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als so ihre Macht, wie die der deutschen Bischöfe merklich wuchs, fingen die Päpste bald an, auch der deutschen Herrschaft überdrüßig zu werden. Die jedem Volke angeborene Abneigung gegen eine fremde Herrschaft, und der Stolz der Italiäner auf ihre Klugheit, die ja selbst von Fremden zugegeben wird, machten die trotzige Herrschaft der ungebildeten Deutschen noch unleidlicher. Auch wurmte es den Statthalter Christi gewaltig, während er danach strebte, dem Erdkreis Gesetze vorzuschreiben, selbst gleichsam unter fremder Vormundschaft zu stehen. Man suchte daher das deutsche Joch abzuschütteln, und machte dem deutschen König bald in Italien, bald in Deutschland selbst Schwierigkeiten, wozu die deutschen Bischöfe gern die Hand boten. Ein besonders wirksames Mittel war der Bannstrahl, der größte Schrecken jener Zeiten.

So wurden endlich die deutschen Könige Italiens müde, begnügten sich mit ihrem eigenen Reiche und überließen Rom den Päpsten, wonach diese schon Jahrhunderte lang und in Bewegungen, die ganz Europa erschüttert, gestrebt hatten. Ja man verzichtete sogar auf die Krönung in Rom, während der alte Titel römischer Kaiser beibehalten und dem neu erwählten deutschen König noch immer bei der Krönung die Vertheidigung Roms als erste Pflicht auferlegt wurde; eine Pflicht, mit der übrigens die protestantischen Fürsten nichts zu thun haben wollen.

§. 14. Deutschland als Römisches Reich. Bedeutung dieser Bezeichnung.

Aus dem Gesagten ergiebt sich leicht, wie groß der Irrthum derjenigen ist, welche meinen, das deutsche Reich sei an die Stelle des alten Römerreiches getreten und dieses setze sich in jenem fort; denn das römische Reich, dessen Hauptstadt Rom war, war längst aufgelöst, bevor Deutschland sich zu einem Staate zu einigen begann. Vielmehr gab die Herrschaft über Rom, welche auf Karl und Otto überging – und welche, wie erwähnt, eigentlich nur in einer Schirmvogtei bestand – im Laufe der Zeit Deutschland den Namen des römischen Reiches, wenngleich das Gebiet der Kirche nie mit Deutschland zu einem Staate verschmolzen ist, und noch viel weniger dies Reich von Rom aus, als der Hauptstadt des römischen Reiches, regiert wurde. Aber da man meinte, der Titel „römischer Kaiser“ habe wegen der Bedeutung jenes alten Reiches einen ganz besonderen Glanz, pflegte man die deutschen Könige nur so zu nennen, und so nahm auch Deutschland die Bezeichnung „römisches Reich“ gleichsam als die vornehmere an. Der Unterschied zwischen römischem Kaiser- und deutschem Königreich ergiebt sich ganz klar schon aus der gesonderten Krönung. Auch fügten die späteren Kaiser seit Maximilian I. dem Titel „römischer Kaiser“ ausdrücklich noch die Bezeichnung „deutscher König“ hinzu. Nennt ja doch heute das deutsche Volk seinen Staat feierlich das „heilige römische Reich deutscher Nation“, eine Formel, die freilich an einem inneren Widerspruch leidet, da, wie nachgewiesen ist, der heutige deutsche Staat nichts mit dem alten Römerreiche gemein hat. Dennoch behalten die deutschen Könige, wenn sie auch längst auf die Kaiserkrönung verzichtet haben und kaum noch eins der alten Rechte der Schirmvogtei ausüben, den Kaisertitel bei, wie ja Fürsten überhaupt schwerer auf Titel, als auf Realitäten verzichten. Ob übrigens die Verjährung jener Rechte

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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/37&oldid=- (Version vom 1.8.2018)