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Organe respektive dessen überkompensiertem psychischen Feld angehören.

Es entspricht nur der Eigenart unserer Kultur und ihrer Widerspiegelung in der menschlichen Psyche, daß Auge, Ohr und Sprechorgane zu ganz besonderen Leistungen angehalten werden und demgemäß ganz besondere Ausbildungen ihres psychischen Überbaues auch innerhalb des Normalen erlangen. Wo Kompensation oder Überkompensation eintritt, werden die dem Organüberbau angehörigen Gedächtnisleistungen gesteigert, aber auch all den Gefahren ausgesetzt sein, die dem gesteigerten Wachstum minderwertiger Organteile drohen, Störungen der Kompensation in Form von Gedächtnisschwäche, Amnesie, Steigerungen als besonders betonte Erinnerungen, assoziative Verstärkungen etc.

Ich kann an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen. Einer ähnlichen Betrachtung unterliegen die Ausbildung der kritischen Fähigkeiten im Überbau des minderwertigen Organes, die Steigerung der Introspektion, die Inspiration, Intuition und geniales Erfassen, die Ausbildung des halluzinatorischen Charakters in der Psyche, die Entwicklung der überwertigen Idee auf Grundlage kompensatorischer Leistungen, die auch die Funktion des Wollens, die Empfindung von Lust und Unlust in ihren Bereich ziehen etc. Dem motorischen Anteil des kompensierenden Überbaues entspringen alle Phänomene der Neurosen, die sich als motorische Entladungen geltend machen, Tic, Lähmungsformen und Krampf und Lähmung der Hysterischen, Epilepsie etc., deren ganzes Krankheitsbild der jeweiligen Konstellation im psychomotorischen Überbau seine Entstehung verdankt, mehr weniger mit dem kompensatorischen Ausbau des Reflexmechanismus verknüpft ist. Auch die Beschäftigungskrämpfe, Schreibkrampf etc. reihen sich als Kompensationsstörungen hier an.

Bei den Kinderfehlern, denen masturbatorischer Charakter zugeschrieben wird, Daumenlutschen, Lippen saugen, Kitzeln der Haut, Berührung des Afters und echte Frühmasturbation, ist wieder die spielerische, auf Lustgewinn berechnete Neigung zu beobachten, die dem minderwertigen Organ, Mund, Darm, Genitalien eigen. Das Gleiche gilt von der Enuresis nocturna. Wenn wir uns nun erinnern, daß alle minderwertigen Organe vielleicht regelmäßig von minderwertigen Sexualorganen begleitet werden, denen gleichfalls die Neigung nach Lustgewinn in hohem Grade eigen ist, wenn wir hinzunehmen, daß fast alle mit Kinderfehlern behafteten Kinder auch masturbatorische Berührungen der Genitalien vornehmen, so müssen wir als Ergebnis dieser Betrachtungen feststellen, daß der Besitz minderwertiger Organe

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/82&oldid=- (Version vom 31.7.2018)