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Schwarzblattl

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Textdaten
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Autor: M. Haushofer
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Titel: Schwarzblattl
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 788
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[777]

Schwarzblattl.
Nach dem Oelgemälde von Fr. Defregger.
Photographie im Verlag von Fr. Hanfstängl in München.

[788] Schwarzblattl. (Mit Illustration S. 777.) Tirol ist nicht nur wegen seiner Berge, sondern auch wegen seiner Menschen ein seltsames Land. In seinen einsamen Hochthälern haben Reste versprengter Völkerschaften Zuflucht gefunden, wohl schon lange, ehe man anfing, Geschichte zu schreiben; und auch nachher noch. Diese Völkerreste ließen Erinnerungen in alten Orts- und Familiennamen, in sprachlichen Wendungen und in den Gesichtszügen der Lebenden zurück. Da findet man Gesichter, die an nichts anderes mahnen können, als an die letzten Cimbern, die dem Römerschwerte des Marius entronnen, und wieder andere vom vollendetsten Typus des Südländers. Eins aber ist hier wie dort ausfallend: die klassische Schönheit der Mädchen. In diesem Punkte ist Tirol ein wahrhaft gesegnetes Land.

Eine echt tirolische Schönheit ist es auch, die Franz Defregger in dem Bilde „Schwarzblattl“ uns vorführt, eins von jenen Mädchengesichtern, wie man sie wohl in den entlegensten Thälern an der Grenze von Kärnten findet; aber auch unter den Weinlauben von Meran und an den Gletscherbächen des oberen Etschthales. Wenn sie aus ihren braunen Holzhütten treten oder aus der weißgetünchten Thür ihrer kleinen Dorfkirche, meint man, griechische Göttinnen hätten sich in Bauernkittel gesteckt, um den Wanderer mit ihren unergründlichen Augen zu berücken.

So war mir’s auch bei diesem Bilde. Ich sann und sann, wo ich das „Schwarzblattl“ schon gesehen hätte, und durchwanderte in Gedanken wieder all die steinigen Jochsteige und weltfremden Dorfgassen von den Quellen der Drau bis zur Malser Heide. Und endlich fiel es wie ein Sonnenstrahl in meine Erinnerung, und das wirkliche, lebendige „Schwarzblattl“ tauchte wieder vor mir auf im Zauber seiner Jugendschöne, mit der räthselhaften Melancholie seiner tiefdunklen Augen. Ich sah sie wieder vor mir sitzen, auf der Holzbank vor dem Wirthshause zu Ridnaun; unfern von dem Gletscherbach, der aus der blauen Eishalle des Ueblenthalferners herabschäumt, um sich in den Eisack zu ergießen. An einem heißen Augusttage war ich von Sterzing aus hinaufgestiegen; ich wollte am nächsten Morgen höher, zu den Stubayer Fernern empor, und dann nach Meran hinunter. Beim Wirthe zu Ridnaun mußte ich übernachten; und als ich ankam, saß das „Schwarzblattl“ auf der Hausbank und hatte die Hand in einer hölzernen Schüssel, welche mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt war. Sie saß ganz still und regungslos, als lauschte sie nur aus den rauschenden Gletscherbach; und als ich sie grüßte, dankte sie auch still und träumerisch. Auf alle Fragen gab sie Antwort mit einem Gemisch von Freundlichkeit, Stolz und Schwermuth.

Da erfuhr ich denn Folgendes: Das „Schwarzblattl“ war nicht aus dem Thale daheim, sondern weit her gekommen, aus der Gegend von Innichen. Es war durch’s ganze Pusterthal, damals noch ohne Eisenbahn, gereist, um den Wirth von Ridnaun aufzusuchen. Dieser war damals im ganzen mittleren Tirol als bäuerlicher Heilkünstler hochangesehen, und zur Sommerszeit weilten immer einige Patienten in seinem geräumigen Hause, um sich seiner Kur zu unterwerfen. Und darum war auch das „Schwarzblattl“ heraufgestiegen, damit ihm der Wirth die kranke Hand heile, die bisher allen Heilversuchen Widerstand geleistet hatte. Es zeigte mir die Hand – eine arme weiße Hand, um die Hälfte kleiner als die andere. Es hatte sich die Hand vor Jahren einmal verletzt; seitdem war sie nicht mehr gesund geworden trotz aller Bemühungen des Doktors von Innichen und der Pusterthaler Kurpfuscher, welche wahrscheinlich alles, was der Doktor gutgemacht hatte, wieder verdorben hatten. Nun war der breitschulterige Wirth von Ridnaun mit seinem schlauen jovialen Gesichte die letzte Hoffnung des Pusterthaler Mädchens. Aus trockenen, scharf würzigen Alpenkräutern kochte er ein Heilmittel; darin mußte die Patientin jeden Tag ein paar Stunden lang die Hand liegen lassen. Ihre Hoffnung war freilich eine sehr geringe; mich aber tröstete die Zuversicht des Wirthes, der ihr fest versprochen hatte, die Hand gesund zu machen. Und weil der Mann nach jeder anderen Richtung hin so viel Erfahrung und gesundes Urtheil zeigte, konnte man wohl auch seinem ärztlichen Scharfblick einigermaßen vertrauen. Schlimmer als mit dem Mädchen stand es, wie der Wirth selber eingestand, mit einem anderen seiner Patienten, einem alten Bergmann aus den nahgelegenen Schneeberger Gruben. „Der wird nimmer!“ sagte der Wirth. Und ich glaubte es ohne weiteres.

Als ich am nächsten Morgen aufbrach, saß die schöne Pusterthalerin schon wieder auf der Hausbank und hatte die Hand in der hölzernen Schüssel. Die gesunde Rechte reichte sie mir zum Abschied, und als ich ihr meine felsenfeste Hoffnung ausdrückte, daß sie geheilt über die Felsen von Ridnaun wieder Hinuntersteigen werde, grüßte mich ein schwermüthiger Dankesblick aus den wunderbaren Augen des Mädchens. Ich wanderte hinauf, viele Stunden lang, zu den erzreichen Halden des Schneebergs und zu den Eisfeldern zwischen dem Brenner und dem Oetzthale. Als es dann wieder thalab ging durch das Passeier, als an die Stelle der Eisfelder zuerst die Alpenwiesen, dann die reifen Kornfelder und endlich die Kastanien und die Rebengelände von Meran traten, da sah ich wohl noch manches schöne Mädchengesicht mit dunklen Feueraugen und hörte silbernes Lachen aus dem Weinlaub heraus, aber so schön wie das Pusterthaler Mädchen im Wirthshaus zu Ridnaun war keine andere; so viel liebliche Schwermuth, so tiefe Empfindung fand ich auf keinem Antlitz mehr, nicht in Meran und in Bozen und im ganzen Tirol. Nur Meister Defregger hat mir das Mädchen von Innichen wieder gezeigt. Ob sie es war oder eine andere – er hat sie getroffen!

M. Haushofer.