Freilich mußte ich viele Geduld bewähren, mehr fast, als man bei einem Italiäner voraussetzen sollte. Denn abgesehen davon, daß ich die deutsche Sprache erlernen mußte, welche von allen europäischen die schwierigste ist, glaubte ich auch anfangs, daß nur der die deutschen Verhältnisse gründlich kennen lernen könne, der alle deutschen Schriftsteller, die das öffentliche Recht (jus publicum) behandeln, vom ersten bis zum letzten durchstudirt habe. So erlangte ich denn, freilich nicht ohne Mühe, von einem Rath, dessen Bibliothek in dieser Wissenschaft sehr reich ist, das Versprechen, mir die für meinen Zweck passendsten Bücher zu besorgen. Er war freundlich genug – zeigte er doch dadurch zugleich seinen Bücherreichthum – mir alsbald durch zwei kräftige, unter ihrer Last seufzende Diener, in wiederholten Gängen, das Zimmer so mit Büchern anfüllen zu lassen, daß für mich kaum noch ein Platz übrig blieb. Für den ersten Anfang, ließ er mir sagen, würde dies meinen Hunger stillen; die eigentliche Hauptmahlzeit solle später nachfolgen. Ich erschrak, wie Jemand, der auf rauhem Pfad plötzlich auf eine Schlange tritt und seufzte über die Qual, die ich mir selbst bereitet hatte. Nachdem ich vorher so viel Lerneifer gezeigt hatte, jetzt schon beim bloßen Anblick der Bücher anderen Sinnes zu werden, hielt ich nicht für schicklich, und doch glaubte ich mit meinem Wunsche, die deutsche Verfassung kennen zu lernen, kein so schweres Verbrechen begangen zu haben, daß es eine so harte Strafe verdient hätte. Mir ward ganz schwül; da fiel mir zur rechten Zeit ein Wort eines Gelehrten aus unserer Heimath ein. Alle Deutschen, hatte er gesagt, leiden an einer kaum zu befriedigenden Schreibwuth;[1] da es nun aber den wenigsten gegeben ist, durch eigene Erfindungskraft oder seine und anmuthige Darstellung den Beifall ihrer Zeitgenossen sich zu erwerben, so begnügen sich die meisten, die das einmal dem Verderben geweihte Papier nicht begnadigen wollen, hier und da aufgeraffte Gedanken zu einem Buche zusammenzustoppeln, oft ohne eine Spur von eigenem Urtheil. Auch gilt es bei ihnen nicht für Plagiat, die Bücher anderer Gelehrten als ihre eigenen zu verkaufen, wenn sie nur hier und da ein paar eigene Worte hinzugefügt haben. Manche endlich glauben um deswegen eine Stellung in der schriftstellerischen Welt einzunehmen, weil sie aus einer ausführlichen Darstellung ein Compendium oder Tabellen ausgezogen haben, was mehr der Gedankenlosigkeit, als dem Gedächtniß zu gute kommt.
Jch glaubte daher nur nöthig zu haben, mich mit einer dieser Schriften bekannt zu machen, um sie alle zu kennen, um so mehr, da sie alle von Juristen verfaßt waren, bei denen es zum guten Ton gehört, sich gegenseitig auszuschreiben. Ich machte mich also mit eiserner Geduld an eins dieser Bücher, das sich durch seinen äußeren Umfang besonders auszeichnete und das ich auch schon vielfach hatte rühmen hören.[2] In diesem, glaubte ich, würden alle früheren ebenso ausgeschrieben sein, wie es selbst wieder von allen späteren ausgeschrieben ist. Bei dieser Lecture nun bereitete
- ↑ Ohne es zu wissen, wiederholt Pufendorf hier in der That nur das Urtheil eines italienischen Staatsmannes. Der venetianische Gesandte Contarini hatte schon 1650 an seinen Senat berichtet: Gl’alemanni sopra ogn’altra natione sono dediti al scritturare. Fontt. Rer. Austriacar. II, 26, p. 317.
- ↑ Wahrscheinlich ist Limnaeus, Jus publicum Imperii Romano-Germanici. 5 Bde. gemeint.
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)