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Erheiterungen, Belletristisches Beiblatt zur Aschaffenburger Zeitung

Die Kettenschifffahrt.
(Nach einem von Dr. Rentzsch aus Dresden im Zentralverein zur Hebung der Fluß- und Kanalschifffahrt zu Berlin gehaltenen Vortrage).

Bei dem Interesse, das die Kettenschifffahrt in Rücksicht auf die bevorstehende Einführung einer solchen auf dem Maine für Würzburg und Unterfranken hat, theilen wir folgende Abhandlung aus dem Berliner Handelsblatt mit.

Seit der Einführung der Kettenschifffahrt sind erst wenige Jahre vergangen und doch hat die neue Einrichtung so rasch Anhänger gewonnen, daß in wenigen Jahren sämmtliche deutsche Ströme mit der Kette, beziehentlich mit dem Seil belegt sein werden. Die ersten Versuche lassen sich auf das Jahr 1732 zurückführen, in welchem Jahre der Marschall von Sachsen in Frankreich Versuche anstellen ließ, die indessen als wenig Erfolg versprechend wieder aufgegeben wurden. 1820 stellten Courteaud und Tourasse in Lyon anderweite Experimente an, sie benutzten aber nur eine Kette von gewisser Länge, bis bald darauf de Rigny in Rouen auf einer längeren Strecke der Seine die Möglichkeit der Kettenschifffahrt praktisch nachwies. Trotzdem dauerte es mehr als 30 Jahre, ehe man an eine dauernde Einführung herantrat, da die Einrichtung der Kettenschifffahrt in und bei Paris erst seit 1856, im übrigen Frankreich erst seit 1860, in England[WS 1] und Belgien (im letzteren Lande vorzugsweise Seilschifffahrt) noch später datirt. In Deutschland wurde zuerst die Elbe bei Magdeburg durch Direktor Graff 1868 mit der Kette belegt.

Technisch erweisen sich die Vortheile der Kettenschifffahrt dadurch, daß, während das Wasser den Schaufeln des Remorqueurs[WS 2] leicht ausweicht, durch die Kette für die Dampfkraft ein weit sicherer und festerer Stütz- und Angriffspunkt gegeben wird. Das Räderdampfschiff ist bei weitem nicht so in der Lage, die Dampfkraft auszunutzen, wie das Kettenschiff, da beispielsweise eine Umdrehung der Schaufelräder, welche das Schiff nur 20 Meter nach vorwärts bringen solle, nur eine Bewegung von 8, 10, selten 12 Meter als Wirkung aufzuweisen hat. Berechnet man im Durchschnitt für Räderschiffe – bei dem geringen Fahrwasser der deutschen Ströme läßt sich bekanntlich die Schraube nur selten anwenden – den Nutzeffekt zu 30pCt., so soll sich derselbe bei der Kettenschifffahrt bis auf 80 und 90pCt. steigern. Besonders überlegen ist das Kettenschiff bei lebhaft strömendem Wasser, bei dem der Remorqueur nicht selten Mühe hat, seine eigene Last, viel mehr also etwa noch angehängte Schiffe stromaufwärts zu bringen. Oft genug kann man bei Brückendurchfahrten beobachten, daß der Remorqueur mit 1-2 Schiffen die Passage mühsam bezwingt, während das Kettenschiff trotz angehängter 10-12 Schiffe denselben Weg anscheinend mit Leichtigkeit zurücklegt. In Seen und Kanälen ist, weil der Widerstand des strömenden Wassers wegfällt, das Kettenschiff dem Remorqueur zwar weniger überlegen, dafür tritt aber zumal für Kanäle der bedeutsame Vortheil ein, daß das Kettenschiff, weil keine Schaufelräder vorhanden sind, die Uferränder weit weniger durch Abspülung beschädigt.

Die stärkere Ausnützung der Dampfkraft gestattet bei dem Kettenschiff weniger starke Maschinen anzuwenden, und es stellt sich auf der Elbe das Verhältniß durchschnittlich so heraus, daß ein Kettenschiff mit einer Maschine von (nominell) 60 Pferdekraft in seiner Leistungsfähigkeit einem Remorquer von 150 Pferden noch weit überlegen ist. In Folge dessen ist die Kohlenersparniß (etwa 50pCt bei außerdem 2–3fachem Nutzeffekt) eine bedeutende, und liegt auch die Füglichkeit vor, das Schiff etwas leichter zu bauen und für einen geringeren Tiefgang einzurichten, obgleich die Belastung mit dem Aufwindeapparat der Kette diesen einen Vortheil wiederum schmälert.

Da das Kettenschiff von der im Grunde des Fahrwassers liegenden Kette gehalten wird, so bietet die Möglichkeit, sofort ohne Anker zu werden oder an das Land zu fahren, still liegen zu können, eine hervorragende Sicherheit, die bei den nicht selten ganz unerwartet eintretenden Fährlichkeiten der Schifffahrt durchaus nicht bedeutungslos ist. Diese Sicherheit wird allderdings durch das Reißen der Kette, das doch öfter eintritt, als man zuvor annahm, beeinträchtigt. In der Regel verläuft aber ein derartiger Unfall in der Weise, daß, weil die Kette fast ausnahmslos in dem gerade auf dem Schiff befindlichen Stück reißt, die Endglieder bei einiger Aufmerksamkeit der Mannschaft sofort erfaßt werden können, worauf nach etwa 10 Minuten durch Einlegen eines neuen Gliedes der Schaden wieder geheilt ist.

Als wirthschaftliche Vortheile der Kettenschifffahrt sind in erster Linie die rasche Beförderung und der regelmäßige Dienst anzuführen, worin die Schifffahrt selbst bei Anwendung der Dampfkraft


Anmerkungen (Wikisource)

  1. In England wurden höchstens Versuche zur Kettenschifffahrt durchgeführt, das Prinzip wurde dort jedoch nicht implementiert.
  2. Ein Remorqueur ist die französische Bezeichnung für einen Schaufelradschlepper.
Empfohlene Zitierweise:
: Erheiterungen, Belletristisches Beiblatt zur Aschaffenburger Zeitung. Wailandt, 1872, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:1872_Erheiterungen_Belletristisches_Beiblatt_zur_Aschaffenburger_Zeitung.pdf/3&oldid=- (Version vom 10.2.2018)