine Sinne so angenehm umstrikte, schwand dahin, denn auf der Stirne dieses Menschen stand mit unverkennbaren Characteren eingegraben, das schreckliche Zeichen des Thiers. Weder die rührende Schönheit der Gegend, noch die freye, unbegränzte Aussicht in ein herrliches Land, hatten seine Wildheit mildern können. Häßliche Weiber schlichen in seine Zelle, Blicke der Verachtung folgten ihm, wo er gieng und stand. Ich vermochte es nicht auszuhalten, verließ Kapelle Waldbruder und Procession, irrte noch einige Zeit im Gebüsche herum, und kletterte endlich das Gebürg hinab, um auf der reizenden Bergstraße weiter nach Heidelberg zu [272] kommen. Ein stundenlanger Garten führte mich dahin, bald gieng ich durch niedliche Traubengeländer, über Blumengefilde, in schattigten Lauben, bald ruhete ich aus unter einem ungeheuren Nußbaume, der voll kleiner muntrer Sänger, schon für sich eine schöne lebendige Welt ausmachte. An guten Leuten fehlte es auch nicht, die meine Fragen über diese Gegend beantworteten und mir gern jene kleinen Gefälligkeiten erwiesen, die dem Geber nichts kosten, und doch dem Empfänger oft unschätzbar sind. Einige belehrten mich über die ehmalige Größe und Wichtigkeit uralter Burgen, deren Ruinen jetzt, wie schauerliche Gerippe von Raubthieren, auf den Bergspitzen ernst und trauernd daliegen. So kam ich nach einigen Stunden auf die große Brücke vor Heidelberg. Hier rauscht der Neckar durch ein prächtiges Thal; ein herrlicher Anblick! Die Sonne gieng gerade unter, von ihren letzten Strahlen glühten die Gipfel der Berge, der Abendsturm saußte durch die Wälder, und die Nacht begann mit ihren Rabensittichen Land und Stadt zu verhüllen. Auf der Brücke war ein Gedränge von Menschen und Thieren, die zur Ruhe eilten, und in der Stadt trug ein ein feyerlicher Glockenklang den Tag zu Grabe. Ich suchte Ruhe in einem alten gothischen Gebäude, dessen Besitzer durch einen [273] mit Drachen kämpfenden Ritter ehrbare Fremde zur Bewirthung einzuladen schien. Der gute Mann hatte das Unglück Bürgermeister zu seyn, und empfieng mich also:

„Mit einem steifen Amtsgesichte,
Das in gemeßnen Falten liegt,
Mit Worten, da nach Rathsgewichte
Ein jedes einen Zentner wiegt.“

Allein ich begrüßte ihn so warm, daß sein Gesicht sich aufheiterte und sein Mund ein recht angenehmes: Willkommen mein Herr! hören ließ. – Ungern bleibe ich lange in der Wirthsstube, die großen weissen Tische gefallen mir nicht, und noch weniger die immer durstigen Herren, welche sie gewöhnlich belagert halten. Ich bat mir ein Zimmer aus, die Tochter des Wirths, ein blasses, schmachtendes Mädchen, nahm das Licht und führte mich eine steinerne Wendeltreppe hinan. Ich war müde, konnte dem raschen Gange meiner Schönen kaum folgen, und schalt ein wenig über die ausgetretenen Stiegen. Mit einemmahl steht das Mädchen stille, und fragte mich lächelnd, ob ich je etwas von dem berühmten Götz von Berlichingen gehört hätte. Der Name eines faustgerechten Ritters, aus dem Munde eines Mädchens, zur Nachtzeit, auf einer [274] uralten gothischen Wendeltreppe, klang so sonderbar und romantisch in meinen Ohren, daß ich still stand, und meiner Führerin scharf und forschend unter die Augen sah. „Ja, sagte sie, hier gab der Ritter seinem Feinde, dem Bischof von Bamberg die Hand, und gelobte ihm Frieden und Freundschaft, aber der Pfaff wußte nicht, daß es Götz mit der eisernen Hand war, und ärgerte sich gewaltig, als man es ihm sagte.“ – Ich gieng in mein Zimmer, wünschte den Mädchen eine gute Nacht, und schloß die Thüre ab, um ungestört meinen Gedanken nachhängen zu können. Eine Menge seltsamer Gedanken drang auf mich ein, meine Einbildungskraft brannte von Götz, Hutten und Sickingen, und ich wünschte nichts sehnlicher als diese Heroen Deutschlands nur einmal gesehen zu haben, in dem Glanze und in der Würde ihres wunderbaren Berufs. Alle ihre Lebensbeschreiber und Anecdotensammler kommen darin überein, daß die Männer nur so derb und durchgreifend waren, wenn sie sich öffentlich zeigten, in ihren Häusern, unter ihren Freunden Weibern und Kindern sollen sie die liebenswürdigsten Geschöpfe gewesen seyn. Hutten, dessen feuervolle, mit wahrem demosthenischen Geiste geschriebene Briefe Reden und Gedichte ich neulich wieder verschlang, ist bis zu Thränen rührend, wenn er eheliche Glückseligkeit schildert, wenn er gleichsam girrt nach inniger Vereinigung [275] mit einem weiblichen Engel. Und Freunde müssen sie gewesen seyn, romantische Freunde, wie Orest und Pylades. – Denk dir dazu den braven Sickingen wie er in seinem Schlosse einem großen Manne nach dem andern Zuflucht und Hülfe schaft, wie der ehrwürdige Greiß Reuchlin bey ihm seines Lebens wieder froh wird; wie der Held mit Roß und Mann in Heilbronn eindringt, und seinem Götz Luft macht; wie er, getreu seinem herrlichen Wahlspruche, überall dem Gekränkten wider den Unterdrücker beyspringt; und wie alles brennt und flammt was Hutten in Sickingens Burg niederschreibt. – Ach Constantin, wenn ich sehe wie mächtig in diesem Zeitraume alles nach Thätigkeit rang, wie Luther, Hutten, Erasmus, Melanchton, Pirkheimer und die ganze edle Schaar sich mit Vorurtheilen herumschlug, wie Herkules mit der lernäischen Hydra, wie die Männer voll Selbstständigkeit mit Feuerzungen redeten und mit Donnerkeilen in der Faust handelten; dann möchte ich mich hinsetzen und weinen, daß wir so schlaff und entnervt sind.

Sobald die Sonne aufgieng, eilte ich, die majestätischen Ruinen des hiesigen Schlosses zu betrauern. Fürchterlich muß der Tag gewesen seyn, an dem eine Horde gallischer Barbaren es wagen konnte, ein so herrliches Werk zu vernichten, [276] und warlich es scheint über diesem Gebäude ein Unstern gewaltet zu haben, wie über manchem großen Manne, denn was die Mordbrenner verschont hatten, ward zerschmettert von Donner und Blitz. Ein seltsamer Schauer überlief mich, als ich in den großen leeren Hof trat, wo jeder Fußtritt aus den Ruinen rings umher wiederhallt und alles ruft: Eitelkeit! Vergänglichkeit! – Aber solche Massen aufzuthürmen, solche gigantische Plane auszuführen, vermochte doch der schwache Mensch; was kann er dafür, daß es Endzweck der Natur ist, nichts lange in gleicher Gestalt zu dulden, sondern mit Vernichtung und Auferstehung, mit Tod und Leben unaufhörlich abzuwechseln! Sonderbar schien es mir, als ich unter diesen Trümmern drey schöne Granit-Säulen aus dem uralten Pallaste Kaiser Karls des Großen zu Ingelheim, antraf. Welche seltsame Folge von Revolutionen! Es ist ein herrlicher Genuß kein Fremdling zu seyn in der Geschichte seltener Männer, und dann auf Stellen zu treten, wo sie einst lebten, Dinge zu sehen, die ihnen nahe standen.

Ich schwärmte einige Stunden in dem Gemäuer herum, erstieg Treppen, erkletterte Thürme und schaute hinab in die herrlichste Landschaft, welche je ein Salvator Rosa mahlen, ein Wieland dichten kann.

[277] Wenn ich nun eine Zeitlang mein Auge geweidet hatte an dem ewigen Leben der Natur, und es wieder zurückwarf auf das Werk von Menschenhänden, ach, Constantin, ich kann dir unmöglich schildern, was ich dann empfand. Tiefe Schwermuth ergriff mich, als ich die Bildsäulen der alten Pfalzgrafen und Churfürsten sah, womit eine Seite des Mittelgebäudes ausgeschmückt ist. Die Vergangenheit lebte vor meinen Augen und es zog vorüber wie der blutende König in Shakespears Macbeth. Ich erblickte die vom Sturm zerschmetterte Statue des unglüklichen Friedrichs und der schrekliche dreyßigjährige Krieg, mit allen Ungeheuern die er ausbrütete, stand in vollem Brande vor mir. Während ich nun dastand und in tiefe Traurigkeit versunken, das Schicksal menschlicher Größe beweinte, erscholl aus der Schloßkapelle, die noch ganz erhalten ist, ein feyerlicher Lobgesang zum Ruhm des Ewigen. Trompeten schmetterten, Pauken rollten und Orgeltöne durchzitterten die Ruinen rings umher. Der Uebergang meiner Phantasie von betäubender Schwermuth in süße religiöse Schwärmerey war für mich unbeschreiblich rührend und durchdringend. Es ward mir, als ob ich, einem fürchterlichen Sturme, dem sichtbaren Tode entrissen, an einer paradiesischen Insel landete, und hier sanft schlummernd, von [278] einem Chor Nachtigallen, deren Musik wie lauter reingestimmte Silberglocken klang, zu einem neuen herrlichen Leben aufgeweckt würde.

Ich gieng in die Schloßkapelle, freute mich über die Andacht, welche überall in dem niedlichen, hellen Gewölbe zu herrschen schien, und betete das schönste Gebet, dessen das menschliche Herz fähig ist, das heißt, ich war munter und vergnügt. Als die Leute weggegangen waren, besah ich das bekannte Gemählde am Hauptaltar, dessen Colorit mir wegen der ausserordentlichen Lebhaftigkeit gefiel, ungeachtet ich in der Darstellung selbst weder scharf gezeichnete Charactere noch hohe Würde entdecken konnte. Ueberhaupt muß ich dir gestehen, daß mich bisher nur wenige Gemählde befriediget haben, so sehr manche auch von Kennern gelobt wurden. Erstaunenden Fleiß sah ich oft, aber selten jenen schöpferischen großen Geist, der allein in den schönen Künsten herrschen sollte, und ohne welchen alles Zeichnen, Mahlen und Dichten nichts als Zeitverderb und Tändeley zu seyn scheint. Was kümmerts mich, ob der Meister irgend ein Thier oder eine Blume genau nach der Natur copiren kann, wenn ich nicht in jedem seiner Pinselstriche erkenne, daß sein Character edel, sein Herz groß und tieffühlend, sein Verstand [279] durchdringend, sein Geschmack fein, seine Phantasie weltenschaffend war? Dichter und Mahler dürfen schlechterdings nicht mittelmäßig seyn.

Die Würde und Majestät welche ich in dem Altargemählde vermißt hatte, fand ich nun in dem prächtigen Tableau, welches Natur und Kunst in der Gegend um Heidelberg entwarfen, und wovon man auf dem Altan des Schlosses äusserst angenehm überrascht wird. Da steigt zur Rechten der vom Blitz zerschmetterte Haupt-Thurm des Schlosses empor, zur Linken ruht das Aug auf Riesenmauern, sinkt dann hinab in die Tiefe, sieht eine schöne, große Stadt voll Leben und Thätigkeit, den Neckarstrom wie er über sein Felsenbett dahinschäumt, und wie sich eine königliche Brücke über ihn wölbt; erhebt sich nachher wieder und kann sich nicht sättigen an dem Anblick einer Kette schöner Weingärten und waldbekränzter Hügel und Gebürge.

Ueber den Strom weg, links, auf der Spitze des höchsten Berges, ragen Ruinen aus dem Dickigt des Waldes hervor, wovon du bald mehr hören wirst. Jetzt folge mir in den Schloßgarten; er war einst berühmt wegen seiner Größe und Schönheit und gehört nun in die Reihe jener zertrümmerten Monumente, welche St. Pierre in seinem [280] sonst ziemlich bizarren Etudes de la nature so bezaubernd und rührend schildert. Nicht weit von seinem Eingange, liegt links ein ungeheures Mauerstück, welches wahrscheinlich durch die Gewalt des Pulvers, von dem Thurme, worunter es ruht, abgesprengt ward. Schwerlich wird man es ohne Schauer und Bewunderung ansehen können. Rechts perlt der sogenannte Fürstenbrunn sein klares gesundes Wasser, und gerade vor dir, im Garten, erhebt sich romantisch genug, der schlanke Stamm einer Ceder Libanons. Ein prächtiges Amphitheater von ächten Kastanien Eichen und andern mahlerischen Bäumen zieht sich rings umher, und auf einer kahlen Bergspitze reden die Rudera einer uralten Burg, des sogenannten Kaiserstuhls, die Verstand und Herzerschütternde Sprache großer Revolutionen. In dem Garten selbst erinnert das herabsinkende Gemäuer rundumher an die Vergangenheit und an die Generation welche einst war und jezt nicht mehr ist. Halbverschüttete Grotten, Trümmer von Kolossalischen Bildsäulen zeigen überall Spuren eines Geistes der die Schönheiten der Natur zusammenzudringen wagte. Das grüne Gebüsch das aus den Mauerritzen hervorwächst und das lange Gras, das über den Grotten hin und herwogt, bringt Leben in diese Scene. Aber nichts erfüllt das Herz so ganz mit unaussprechlichen [281] Gefühlen als die Aussicht, welche man am Ende des Gartens, vom Rande einer steilen Mauer, weit schöner und unbegränzter als auf dem Altan des Schlosses genießt. Hier vereinigt sich alles zum wahren Ideal einer anmuthigen Landschaft, und schwerlich wird Wielands Phantasie eine schönere geschwärmt haben, als er seinen Hüon zum erstenmal in das Paradies des Einsiedlers blicken ließ.

Ich hätte mich Stundenlang hier ergötzen können, ungeachtet des widrigen Eindrucks, welchen jezt das nahe Carmeliter-Kloster auf mein Herz machte, das emporschwoll bey dem Anblick der Thätigkeit, die sonst überall in dem schönen Thal rauschte und erklang. Während ich meiner Begeisterung nachhieng, hatte ich die kleinliche Wirklichkeit ganz vergessen, und dachte zu nichts als an die immer rege Kraft, wovon das Universum fluthet.

Du wirst dich vielleicht wundern, Constantin, wenn ich dir sage, daß ich entschloßen bin, bis nächsten Sommer hier in Heidelberg zu bleiben. Aber wenn du den Mann kenntest, welchen ich hier zum Freunde erkohr, du würdest mir nachziehen, um die Freuden seiner Gesellschaft genießen zu können. Wenige kennen ihn von [282] seiner merkwürdigsten Seite, für wenige scheint sein Herz geschaffen; er blüht wie eine köstliche Blume in der Einöde, tausend Wandrer eilen an ihr vorbey, aber wer da sucht, der findet!

Womit ich mich jetzt beschäftige, kannst du dir leicht vorstellen. Was mich dann aufmuntert, sind die Männer des Alterthums, und unter den Teutschen, Luther und Hutten. Mit ihren Denkmalen schließe ich mich ein in meine Kammer, oder irre umher auf den Gebürgen, zuweilen kämpfend mit Schwermuth, öftrer versunken in Ahndungen einer bessern freudenvollern Zukunft. Neulich fand ich süßen Trost in einem Briefe, womit ein deutscher Mann, der schon jetzt im Tempel der Unsterblichkeit steht, mich beschenkte. Die Stelle heißt: „Ihrer Begierde, sich auszuzeichnen durch Bestrebung nach Großem, wünsche ich nur günstige Umstände. Die Vorsehung würde Sie nicht so weit geführt haben, wenn sie solche Anlagen und so ein Herz nicht zu etwas anzuwenden vorhätte. Es ist doch nun die Zeit einer Crise in vielem: die Staaten sind erschüttert; es kämpft vielfältig Freyheit mit Knechtschaft; die Religion ist in einer solchen Lage, daß, nach dem Willen des Vaters der Menschen, entweder ihre Fackel bald erlöschen, oder mit neuem reinen [283] Feuer entzündet werden muß und wird; so ist Philosophie und Moral auch in einem Uebergang aus veralteter Scholastik und Möncherey zur wahrhaften Lebens und Bürgerweisheit. Viele Palmen sind aufgestekt, deren die darnach ringen, wenigere als man erwarten sollte; sie kosten zu viel Mühe für das Arbeitscheue Jahrhundert. – Daß Sie sich über Verkennungen erheben, daran thun Sie sehr wohl; ich habe deren viel erfahren, und es wird jeglichem nach seiner Art auch so gehen. Man schreite nur fort im Gefühl des wahren Guten. Ohne solchen Luthersglauben giebts keine Größe!“ –

B.     
Die Fortsetzung folgt.

Anmerkungen

  1. Pop’es Heloise an Abaillard. Ich habe hier meine Uebersetzung mit derjenigen vertauscht, welche Bürger uns in seinem 93 Musenalmanach geschenkt hat. Die Leser haben gewiß dabey gewonnen, und der Anachronismus ist zu vergeben.