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Seite:Über die Verfassung des deutschen Reiches.djvu/94

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Parteien theilen. Wie es in Steuersachen gehalten werden soll, steht noch nicht fest (Westfäl. Friede V, 19). Meiner Meinung nach muß hier ein Unterschied gemacht werden zwischen solchen Steuern, die zum Nutzen des ganzen Reichs dienen sollen und solchen, die nur zum besondern Vortheil des Kaisers bestimmt sind. Ersteren wird sich kein guter Patriot entziehen wollen, mit letzteren dagegen darf man weniger freigebig sein.

Die Art der Berathung ist nun die folgende. Die Beschlüsse des Kurfürsten-Collegiums werden zuerst dem Fürstenrathe mitgeteilt. Dieser antwortet mit seinen Beschlüssen. Man nennt das referiren und correferiren, und damit wird so lange fortgefahren, bis eine Verständigung erzielt ist. Sobald das geschehen ist, werden die Beschlüsse der beiden oberen Collegien dem Städterath mitgetheilt. Stimmt auch dieser zu, so werden dem Kaiser oder seinem Commissar die einstimmigen Beschlüsse der drei Stände übersandt, und wenn dieser sie sanctionirt, so ist der Beschluß rechtsgiltig. Können die drei Collegien sich nicht einigen, so werden ihre Beschlüsse dem Kaiser vorgelegt, der dann durch gütliche Vermittelung, aber nicht durch einseitigen Befehl, die widerstreitenden Ansichten zu versöhnen sucht. Ebenso wird auch, wenn dem Kaiser der Beschluß der Stände nicht genehm ist, der Weg der gütlichen Verhandlungen so lange versucht, bis eine Uebereinstimmung erzielt ist. So erklärt sich die in den Reichsabschieden übliche Formel: dieser Beschluß ist zwischen Kaiser und Ständen vertragsmäßig vereinbart. Uebrigens ist zu beachten, daß, wenn auch dem Städterath im Westfälischen Frieden (Cap. VIII. §. 4.) ein entscheidendes Votum beigelegt ist, während man ihm früher nur ein berathendes zugestehen wollte, doch die beiden oberen Collegien nicht eher mit dem dritten in Verhandlung treten, als bis sie unter sich einig sind. Doch können sie ihm ihre Ansichten nicht als Befehle oder als Majoritätsbeschlüsse aufdrängen, sondern wenn die Städte nicht zustimmen, tritt die Vermittelung des Kaisers ein, bis auch hier Uebereinstimmung verhanden ist. Angelegenheiten, über die kein Beschluß zu Stande kommt, werden bis auf einen spätern Reichstag vertagt. Giltige Beschlüsse werden von Kurmainz als Reichsabschied formulirt. Dieser wird von neuem geprüft, unterschrieben, untersiegelt und dann verkündet.[1]

§. 27. Kaiserliche Reservatrechte.

Aus dem in diesem Capitel Gesagten ergiebt sich nun zur Genüge, welche Hoheitsrechte dem Kaiser verblieben sind. Doch giebt es noch einige Rechte des Kaisers, die außer ihm in Deutschland Niemand ausüben darf. Dahin gehören 1) Das jus primariarum precum, nach welchem der neuerwählte Kaiser in jedem geistlichen Collegium eine Pfründe besetzen

  1. Mit dem, was hier über die Geschäftsordnung des Reichstages gesagt ist, ist der Gegenstand noch keineswegs erschöpft. Die Ausdehnung der Befugnisse der Direktorien, die Art der Feststellung der Tagesordnung durch den sogenannten Ansagezettel, der Modus der Abstimmung und die schwierige Frage, nach welchen Regeln aus den Voten der Stände ein Conclusum zu ziehen war, – wenn es überall Regeln darüber gab – diese und viele andere Punkte sind noch jetzt keineswegs hinreichend festgestellt und verdienen wohl einmal eine eingehende Behandlung.
Empfohlene Zitierweise:
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/94&oldid=- (Version vom 1.8.2018)