von denen der Naevus pigmentosus in einer unheimlichen Weise oft minderwertige und erkrankte Organe verrät. Ich habe wenigstens an meinem Krankenmaterial auf ihn achten gelernt und ihn nicht selten bei Lungentuberkulose, Nierenaffektionen und Appendizitis in der Gegend des erkrankten Organes gefunden. Da die embryonale Herkunft des Naevus pigmentosus und sein familiäres Auftreten sichergestellt sind, ferner die Tatsachen, die zur Karzinomtheorie Cohnheims von den versprengten embryonalen Keimen führten, unerschüttert scheinen, ergibt sich auch aus diesem Gesichtspunkt eine Bestätigung meiner Annahme. Nur daß an Stelle der versprengten embryonalen Keime, die bis heute nicht nachzuweisen waren, der fötale Charakter des minderwertigen Organes im ganzen oder in einem seiner Teile tritt.
Es geht aber keineswegs an, den Beweis der Minderwertigkeit eines Organes ausschließlich an seine Erkrankung zu knüpfen. Nur der Laie wird sich gegen die Annahme wehren, daß ein langes Leben mit einer langen Krankheit sehr wohl verträglich sei. Auch ein minderwertiges Organ muß durchaus nicht zu frühem Tode führen. Wohl ist aber durch die Konkurrenz von fötalem Bildungsmangel, Reizzustand und Materialreserve unter gleichbleibenden äußeren Bedingungen der Ausgang determiniert. Man wird Veränderungen atrophischer Natur finden, ihnen gegenüber solche hypertrophischen Charakters, verminderte, vermehrte Leistung, die verschiedensten Anomalien der äußeren und inneren Sekretion, Mangel und Überschuß. Versuchen wir außerdem noch, die äußeren Bedingungen, die Anforderungen gegenüber von Anstrengungen, Infektionen, Domestikation (Hansemann) und Milieu ins Kalkül zu ziehen, so fallen in unsere Betrachtung auch noch die neuerdings zur Geltung gelangten Überbürdungs- und Aufbrauchskrankheiten (Edinger), die lokalisierten Infektionserkrankungen, Neoplasmen, Appendizitis, Ulcus rotundum, Prostatahypertrophie etc., Neurosen, Nervenerkrankungen peripherer und zentraler Natur, Rassen- und familiäre Erkrankungen, Tabes und Paralyse.
Die Summe des zu bearbeitenden Materiales ist demnach überwältigend. Im Einzelfalle hat man aber der ordnenden Gesichtspunkte genug, um einen Überblick zu gewinnen und das minderwertige Organ herauszufinden. Von überragender Bedeutung unter allen Umständen ist und bleibt die Feststellung der Erkrankungslokalisation. Damit erscheint auch der Rahmen der gegenwärtigen klinischen Medizin festgehalten. Es leuchtet aber sofort ein, daß unser Standpunkt weiter blicken läßt und in die Lage versetzt, ein weiteres Verständnis für den vorliegenden
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/27&oldid=- (Version vom 31.7.2018)