Schwere, Elektricität und Magnetismus/Fünfter Abschnitt

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Fünfter Abschnitt.


Galvanische Ströme.



§. 54.
Specifische Stromintensität.


 Wir betrachten jetzt den Fall, dass in den Leitern die beiden Elektricitäten fortwährend geschieden werden. Die scheidenden Kräfte setzen wir als bekannt voraus.

 In jedem Leiter ist eine unendliche Menge elektrischer Theilchen enthalten. Soll nach aussen keine Wirkung ausgeübt werden, so muss in jedem, noch so kleinen elektrischen Theilchen des Leiters die algebraische Summe der Elektricitätsmengen gleich Null sein.

 Die Elektricitätsmenge , die in einem elektrischen Theilchen vorhanden, ist das Maass der Anziehung oder Abstossung, welche es in der Einheit der Entfernung auf die elektrische Einheit ausübt.

 Wir nehmen im Innern des Leiters eine beliebige Fläche (Fig. 31) und betrachten an irgend einer Stelle derselben ein Flächenelement
Fig. 31.
. Die Normale dieses Flächenelementes geht von ihm aus in zwei verschiedenen Richtungen, die wir als die Richtungen der positiven und der negativen Normale unterscheiden. Die positive (resp. negative) Seite der Fläche ist dem Raume zugekehrt, in welchen die positive (resp. negative) Normale eintritt. In dem Zeitelement gehen durch das Flächenelement sehr viele elektrische Theilchen von der negativen Seite der Fläche nach der positiven und umgekehrt von der positiven nach der negativen hinüber.

 Die algebraische Summe der Elektricitätsmengen, welche in der Zeit durch das Flächenelement von der negativen auf die positive Seite übergehen, vermindern wir um die algebraische Summe der Elektricitätsmengen, welche in derselben Zeit durch dasselbe Flächenelement von der positiven auf die negative Seite übergehen. Die Differenz dividiren wir durch die Grösse des Flächenelementes und durch . Der Quotient soll die specifische Stromintensität in der Richtung der positiven Normale des Flächenelementes genannt werden. Bezeichnen wir dieselbe mit , so ist hiernach



die Elektricitätsmenge, welche in der Zeit durch das Flächenelement von der negativen auf die positive Seite mehr übertritt als von der positiven auf die negative.
Fig. 32.

 Das Flächenelement liege (Fig. 32) rechtwinklig zu der Axe der . Die elektrischen Theilchen werden durch dasselbe im allgemeinen in sehr verschiedenen Richtungen mit sehr verschiedenen Geschwindigkeiten hindurchgehen. Wir betrachten zunächst nur eine einzige Geschwindigkeit , deren Richtung mit den positiven Coordinatenaxen die Winkel einschliesse. Dieselbe Richtung geben wir der Axe eines Cylinders, welcher das Flächenelement zur Basis hat, und dessen Endflächen auf der Axe die Länge abschneiden. Dabei ist eine absolute Zahl. Der Inhalt des Cylinders findet sich


(1)


da die Geschwindigkeits-Componente in der Richtung der ist. In dem Ausdrucke (1) ist das positive oder das negative Vorzeichen gültig, je nachdem positiv oder negativ ist. Wir nehmen an, dass zur Zeit und während des nächstfolgenden Zeitelementes die Elektricitätsmengen, die mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit in der gegebenen Richtung sich bewegen, in unendlicher Nähe des Punktes völlig gleichmässig vertheilt vorkommen. Nun sei zur Zeit das an den Punkt anstossende Raumelement mit elektrischen Theilchen von der fraglichen Geschwindigkeit erfüllt, deren Elektricitätsmenge die algebraische Summe habe. Dann sieht man, dass


(2)


die algebraische Summe der Elektricitätsmenge derjenigen Theilchen ist, welche mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit behaftet den Cylinder zur Zeit erfüllen. Diese und nur diese sind es aber, die während des vorhergehenden Zeitelementes in der vorgeschriebenen Richtung die Basisfläche des Cylinders mit der Geschwindigkeit durchschritten haben.

 Wiederholt man diese Betrachtung für jede Richtung und jede Geschwindigkeit, so sind alle elektrischen Theilchen berücksichtigt, welche nach Ablauf der Zeit in dem nächstfolgenden Zeitelement überhaupt durch das Flächenelement hindurchgehen. Man erhält dann so viel Ausdrücke von der Form (2), als Geschwindigkeiten nach Grösse und Richtung verschieden vorkommen. Diese Ausdrücke lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen, je nachdem positiv oder negativ ist. Für die erste Gruppe gibt der Ausdruck


(3)


die algebraische Summe der Elektricitätsmengen, welche während des betrachteten Zeitelementes von der negativen auf die positive Seite von übergehen. Man hat dann aber in (3) die Summirung über alle elektrischen Theilchen zu erstrecken, welche mit positiver Geschwindigkeits-Componente behaftet in dem Raumelement vorkommen. Ebenso erhält man für die zweite Gruppe


(4)


als algebraische Summe der Elektricitätsmengen, die von der positiven auf die negative Seite von übergehen. Die Summirung in (4) bezieht sich auf alle in enthaltenen Theilchen, deren Geschwindigkeits-Componente negativ ist. Um daher der Definition gemäss die specifische Stromintensität in der Richtung der zu berechnen, hat man die Summe (4) von (3) zu subtrahiren und die Differenz durch zu dividiren. In entsprechender Weise verfahren wir für die Richtungen der beiden anderen Axen.

 Bezeichnen wir also mit die specifischen Stromintensitäten in den Richtungen der drei Coordinatenaxen, so ergeben sich für sie die Gleichungen:


(5)




Die Summirungen beziehen sich auf alle elektrischen Theilchen, welche zur Zeit t in dem an den Punkt angrenzenden Raumelement vorhanden sind. Für jedes Theilchen ist seine Elektricitätsmenge mit der zugehörigen Geschwindigkeits-Componente zu multipliciren und alle so gebildeten Producte sind zu summiren.

 Aus den drei Grössen lässt sich die specifische Stromintensität in irgend einer Richtung ableiten. Es sei die Geschwindigkeits-Componente eines einzelnen elektrischen Theilchens in der Richtung, welche mit den positiven Coordinatenaxen die Winkel einschliesst. Dann haben wir


(6)


Bezeichnen wir mit die specifische Stromintensität in derselben Richtung, so erhalten wir entsprechend den drei Gleichungen (5):



und hieraus unter Benutzung der Gleichungen (6) und (5):


(7)



 Wir wollen nun eine Richtung aufsuchen, in welcher die specifische Stromintensität durch die Gleichung ausgedrückt wird:


(8)


Sind die Winkel, welche diese Richtung mit den Coordinatenaxen einschliesst, so ergeben sich zu ihrer Bestimmung die Gleichungen:


(9)


Denn durch diese Werthe geht die Gleichung (7) in (8) über, wenn gesetzt wird. Man kann aber auch direct von (9) zu (8) gelangen, da bekanntlich



 Um die Bedeutung der specifischen Stromintensität zu erkennen, deren Richtung durch die Gleichungen (9) festgelegt wird, führen wir die Werthe von aus (9) in (7) ein. Dadurch ergibt sich:


(10)


Die Klammergrösse ist aber , wenn den Winkel der beiden Richtungen und bezeichnet. Wir haben also kürzer:


(11)


Speciell ergibt sich


(12) für


für


Die durch die Gleichungen (9) festgelegte Richtung hat also die Eigenschaft, dass rechtwinklig zu ihr die specifische Stromintensität gleich Null ist, in ihr selbst aber ein Maximum. Diese Richtung ist demnach die Richtung der Strömung. Kennt man im Innern eines Leiters an irgend einer Stelle die specifischen Stromintensitäten in drei auf einander rechtwinkligen Richtungen, so findet sich daraus die Richtung der Strömung und die specifische Stromintensität in dieser Richtung nach demselben Gesetze, welches für die Zusammensetzung der Geschwindigkeiten und für die Zusammensetzung der Kräfte gilt. Man kann dasselbe das Gesetz vom Parallelepipedon der specifischen Stromintensitäten nennen.


§ 55.
Freie Elektricität. Die Gleichung: .


 Unter der freien Elektricität, welche in einem Körperelement resp. in einem Oberflächenelement enthalten ist, verstehen wir die algebraische Summe der in dem Körperelement, resp. dem Oberflächenelement überhaupt vorhandenen Elektricitätsmengen. Dividiren wir diese Summe durch den Rauminhalt des Körperelementes, resp. durch den Flächeninhalt des Oberflächenelementes, so ergibt sich ein Quotient, der die Dichtigkeit der freien Elektricität an der betreffenden Stelle genannt wird. Wir bezeichnen ihn mit .

 Im Innern eines Leiters werde nun ein unendlich kleines Parallelepipedon betrachtet, dessen Kanten von der Länge den
Fig. 33.
Coordinatenaxen parallel laufen. Der dem Anfangspunkte zunächst gelegene Eckpunkt habe die Coordinaten (Fig. 33). Es handelt sich um die Berechnung der Elektricitätsmenge, um welche während eines Zeitelementes sich die freie Elektricität im Innern des Parallelepipedon vermehrt. Dazu hat man den Durchgang durch die sechs Begrenzungsflächen zu betrachten. Rechtwinklig zur Axe der liegen zwei Seitenflächen, jede vom Flächeninhalt . In der einen haben alle Punkte die erste Coordinate , in der anderen . Durch jene strömt in der Zeit die Elektricitätsmenge




durch diese die Elektricitätsmenge



Die zuerst berechnete Elektricitätsmenge tritt in das Parallepipedon ein, die zweite tritt aus, und es ergibt sich als Zuwachs für das Innere:



In derselben Weise berechnen wir die Zunahmen, welche von dem Durchgang durch die Seitenflächen herrühren, auf denen die Axe und resp. die Axe rechtwinklig stehen. Wir erhalten




Die ganze Zunahme an freier Elektricität, welche dem unendlich kleinen Parallelepipedon in dem Zeitelement zu Theil wird, findet sich, wenn man die drei letzten Ausdrücke addirt.

 Andererseits hat man zu beachten, dass



die gesammte freie Elektricität ist, welche zur Zeit in dem Parallelepipedon sich befindet. Diese erleidet in dem nächsten Zeitelement die Zunahme



Wir haben danach für dieselbe Zunahme zwei verschiedene Ausdrücke gewonnen und erhalten durch ihre Gleichsetzung die wichtige Gleichung:


(1)



§. 56.
Die Scheidungskraft, die specifische Stromintensität und der specifische Widerstand.


 Für einen beliebigen Leiter besteht, wie wir (§. 45) gesehen haben, das elektrische Gleichgewicht darin, dass die freie Elektricität mit einer für jeden Punkt bestimmten Dichtigkeit über die Oberfläche vertheilt ist, und dass an jeder Stelle im Innern die Dichtigkeit der Elektricitat den Werth Null hat. Dieser Zustand ist jedoch so aufzufassen (§. 44), dass in jedem noch so kleinen Raumelement des Innern gleiche Quantitäten positiver und negativer Elektricität in neutralem Gemisch vorhanden sind.

 Betrachten wir nun nach eingetretenem Gleichgewicht ein einzelnes elektrisches Theilchen, so bieten sich über sein Verhalten zwei Auffassungen dar. Entweder kann man nemlich an- nehmen, dass jedes Theilchen sich in Ruhe befinde. Oder man kann sich alle elektrischen Theilchen in einer fortwährenden Bewegung begriffen denken, in einer Bewegung, bei der das Gleichgewicht der Elektricitäten darin besteht, dass an keiner Stelle des Leiters die Dichtigkeit eine Aenderung erleidet, und dass die specifische Stromintensität überall gleich Null ist.

 Aendert der Leiter, den wir betrachten, seine Lage gegen andere elektrisch geladene Körper, so bleibt im Innern die Dichtigkeit überall Null. In der Oberfläche gehört aber zu jeder neuen Lage des Leiters eine bestimmte neue Vertheilung der freien Elektricität, die sich in demselben Momente fertig herstellt, in welchem der Leiter die neue Lage einnimmt (§. 47). Wenn man die relative Bewegung des betrachteten Leiters und aller übrigen geladenen Körper plötzlich unterbricht, so ist die neue Gleichgewichtslage der elektrischen Theilchen in demselben Moment (oder doch nach unmessbar kurzer Zeit) fertig vorhanden. Dies Verhalten ist noch der Erklärung bedürftig.

 Nimmt man an, dass beim elektrischen Gleichgewichte jedes einzelne elektrische Theilchen in Ruhe sei, so kann bei einer Bewegung des Leiters die neue Vertheilung der freien Elektricität nur durch eine Bewegung der elektrischen Theilchen zu Stande kommen. Bei einer plötzlichen Fixirung aller geladenen Körper erklärt sich dann die momentane Herstellung des neuen elektrischen Gleichgewichtes nur dadurch, dass die Geschwindigkeit jedes elektrischen Theilchens in unmessbar kurzer Zeit zu Null wird.

 Anders verhält sich die Sache, wenn man die elektrischen Theilchen unter allen Umständen in Bewegung begriffen annimmt. Beim elektrischen Gleichgewicht ist diese Bewegung so beschaffen, dass überall die specifische Stromintensitat gleich Null ist und die Dichtigkeit der freien Elektricität nirgends eine Aenderung erleidet. Während der relativen Bewegung der geladenen Körper modificirt sich die Bewegung der elektrischen Theilchen so, dass die specifische Stromintensität nicht mehr überall gleich Null ist. Die auftretenden specifischen Stromintensitäten bewirken, dass im Innern des betrachteten Leiters die Dichtigkeit überall Null bleibt, und dass in der Oberfläche bei jeder neuen Lage der geladenen Körper die neue Vertheilung der freien Elektricität vorhanden ist, wie das elektrostatische Gesetz sie verlangt. Bei plötzlicher Fixirung der geladenen Körper gehen die Geschwindig- keiten der elektrischen Theilchen nicht in Null über. Sie ändern sich nur so, dass sofort die specifische Stromintensität überall Null ist.

 Wir geben dieser zweiten Auffassung den Vorzug. Wir nehmen an, dass die elektrischen Theilchen im Innern jedes Leiters in einer fortwährenden, ausserordentlich raschen Bewegung begriffen sind, die nur davon herrührt, dass jedes elektrische Theilchen durch die unmittelbar benachbarten Theilchen getrieben wird. So lange zu diesen molekularen Einwirkungen keine scheidenden Kräfte hinzutreten, ist die specifische Stromintensität überall Null. Findet aber an irgend einer Stelle im Innern des Leiters eine Scheidung der Elektricitäten statt, so besteht die Wirkung darin, dass in einer bestimmten Richtung die eine Elektricität beschleunigt, die entgegengesetzte verzögert wird. Durch ein Flächenelement, dessen Normale in jene Richtung fällt, gehen in Folge dessen nicht mehr ebenso grosse Elektricitätsmengen von der negativen zur positiven Seite über wie umgekehrt von der positiven zur negativen Seite. Oder mit anderen Worten: Ueberall da, wo Scheidung stattfindet, ist die specifische Stromintensität in der Richtung der scheidenden Kraft nicht mehr gleich Null. Fur jede Richtung normal zu der scheidenden Kraft bleibt dagegen die specifische Stromintensität Null.

 Im Vergleich zu den Molekularkräften, welche die fortdauernde, sehr rasche Bewegung der elektrischen Theilchen hervorbringen, haben wir die Scheidungskräfte verschwindend klein anzunehmen. Die specifische Stromintensität an irgend einer Stelle ist nun eine stetige Function der daselbst auftretenden Scheidungskraft, die mit dieser gleichzeitig Null wird. Man könnte sich diese Function nach positiven, ganzen, ungeraden Potenzen der Scheidungskraft entwickelt denken, und darf, so lange das Verhältnis der letzteren zu den elektrischen Molekularkräften verschwindend klein ist, sich auf die erste Potenz beschränken. D. h. die specifische Stromintensität ist der Scheidungskraft proportional.

 Bezeichnen wir also mit die gesammte elektrische Scheidungskraft im Punkte im Innern eines Leiters und mit ihre Componenten in der Richtung der Coordinatenaxen, so gelten die Gleichungen:


(1)





Den Factor nennen wir den specifischen Widerstand des Leiters und die reciproke Grösse seine Leitungsfähigkeit. Die Grösse (und folglich auch ) ist constant für ein und denselben homogenen Leiter. Der Werth derselben ist aber ein anderer, je nachdem der Stoff ein anderer ist, aus welchem der Leiter besteht.



§. 57.
Beharrliche Ströme. Die drei Bedingungsgleichungen für .


 Wir wollen die besondere Voraussetzung machen, dass die scheidende Kraft von der Zeit unabhängig, also für alle Punkte im Innern des betrachteten Leiters eine Function nur von den Raum-Coordinaten sei. Die Componenten der scheidenden Kraft, welche im Punkte auf die dort vorhandenen Elektricitätsmenge einwirkt, sollen mit bezeichnet werden und als Functionen von im Innern des Leiters gegeben sein. In Folge der Scheidung sammelt sich freie Elektricität an. Die davon herrührende Potentialfunction bezeichnen wir mit . Es ist also (§. 45)



Danach sind die Componenten der elektromotorischen Gesammtkraft, welche auf die im Punkte vorhandene Elektricitätsmenge ausgeübt wird, resp.





und diese Componenten haben resp. die Richtung der Axen der , der , der . Für die specifischen Stromintensitäten in denselben Richtungen erhalten wir also, entsprechend den Gleichungen (1) des vorigen Paragrapben, die Ausdrücke:





Die angesammelte freie Elektricität wirkt einer unaufhörlich fortgesetzten neuen Ansammlung von freier Elektricität Entgegen. In Folge dessen wird von einem gewissen Zeitpunkte an die Dichtigkeit der freien Elektricität an keiner Stelle des Leiters mehr sich ändern, d. h. es wird von diesem Zeitpunkte an sein. Mit Rücksicht auf die Gleichung (1) des §. 55 erhalten wir also für jeden Punkt im Innern des Leiters:



oder, wenn für die obigen Ausdrücke eingesetzt werden:


(1)


 Die freie Oberfläche des Leiters soll isolirt sein. Dann ist in jedem ihrer Punkte die normal gegen sie gerichtete specifische Stromintensität gleich Null. Wir ziehen von einem Punkte in der freien Oberfläcbe die Normale nach innen und bezeichnen einen auf ihr genommenen Abstand mit . Die specifische Stromintensität normal gegen die Oberfläche ist



Wenn man diese gleich Null setzt, so ergibt sich für jeden Punkt der freien Oberfläche die Bedingungsgleichung:


(2) .


 Aendern sich die Grössen im Innern des Leiters an keiner Stelle sprungweise, so treten weiter keine Gleichungen auf. Wir wollen aber noch den Fall betrachten, dass jene Grössen im Innern des Leiters beim Durchgang durch einzelne Flächen sich sprungweise ändern. Es werde von einem Punkte einer Unstetigkeitsfläche aus nach beiden Seiten die Normale gezogen und darauf ein Abstand nach der einen Seite hin positiv, nach der anderen Seite negativ gerechnet. Dann ist noch auszudrücken, dass für zwei Punkte dieser Normale, die auf verschiedenen Seiten der Fläche unendlich nahe am Punkte liegen, die specifische Stromintensität in der Richtung der wachsenden dieselbe ist. Oder mit anderen Worten: dass an jeder Stelle der Unstetigkeitsfläche in den Raum auf der positiven Seite in jedem Zeitelement eben so viel Elektricität einströmt, als aus dem Raume auf der negativen Seite ausströmt. Dies spricht sich aus in der Gleichung:


(3)


 Die Gleichung (3) gilt für jeden Punkt der Unstetigkeitsflächen im Innern des Leiters.



§. 58.
Eindeutige Existenz von .


 Es soll nun bewiesen werden, dass immer eine Function existirt, welche den Bedingungen (1), (2), (3) des vorigen Paragraphen Genüge leistet und zu beiden Seiten jeder Unstetigkeitsfläche Werthe von gegebener Differenz besitzt. Um diesen Beweis zu führen, schliessen wir von dem Raume, welchen der Leiter ausfüllt, solche Räume von unendlich kleiner Dicke aus, welche die Unstetigkeitsflächen in sich fassen. Wie dies gemacht wird, ist in §. 21 auseinandergesetzt und durch Figur 12 erläutert. Der übrig bleibende Raum des Leiters soll mit bezeichnet werden. In seinem Innern sind überall endlich und frei von Unstetigkeiten. Unter werde irgend eine Function von verstanden, die den folgenden beiden Bedingungen genügt. Für je zwei Punkte, die unendlich nahe an einander auf entgegengesetzten Seiten einer Unstetigkeitsfläche liegen, sollen die Werthe von eine gegebene endliche Differenz besitzen, und im Innern des Raumes sollen die ersten Derivirten von überall endlich und stetig variabel sein.


 Solcher Functionen gibt es unendlich viele. Wird eine von ihnen mit bezeiclmet, so lässt sich jede andere in die Form bringen:



wenn eine passend zu wählende Constante bedeutet und eine Function von ist, die denselben Bedingungen genügt wie , die aber selbst in den Unstetigkeitsflächen von nicht unstetig wird.

 Hiernach hat das Integral:


(1)


über den Raum erstreckt, einen endlichen, positiven Werth. Dieser Werth ändert sich, wenn man von einer Function zu einer anderen übergeht. Unter allen zulässigen Functionen gibt es demnach mindestens eine – wir wollen sie mit bezeichnen –, welche den Integralwerth zu einem Minimum macht. Die Bedingung dafür lautet


(2)


wenn unendlich klein genommen wird. Nun lässt sich aber entwickeln. Der Rechnungsgang ist in §. 34 vorgeschrieben. Man erhält:


(3)


Auf der rechten Seite der Gleichung (3) ist der erste und der dritte Bestandtheil positiv. Der zweite kann sowohl positiv als auch negativ ausfallen. Soll die Bedingung (2) befriedigt werden, so ist dazu nothwendig und hinreichend, dass


(4)


sei. Denn in der That kommt dann auf der rechten Seite von (3) zu ein positives Glied hinzu, das nur dann zu Null wird, wenn überall . Die Gleichung (4) ist also hinreichend für das Zustandekommen von (2). Sie ist aber auch nothwendig. Denn wenn sie nicht erfüllt wäre, so könnte man das Vorzeichen von so wählen, dass auf der rechten Seite von (3) der zweite Bestandtheil negativ ausfiele, und den Zahlwerth von so klein machen, dass der dritte Bestandtheil kleiner würde als der Zahlwerth des zweiten Bestandtheils. Dann hätte man



was mit (2) im Widerspruch steht.

 Nun können wir das Integral auf der linken Seite der Gleichung (4) nach §. 20 transformiren. Dadurch geht die Gleichung (4) in folgende über:


(5)


Das erste der beiden Integrale ist über den ganzen Raum zu erstrecken, das zweite über seine gesammte Oberfläche. Soll die Gleichung (5) erfüllt werden, so hat man jedes der beiden Integrale für sich gleich Null zu setzen. Das Raum-Integral wird zu Null, wenn für jeden Punkt im Innern von die mit multiplicirte Klammergrösse den Werth Null hat. Dies liefert die Bedingungsgleichung (1) des vorigen Paragraphen.

 Die Oberfläche von besteht erstens aus der freien Oberfläche des Leiters und zweitens aus den Hüllen der Unstetigkeitsflächen im Innern. Man hat also zunächst für jeden Punkt in der freien Oberfläche des Leiters gleich Null zu setzen, was mit multiplicirt ist. Dies liefert die Bedingungsgleichung (2) des vorigen Paragraphen.

 Die Hüllen einer Unstetigkeitsfläche sind zwei Flächen, welche auf entgegengesetzten Seiten unendlich nahe an ihr liegen und auf ihren Normalen resp. die unendlich kleinen Abschnitte und hervorbringen. Da die Normale immer nach dem Innern des Raumes gezogen wird, so hat man auf der positiven Seite der Unstetigkeitsfläche und auf der negativen Seite . Die Function ändert sich stetig, wenn der Punkt durch die Unstetigkeitsfläche hindurchgeht. Für zwei Punkte, die auf der negativen und auf der positiven Seite derselben Normale unendlich nahe an der Fläche liegen, hat also zwei Werthe, die von dem Werthe in dem Fusspunkte der Normale nur unendlich wenig verschieden sind. Das Oberflächen-Integral, welches über die beiden Hüllen einer Unstetigkeitsfläche erstreckt werden soll, ist demnach so zu schreiben:



Als Beitrag zu der Gleichung (5) ist dieses Integral einmal über alle Unstetigkeitsflächen zu erstrecken. Damit es den Werth Null erhalte, hat man für jeden Punkt in allen Unstetigkeitsflächen gleich Null zu setzen, was unter dem letzten Integral mit multiplicirt ist. Dies liefert die Bedingungsgleichung (3) des vorigen Paragraphen.

 Da nun unter allen zulässigen Functionen mindestens eine das Integral (1) zu einem Minimum macht, so erfüllt diese eine Function die Bedingungen (1), (2), (3) des vorigen Paragraphen. Es lässt sich noch zeigen, dass, abgesehen von einer additiven Constanten, diese Function die einzige Lösung der Aufgabe ist. Angenommen, es gäbe ausser noch eine andere Function , welche das Integral (1) ebenfalls zu einem Minimum macht, so würde die Bedingung dafür lauten:


(6)


wenn jetzt unter eine Constante verstanden wird, die unendlich nahe an 1 liegt. Beachtet man aber, dass die Function der Gleichung (4) Genüge leistet, so ergibt sich:



und



Folglich geht die Bedingung (6) in folgende Form über:


(7)


Man darf aber die Constante , welche unendlich nahe an 1 liegen soll, nicht bloss grösser, sondern auch kleiner als 1 nehmen. Die Bedingung (7) lässt sich deshalb nur dadurch erfüllen, dass das Integral den Werth Null erhält. Um das zu erreichen, hat man für jeden Punkt im Innern des Leiters



d. h. zu setzen.

 Es gibt also immer eine Function , welche den Bedingungsgleichungen (1), (2), (3) des vorigen Paragraphen Genüge leistet und zu beiden Seiten jeder inneren Unstetigkeitsfläche Werthe von gegebener Differenz besitzt. Jede andere Function, die dies auch thut, unterscheidet sich von jener nur durch eine additive Constante.

 Der Werth der additiven constanten Grösse lässt sich aus den gegebenen scheidenden Kräften nicht bestimmen. Ist ein Punkt der Leiteroberfläche mit der Erde durch einen unendlich dünnen Draht in Verbindung gesetzt, so ist in diesem Punkte . Ist dagegen der Leiter vollständig isolirt, so ist die algebraische Summe der Elektricitätsmengen constant, und zwar gleich Null, wenn ursprünglich keine freie Elektricität vorhanden war. In beiden Fällen gibt dies eine Nebenbedingung zur Bestimmung der additiven Constanten.

 Nachdem die Function für das Innere und die Oberfläche des Leiters bestimmt ist, kommt es noch darauf an, sie in den äusseren Raum hinein stetig so fortzusetzen, dass sie dort für jeden Punkt die Laplace’sche Gleichung



erfülle und dass sie in unendlicher Entfernung gleich Null sei. Es ist früher schon (§. 34) gezeigt, dass diese Fortsetzung der Function immer und nur auf eine Weise existirt. Zu ihrer Ermittlung ist der Green’sche Satz in Anwendung zu bringen (§. 21).

 Ist die Function für jeden Punkt im ganzen unendlichen Raume bekannt, so findet sich die Dichtigkeit der freien Elektricität im Innern des Leiters nach der Formel (6) und in der Oberfläche nach der Formel (7) des §. 45. Wenn in einem Theile des Leiters und ist, so geht hier die Gleichung (1) des vorigen Paragraphen über in:



d. h. es ist dann in diesem Theile des Leiters die Dichtigkeit der Elektricität gleich Null.



§. 59.
Die von der bewegten Elektricität geleistete Arbeit.


 Wir wollen noch untersuchen, welche Bedeutung das Integral (1) des vorigen Paragraphen in dem Falle hat, dass sein Werth ein Minimum ist. Dasselbe lautet:


(1)


Die Function , welche den Minimalwerth zu Stande bringt, ist bewiesenermaassen die Potentialfunction der freien Elektricität; folglich gelten die Gleichungen (§. 57):


(2)




mit deren Hülfe der Ausdruck (1) sich schreiben lässt:


(3)


oder auch:


(4)


oder endlich:


(5)


 Die mechanische Bedeutung dieser Ausdrücke ist leicht zu erkennen. Wegen der Gleichungen (5) des §. 54 kann man statt (3) auch schreiben:


(6)


Die Summirung bezieht sich auf alle elektrischen Theilchen des ganzen Leiters. Bezeichnet man mit die zur Zeit von der bewegten Elektricität geleistete Arbeit, so ist der Ausdruck (6) nichts anderes als . Wir haben also:


(7)



§. 60.
Besonderer Fall: Die Scheidung findet nur in einer unendlich dünnen Schicht statt.


 Es soll nun der besondere Fall behandelt werden, dass die elektromotorischen Kräfte nur in einer unendlich dünnen Schicht auftreten, z. B. an der Berührungsfläche von zwei heterogenen Bestandtheilen des Leiters. In diesem Falle lässt sich die Bedingung, der im Innern des Leitersystems genügen muss, noch transformiren. Diese Bedingung lautet so, dass das Integral


(1)


über das ganze Leitersystem ausgedehnt, ein Minimum sein muss, und wenn dieselbe erfüllt ist, so hat das Integral (1) den Werth:


(2)


 Es gibt nun zwar unendlich viele Functionen , welche die Bedingung erfüllen. Aber je zwei von ihnen haben überall im Innern des Leiters eine constante Differenz. In Folge dessen bringen sie alle einen und denselben Minimalwerth (2) des Integrals (1) zu Stande. Von diesem Minimalwerthe wird man einen abweichenden Werth erhalten, wenn man für überall Null setzt. Da aber nur ein Minimalwerth des Integrals (1) vorhanden ist, so muss jeder abweichende Werth grösser ausfallen als der wahre Minimalwerth (2). D. h. wir haben die Ungleichung:


(3)


 Nun sind aber nach der Voraussetzung die Componenten nur in einer unendlich dünnen Schicht von Null verschieden. Aus der linken Seite von (3) fallen also alle Beiträge heraus, welche zu Raumelementen ausserhalb jener Schicht gehören. Für das Integral


bleibt deshalb nur ein Integrationsgebiet übrig, welches unendlich klein ist im Vergleich zu dem Raume, über welchen das Integral (2) zu erstrecken ist. Daraus folgt, dass die Ungleichung (3) nicht anders erfüllt werden kann, als wenn der Werth, welchen in der Grenzschicht besitzt, unendlich gross ist im Vergleich zu . Für diese Schicht gehen demnach die Gleichungen (2) des vorigen Paragraphen in folgende über:


(4)




 In irgend einem Punkte der Fläche, welche die beiden heterogenen Leiterbestandtheile trennt, errichten wir nach beiden Seiten die Normale und zählen auf derselben die von dem Fusspunkte aus genommenen Abstände nach der einen Seite positiv, nach der anderen negativ. Auf der negativen und auf der positiven Normale wahlen wir je einen Punkt unendlich nahe an der Trennungsfläche. Der erste habe die Coordinaten dann hat der andere die Coordinaten , und es ist ihr Abstand von einander. Multipliciren wir auf beiden Seiten der Gleichungen (4) resp. mit und addiren, so ergibt sich


(5)


Dabei sind mit und die Werthe der Function in jenen beiden der Trennungsfläche unendlich nahe gelegenen Punkten bezeichnet. Die Differenz dieser Werthe ist endlich und für jeden Punkt der Trennungsfläche bekannt, da überall in der unendlich dünnen Grenzschicht gegeben sind. Hier trifft also die Voraussetzung des §. 58 zu, dass die Differenz der Werthe von für je zwei Punkte gegeben ist, welche unendlich nahe an einander auf entgegengesetzten Seiten der Unstetigkeitsfläche liegen. Ausserhalb der Grenzschicht ändert die Function in dem übrigen von dem Leitersystem erfüllten Raume sich stetig. In diesem übrigen Raume ist . Folglich lautet die Bedingung für jetzt einfacher:


(6)


wenn für die Trennungsfläche gegeben.

 Hat man für das Innere des Leiters bestimmt, so finden sich die specifischen Stromintensitäten in der Richtung der Coordinatenaxen aus den Gleichungen:


(7)




 Diesen Fall hat zuerst Ohm*)[1] behandelt. Er nannte die Function die Spannung. Ueber die Bedeutung dieser Function war er aber im Irrthum. Er glaubte, sie drücke die Dichtigkeit der Elektricität aus.

 Die Differenz der Spannungen zu beiden Seiten der Grenzfläche zweier heterogenen Leiterbestandtheile hängt von der Natur dieser beiden Bestandtheile ab. 1st die Spannungsdifferenz für die Grenzfläche (oder wenn ihrer mehrere vorhanden sind, für jede derselben) bekannt, so ist durch die Bedingung (6) die Function bis auf eine additive Constante eindeutig bestimmt. Wie der Werth dieser Constante zu ermitteln und wie die Function nur in einer Weise stetig in den äusseren Raum sich fortsetzt, ist in §. 58 bereits erörtert.



§. 61.
Weitere Specialisirung: Drahtförmiger Leiter. Das Ohm’sche Gesetz.


 Ein Theil des Leitersystems sei drahtförmig. Unter einem Draht verstehen wir einen Körper, in dessen Innern eine stetig verlaufende Linie (die Axe) sich so ziehen lässt, dass jeder normal zu ihr gelegte ebene Querschnitt verschwindend kleine Dimensionen hat im Vergleich zu der Länge der Axe. Auf der Axe soll der von ihrem Anfangspunkte bis zu einem unbestimmten Punkte hin durchlaufene Bogen mit bezeichnet werden. Der Querschnitt braucht zwar nicht überall derselbe zu sein. Doch setzen wir fest, dass bei einer stetigen Aenderung von auch die Aenderungen des Querschnittes nur stetig vor sich gehen, so dass man an jeder Stelle zwei Querschnitte einander hinreichend nahe legen kann, die von einander und von allen zwischenliegenden Querschnitten nur unendlich wenig abweichen. Zwischen je zwei solchen Querschnitten kann der Draht als ein Cylinder von beliebig gestaltetem, aber unverändertem Querschnitt angesehen werden.

 Wir betrachten zunächst nur einen solchen Cylinder an einer beliebigen Stelle des Drahtes. Die Axe dieses Cylinders soll zu den Dimensionen des Querschnittes in endlichem Verhältnis stehen. Wir dürfen sie deshalb als geradlinig ansehen und legen in sie die Axe der des rechtwinkligen Coordinatensystems. Die normalen Querschnitte sind also zur -Ebene parallel. Da die Dimensionen jedes Querschnittes unendlich klein sind, so dürfen wir die Strömung in seiner Ebene vernachlässigen im Vergleich zu der Strömung, die normal gegen diese Ebene gerichtet ist. D. h. wir dürfen in jeder Richtung, die in die Ebene eines Querschnittes fällt, die specifische Stromintensität gleich Null setzen:


(1)


Ferner dürfen wir in einem und demselben Querschnitt jede der Componenten und den specifischen Widerstand constant nehmen. Nun folgt aber aus (1) und aus den Gleichungen (2) des §. 59:



d. h. für jeden Punkt innerhalb desselben Querschnittes:



Da aber in jedem Querschnitt und unendlich klein sind, so hat man kürzer



Die erste der Gleichungen (2) des §. 59 gibt hiernach:


(2)


Nun ist nur von abhängig, und ebenso hat nach der Voraussetzung in allen Punkten desselben Querschnittes denselben Werth. Folglich ist für einen und denselben Querschnitt die normal gegen ihn gerichtete specifische Stromintensität in allen seinen Punkten constant.

 Nach dieser Vorbereitung betrachten wir den drahtförmigen Leiter in seiner ganzen Ausdehnung. Wir legen normal gegen die Axe einen Querschnitt , der auf jener die Bogenlänge abschneidet. Ein Flächenelement des Querschnittes ist . Dasselbe soll als Basis eines Raumelementes angesehen werden, dessen Höhe ist. Das Volumen dieses Raumelementes ist demnach:



 Bezeichnen wir nun wieder mit die zur Zeit von der bewegten Elektricität geleistete Arbeit, so haben wir nach §. 59, Gleichung (7):


(3)


 Hier ist die Potentialfunction der freien Elektricität und die in der Richtung von genommene Componente der elektromotorischen Kraft.

 Nach der Erklärung der specifischen Stromintensität ist die algebraische Summe der Elektricitätsmengen, welche im Zeitelement an der Stelle von der negativen zur positiven Seite des Querschnittes übergehen, vermindert um die algebraische Summe derjenigen Mengen, welche in demselben Zeitelement an derselben Stelle in entgegengesetzter Richtung hindurchgehen. Für den ganzen Querschnitt beträgt die betreffende Differenz:



die wir mit bezeichnen wollen. Es ist also :


(4)


Wir nennen die Stromintensität an der Stelle des Querschnittes . Die Axe, auf welcher der Bogen gezählt wird, liegt normal gegen alle Querschnitte. Deshalb lassen wir für jeden Querschnitt die positive Normale mit der Richtung des wachsenden Bogens zusammenfallen. Da wir nun voraussetzen, dass keine Ansammlung von freier Elektricität mehr statttindet, vielmehr ein Beharrungszustand eingetreten ist, so muss an allen Stellen des Drahtes denselben Werth haben, oder – was dasselbe sagt, – es ist von unabhängig. Die Gleichung (3) geht über in folgende:



und diese kann nach der zuletzt über gemachten Bemerkung auch so geschrieben werden:


(5)


Wir setzen




und nennen den Widerstand des drahtförmigen Leiters, den Integralwerth der elektromotorischen Kraft. Bezeichnen wir mit und resp. die Werthe, welche die Function im Anfangs- und resp. im Endpunkte des drahtförmigen Leiters besitzt, so geht aus Gleichung (5) hervor:


(6)


Bei einem in sich zurücklaufenden drahtförmigen Leiter ist . Folglich ergibt sich hier:


(7)


und es ist deshalb in einem geschlossenen lineären Strome:


(8)


 Der in dieser Gleichung ausgesprochene Zusammenhang zwischen der Stromintensität, dem Widerstande und dem Integralwerth der elektromotorischen Kraft wird das Ohm’sche Gesetz genannt.



§. 62.
Fortsetzung: Verzweigte Drähte.


 Ist das Leitersystem aus beliebigen drahtförmigen Zweigen zusammengesetzt, so wenden wir die Gleichung (6) des vorigen Paragraphen auf jeden Theil zwischen zwei Knotenpunkten an. Die Knotenpunkte seien numerirt. Der Werth, welchen die Function in irgend einem derselben hat, werde dadurch bezeichnet,

dass die Nummer des Punktes bei als Index angehängt wird. Bei und sollen zwei Indices angebracht werden, die resp.
Fig. 34.
den Anfangs- und den Endpunkt des Zweiges angeben, welchem die Werthe von und angehören. Dann ist allgemein






Die Anzahl der unverzweigten Bestandtheile des Leitersystems sei , die Anzahl der Knotenpunkte . Dann haben wir zunächst Gleichungen von der Form:


(1)


Ausserdem ist noch auszudrücken, dass in keinem Knotenpunkt eine Ansammlung von Elektricität stattfindet. Es muss also zu jeder Zeit die im nächsten Zeitelement in den Knotenpunkt eintretende Elektricitätsmenge ebenso gross sein, wie die während desselben Zeitelementes aus ihm austretende Elektricitätsmenge. Oder, mit anderen Worten, die algebraische Summe der Stromintensitäten in allen von dem Knotenpunkte ausgehenden Zweigen, überall in der Richtung von dem Knotenpunkte weg, muss gleich Null sein. Gehen z. B. von dem Knotenpunkte 1 nur die Zweige 1, 2; 1, 3; 1, 4 aus und keine anderen, so hat man:


(2)


Von dieser Form sind Gleichungen vorhanden. Eine von ihnen ist aber eine identische Folge der übrigen. Denn vermöge der Relation erhält man identisch , wenn man die sämmtlichen Gleichungen (2) durch Addition zusammenfasst.

 Die Werthe von und sind für jeden Zweig des Leitersystems bekannt. Dagegen sind und unbekannt. Die Anzahl dieser Unbekannten ist . Da nun die Anzahl der von einander unabhängigen lineären Gleichungen (1) und (2) gleich ist, so kann man aus ihnen jene Unbekannten eindeutig berechnen, wenn eine von ihnen, z. B. , bekannt ist. In der That kann in der Function eine additive Constante von willkürlichem Werthe vorkommen, ohne dass die Differenzen in (1) sich ändern.


§. 63.
Die Arbeit in dem besonderen Falle des §. 60.


 Wir kehren zu der Untersuchung der §§. 57, 58, und 59 zurück unter der besonderen Voraussetzung des §. 60, dass nemlich die elektromotorischen Kräfte nur in der unendlich dünnen Grenzschicht an der Berührungsstelle von zwei heterogenen Bestandtheilen des Leiters auftreten. Unter dieser Voraussetzung geht die Gleichung (7) des §. 59 in folgende über:


(1)


Hier ist ein Raumelement im Innern des Leiters, und die Integration ist über den ganzen von dem Leiter ausgefüllten Raum zu erstrecken. Nun haben wir aber die identischen Gleichungen:





Danach lässt die Gleichung (1) sich transformiren. Wir erhalten:


(2)


In dieser Gleichung erstreckt sich das erste Integral auf den ganzen von dem Leiter erfüllten Raum, das zweite auf seine gesammte Oberfläche, d. h. auf die isolirte freie Oberfläche und auf die Hüllen der Unstetigkeitsflächen. Diese Unstetigkeitsflächen sind hier die Flächen, in denen je zwei heterogene Leiterbestandtheile an einander stossen. Mit ist die auf dem Flächenelement nach dem Innern des Leiters gezogene Normale bezeichnet.

 Für den Beharrungszustand, den wir voraussetzen, ist im Innern des Leiters an jeder Stelle:


(3)


und an jeder Stelle der isolirten freien Oberfläche:


(4)


Folglich bleibt auf der rechten Seite der Gleichung (2) nur noch das Oberflächen-Integral, erstreckt über beide Seiten jeder Unstetigkeitsfläche, übrig:


(5)


Wir nehmen in irgend einer Unstetigkeitsfläche ein Flächenelement , errichten in einem Punkte desselben die Normale nach beiden Seiten und zählen auf ihr von dem Fusspunkte aus den Abstand positiv nach der einen, negativ nach der anderen Seite. Dann ist auf der Seite der positiven Normale und auf der Seite der negativen Normale . Folglich lässt sich statt der Gleichung (5) auch schreiben:


(6)


Hier ist die Integration über jede Unstetigkeitsfläche nur einmal zu erstrecken. Nehmen wir aber Rücksicht auf die Gleichung (3) des §. 57, so ergibt sich sofort:



und danach erhält man statt (6) einfacher:


(7)


Auch hier ist die Integration über jede Unstetigkeitsfläche nur einmal zu erstrecken. Setzen wir nun speciell voraus, dass in allen Punkten einer und derselben Unstetigkeitsfläche die Resultirende der elektromotorischen Kräfte constant und normal zur Fläche gerichtet sei, so ist für jede einzelne dieser Flächen die Spannungsdifferenz



es ist ferner für irgend eine Unstetigkeitsfläche



wobei die Stromintensität in der Richtung der wachsenden vorstellt, also die Elektricitätsmenge ist, welche in dem Zeitelement durch die Unstetigkeitsfläche in der angegebenen Richtung hindurchgeht. Hiernach vereinfacht sich die Gleichung (7) zu der folgenden:


(8)


in welcher das Zeichen bedeuten soll, dass das Product für jede Unstetigkeitsfläche gebildet, und dass die sämmtlichen Producte summirt werden sollen.

 Wir legen durch den Leiter zwei Schnittflächen und , welche aus demselben ein vollständig begrenztes Stück herausschneiden. Die Fläche , soll einfach zusammenhängend sein. Ihre
Fig. 35.
Begrenzung soll aus einer einzigen in sich zurücklaufenden und sich selbst nicht durchschneidenden Linie bestehen, die zugleich in der freien Oberfläche des Leiters liegt. Dasselbe soll für gelten (Fig. 35). Ferner sollen und Niveauflächen der Potentialfunction sein, d. h. die Potentialfunction soll in allen Punkten von denselben constanten Werth und in allen Punkten von denselben constanten Werth haben. Es handelt sich darum, für das zwischen und liegende Stück des Leiters zu berechnen. Hier ist das Integral (1) über eben dieses Stück des Leiters zu erstrecken, und in gleicher Weise das Raum-Integral in (2). Das Oberflächen-Integral in (2) ist dagegen auszudehnen über die isolirte freie Oberfläche zwischen den Begrenzungslinien von und , ferner über und und über die Umhüllungen der in dem Leiterstück etwa vorhandenen Unstetigkeitsflächen. Das Raum-Integral in (2) ist wieder gleich Null. Ebenso das über die isolirte freie Oberfläche erstreckte Oberflächen-

Integral. Für die Umhüllungen der Unstetigkeitsflächen gelten die in den Gleichungen (5), (6), (7), (8) enthaltenen Transformationen. Von den Unstetigkeitsflächen rührt also für das zu berechnende Integral (1) ein Beitrag



her, in welchem die Summirung sich nur auf die in dem Leiterstück vorhandenen Unstetigkeitsflächen bezieht. Es bleiben noch die über und auszudehnenden Oberflächen-Integrale übrig. Diese können, da und constant sind, geschrieben werden:



Dabei ist die Richtung der positiven so gelegt, dass sie von in das Leiterstück hineinführt, von dagegen aus demselben heraus. Nun ist



die Elektricitätsmenge, welche in dem Zeitelement durch die Fläche in das Leitersystem einströmt, dagegen



die Elektricitätsmenge, welche in demselben Zeitelement durch austritt. Beide Mengen sind einander gleich. Wir erhalten also:


(9)


Hier bezieht sich die Summirung auf die Producte für alle innerhalb des Leiterstückes befindlichen Unstetigkeitsflächen.*)[2]



§. 64.
Erwärmung des Leiters. Gesetz von Joule.


 Die elektromotorischen Kräfte bringen ausser dem galvanischen Strom noch eine andere Wirkuug hervor, nämlich eine Erwärmung des Leiters. Die mechanische Wärmetheorie stellt den Satz auf, dass die mechanische Kraft eines Systems das Maass der darin enthaltenen Wärmemenge ist. Wir bezeichnon mit das Potential aller zwischen den Bestandtheilen des Systems auftretenden Anziehungs- und Abstossungskräfte. Dann ist (§. 37)



der Ausdruck für die mechanische Kraft. Sind ausser jenen Anziehungs- und Abstossungskräften keine anderen Kräfte wirksam, so hat man nach §. 37, Gleichung (2)


(1)


In diesem Falle ist also die mechanische Kraft des Systems unveränderlich und folglich auch die in dem System vorhandene Wärmemenge constant. Treten aber ausser jenen inneren Anziehungs- und Abstossungskräften noch andere, äussere Kräfte auf, deren Componenten im Punkte mit bezeichnet werden mögen, so lautet der Satz von der Erhaltung der lebendigen Kraft jetzt so:


(2)


Folglich ist in diesem Falle die mechanische Kraft des Systems


(3)


und sie hat in der Zeit von bis zugenommen um die von den äusseren Kräften während derselben Zeit geleistete Arbeit. Die in dem System vorhandene Wärmemenge hat also nach dem eben citirten Satze der mechanischen Wärmetheorie sich vermehrt um ein Quantum, welches jener Arbeit der äusseren Kräfte proportional ist.

 Soll dies auf den vorliegenden Fall angewandt werden, so haben wir





zu setzen. Von diesen Kräften wird nach §. 59 in dem Zeitelement die Arbeit geleistet


(4)


und folglich ist der in demselben Zeitelement zu Stande gekommene Wärmezuwachs dieser Grösse proportional.

 In dem besonderen Falle, dass die äusseren elektromotorischen Kräfte nur an den Berührungsstellen von je zwei heterogenen Leiterbestandtheilen auftreten, und dass ihre Resultirende für alle Punkte derselben Unstetigkeitsfläche constant und normal zu ihr gerichtet ist, gelten für die Umformungen des vorigen Paragraphen. In dem Zeitelement kommt dann also in dem ganzen Leiter ein Wärmezuwachs zu Stande, welcher der Arbeit


(5)


proportional ist. Soll nur ein Theil des Leiters in Betracht gezogen werden, so ergibt sich für ihn in der Zeit ein Wärmezuwachs, proportional der Arbeit


(6)


Für einen drahtförmigen Theil des Leiters lässt sich nach §. 61 die in dem Zeitelement geleistete Arbeit durch



ausdrücken. Nehmen wir von unabhängig, so erhält demnach in der Zeiteinheit der Leiter einen Wärmezuwachs, welcher der Arbeit


(7)


proportional ist. Dieses von Joule*)[3] aufgestellte Gesetz ist vielfach experimentell bewiesen worden.



  1. *) Ohm, G. S. Die galvanische Kette, mathematisch behandelt. Berlin 1827.
  2. *) Ueber den Inhalt der §§.57, 58, 59, 60, 63 vergleiche man: Kirchhoff, über die Anwendbarkeit der Formeln für die Intensitäten der galvanischen Ströme in einem Systeme linearer Leiter auf Systeme, die zum Theil aus nicht linearen Leitern bestehen. Poggendorff, Annalen. Bd. 75. S. 189.
  3. *) Philosophical Magazine. New and united series. Vol. XIX. 1841. Page 260.