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Sclavenhandel am Weißen Nil

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Sclavenhandel am Weißen Nil
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31/32, S. 494–496
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: nach einem Bericht von Samuel White Baker
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Sclavenhandel am Weißen Nil.


Baker, der Entdecker der Nilquellen. – Khartum der Mittelpunkt und der weiße Nil als Vorrathskammer des Sclavenhandels. – Türkische Wirthschaft daselbst. – „Elfenbeinhandel“. – Die Sclavenschiffe und ihre Abenteurerbande. – Bündniß der Negerhäuptlinge mit den Sclavenjägern. – Ueberfall der Negerdörfer. – Hasenjagd auf die Schwarzen. – Das Sclavenjoch. – Sclavenauction. – Die fingirten Rechnungen des „Geschäfts“. – Sclaventransport. – Die arabischen Sclavenmäkler. – Sclaven als Beamtenbesoldung. – Musa Pascha. – Die Hölle von Gondokoro.


Die Emancipation der nordamerikanischen Schwarzen hat der Sclaverei der westlichen Halbkugel das Genick gebrochen. Dem mächtigen Impulse, den die Republik des Nordens gegeben hat, vermögen die beiden einzigen Staaten der neuen Welt, wo noch Sclaverei besteht, nicht lange mehr zu widerstehen. In der alten Welt hat aber die Sclaverei, der Sclavenhandel, ja selbst die Sclavenjagd einen neuen Aufschwung genommen, und der Sitz des schimpflichen Uebels ist eben das Gebiet der Nilquellen, auf das wir, der endlichen Lösung des interessantesten geographischen Räthsels harrend, seit Jahren mit Spannung blicken. Im Süden ist es eine christliche, im Norden eine mohammedanische Macht, die den Sclavenhandel in der Stille duldet und selbst ermuntert. Ueber die Mitschuld der Portugiesen an dem mörderischen Verkehr hat Livingstone sich ausgesprochen, über die Mitschuld der Aegypter äußert sich der Engländer Baker, der kühne Entdecker des Lute Nzige (Albert Nyanza) in der jüngst erschienenen Beschreibung seiner Reise zum Quellgebiet des Nils.

Die Hauptstadt des ägyptischen Sudans, Khartum, ist zugleich der Mittelpunkt des Sclavenhandels. Wenn sich irgendwo das arabische Sprüchwort bewahrheitet: „In den Fußstapfen des Türken wächst kein Gras“, so ist es hier. Der Zustand Khartum’s mit seinen elenden Hütten und seinen schmutzigen Straßen ist ein Wahrzeichen des Ruins, den die ägyptische Herrschaft über den Sudan gebracht hat. Die sechstausend Mann Truppen, die in der Stadt liegen, würden unter einer erträglich guten Regierung mehr als hinreichen, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Unter ägyptischer Fahne sind diese Türken, Arnauten und Schwarzen aus Kordofan, vom blauen und weißen Nil der Fluch des Landes. Schlecht bezahlt und schlecht geschult, erpressen und plündern sie nach Herzenslust, ohne daß ihnen jemals Einhalt geschieht.

Die Verwaltung ist die orientalische in ihrer schlimmsten Form. In weiter Ferne von aller Civilisation und durch die nubische Wüste von dem ägyptischen Hauptlande getrennt, bietet der Sudan der Entwicklung des türkischen Beamtencharakters den günstigsten Boden. Jeder Beamte drückt die Bewohner und der Generalstatthalter am meisten. Er füllt seine Taschen, indem er dem Fortschritt jedes erdenkbare Hinderniß in den Weg legt und jede Handelsbewegung erschwert, damit man ihn durch Geld gewinne. Vom ersten bis zum letzten Beamten sind Unehrlichkeit und Täuschung die Regel und jeder raubt im Verhältniß zu dem Range, den er einnimmt. Die Last aller Erpressungen fällt natürlich auf die Eingeborenen, denen man übermäßige Steuern aufbürdet, welche man noch dazu von Soldaten eintreiben läßt. Vor diesen brutalen Steuereinnehmern fliehen die Landleute aus ihren Dörfern, ihre Heerden vor sich hertreibend, und überlassen die Ernte im Felde den Soldaten. Nirgends im Sudan sieht man etwas Anderes als Armuth und Elend.

Auch der anständige Handel des großen Gebiets hat wenig zu bedeuten. Der wichtigste Artikel ist Gummi arabicum, das man von verschiedenen Mimosen-Arten gewinnt. Außerdem werden Sennesblätter, Felle und Elfenbein ausgeführt. Der Transport kann nur mittelst Kamelen bewirkt werden, da die Nilkatarakten zwischen Assuan und Khartum die Schifffahrt so gut wie unmöglich machen, und eine Waarenbeförderung durch Kamele ist eine kostspielige. Der Handel ist denn auch unbedeutend. Den Gesammtwerth des Elfenbeins, das der Sudan jährlich nach Aegypten schickt, schlägt Baker auf vierzigtausend Pfund Sterling an. Unter allen diesen Umständen ist der Sudan eigentlich ein werthloser Besitz, der weder politisch wichtig ist, noch Einnahmen gewährt. Trotz aller Steuererhöhungen und Erpressungen sind die Ausgaben der ägyptischen Regierung sogar größer als ihre Einkünfte, und man müßte sich daher wundern, weshalb man in Kairo auf eine solche Provinz Gewicht legte, wenn es nicht einen Grund gäbe, der zur Eroberung des Sudans getrieben hat und die Behauptung desselben erklärt. Der Sudan liefert Sclaven.

Der Sclavenhandel wird auf dem weißen Nil betrieben und nimmt die Rolle eines Elfenbeingeschäfts an. Ohne diesen Handel würde Khartum, eine Höhle alles Schmutzes, aller Laster und aller Verbrechen, kaum existiren können. An diesem ehrlosen Handel auf dem weißen Nil betheiligen sich Syrer, Kopten, Türken, Tscherkessen und einige wenige Europäer. In Folge der Armuth des Landes und des äußerst geringen Verkehrs ist der Menschenhandel das einzige Geschäft, das den üblichen Zinsfuß zu ertragen im Stande ist. Denn der Capitalist fordert je nach der Sicherheit, die ihm gewährt wird, sechsunddreißig bis achtzig Procent, wodurch anständige Unternehmungen unmöglich gemacht werden. Eine glückliche Fahrt auf dem weißen Nil deckt aber alle Kosten und gewährt noch einen Ueberschuß.

Zwei Classen, Capitalisten und arme Abenteurer, gehen bei dem Sclavenhandel Hand in Hand. Der Abenteurer borgt von dem Capitalisten Geld zu hundert Procent und verpflichtet sich zur Wiederbezahlung in Elfenbein, das ihm nur zum halben Werth angerechnet wird. Ist er im Besitz des erforderlichen Geldes, so miethet er einige Schiffe und wirbt eine Bande von einhundert bis dreihundert Mann, Araber und flüchtige Verbrecher aus den fernsten Ländern, die im Dunkel von Khartum Schutz gegen alle Verfolgungen der Justiz gefunden haben. Jeder dieser Kerle erhält seinen Lohn für fünf Monate vorausbezahlt. Dieser Blutlohn beträgt fünfundvierzig Piaster oder drei Thaler monatlich und steigt für jeden Monat über die bedungene Zeit hinaus auf achtzig Piaster. Die Zahlung erfolgt theils in baarem Gelde, theils in baumwollenen Kleidungsstoffen, die zu übermäßigen Preisen abgerechnet werden. Jeder Angeworbene erhält einen Streifen Papier, aus dem der Schreiber der Expedition vermerkt, was der Mann an Geld und Waaren empfangen hat, und dieses Papier dient bei der schließlichen Abrechnung als Grundlage.

Im December segelt die Bande ab, fährt den weißen Nil bis zu dem gewählten Landungspunkte hinauf und marschirt landeinwärts, [495] bis sie das Dorf eines schwarzen Häuptlings erreicht, mit dem sie ein Einverständniß anknüpfen zu können hofft. Der Neger kennt die Ueberlegenheit europäischer Waffen und versäumt die Gelegenheit nicht, mit den Sclavenjägern ein Bündniß zu schließen, das ihm die Macht verleiht, sich an einem feindlichen Nachbar zu rächen. Von ihrem Wirth geführt, marschiren sie die ganze Nacht durch und machen in der Nähe des arglosen Dorfes Halt, das dem Verderben geweiht ist. Wie die nordamerikanischen Indianer bei ihren Ueberfällen, warten die Sclavenjäger bis kurz vor Tagesanbruch. Diese Zeit, in welcher der Mensch nach überstandener Nacht sich sicher glaubt, kommt, und geräuschlos wird das Dorf umzingelt, dessen Bewohner noch schlafen. Plötzlich werden die Grashütten ringsum angezündet und in vollen Lagen schmettern die Flintenkugeln in das brennende Heu hinein. Von Entsetzen erfaßt, stürzen die Einwohner aus ihren in Flammen stehenden Hütten. Die Männer werden wie Hasen bei einem Treibjagen niedergeschossen, die Frauen und Kinder aber, die vor Schreck und Angst sinnlos geworden sind, gefangen und gebunden. Der Viehheerden bemächtigt man sich in ihren Hürden ohne Mühe und treibt sie als Siegespreis frohlockend fort. Zur Fortführung der Frauen bedient man sich des Sclavenjochs, das auf der Westküste im Gebrauch ist. Es ist eine Stange mit einer Gabel, in die der Hals der Gefangenen paßt und die man mit einem Stück Holz hinter dem Nacken schließt. Die Hände werden vor dem Leibe gefesselt und mit einem Strick an die Stange befestigt. Den Kindern legt man einen Strick um den Nacken und knüpft das andere Ende an eine Frau. So bilden alle Gefangene eine lebendige Kette und werden mit dem erbeuteten Vieh fortgetrieben.

Man ist mit dem unglücklichen Dorfe noch nicht fertig. Eine allgemeine Plünderung findet statt, der auch die Leichen nicht entgehen. Man haut ihnen die Hände ab, um sich der kupfernen oder eisernen Ringe, welche die Schwarzen an den Handgelenken tragen, leichter bemächtigen zu können. Die Schwelle jeder Hütte wird aufgewühlt, denn dies ist die Stelle, wo die Neger ihre Elephantenzähne, die ihr größter Schatz sind, zu verstecken pflegen. Von dem Getreide wird muthwillig vernichtet, was man nicht selbst braucht. Mit dieser Beute kehren die „Elfenbeinhändler“ zu ihrem schwarzen Verbündeten zurück. Sie haben seine Feinde vernichtet, das entzückt ihn; sie schenken ihm dreißig oder vierzig Stück Schlachtvieh, das macht ihn vor Freude berauscht, und ein hübsches, kleines Angebinde, ein Negermädchen von vierzehn Jahren, vollendet sein Glück.

Dies ist blos der Anfang des Geschäfts. Den Häuptling verlangt nach Vieh und der Sclavenjäger hat vielleicht zweitausend Stück gefangen. Sie sind für Elfenbein zu haben, und bald kommen Elephantenzähne zum Vorschein. Täglich wird Elfenbein in’s Lager gebracht und gegen Vieh getauscht. Ein Zahn gilt, je nach der Größe, eine oder zwei Kühe, und das Geschäft ist ein vortreffliches, da die Kühe nichts gekostet haben. Der Handel geht schwunghaft, doch sind einige kleine Gebräuche zu beobachten, gewisse Förmlichkeiten, auf die sich der Handel des weißen Nils wohl versteht. Die Sclaven und zwei Drittel des geraubten Viehs gehören dem Anführer, auf das letzte Drittel machen seine Leute Anspruch. Sind diese Thiere getheilt, so werden die Sclaven unter der Mannschaft versteigert. Jeder kauft so viele, als er braucht, und der Betrag des Kaufgeldes wird auf seinem Papierstreifen eingetragen, um ihm vom Lohn abgezogen zu werden. Um für den Fall, daß das Papier einem der europäischen Consuln in die Hände fiele, Unannehmlichkeiten zu vermeiden, wird das Geld nicht für den Kauf eines Sclaven gebucht, sondern auf fingirte Geschäfte vertheilt und eingetragen. Baker theilt eine Rechnung mit, in welcher der Kaufpreis für einen Sclaven, der tausend Piaster betrug, auf folgende Weise maskirt wurde:

Seife 50 Piaster,
Ein Tarbosch (Kappe) 100
Arak 500
Schuhe 200
Baumwollenzeug 150
  1000 Piaster.

Die Sclaven, welche die Mannschaft erstanden hat, werden unter dieser fortwährend umgetauscht und wieder verkauft. Wenn die Verwandten der geraubten Weiber und Kinder sie auslösen wollen, so müssen die Leute dem Anführer die gekauften Sclaven gegen Tilgung ihrer Rechnung zurückgeben[WS 1], und er handelt nun mit den Verwandten, von denen er Elephantenzähne für die Menschen fordert. Sollte eine der Sclavinnen zu fliehen versuchen, so wird sie entweder auf die brutalste Weise ausgepeitscht, oder zur Warnung für die andern gehängt oder erschossen. Vollständig wird eine solche Razzia erst dann, wenn es dem Sclavenjäger gelungen ist, mit dem Häuptling, der ihm geholfen hat, Streit anzufangen. Dann wird auch dieser Verbündete ausgeplündert und ermordet, und die Weiber und Kinder seines Dorfes wandern in die Sclaverei.

Ein „glücklicher Zug“ trägt einer Bande von einhundert und fünfzig Mann etwa zweihundert Cantaren Elfenbein ein, die in Khartum für vierzigtausend deutsche Gulden verkauft werden. Da die Mannschaft in Sclaven bezahlt wird, so kommen die Löhne nicht in Betracht und der Anführer besitzt außerdem als seinen eigenen Antheil vier- bis fünfhundert Sclaven, die im Durchschnitt jeder fünfzig bis sechszig Gulden werth sind.

Die Sclaven werden in die Schiffe gebracht und ein Theil der Mannschaft begleitet sie nach Khartum. Die übrigen schlagen in der Gegend, welche sie sich ausgewählt haben, ein Lager auf und fahren fleißig fort zu plündern, zu morden und Menschen zu rauben. Kommt ihr Herr mit den Schiffen von Khartum zurück, so erwartet er eine neue Ladung von Elfenbein und Sclaven zur Einschiffung bereit zu finden. Wegen der europäischen Consuln kann er seine geraubten Schwarzen nicht direct nach Khartum schaffen. Das erschwert ihm übrigens sein Geschäft nicht, denn an so und so vielen Punkten in der Nähe von Khartum findet er Agenten, die ihm für seine Sclaven baares Geld geben. Diese Leute sind in der Regel Araber, die ihre Menschenwaare durch das Land nach verschiedenen Punkten schaffen. Die Sclaven, die nach dem Sennaar bestimmt sind, gehen noch durch mehrere Hände, bis sie schließlich an Aegypter oder Türken gelangen. Andere fährt man zu den Häfen des rothen Meeres, namentlich nach Suakim und Massaua, von wo sie nach Persien und Arabien verkauft werden. Viele kommen nach Kairo, und in der That werden diese Unglücklichen durch den ganzen sclavenhaltenden Orient verkauft, denn der weiße Nil ist die große Vorrathskammer, aus dem der Sclavenhandel schöpft.

Der brave „Elfenbeinhändler“ kehrt nach Khartum zurück, übergiebt seinem Gläubiger so viel Elfenbein, daß seine Schuld von zehntausend Gulden getilgt ist, und ist nun ein Capitalist, der das Geschäft auf eigene Rechnung betreiben kann. In Khartum ist Jedermann, mit Ausnahme einiger weniger Europäer, zu Gunsten des Sclavenhandels. Die ägyptischen Beamten stellen sich, als wirkten sie ihm entgegen, aber jedes Haus in Khartum ist voll von Sclaven und unter jenen Beamten befinden sich nicht wenige, die einen Theil ihrer Besoldung in Sclaven empfangen, gerade so, wie die Sclavenjäger mit Menschen statt mit Geld bezahlt werden. Die ägyptischen Behörden betrachten jede Erforschung des weißen Nils durch einen Europäer als einen Einbruch in ihren Sclavenbehälter und sehen in jedem Fremden, den wissenschaftliche Zwecke nach Khartum führen, einen Spion.

Baker erhielt Beweise, daß die höchsten Regierungsbehörden nicht anders denken. Generalstatthalter des Sudans war 1862 Musa Pascha, ein Türke der rohesten Art. Baker hatte sich mit einem Firman des Vicekönigs Said versehen, der die Beamten anwies, dem Reisenden jede Unterstützung zu gewähren. Diesen Befehl seines Herrn ließ Musa Pascha nicht gelten, denn, sagte er, der Firman gilt nur für die Besitzungen des Vicekönigs und für den Nil, der Engländer will aber nicht den Nil, sondern den Weißen Fluß bereisen. Er weigerte sich, Boote zu stellen und irgend eine andere Hülfe zu leisten. Baker wendete sich nun an den englischen Consul in Alexandrien, um durch dessen Vermittelung Schiffe und eine Anzahl von Soldaten zu erhalten. Monate vergingen, ehe eine Antwort der ägyptischen Regierung eintraf, und diese späte Antwort war eine verneinende. Offenbar wünschte man auch in Kairo nicht, daß eine Expedition den weißen Nil hinaufgehe und über den dortigen Sclavenhandel der Welt Aufschluß gebe. Als Baker trotz aller dieser Hindernisse sich Fahrzeuge und Leute verschafft hatte und eben absegeln wollte, fuhr ein großes Regierungsschiff „zufällig“ mitten zwischen seine Boote hinein und zerbrach ihnen die Ruder.

Der teuflische Sclavenhandel ist mit allen seinen Schrecken so lange die Pest des oberen Nils gewesen und hat die dortigen [496] Stämme so erbittert, daß die Neger gegen alle Fremden feindlich gesinnt sind. Eine Reise zu den Nilquellen gleicht daher einem Marsch durch ein Feindesland. In Gondokoro sah Baker Dinge, welche den Haß der Neger nur zu sehr rechtfertigen. Diese ehemalige Station der Glaubensboten ist jetzt ein Sammelpunkt der Sclavenjäger. Die umwohnenden Bari-Neger haben durch diese Nachbarschaft unendlich zu leiden gehabt und rächen sich mit vergifteten Pfeilen an ihren grausamen Feinden. Es wäre ein Leichtes, sie noch heute durch Humanität zu gewinnen, denn sie treiben gern Handel, aber man zieht es vor, sie durch Schrecken zu unterwerfen. So oft die Sclavenhändler einen Bari fangen, binden sie ihm Hände und Füße und tragen ihn auf eine Klippe oberhalb der Ruinen des alten Missionshauses, die etwa dreißig Fuß über das Wasser hervorragt. Unten wirbelt der weiße Nil in einer tiefen Bucht und dahinein stürzt man die armen Schwarzen, damit sie den Krokodilen zum Fraß dienen. Strick und Kugel sind ihnen nicht so schrecklich, wie diese Todesart, und eben darum wendet man sie an.

„Gondokoro ist eine vollständige Hölle,“ sagt Baker. „Die ägyptischen Behörden ignoriren das gänzlich, obgleich Jedermann weiß, daß hier eine Colonie von Kehlabschneidern ist. Wie leicht könnte man von Khartum einige Officiere mit einem paar hundert Mann schicken und dem ganzen Sclavenhandel ein Ende machen. Die Händler aber bestechen die Behörden, und so bleibt Gondokoro ein Asyl für die größten Niederträchtigkeiten. Die Lager wimmeln von Sclaven und die Baris sagten mir später, daß im Innern große Depots von Sclaven seien. Mein Erscheinen in Gondokoro wurde als ein unverschämtes Eindringen in das Heiligthum des Menschenraubes betrachtet. Ich fand etwa sechshundert Leute von Sclavenhändlern, die sich die Zeit mit Trinken, Zank und Mißhandlungen der Schwarzen vertrieben. Die Meisten waren fortwährend betrunken und kannten in diesem Zustande kein größeres Vergnügen, als ihre Flinten in allen möglichen Richtungen abzufeuern. Vom Morgen bis zur Nacht krachten immerfort Schüsse und pfiffen Kugeln, die mir oft dicht beim Kopfe vorbeigingen oder den Staub zu meinen Füßen aufwirbelten. Ich hatte immer zu befürchten, daß mich eine Kugel zufällig träfe und den Sclavenhändlern die Wohlthat erweise, sie von einem ‚Spion‘ zu befreien. Eines Tages saß ein Knabe auf dem Decke eines Schiffes, als ihn plötzlich eine Kugel in den Kopf traf und augenblicklich tödtete. Niemand hatte es gethan.“

Baker wurde in dieser Hölle fast zwei Monate aufgehalten. Alle seine sorgfältigen Vorbereitungen schienen unnütz werden zu sollen. Die Sclavenhändler verführten seine Leute zur Meuterei. Nach wenigen Tagen schon zeigten sich unzweideutige Zeichen einer allgemeinen Unzufriedenheit. Eines Abends traten die Rädelsführer vor Baker, klagten, daß sie zu wenig Fleisch erhielten, und forderten von ihm die Erlaubniß, einen Raubzug gegen einen der nächsten Stämme ausführen zu dürfen. Das war der Anfang einer Reihe von Auftritten, bei denen sein Leben mehrmals in die größte Gefahr kam. Selbst vor einem Morde schreckten die Sclavenhändler nicht zurück, wenn sie ihr Ziel, eine Forschungsreise in ihre Gebiete der Menschenjagd zu verhindern, nicht anders erreichen konnten. Einmal rettete ihn seine muthige Frau, die alle Mühen und Gefahren der Reise mit ihm getheilt hat, mehrere andere Complote vereitelte er selbst mit kalter Besonnenheit. Seine Begeisterung für sein großes Ziel hielt ihn unter wahrhaft verzweifelten Umständen aufrecht. Er entkam endlich aus der Hölle von Gondokoro und entdeckte das zweite der großen Wasserbecken, von denen der Nil gespeist wird. So machte auch er die Erfahrung, daß der Sclavenhandel die schlimmste der Schranken aufrichtet, die der Nilreisende zu durchbrechen hat.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zurückgegeben