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Seite:Friedlaender-Interessante Kriminal-Prozesse-Band 2 (1911).djvu/202

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2

habe aber ausgesehen wie eine in Männerkleidung steckende Frau, das sei doch ein ganz gewaltiger Unterschied. Er (Vert.) könne die Ansicht des Staatsanwalts nicht teilen, daß der Alibibeweis mißlungen sei. Wenn Koschemann in den Zeitangaben schwankend gewesen sei, so sei zu bemerken, daß auch der Staatsanwalt sich nicht genau an die Zeitangaben gehalten habe. Das ganze Äußere des Angeklagten Koschemann deute nicht darauf hin, daß Leidenschaft und Energie in seiner Brust schlummern. Dieser junge blasse Mensch mit der Schillerlocke über der Stirn habe unmöglich die Tat begangen, die man ihm zur Last lege. Was sollen Redensarten wie: „Wir“ brauchen keine Obrigkeit“ und „Religion gibt es nicht, es ist alles Natur“ aus dem Munde des jugendlichen unreifen Angeklagten für ein Gewicht haben? Es gebe doch auch Leute in den höheren Gesellschaftsklassen, die sich vom Glauben abgewandt haben. Sollte man deshalb diesen anarchistische Verbrechen zutrauen? Die Anklagebehörde kämpfe mit kleinlichen Argumenten. Koschemann solle nach Angabe eines Gefängnisbeamten im Untersuchungsgefängnis ein scheues und mißtrauisches Wesen gezeigt haben. Wenn man sich auf Schritt und Tritt von Polizeibeamten verfolgt sehe, dann sei das sehr erklärlich. Der Verteidiger führte ferner aus, daß das Material zu einem Schuldigspruch nicht ausreiche, er sei daher der Überzeugung, die Geschworenen werden ihren Wahrspruch auf Nichtschuldig abgeben. –

Vert. R.-A. Dr. Bieber: Es sei schwer, in einem Sensationsprozeß als Verteidiger aufzutreten, wenn man in der Hauptsache mit Vermutungen und Indizien zu tun habe. Die Stimmung sei gegen die Angeklagten, weil sie Anarchisten seien. Darum habe sich aber der Verteidiger nicht zu kümmern, sondern seine Pflicht sei es, dazu beizutragen, daß den Angeklagten ihr Recht werde, d. h. das Recht, daß sie ins Zuchthaus kommen‚ wenn sie dahin gehören. Daß dies aber im vorliegenden Falle nicht zutreffe, sei seine innerste Überzeugung. Der Verteidiger suchte alsdann in eingehender Weise nachzuweisen,

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 2. Hermann Barsdorf, Berlin 1911, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_2_(1911).djvu/202&oldid=- (Version vom 31.7.2018)