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des zugehörigen Anteiles des Zentralnervensystems gesellt. Bei der Hypochondrie, der Hysterie, der Angst- und Zwangsneurose nun trifft dieser Fall zu, wie wir im nächsten Kapitel nachzuweisen versuchen werden. Schwerer dürfte es gelingen, in den Zusammenhang beider Minderwertigkeiten einzudringen, wo es sich um Epilepsie oder psychische Erkrankung, Paranoia, Demenz, Manie etc. handelt. Psychosen, die sich im Anschlusse an Intoxikationen, fieberhafte Erkrankungen, Diabetes, Nephritis, Tuberkulose einstellen, gehören sicherlich ebenso in den Rahmen dieser Untersuchung, wie die oft betonten Zusammenhänge zwischen Epilepsie einerseits und Erkrankungen des Darmapparates, Kreislaufes oder Harnorganes andrerseits.

Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß die Auffindung einer Organminderwertigkeit angesichts der Häufigkeit mehrfacher Insuffizienzen uns die Verpflichtung auferlegt, nach weiteren minderwertigen Organen zu forschen.

VI. Die Rolle des Zentralnervensystems in der Organ-Minderwertigkeitslehre — Psychogenese und Grundlagen der Neurosen und Neuropsychosen.

Hier sollen einige Betrachtungen angeschlossen werden, die sich aus unserer Studie nahezu von selbst ergeben. Wir werden nur dem Sinne unserer bisherigen Auffassung gerecht, wenn wir aus der Untersuchung der minderwertigen Organe weder das Rückenmark noch das Gehirn ausschließen. Ja, es muß sogar hervorgehoben werden, daß sich die bereits charakterisierte Gleichzeitigkeit mehrfacher Organminderwertigkeit auch auf einzelne Anteile, Nervenbahnen des Zentralnervensystems erstreckt und daß sehr häufig der Wertigkeit jedes Organes eine von Natur aus proportionale Wertigkeit derjenigen Nervenbahnen entspricht, die mit dem zugehörigen Organ in Verbindung stehen, von ihm ihre Erregungen beziehen und ihre Impulse zu ihm leiten. Freilich, ein durchaus gesetzmäßiges Verhalten ist nicht zu erwarten. Die Minderwertigkeit kann sich dauernd auf ihrem Niveau halten, kann auch bloß auf das Organ oder einzelne seiner Teile beschränkt bleiben. Oder die Anforderungen des Lebens, der Domestikation, der Kultur, bringen eine Überkompensation hervor, die sich vor allem — seine Suffizienz vorausgesetzt — am Zentralnervensystem durchsetzen wird. Die quantitativen Unterschiede, die sich dabei durch den Grad der Minderwertigkeit, durch ihre Lokalisation, durch den Grad der Kompensation ergeben, können, von der psychologischen Seite betrachtet,

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Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/73&oldid=- (Version vom 31.7.2018)