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ist der Ernst des Lebens, der Ernst des Sterbens erst unter der Heimsuchung des Krieges entgegengetreten. Gott haben sie ihre Seelen befehlen, zum Kreuz auf Golgatha haben sie blicken gelernt. Auch die schöne selige Ewigkeit hat eine reiche Ernte aus der blutigen Saat des Krieges gewonnen. Auch Christenglaube und Christenhoffnung haben in diesem Kriege ihre Triumphe gefeiert. Wir preisen, die überwunden haben; wir mischen unsere Thränen mit den Thränen der Trauernden. Wir bieten ihnen den ewigen Trost aus Gottes Wort. Der Herr selbst umschirme Wittwen und Waisen und heile die Herzen, die er zerschlagen hat!

 Aber wir können heute, Geliebte, nicht blos der jüngsten Vergangenheit gedenken. Sie ist so groß, daß unsere ganze frühere Geschichte vorweist auf sie. Wir müssen im Geiste die Stufen durchmessen, die auf die gegenwärtige Höhe uns führten; wir müssen der Gesetze gedenken, unter welchen eine höhere Hand uns bis hieher hat gebracht.

 Durch Tod zum Leben, durch Kreuz zum Licht, war je und je unser Weg. „Ich werde nicht sterben, sondern leben, und des Herrn Wort verkündigen. Der Herr züchtiget mich wohl, aber gibt mich dem Tode nicht,“ das steht gleichsam als Überschrift über der Geschichte unseres Volkes. In welche Tiefen, an welche Abgründe führt sie uns – aber überall dürfen wir mit anbetendem Preise die Hand gnädiger Errettung und neuer Zurückgabe an unseren gottgewiesenen Beruf erblicken.

 Ueber dem Fall unserer Feinde, von derselben Stätte aus, wo sie vor Jahrhunderten unser Verderben und unsere Schwächung planten, hat in verjüngter Gestalt des deutschen Reiches Herrlichkeit sich erhoben. Unsere Gedanken schweifen rückwärts in die glorreichste Zeit unserer Vergangenheit. Wo hat ein Volk eine Geschichte wie unsere Königs- und Kaisergeschichte! Wie ist aber der Blüthepunkt des deutschen Kaiserreichs gepaart mit tiefstem Weh und tragischstem Verhängniß! Was empfinden wir heute noch, wenn wir des blutigen Untergangs des edelsten Kaisergeschlechtes, des Geschlechtes der Hohenstaufen, gedenken! Wie scheint in ihrem Grabe alle Größe und Hohheit deutschen Volkes und Reiches für immer zu versinken! Und doch unser Volk sollte nicht sterben, sondern leben; es ward gespart für eine große Aufgabe. Neben diesem thränenreichen Niedergang nach wenigen Jahrhunderten welch ein Aufgang! Der Kampf, in dem der Stolz unserer Geschichte erlegen zu sein schien, ward mit anderen Waffen, mit den Waffen des Geistes, aufgenommen und zum Siege hinausgeführt. Ein neuer Tag ward in der Zeit der Reformation durch den Mann, in dem die volle deutsche Naturkraft vermählt war mit wunderbarer Glaubenskraft, durch Luther, über unser Volk heraufgeführt; unter dem Flügelschlag des Engels mit dem ewigen Evangelium,