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der schwere Verlauf von Genitalerkrankungen, insbesondere der Gonorrhöe und ihrer Komplikationen bei nachweisbarer Minderwertigkeit des Genitalapparates, aber auch der Harnorgane, der Lunge, des Blutes. Unsere Auffassung, die im wesentlichen die Häufigkeit einer gleichzeitigen Minderwertigkeit des Sexualorganes behauptet, wird durch die Häufung von Stigmen und von Geschwulstbildungen am Genitale nur gestützt. Und zuletzt spiegelt der ganze Ablauf von Funktion und Wachstum des Genitalorganes, die späte, dann aber überreiche Entwicklung, das frühe Versagen von Wachstum und Funktion, wie es keinem anderen Organ eigen ist, die kolossale Wachstumsenergie und Regenerationskraft seiner Abkömmlinge das Bild der Erscheinungen am minderwertigen Organ vor, wie wir es im obigen entworfen haben. Wir können geradezu behaupten, daß dem menschlichen Sexualorgan in allen Fällen ein geringer Grad von Minderwertigkeit anhaftet, der leicht größere Dimensionen annimmt. Dann fehlen auch jene Charaktere nicht, die anderen minderwertigen Organen zukommen, die Heredität, die Erkrankung, das Stigma, die Kinderfehler (Frühmasturbation) und die Reflexanomalien.

Weitere Minderwertigkeiten, die sich der sexuellen Minderwertigkeit zugesellen, betreffen die Nase (Fliess), das Herz usw.

Der stärkste Einwand, der unserer Auffassung begegnen kann, scheint mir durch die gleichzeitige Erkrankung zweier minderwertiger Organe gegeben zu sein. Um diese Frage exakt zu beantworten, bedarf es eines ungeheuren Materiales und vieljähriger Prüfung auf jenem Experimentierfeld, das die Natur sich in der ungeheuren Zahl der minderwertigen Organe geschaffen hat. Für einen Teil der Fälle läßt sich vermutungsweise eine Störung der inneren Sekretion im Falle der Erkrankung des einen Organes und dementsprechend Schwächung und Erkrankung des anderen minderwertigen Organes annehmen. Ebensowenig wird man den reflektorischen Einfluß bestreiten können, den die Erkrankung eines der minderwertigen Organe auf das andere nimmt, besonders wenn man sich vor Augen hält, daß den minderwertigen Apparaten ein ursprünglich minderwertiger Anteil des Zentralnervensystems entspricht, der späterhin häufig zur Überkompensation gelangt und damit physisch wie psychisch eine dominierende Stellung innehat. Wie immer dem auch sei, die Tatsache möchte ich nicht gering anschlagen, daß die gleichzeitig minderwertigen Organe wie in einem geheimen Bunde zueinander stehen.

Dies und das geheime Band wird nirgends so leicht nachzuweisen sein, als wo sich zu einer Organminderwertigkeit eine Minderwertigkeit

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/72&oldid=- (Version vom 31.7.2018)