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F. A. Brockhaus (Hrsg.): Kettenschleppschiffahrt (Brockhaus 1873)

Kettenschleppschiffahrt (Drahtseil-Schleppschiffahrt, Touage). Die gewaltige Concurrenz, welche die Fluß- und Kanalschiffahrt unter ungünstigen Verhältnissen seitens der Eisenbahnen auszuhalten hat, machten es zu einem unabweisbaren Bedürfniß, die letztere durch technische Verbesserungen auf eine höhere Entwickelungsstufe zu bringen. Die Einführung der gewöhnlichen Dampfschleppschiffahrt war ein großer Schritt nach vorwärts, doch erwies sich dieselbe nur auf Strömen von bedeutender Tiefe und Breite von Vortheil, während die Lebensfähigkeit der Dampfschiffahrt auf Flüssen von kleiner Tiefe, aber großer Stromgeschwindigkeit nur eine geringe blieb. Der Hauptgrund liegt in der verhältnißmäßig sehr unvollständigen Ausnutzung der Maschinenkraft, da bei einem Räder- oder Schraubendampfschiffe durch das Rad oder die Schraube kein fester Widerstand im flüssigen Medium des ausweichenden Wassers gefunden wird und dieser nur durch öftere Rotation der Maschine gewonnen werden kann, um das Schiff selbst und die daranhängenden Schleppkähne mit angemessener Geschwindigkeit vorwärts zu treiben. Man kam daher auf die Idee, ähnlich, wie die Locomotive durch das Fortarbeiten auf den Schienen sich und den ganzen Eisenbahnzug fortschleppt, auch die Remorqueure an einer continuirlichen, in dem Stromstriche des Flusses versenkten und an den Enden verankerten Kette sich selbst fortziehen zu lassen. Während jedoch bei der Locomotive das Gewicht derselben ausreicht, um die nöthige Adhäsion an den Schienen hervorzurufen, werden die Kettenschlepper in einer der folgenden Arten mit der Kette verbunden. Entweder geht die Kette ein paar mal über eine oder zwei von der Maschine bewegte, in der Längsachse des Schiffs befindliche Trommeln, oder es legen sich einzelne Kettenglieder in den entsprechend gezahnten Umfang der Trommel, wobei es genügt, nur die Hälfte des letztern mit der Kette in Berührung zu bringen. In jedem Falle hebt der Toueur auf der Vorderseite die Kette aus dem Flusse herauf, während dieselbe, nachdem sie über das Deck passirt ist, auf der Hinterseite wieder in das Flußbett zurückfällt. Im Schiffskörper befindet sich eine Maschine von 14–30 Pferdekräften. Der Schiffskörper selbst ist aus Eisen in Form eines Pontons, also mit flachem Boden. Vorder- und Hinterende sind gleich gebildet und jedes mit einem Steuerruder versehen. Auch befindet sich zur Führung der auftauchenden Kette an jedem Schiffsende ein vorragender, im horizontalen Sinne fast um 90 Grad drehbarer Arm, wodurch die Steuerfähigkeit des Schiffs, innerhalb gewisser Grenzen, unabhängig von der Lage der Kette wird und man daher anderer Schiffahrt etwas ausweichen kann. Andererseits erreicht man durch diese Einrichtung auch die Möglichkeit, die in gekrümmten Stromstrecken nach und nach infolge der Toueurfahrten nach dem convexen Ufer hinübergerückte und daher schlaff gewordene Kette durch das Schiff selbst in ihrer Lage auszugleichen. Hierzu läßt man von Zeit zu Zeit den Toueur allein, ohne Convoi, gehen und durch forcirte größere Schwenkungen mittels Steuerruder die Kette wieder nach dem Stromstrich zurückführen. Das Gewicht der auf der Elbstrecke aus 22 Millimeter starken Rundeisen bestehenden Kette beträgt 11,31 Kilogr. pro laufenden Meter.

Anstatt der Kette ist zunächst von Eyth und de Mesnil mit Vortheil ein Drahtseil als Schlepptau verwendet worden. Dasselbe legt sich bei diesem System auf die obere Hälfte einer seitlich des Schiffskörpers, in der Mitte der Langseite angebrachten sog. Fowler-Welle (zuerst bei den Fowler’schen Dampfpflügen angewandt) von circa 2 Meter Durchmesser auf, fällt dann vertical von jeder Seite derselben ab und wird mit Hülfe zweier Trommeln von circa 1,8 Meter Durchmesser horizontal gegen das Vorder- und das Hinterende des Schiffs geführt, woselbst es durch kleinere Rollen aufgenommen und abgeleitet wird. Diese Führungsrollen sind so aufgehangen, daß sie sich nach allen Seiten drehen können und sich stets der jeweiligen Richtung des Schiffs accommodiren. Die genannte Fowler-Welle trägt auf ihrem Umfange eine aus zwei Reihen beweglicher Backen gebildete Rinne, deren Breite nach der Achse der Welle zu sich verringert, sodaß das auf der Welle liegende Kabel desto mehr gespannt wird, je weiter es sich in die Rinne einlegt. Zur Verhinderung des Abgleitens des Kabels beim Ingangsetzen des Schiffs dienen zwei in der Nähe befindliche Frictionsrollen. Das Drahtseil besteht in der

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F. A. Brockhaus (Hrsg.): Kettenschleppschiffahrt. F. A. Brockhaus, 1873, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:1873_Kettenschiffahrt_Conversations-Lexikon.pdf/2&oldid=- (Version vom 15.8.2018)