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Schwere, Elektricität und Magnetismus/Neunter Abschnitt.

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Editionsrichtlinien, Quellenangaben und Zusammenstellung siehe: Schwere, Elektricität und Magnetismus.


Neunter Abschnitt.


Erdmagnetismus.



§. 105.
Die Potentialfunction der erdmagnetischen Kräfte.


 Eine Magnetnadel, die um ihren Schwerpunkt frei drehbar aufgehängt ist, stellt sich an jedem Orte der Erdoberfläche in eine ganz bestimmte Richtung ein, selbst dann, wenn künstliche Magnete oder galvanische Ströme in ihrer Nähe nicht vorhanden sind. Man erklärt diese Erscheinung dadurch, dass man die Erde selbst als einen Magnet ansieht. Man nimmt an, dass im Innern der Erde magnetische Massen vorhanden sind oder galvanische Ströme im Innern, resp. an der Oberfläche der Erde, oder dass beide Ursachen neben einander auftreten und die beobachteten magnetischen Wirkungen im äusseren Raume hervorbringen. Nun lässt sich aber jeder geschlossene nichtlineäre Strom als ein System von lineären Strömen auffassen (§. 89). Und wenn es nur auf die äussere magnetische Wirkung ankömmt, so darf man (nach §. 72) den geschlossenen lineären Strom durch eine gewisse Vertheilung fingirter magnetischer Massen ersetzen.

 Ohne der Allgemeinheit der Untersuchung zu schaden, nehmen wir also an, dass die magnetischen Wirkungen, welche der Erdkörper an seiner Oberfläche und im äusseren Raume ausübt, allein herrühre von einer (freilich unbekannten) Vertheilung magnetischer Massen in seinem Innern. Wir betrachten die Erde als eine Kugel vom Radius und legen in ihren Mittelpunkt den Anfangspunkt eines rechtwinkligen Coordinatensystems, dessen positive z-Axe den Nordpol treffen möge. Bezeichnet, man mit ein unendlich kleines magnetisches Massenelement im Innern der Erde, mit die Coordinaten eines Punktes an der Oberfläche oder im äusseren Raume und mit die Entfernung dieses Punktes von dem magne- tischen Element , so hat die von dem Erdmagnetismus herrührende Potentialfunction im Punkte den Werth


(1)


Die Integration ist über alle magnetischen Massen im Innern der Erdkugel zu erstrecken. Dabei bemerken wir, dass wie bei jedem anderen Magnet auch hier die algebraische Summe der magnetischen Massen im Innern der Erde gleich Null sein muss;


(2)


 Die Vertheilung der magnetischen Massen ist uns nicht bekannt. Wir können also die Function nicht a priori aus ihrer Definitionsgleichung (1) herstellen. Wohl aber sind wir im Stande, an beliebig vielen Punkten der Erdoberfläche die auf die positive magnetische Einheit ausgeübte erdmagnetische Kraft ihrer Grösse und Richtung nach zu beobachten, und daraus lässt sich mit grösserer oder geringerer Genauigkeit der Werth der Potentialfunction in jedem Punkte der Erdoberfläche berechnen. Mit absoluter Genauigkeit, wenn man an jeder Stelle der Erdoberfläche die nach Norden gerichtete horizontale Componente der erdmagnetischen Kraft als bekannt voraussetzt.

 In der That denken wir uns auf der Erdoberfläche ein System von Meridianen gezogen und auf irgend einem Meridian vom Pole aus den sphärischen Abstand genommen. Kennt man dann auf diesem Meridian für jedes (von bis ) die nördlich gerichtete horizontale Componente , so ergibt sieh durch Integration


(3)


und die Integrationsconstante ist der Werth der Potentialfunction im Nordpol. Der Werth dieser additiven Constanten bestimmt sich, wie wir später (§. 110) zeigen werden, daraus, dass die magnetischen Massen im Innern der Erde die Bedingungsgleichung (2) erfüllen.

 Kennt man also auf jedem Meridian die nördlich gerichtete horizontale Componente der erdmagnetischen Kraft, so ist auch die Potentialfunction in jedem Punkte der Erdoberfläche bekannt. Diesen Satz hat Gauss aufgestellt im Artikel 15 seiner Abhandlung: allgemeine Theorie des Erdmagnetismus.[1]

 Die Voraussetzung, dass die Function in jedem Punkte der Oberfläche gegeben sei, bildet das Fundament der weiteren Untersuchung.



§. 106.
Fingirte magnetische Belegung der Erdoberfläche.


 Wenn die Potentialfunction an jeder Stelle der Erdoberfläche gegeben ist, so lässt sie sich, wie in den §§. 21 und 34 gezeigt worden, immer in einer und nur in einer Weise in den äusseren Raum hinein fortsetzen, so dass sie in diesem äusseren Raume überall endlich und stetig variabel ist, dass sie in unendlicher Entfernung den Werth Null hat, und dass an jeder Stelle des äusseren Raumes die partielle Differentialgleichung


(1)


erfüllt wird. Man hat als Begrenzung des Raumes (§. 21) die Erdoberfläche und eine concentrische Kugelfläche von unendlich grossem Radius zu nehmen. Diese Polentialfunction entspricht der Voraussetzung, dass im äusseren Raume keine magnetischen Massen vorhanden sind.

 Im §. 79 ist nachgewiesen, dass man die Function , ausgehend von den Werthen in der Erdoberfläche, in unendlich mannichfaltiger Weise ins Innere stetig fortsetzen kann. Jede solche Fortsetzung liefert dann für einen inneren Punkt im allgemeinen einen anderen Werth des Ausdruckes



Folglich gibt es unendlich viele verschiedene Vertheilungen von magnetischen Massen im Innern der Erde, welche sämmtlich dieselbe magnetische Wirkung an der Oberfläche und im äusseren Raume ausüben, nemlich die Wirkung, welche aus der in der Oberfläche gegebenen Potentialfunction und ihrer eindeutigen Fortsetzung im äusseren Raume sich berechnet.


 Im §. 80 haben wir den wichtigen Satz entwickelt, dass man die unbestimmte räumliche Vertheilung der magnetischen Massen im Innern ersetzen kann durch eine einzige, ganz bestimmte Vertheilung über die Oberfläche. Die Potentialfunction, welche von dieser fingirten Belegung der Oberfläche herrührt, soll zur Unterscheidung mit bezeichnet werden. In einem Punkte der Erdoberfläche oder des äusseren Raumes ist dann


(2)


Im Innern der Erde ist eine einwerthige, endliche und stetige Function des Ortes, dagegen völlig unbestimmt.

 Wir wollen von der fingirten Belegung der Erdoberfläche ausgehen und die davon herrührende Potentialfunction für den ganzen unendlichen Raum herstellen. Es sei ein Element der Erdkugel-Oberfläche und ihr Radius. Wir nehmen Kugelcoordinaten zu Hülfe. Auf einer mit der Erde concentrischen Hülfskugel vom Radius 1 soll der Pol in dem Punkte liegen, welcher von der Axe der positiven getroffen wird, und der Anfangsmeridian soll die Axe der positiven durchschneiden. Wir verbinden einen Punkt, der dem Flächenelement. angehört, mit dem Mittelpunkte der Kugel. Der Radius vector schneidet die Hülfskugel in einem Punkte, dessen Poldistanz und dessen geographische Länge sei. Dann sind die Kugelcoordinaten des erstgenannten Punktes. In diesem Punkte sei die Dichtigkeit der fingirten magnetischen Massenbelegung. Also ist das Quantum magnetischen Fluidums, welches über das Element ausgebreitet ist. In einem
Fig. 49.
Punkte, dessen Kugelcoordinaten sind, denken wir uns die positive Einheit der magnetischen Masse concentrirt. Dieser Punkt, der an einer beliebigen Stelle im äusseren Raume oder im Innern der Erde oder in der Erdoberfläche liegen kann, habe von dem Punkte den Abstand (Fig. 49), und die Radien beider Punkte mögen

den Winkel einschliessen. Dann wird die von der fingirten magnetischen Belegung der Erdoberfläche herrührende Potentialfunction im Punkte definirt durch die Gleichung:



(3)


und es ist


(4)


Fig. 50.
Die Integration in (3) ist über die ganze Erdoberfläche zu erstrecken. Der Winkel wird auf der Hülfskugel vom Radius 1 gemessen durch den Bogen eines grössten Kreises. Dieser Bogen (Fig. 50) ist die dritte Seite eines sphärischen Dreiecks, dessen beide andere Seiten und den Winkel einschliessen. Folglich gilt für die Formel:



(5)


Die Dichtigkeit ist eine Function von und . Wir haben variabel von bis und variabel von bis zu nehmen. Die Function


(6)


ist nun freilich a priori nicht bekannt. Folglich geben uns die Gleichungen (3) und (4) auch nicht ohne weiteres die Werthe von im ganzen unendlichen Raume. Sie machen uns aber darauf aufmerksam, dass sich nach ganzen Potenzen von entwickeln lässt. Die Coefficienten der Entwicklung sind Functionen von und , deren Form wir aus den Bedingungen zu bestimmen haben, dass im äusseren Raume sowohl wie im Innern der Erdkugel der Gleichung von Laplace Genüge leisten muss und beim Durchgange durch die Erdoberfläche nicht unstetig werden darf [§. 79 (1), §. 80 (1) und (2)]. Ist hiernach die Entwicklung von vollständig durchgeführt, so treten darin unendlich viele constante Coefficienten auf, die vorläufig unbestimmt sind. Sie erhalten dadurch bestimmte Werthe, dass die so entwickelte Function an jeder Stelle der Erdoberfläche mit der dort gegebenen Potentialfunction übereinstimmen soll.


 Auf diese Weise gelangt man zu einem völlig bestimmten Ausdrucke für die Function , und wenn dieser hergestellt ist, so ergibt sich die Dichtigkeit der fingirten magnetischen Belegung der Erdoberfläche mit Hülfe der Gleichung (3) des §. 80.

 Nach diesem Ueberblick über den einzuschlagenden Weg gehen wir zu der Durchführung der Rechnung selbst über.



§. 107.
Entwicklung der Function nach Kugelfunctionen.


 Das Element der Kugeloberfläche vom Radius lässt sich ausdrücken



Führt man dies in die Gleichung (3) des vorigen Paragraphen ein und benutzt die Gleichungen (4) und (6) desselben Paragraphen, so erhält man


(1)


Nun können wir für entwickeln:


(2)


Dagegen hat man für :


(3)


Die auftretenden Coefficienten sind in beiden Entwicklungen dieselben. Es sind algebraische, rationale, ganze Functionen von , und zwar jede von dem Grade, den ihr Index angibt. Es ist nicht schwer, einen Ausdruck für zu finden. Man hat nur zu beachten, dass die Gleichungen (2) und (3) auf der einen Entwicklung beruhen


(3)


wenn positiv und kleiner als genommen wird. Man kann aber schreiben



und da drr absolute Zahlwerth von kleiner als ist, so darf man auf der rechten Seite der letzten Gleichung den ersten Factor nach dem binomischen Lehrsatze entwickeln und jedes Glied der Reihe mit dem zweiten Factor ausmultipliciren. Dadurch ergibt sich



Hier hat man die Potenzen von mit negativen, gebrochenen Exponenten wieder nach dem binomischen Lehrsatze zu entwickeln und schliesslich nach ganzen Potenzen von zu ordnen. Auf diesem Wege findet sich


(4)


und für jedes ganze , das grösser als ist:


(5)


 Hiernach dürfen wir die Coefficienten in (2) und (3) als bekannte Functionen von ansehen.[2] Für stimmen beide Entwicklungen überein. Werden die in (2) und (3) gewonnenen Reihen in die Gleichung (1) eingeführt, so ergibt sich

  für einen Punkt im äusseren Raume :


(6)



  ferner für einen Punkt im Innern der Erde


(7)


  endlich für einen Punkt der Erdoberfläche


(8)


In den drei letzten Gleichungen hat überall dieselbe Bedeutung, nemlich


(9)


Nun ist aber eine ganze Function ten Grades von d. h. nach Gleichung (5) des vorigen Paragraphen eine ganze Function ten Grades von den drei Grossen . Folglich gilt dasselbe in Betreff der Function . Um einen Ausdruck für zu erhalten, haben wir zu beachten, dass die Function im äusseren Raume sowohl wie im Innern der Erde der Gleichung von Laplace Genüge leisten muss. Es lässt sich dabei nach (9) und (4) vorab bemerken, dass ist.



§. 108.
Die Kugelfunction ten Ranges.


 Die Gleichung von Laplace lautet für Kugelcoordinaten [§. 29, (4)]


(1)


Nehmen wir zunächst einen Punkt im äusseren Raume, so ergibt sich aus Gleichung (6) des vorigen Paragraphen:





Handelt es sich dagegen um einen Punkt im Innern der Erde, so berechnen wir nach Gleichung (7) des vorigen Paragraphen





Im einen wie im anderen Falle ist dies in die partielle Differentialgleichung (1) einzuführen. Die Differentiationen nach und treffen nur die Functionen . Nachdem auch diese Differentiationen vorschriftsmässig bewirkt und die Resultate der Rechnung in (1) eingesetzt sind, hat man für sich gleich Null zu setzen, was mit jeder einzelnen Potenz von multiplicirt ist. Dadurch erhält man für einen äusseren wie für einen inneren Punkt in gleicher Weise die partielle Differentialgleichung


(2)


Eine Function , welche dieser partiellen Differentialgleichung Genüge leistet, wird eine Kugelfunction ten Ranges genannt.

 Um zu einer Entwicklung dieser Function zu gelungen, erinnern wir uns daran, dass eine ganze Function ten Grades von ist, dass also in dem zu bildenden Ausdrucke nur Potenzen mit ganzen, positiven Exponenten auftreten können und überhaupt kein Exponent grösser als . Nun lassen sich aber die Potenzen von und von durch die Cosinus und Sinus der Vielfachen von ausdrücken, und da keine höhere Potenz als die te vorhanden ist, so wird auch höchstens das fache von auftreten.

 Wir setzen deshalb


(3)


und führen diesen Ausdruck in die partielle Differentialgleichung (2) ein. Dadurch ergibt sich eine Reihe, geordnet nach Cosinus und Sinus der Vielfachen von , bis zum fachen, und der Werth dieser Reihe soll Null sein. Dazu ist nöthig und hinreichend, dass man für sich gleich Null setze, was mit und was mit multiplicirt ist, und zwar für jedes ganze von bis .

 Durch Ausführung der Rechnung ergeben sich zur Bestimmung von und von die gewöhnlichen Differentialgleichungen




Beide Gleichungen sind in derselben Form enthalten, nemlich in der Form


(4)


Nun bemerken wir, dass und in der Gleichung (3) mit und resp. multiplicirt auftreten. Dem Cosinus und dem Sinus von entspricht aber als höchste Potenz von und resp. die te Potenz. Da nun in dem Ausdrucke für die letztgenannten beiden Functionen nur in der Verbindung


und


auftreten, so hat man sich darauf gefasst zu machen, dass in der gemeinschaftliche Factor auftreten werde.

 Wir setzen also


(5)


und erhalten zur Bestimmung der Function aus (4) die Differentialgleichung


(6)


wenn zur Abkürzung gesetzt wird. Die Form dieser Gleichung weist uns darauf hin, eine Entwicklung nach absteigenden Potenzen von mit der Exponentundifferenz vorzunehmen:


(7)


Führt man dies in (6) ein, so ist die höchste dort auftretende Potenz von . Dieselbe ist multiplicirt mit



Ferner ist dann multiplicirt mit



Soll aber die Gleichung (6) erfüllt sein, so ist für sich gleich Null zu setzen, was mit jeder einzelnen Potenz von multiplicirt ist. Es ist also zunächst



Dies liefert zwei Werthe von , nemlich


und


und dem entsprechend erhalten wir zwei von einander unabhängige particuläre Integrale. Das zweite ist für unsern Zweck nicht brauchbar, da. die Exponenten von negativ sind und deshalb das Integral unendlich wird für .

 Es ist ferner



zu setzen, oder, wenn man die Bedingung für berücksichtigt:



Danach haben wir für das erste particuläre Integral die Coefficenten-Bestimmung


(8)


und dieses erste particuläre Integral selbst liefert die für unsern Zweck allein brauchbare Function


(9)


Hiernach ergibt sich für die Entwicklung


(10)


Die Functionen sind durch die Gleichungen (9) und (8) vollständig gegeben, und es treten in dem Aus- drucke (10) noch die unbestimmten constanten Coefficienten auf



 Eine wichtige Bemerkung ist noch über die constante Grösse zu machen. Im äusseren Raume stimmt nemlich die von dem wirklich vorhandenen Erdmagnet herrührende Potentialfunction überein mit der Function , die von der fingirten Belegung der Oberfläche herrührt und in der Gleichung (6) des vorigen Paragraphen entwickelt ist. Es gilt also für jeden Punkt im äusseren Raume die Gleichung


(11)


Nun können wir aber (wenn die bekannte Vorzeichen-Aenderung vorgenommen wird) den Satz in Anwendung bringen, der in der Gleichung (6) des §. 18 ausgesprochen ist. Hier bedeutet dasselbe, was dort mit bezeichnet ist. Wir erhalten danach


(12) für


Aus (11) berechnet sich


(13) für


Zieht man die Gleichung (2) des §. 105 in Betracht, so ergibt sich aus (12) und (13), dass


(14)


sein muss. Wir dürfen also in den Gleichungen (6), (7), (8) des vorigen Paragraphen die Summirung mit anfangen.

 Uebrigens sieht man, dass auch für die fingirte Belegung der Oberfläche


(15)


ist. Denn wir haben nach dem eben citirten Satze [§. 18, (6)]


für


und da für jeden Punkt im äusseren Raume ist, so ergibt sich



und damit ist die Gleichung (15) bewiesen.


§. 109.
Fundamentalsatz für die Entwicklung nach Kugelfunctionen.


 Es kommt nun vor allen Dingen darauf an, zu beweisen, dass eine Function von und , die für alle Werthe dieser Variabeln von bis und von bis einwerthig und endlich, übrigens aber ganz willkürlich gegeben ist, sich immer nach Kugelfunctionen entwickeln lässt, und dass für jede willkürlich gegebene Function nur eine solche Entwicklung möglich ist.

 Zu dem Ende gehen wir auf die Gleichung (3) des §. 80 zurück, die hier so zu schreiben ist


(1)


Für erhalten wir nach (1) und (2) des §. 107



Daraus berechnet sich für


(2)


Dagegen haben wir für nach (1) und (3) des §. 107



Folglich ergibt sich für


(3)


Die Gleichung (2) ist noch gültig für , die Gleichung (3) für . Setzen wir also in beiden Gleichungen und führen die in (1) vorgeschriebene Subtraction aus, so ergibt sich mit Rücksicht auf §. 106 (6) der merkwürdige Satz:


(4)


Hier ist über die Function rein analytisch nichts weiter vorausgesetzt, als dass sie willkürlich gegeben ist, aber einwerthig und endlich für jede Werthencombination von und innerhalb der vorgeschriebenen Grenzen. Folglich gilt die Gleichung (4) für jede Function , welche diese Eigenschaft besitzt. Denn man kann jeder solchen Functiou die in §. 106, Gleichung (6) ausgesprochene physikalische Bedeutung unterlegen, und dann gelten die Entwicklungen, welche zu der Gleichung (4) dieses Paragraphen führen.

 Es lässt sich also jede Function von und , die von bis und von bis willkürlich, aber einwerthig und endlich gegeben ist, in eine nach Kugelfunctionen fortschreitende Reihe entwickeln. Bezeichnen wir irgend eine solche Function mit , so ist


(5)


Der Beweis, den wir hier für diesen wichtigen Satz gegeben haben, ist nicht rein analytisch. Es muss eben für den Gang dieses Beweises der Function eine physikalische Bedeutung untergelegt werden. Der Satz lässt sich aber auch rein analytisch beweisen. Das hat Dirichlet gethan.*) [3] Er bringt die Summe der ersten Glieder



in geschlossene Form und zeigt, dass für der Grenzwerth dieser Summe ist.

 Dirichlet beweist in derselben Abhandlung noch weiter, dass für jede Function nur eine einzige Entwicklung nach Kugelfunctionen möglich ist. Auch dieser Satz ist für uns von Wichtigkeit. Er soll deshalb jetzt bewiesen werden.

 Es seien und zwei beliebige Kugelfunctionen vom ten resp. vom ten Range, und es seien und von einander und von Null verschieden. Wir betrachten das Integral


(6)


Die Function genügt der partiellen Differentialgleichung (2) des §. 108. Wenn man also das Integral (6) mit multiplicirt, so kann man ersetzen durch



Dadurch ergibt sich die Gleichung


(7)


Nun findet man durch Integration nach Theilen



Der vom Integralzeichen freie Theil der rechten Seite ist Null. Denn wenn man die Gleichung (10) des §. 108 und die entsprechende Entwicklung für in Betracht zieht, so erkennt man leicht, dass jede Kugelfunction für den nemlichen Werth hat wie für , und dass dasselbe von den nach genommenen Derivirten jeder Kugelfunction gilt. Wir haben also


(8)


Ebenso ergibt sich durch Integration nach Theilen



Der freie Theil der rechten Seite ist Null, weil für und für . Folglich haben wir


(9)


Fasst man die Gleichungen (7), (8) und (9) zusammen, so ergibt sich


(10)


Genau dasselbe, was auf der rechten Seite dieser Gleichung steht, kömmt aber zu Stande, wenn man das Integral (6) mit multiplicirt und hierauf das Product ersetzt durch



was zulässig ist vermöge der partiellen Differentialgleichung, der Genüge leistet. Man erhält also aus (10) die Gleichung



wofür man auch schreiben kann



Nach der über und gemachten Voraussetzung sind die beiden Factoren vor dem Integral von Null verschieden. Die Gleichung kann also nur dadurch erfüllt sein, dass


(11)


ist. Der Satz gilt auch dann noch, wenn einer der beiden Indices Null ist, z. B. . Dann ist nemlich . und die Gleichung (7) lautet einfacher



Hier lässt auf der rechten Seite an beiden Stellen die innere Integration sich ausführen. Man erhält




Folglich gilt die Gleichung (11) allgemein für , auch wenn der kleinere Index Null sein sollte.

 Denken wir uns den Fall, dass eine und dieselbe Function in doppelter Weise nach Kugelfunctionen sich entwickeln lasse, so würde man durch Gleichsetzung der beiden Entwicklungen erhalten:


(12)


Setzt man , so folgt aus der Gleichung (12):


(13)


Hier sind wieder Kugelfunctionen. Wir dürfen also von dem Satze (11) Gebrauch machen. Wir multipliciren in (13) auf beiden Seiten mit und integriren zwischen den Grenzen und für und den Grenzen und für . Dann kömmt auf der rechten Seite Null heraus und links fallen nach Gleichung (11) alle Glieder, mit Ausnahme eines einzigen, heraus. Es ergibt sich


(14)


Dies kann aber nur dadurch zu Stande kommen, dass überall identisch


(15)


ist, und das sollte bewiesen werden.



§. 110.
Bestimmung der Constanten in der Entwicklung von .


 Wir kehren zurück zu den Gleichungen (6), (7), (8) des §. 107. Die darin auftretenden Functionen sind in ihrer Abhängigkeit von und durch die Gleichung (10) des §. 108 vollständig ausgedrückt. Es handelt sich nur noch um die Bestimmung der constanten Coefficienten. Diese sind für alle drei Gleichungen (6), (7), (8) des §. 107 dieselben. Wir halten uns deshalb an die Gleichung (8), welche für die Erdoberfläche gültig ist. An der Erdoberfläche ist, wie in der Gleichung (2) des §. 106 bereits bemerkt worden,


(1)


Wenn es nun gelingt, die Function in eine Reihe von Kugelfunctionen mit bekannten Coefficienten zu entwickeln, so muss nach dem Satze des vorigen Paragraphen diese Entwicklung mit derjenigen in §. 107 (8) identisch übereinstimmen. Dadurch sind dann alle unbekannten Coefficienten bestimmt.

 Wir wollen das Integral in §. 105, Gleichung (3) mit bezeichnen:


(2)


und mit den Werth, welchen dasselbe im Punkte besitzt. Dieses Integral ist, wie wir voraussetzen, in jedem Punkte der Erdoberfläche bekannt. Für die Function setzen wir die Entwicklung (5) des §. 109, in welcher durchaus nichts Unbekanntes mehr auftritt. Dann haben wir also für irgend einen Punkt der Erdoberfläche


(3)



Diese Entwicklung muss identisch mit §. 107 (8) übereinstimmen. Wir haben also


(4)


(5) für


Damit ist die Potentialfunction vollständig hergestellt aus der einen Voraussetzung, dass in jedem Punkte der Erdoberfläche die nördlich gerichtete Componente der erdmagnetischen Kraft bekannt ist.

 Wenn in allen Punkten eines einzigen Meridians die nördlich gerichtete Componente, ausserdem aber an jeder Stelle der Erdoberfläche die westlich gerichtete Componente der erdmagnetischen Kraft gegeben ist, so lässt auch daraus die Potentialfunction sich vollständig herstellen. Denn es ist in diesem Falle


(6)


die westlich gerichtete Componente. Daraus berechnet sich


(7)


Hier bedeutet die geographische Länge des Meridians, auf welchem die nördlich gerichtete Componente bekannt ist, und bezeichnet das auf diesem Meridian genommene Integral (2), wenn gesetzt wird. Dann treten die Gleichungen (3), (4), (5) wie vorher in Gültigkeit.

 Die Potentialfunction kann vollständig auch dann hergestellt werden, wenn man an jeder Stelle der Erdoberfläche die vertical nach unten gerichtete Componente der erdmagnetischen Kraft kennt. Wir bezeichnen dieselbe mit und verstehen unter den Werth, den sie im Punkte besitzt. Alsdann kann man nach Kugelfunctionen entwickeln:


(8)



Andererseits ist



folglich nach §. 107, Gleichung (6)


(8)


Es muss also in der Entwicklung (8) nothwendig



sein, weil ist, und es bestimmen sich die Coefficienten in den übrigen Functionen durch die für zu erfüllende Gleichung


(10)


Dadurch ist auch wieder in der Gleichung (6) des §. 107 alles bekannt.



§. 111.
Die Componenten der erdmagnetischen Kraft.


 Wir wollen den Punkt der Erdoberfläche zum Anfangspunkte eines rechtwinkligen Coordinatensystems machen. Die Axe der positiven soll tangential am Meridian nach Norden, die Axe der positiven tangential am Parallelkreis nach Westen und die Axe der positiven vertical nach unten gerichtet sein. Bezeichnen wir mit die Componenten der auf die positive Einheit des Magnetismus im Punkte einwirkenden erdmagnetischen Kraft, so hat man


(1)


(2)


(3)


 Diese Gleichungen können dazu dienen, für jeden Punkt der Erdoberfläche die Componenten der erdmagnetischen Kraft zu berechnen, wenn die Potentialfunction bekannt ist. Hat man dagegen umgekehrt an einer gewissen Anzahl von Orten der Erdoberfläche die drei Componenten der erdmagnetischen Kraft durch Beobachtung gefunden, und will man sich dazu entschliessen, die Entwicklungen (6), (7), (8) des §. 107 mit dem enthaltenden Gliede abzubrechen, so können die Gleichungen (1), (2), (3) direct dazu dienen, die unbekannten Coefficienten, die in den Functionen auftreten, zu berechnen. Beachtet man, dass ist, so sind für zusammen Coefficienten zu bestimmen. Die Anzahl der Gleichungen (1), (2), (3) ist dreimal so gross wie die Anzahl der Beobachtungsorte. In diesen Gleichungen sind die linken Seiten bekannt und es treten rechts jene Coefficienten als Unbekannte auf. Zu ihrer Bestimmung sind also die vollständigen Beobachtungen an Orten nothwendig und hinreichend, und man hat so zu wählen, dass entweder oder durch 3 theilbar ist. Gauss hat genommen. Dann handelt es sich um unbekannte Coefficienten, zu deren Bestimmung also (rein theoretisch genommen) die vollständigen Beobachtungen an 8 verschiedenen Orten der Erdoberfläche nothwendig und hinreichend sind. Es wird dabei vorausgesetzt, dass diese Beobachtungen frei von Beobachtungsfehlern sind, und dass keine zufälligen Störungen Einfluss geübt haben. Da diese Voraussetzung in Wirklichkeit nicht erfüllt ist, so hat man vollständige Beobachtungen an einer erheblich grösseren Anzahl von Orten nöthig. Ein zweckmässiges Verfahren zur Verwerthung dieser Beobachtungen hat Gauss im 23. Artikel seiner allgemeinen Theorie des Erdmagnetismus angegeben.

 Ausser der eben genannten Abhandlung von Gauss ist noch zu citiren der übrige Inhalt der „Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen Vereins", sowie die „Intensitas vis magneticae terrestris ad mensuram absolutam revocata, auctore Carolo Friderico Gauss." (Commentationes societatis regiae Gotting. recentiores. Vol. VIII. Gottingae 1841. — Gauss’ Werke Bd. 5. Göttingen 1867.)



  1. *) Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen Vereins im Jahre 1838. Herausgegeben, von Gauss und Weber. Leipzig 1839. — Gauss’ Werke. Band 5. Göttingen 1867.
  2. *) Andere Entwicklungen für findet man im 17. Bande von Crelle’s Journal in der Abhandlung von Dirichlet: Sur les séries dont le terme général dépend de deux angles et qui servent à exprimer des fonctions arbitraires entre des limites données. — Man vergleiche auch Heine, Handbuch der Kugelfunctionen. Berlin 1861. — Sidler, die Theorie der Kugelfunctionen. Bern 1861.
  3. *) Sur les séries dont le terme général dépend de deux angles etc. (Crelle’s Journal Bd. 17. Seite 35.)