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Seite:Über die Verfassung des deutschen Reiches.djvu/98

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§. 2. Verfassungsformen in den einzelnen Territorien.

Betrachten[1] wir zunächst die einzelnen Theile des Reiches für sich, so ergeben sich wenig Schwierigkeiten. Denn alle Fürstenthümer, weltliche wie geistliche, – von denen erstere erblich sind, letztere durch Wahl verliehen werden – ebenso auch alle Grafschaften sind Monarchieen, nur mit dem Unterschiede, daß in einigen die Macht des Fürsten absolut,[2] in anderen durch Verträge mit den sogenannten Landständen oder durch deren Privilegien beschränkt ist. Von den freien Städten aber haben einige eine aristokratische Verfassung, d. h. in ihnen hat die höchste Gewalt der Rath, der sich aus den angesehensten Geschlechtern selbst ergänzt und weder an Beschlüsse der Bürgerschaft gebunden, noch ihr verantwortlich ist; andere haben eine demokratische Verfassung, weil in ihnen der Rath von den Zünften erwählt wird und denselben verantwortlich ist.

§. 3. Das Reich ist keine Demokratie.

Welcher Staatsform aber das ganze deutsche Reich entspricht, darüber können die deutschen Schriftsteller sich nicht einigen; ein deutlicher Beweis dafür, daß wir es mit einem sehr unregelmäßigen Staatsgebilde zu thun haben, zugleich aber auch ein Beweis für die Thorheit der Autoren, welche ohne Kenntniß der Politik sich an die Bearbeitung des Staatsrechtes machen.

Für eine Demokratie nun hat, so viel ich weiß, noch Niemand das Reich ausgegeben. Doch wollen Manche[3] nur diejenigen als Bürger des deutschen Reichs bezeichnen, welche auf den Reichstagen Sitz und Stimme haben, wobei sie sich auf Aristoteles beziehen, welcher nur denjenigen einen Bürger nennt, der das Recht hat, über Staatsangelegenheiten mit zu berathen und mit zu stimmen. Wenn wir diese Bezeichnung adoptiren, so ist Deutschland ohne Zweifel eine Demokratie, deren Bürger nur die Stände sind, da sie alle das Recht haben, auf dem Reichstage zu berathen und Beschlüsse zu fassen. Der Kaiser würde dann ein Princeps im eigentlichen Sinne des Wortes, d. h. der erste Bürger sein. Aber es ist eine Thorheit, jene aristotelische Definition weiter als auf Bürger der aristotelischen Demokratieen auszudehnen. Denn wer wollte freien Männern und Familienvätern, die in einer Monarchie oder Aristokratie leben, den Namen Staatsbürger bestreiten, wenn sie auch an der Regierung des Staates keinen Antheil haben? Oder wer wollte behaupten, daß es in einer Monarchie nur einen Bürger, den König, gäbe, oder daß in einer Aristokratie nur die Senatoren Bürger wären.

  1. In der Ed. posth. lautet der Anfang dieses §. so: Was die einzelnen Theile oder Stände des Reichs betrifft, so können sie zwar als eigentliche Staaten nicht angesehen werden, da sie aber auch keineswegs als Provinzen im eigentlichen Sinne des Wortes, noch ihre Fürsten als Provinzialstatthalter angesehen werden können, so steht nichts im Wege, daß wir uns mit ihren Verfassungsformen beschäftigen. Alle Fürstenthümer nun u. s. w. wie oben.
  2. „insoweit sie nicht an die gemeinen Reichsgesetze gebunden sind“, fügt Ed. posth. hinzu.
  3. Gemeint ist Conring, der in seiner Schrift de civibus imperii ähnliche Ansichten aufstellt.
Empfohlene Zitierweise:
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/98&oldid=- (Version vom 1.8.2018)