worden ist. Es erläßt seine Decrete und Urtheile im Namen des Kaisers, allein nichtsdestoweniger steht es nicht unter dem Kaiser allein, sondern unter allen Ständen, und man muß anerkennen, daß es in ihrer aller Namen Recht spricht. Den Vorsitzenden des Kammergerichts ernennt der Kaiser, er muß fürstlichen oder wenigstens gräflichen oder freiherrlichen Standes sein. Der westfälische Frieden bestimmt, daß außer diesem ersten Präsidenten, dem sogenannten Kammerrichter, vier vom Kaiser ernannte Vicepräsidenten[1] und 50 Beisitzer, 26 Katholiken[2] und 24 Protestanten, das Kammergericht bilden sollen. So soll der Klage vorgebeugt werden, daß eine Majorität katholischer Beisitzer die Interessen der Protestanten schädige. Heute ist aber nicht einmal die Hälfte dieser Stellen besetzt, da die meisten Fürsten mit der Ernennung der Richter und der Zahlung der Gehälter sehr saumselig sind[3], weil ihnen die gebieterischen Entscheidungen dieses Gerichtshofes, wenn dieselben auch meist nur leere Worte bleiben, doch unbequem sind.
Wer sich genauer über die Verfassung dieses Tribunals unterrichten will, der mag die Kammergerichtsordnung einsehen, welche unter die Reichstagsabschiede aufgenommen ist. Man sagt gewöhnlich, die Processe kämen in Speyer zum Vortrag, aber nicht zum Austrag[4], theils wegen des weitläufigen Proceßverfahrens, theils wegen der Menge der Processe und der geringen Zahl von Richtern, besonders aber deshalb, weil es an der Macht fehlt, gefällte Erkenntnisse zu vollstrecken. Wer daher die hinlängliche Macht hat, kümmert sich nicht zum mindestens an die Decrete von Speyer. Und die Herren in Speyer sind klug genug, um die wenige Autorität, die sie haben, nicht auch noch muthwillig auf’s Spiel zu setzen, sie hüten sich deshalb, einen Spruch zu thun, der einen mächtigeren Reichsstand beeinträchtigen könnte. Hier wie in anderen Gerichtshöfen bleiben also nur die kleinen Fliegen im Netze hangen.
Zur Hebung der Gebrechen des Kammergerichts sind im Reichsabschied von 1654 eine Menge von Beschlüssen gefaßt worden[5]. Gegen Entscheidungen des Kammergerichts giebt es übrigens keine Appellation; aber wenn Jemand sich beschwert glaubt, kann er eine Revision des Processes verlangen, worauf die Sache einen langen Schlaf zu schlafen pflegt.
Daneben besteht am kaiserlichen Hoflager ein Gerichtshof, der sich gleiche Befugnisse, wie das Kammergericht, zuschreibt, so daß weder von Wien nach Speyer, noch umgekehrt appellirt werden kann. Die Verfassung dieses Hofgerichts ist von Kaiser Ferdinand I. 1549 gegeben, von Maximilian II. erweitert und von Mathias 1614 ganz erneuert, bis schließlich auf dem Regensburger Reichstage von 1654 noch einige Bestimmungen
- ↑ Davon müssen zwei Protestanten sein.
- ↑ 26 Katholiken, weil der Kaiser zwei ernennt.
- ↑ 1663 reichte das Kammergericht beim Reichstage eine Vorstellung ein, „die Ersetzung der noch vacirenden Cameral-Stellen, wie auch den bedürfftigen Unterhalt“ betreffend. Kulpis II., 125.
- ↑ Pufendorf braucht hier das Wortspiel spirare sed non expirare, das sich im Deutschen so nicht wiedergeben läßt.
- ↑ Vgl. Kulpis II., 125 ff., der einige Actenstücke mittheilt.
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. L. Heimann, Berlin 1870, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/89&oldid=- (Version vom 1.8.2018)