Seite:Adolf von Stählin - Das landesherrliche Kirchenregiment.pdf/44

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 Darinnen hat der Herr Verfasser nun allerdings recht, daß das Landeskirchenthum nur unter der Voraussetzung vertheidigt werden kann, daß das Volk im Ganzen und Großen noch ein christlich gesinntes, mindestens ein solches ist, welches sich Christenthum und Kirche noch gefallen lassen will. Letzteres behaupten wir aber auch unbedingt, zunächst in Bezug auf unsere süddeutschen lutherischen Landeskirchen. Unser Volk hat im Großen und Ganzen den Zusammenhang mit der Kirche nicht aufgegeben, im Gegentheil ist diese in ihm noch eine sehr bedeutende Macht; man kann schlechterdings nicht ohne weiteres sagen, „daß unser Volk in seinen sittlichen Wurzeln sich abgelöst hat von der christlich-sittlichen Wahrheit.“ Wenn auf das Sittliche der Nachdruck gelegt wird, so gilt dieß Urtheil schon gar nicht. Eine gewisse Ethisirung und Christianisirung des Volkslebens im Ganzen findet in unseren Tagen in einem Maße statt, wie vielleicht noch nie, seitdem das Evangelium in der Welt ist. Es fragt sich, ob man einem Urtheil, wie dem von Frommel: Die Kunst im täglichen Leben (S. 75), nicht beistimmen muß: „Es läßt sich ebenso wenig leugnen, daß Religiosität, Sittlichkeit, Nationalgefühl sich im Vergleich gegen vergangene Jahrhunderte im Großen und Ganzen gehoben haben. Davon geben die urkundlichen Bilder Freytag’s aus der deutschen Vergangenheit deutliche Beweise.“ Man lese aber auch „das Bedenken der Consistorien halber“, oder „die sächsischen Generalartikel“ vom Jahre 1557 (Richter, Kirchenordnungen II, 178 ff.) und man wird staunen über die Rohheit und Verkommenheit, die Entfremdung von der Kirche, die Entweihung des Heiligen, die damals in Stadt und Land, besonders aber auf dem Lande sich kundgab. Unzweifelhaft sieht es jetzt in unseren Landgemeinden im Allgemeinen weit besser aus. Wie viel Leben in den würtembergischen Gemeinden vorhanden ist, ist bekannt. Was ferner äußere Kirchlichkeit und festen Zusammenhang mit der Kirche anlangt, so werden die bayerischen lutherischen Gemeinden kaum von andern übertroffen werden. Man kann ganze Distrikte durchwandern, und auf dem Lande kaum eine Seele finden, die ihren Zusammenhang mit der Kirche gelöst hat. Im Ganzen findet sich auch ein Hunger nach der Lebensspeise des göttlichen