Seite:Über die Verfassung des deutschen Reiches.djvu/134

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Leuten meine Aufmerksamkeit schenkte. So traf ich wenig später einen Mann, der die Verhältnisse in seinem Vaterlande trefflich kannte, den aber die neuen Lehren gar nicht so sehr abzuschrecken schienen. Ich muß deshalb im Vorwege um Entschuldigung bitten, wenn ich seine Aeußerungen wiedergebe, damit man nicht glaube, sie entsprächen meinen Ansichten gänzlich. Ich erwähnte ihm gegenüber jene Unterhaltung beim Nuncius und darauf bemerkte er, weiter ausholend, folgendes: „In jedem wohlgeordneten Staate muß es bestimmte Personen geben, die sich der Ausübung des öffentlichen Gottesdienstes widmen, und denen ein anständiger Unterhalt zu gewähren ist; auch müssen auf öffentliche Kosten Gotteshäuser erbaut werden, deren Glanz der Religion eine gewisse äußere Würde giebt, die, um das Volk fromm zu machen, nicht unnütz ist. Aber auch das wird kein Einsichtiger leugnen, daß die Personen, welche den öffentlichen Gottesdienst leiten, als heilig nicht anzusehen sind, und daß die zu ihrem Unterhalt verwendeten Güter nicht als geheiligte betrachtet werden können. In Deutschland aber ist durch die Freigebigkeit der Kaiser und Fürsten und durch die Frömmigkeit der Privatleute der geistliche Stand so reichlich bedacht worden, daß, wenn nicht der größere Theil von Deutschland, so doch mindestens die Hälfte ihnen gehört, was bei anderen Völkern unerhört wäre. Die Einkünfte dieser Güter zu verzehren aber ist die einzige Anfgabe eines ganzen Heeres von geistlichen Müßiggängern, was weder mit theologischen noch mit volkswirthschaftlichen Grundsätzen vereinbar ist. Die heilige Schrift freilich gebietet, die Geistlichen standesgemäß zu unterhalten und dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht zu verbinden; aber sie erkennt den nicht als Priester an, der um den öffentlichen Gottesdienst sich nicht kümmert. Auch entzieht sie weder die Personen noch Güter der Geistlichkeit der Oberaufsicht der zum Wohle des Staates nöthigen Oberleitung der weltlichen Behörde. Eure Venetianer haben genugsam erkannt, daß eine übergroße Ausdehnung der Kirchengüter dem Staate schädlich ist; sie haben deshalb ihrer Vermehrung einen Riegel vorgeschoben trotz der Erbitterung des Papstes. Denn da muß ja der Staat, wie ein Schwindsüchtiger, dahin siechen, wo Leute, die ein Oberhaupt außerhalb des Staates anerkennen, und nach göttlichem Rechte Befreiung von allen Lasten in Anspruch nehmen, solche Reichthümer zusammenscharren.

Freilich über die Zahl seiner Bischöfe kann Deutschland sich nicht beklagen, ja dieselbe ist sogar geringer, als bei der Größe des Landes nöthig wäre, wenn sie ihr geistliches Amt erfüllen wollen. Aber wozu ihnen so große Macht und solche Reichthümer geben? Du kannst sagen, sie seien zugleich Reichsfürsten und hätten Theil an der Verwaltung des Staats. Wohl, dann mögen sie den heiligen Bischofsnamen ablegen, dessen Pflichten zu erfüllen ihnen die Menge weltlicher Geschäfte doch nicht erlaubt und mögen nur das heißen wollen, was sie sind. Denn die christliche Religion wird nichts dabei verlieren, wenn auch die eine oder zwei Messen wegfallen, die jetzt die Bischöfe selbst lesen, umgeben von einem prächtigen Gefolge, das der Armuth der ersten Apostel des Christenthums spottet. Gewiß soll der Mainzer sein Gebiet behalten, um die Würde eines Erzkanzlers von Deutschland bekleiden zu können. Aber warum man ihm einen heiligen Stuhl zuertheilt, während andere Fürsten, nicht weniger um das Wohl des Reichs besorgt, sich mit einem gewöhnlichen begnügen müssen, ist doch unerfindlich.