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Reuth.


In einer höchst angenehmen Gegend des Voigtlandes, drei Stunden von der Stadt Plauen, liegt das Dörfchen Reuth, auf dessen südöstlicher Seite das schöne herrschaftliche Schloss mit seinen Wirthschaftsgebäuden stattlich über die freundlichen Häuser des Ortes hervorragt. Spuren eines Wallgrabens deuten an, dass auf der Stelle wo jezt das zierliche Gebäude des Rittersitzes sich erhebt, einst ein festes zu Schutz und Trutz erbautes Schloss stand, dessen Thurm und Zinnen in dem Zeitalter des Gesetzes und der Ordnung darniedersanken, um einer zeitgemässen und bequemeren Wohnung Platz zu machen. Das alte Schloss, ein Werk aus grauer Vorzeit, welches im Jahre 1800 niedergerissen wurde, war mit dem Hofe durch eine Zugbrücke verbunden, und besass zwar wenige aber ungemein grosse Zimmer und weitläufige Souterrains, auch befanden sich in ihm die Pferdeställe. In dem alten Wallgraben, einst dem Aufenthalte der Frösche und Unken, lachen jezt heitere Menschen, und wo vormals schlammiges Schilf emporwucherte, da blühen jetzt Blumen und fruchtbare Obstbäume.

Reuths Entstehung fällt in die Zeit, wo die Sorben, des Voigtlandes älteste Bewohner, von Kaiser Heinrichs I. Heerschaaren besiegt, sich unter das Joch der Deutschen beugen und den Christenglauben annehmen mussten. Damals befanden sich im Voigtlande ungeheure Waldungen, die man zum Theil nach und nach ausrodete, um Boden zum Landbau zu gewinnen. Wie Reuth erhielten auch die benachbarten Ortschaften Misslareuth, Rodau und Rodersdorf ihre Namen von den deutschen Kolonisten, welche sich hier niederliessen, und bald entstanden zum Schutze ihrer Wohnungen und ihres Eigenthums feste Häuser, die einem bewährten Kriegsmanne in Lehn gegeben wurden und in dessen Familie forterbten. Die ältesten Besitzer des Schlosses Reuth, deren Namen urkundlich auf unsere Zeiten gekommen sind, werden in einem Vertrage von 1411 genannt, wo Heinrich Reuss der Aeltere den Gebrüdern Leopold, Dietrich und Kunz von Wolfersdorf auf Reuth die Obergerichtsbarkeit über diesen Ort für 140 Gulden verkauft. Später besassen das Gut die Herren von Watzdorf, von denen Cunrad Vollrath von Watzdorf auf Reuth und Neuensalz in den Jahren 1596 und 1633, und Adolf von Watzdorf 1628 erwähnt werden. Von den Watzdorfs kam Reuth an die Familie von Schönfels, doch lässt sich nicht bestimmen, in welchem Jahre, nur soviel ist bekannt, dass am 2. Juni 1675 Margarethe von Watzdorf, Vollrath von Watzdorfs auf Reuth Fräulein Tochter in Thossfell starb und in der Kirche zu Reuth beigesetzt wurde; 1685 aber Anna Margarethe, Hans Georgs von Schönfels auf Reuth und Thossfell Gemahlin ebenfalls in der Kirche ihre Ruhestätte fand, demnach das Gut zwischen 1675 und 1685 an die Familie Schönfels gekommen sein muss. Hans Georgs von Schönfels wohlerhaltenes, jedoch im Jahre 1843 durch einen kalten Blitzstrahl schwarzgebranntes Epitaphium befindet sich noch in der Kirche zu Reuth. Er starb am 31. Juli 1695 als Churfürstlich Sächsischer wohlbestallter Kriegscommissar des Voigtländischen Kreises. Nach ihm besass Reuth Carl Friedrich von Schönfels auf Reuth und Thossfell bis 1702; Hans Carl Friedrich von Schönfels auf Reuth, Rodau, Ruppertsgrün und Beyersdorf bis 1772, darauf dessen Neffe August Heinrich von Schönfels, Churfürstl. Sächsischer Lieutenant der Cavallerie bis 1799 und alsdann Carl Heinrich August von Schönfels auf Reuth, Rodau, Ruppertsgrün und Beyersdorf, Königl. Sächs. Amtshauptmann des Voigtländischen Kreises, der Vater des jetzigen Herrn Besitzers, Friedrich Ernst von Schönfels, Rittmeisters a. D. und Präsidenten zur ersten Kammer der Sächs. Ständeversammlung, auch Kreisvorsitzendem des Voigtlandes.

Der vormals trotz der Nähe von mehreren Mittelstädten, bei den schlechten Communikationswegen ziemlich einsam gelegene Ort hat sich seit Eröffnung der sächsisch-bairischen Staatseisenbahn von Leipzig nach Hof welche hier einen, wegen der Nähe von Schleiz und des starken Holzhandels, ziemlich belebten Bahnhof hat, an welchem alle Züge anhalten, bedeutend gehoben, und ausserordentlich an Verkehr gewonnen, der sich noch ungemein steigern würde, wenn die Regierung ihren von der ganzen Gegend höchst erwünschten Plan zur Ausführung bringen sollte, durch Reuth eine Chaussee über Gefell nach Hirschberg zu bauen. Reuth bietet namentlich vorn Schlosse und einem nahegelegenen mit einer Linde bezeichneten Punkte aus, eine Fernsicht, welche sich der vom bekannten Stelzenbaume zur Seite stellen kann, und jeden Beschauer entzückt. Man hat hier den grössern Theil des Erzgebirges mit seinen malerischen Linien vor sich liegen und überblickt zugleich beinahe das ganze Voigtland mit seinen reizenden Abwechselungen von Bergen und Thälern, Wäldern, Wiesen und Fluren.

Das Dorf Reuth liegt, obschon nicht in zu rauher Gegend, doch ziemlich hoch, nämlich die Kirche 1410 Fuss über dem Elbspiegel und 1724 Fuss über der Nordsee, wie denn die Reuther Brücke den höchsten Punkt der sächsisch-bairischen Staatsbahn bildet. Aber die hohe reine Gebirgsluft macht Reuth auch zu einem sehr gesunden Aufenthaltsorte, wo bei äusserst geringer Sterblichkeit sechzig bis siebzig Jahre das Durchschnittsalter der Einwohner sind. Goldene Hochzeiten gelten hier nicht für Seltenheiten, und jetzt leben im hiesigen Kirchspiel zwei Ehepaare, von denen das eine fünfundfunfzig das andere zweiundfunzig Jahre verheirathet sind, ohne dass in dieser merkwürdigen Erscheinung Veranlassung zu besonderer Freude oder Feier gesucht würde.

Was die Schicksale Reuths anbetrifft, so wurde dasselbe, wie die

Empfohlene Zitierweise:
Gustav Adolf Pönicke (Hrsg.): Album der Schlösser und Rittergüter im Königreiche Sachsen V. Section. Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins, Leipzig 1859, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Schl%C3%B6sser_und_Ritterg%C3%BCter_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_V.djvu/4&oldid=- (Version vom 17.10.2016)