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Zeiten enthalten sei. Er hat über alle Gebiete und Ordnungen des menschlichen Lebens sich geäußert. Luther mag auch hier für ihn eine gewisse fundamentelle Bedeutung gehabt haben, Melanchthon hat aber ebenso das Verdienst, die granitenen Gedanken Luthers geglättet und in ein Ganzes eingefügt zu haben. Wie vortrefflich äußert er sich über Familie und Staat, über Kunst und Wissenschaft, bei ersterer gedenkt er mit größter Anerkennung Albrecht Dürer’s, bei letzterer hebt er deren große Bedeutung auch für das staatliche Gemeinwesen hervor. Sehr interessant sind seine Kundgebungen über Musik, besonders aber über Geschichte. Er ist nach dieser Seite ein edler, deutscher Patriot, er rühmt die deutsche Vorzeit, die großen deutschen Kaiser und beklagt es, daß deutsche Geschichte so wenig auf den Schulen betrieben werde. Noch wenige Monate vor dem Tode vollendete er ein historisches Werk. Schön, edel spricht er sich auch über Karl V. aus, obwohl er der Gegner der Evangelischen war. Kurfürst Moritz hat er vor einem Bündnis mit Frankreich gewarnt. Auch so entlegene Disziplinen wie Botanik, Anatomie, Astronomie waren ihm nicht fremd, bei letzterer verirrte er sich nach der Weise seiner Zeit allerdings in höchst seltsame Anschauungen, in welchen ihm Luther nicht folgen konnte. Die Königin der Wissenschaften war ihm aber die Theologie, zu welcher er alle übrigen Wissenschaften in Beziehung setzte. Es war ein durchgreifendes Streben in ihm, alles Menschliche mit dem Christlichen in Verbindung zu setzen und die Verbindungslinien beider Sphären aufzuweisen. Wenige werden Melanchthon an Vielseitigkeit in diesen letzten Jahrhunderten gleichkommen oder gar ihn übertroffen haben. Ich kenne nur einen, den großen Leibnitz. Es bleibt ein Hauptverdienst Melanchthon’s, daß er die eigentliche Wissenschaft, wissenschaftliche Forschung, wissenschaftliches Leben im weitesten Sinne des Wortes der evangelischen Kirche in die Wiege legte, daß er den Bund von Protestantismus und Wissenschaft geschlossen, besiegelt, geweiht hat – ein Bund, von dessen unerschöpflichen Segensfrüchten die Geschichte bis auf diese Stunde zeugt. Gewiß, Luther war noch mehr als Theologe und Mann der Wissenschaft. Aber Melanchthon hat in höherem Grade, als oft angenommen wird, auf die ganze Geistesentwicklung der folgenden

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Adolf von Stählin: Philipp Melanchthon. J. A. Schlosser, Augsburg 1897, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Philipp_Melanchthon.pdf/24&oldid=- (Version vom 18.8.2016)