Mehrzahl der voigtländischen Ortschaften, im Jahre 1430 von dem furchtbaren Hussitenheere berührt, welches gleich einem vernichtenden Wetter durch Blut und Flammen sich dahinwälzte und seinen Weg durch die entsetzlichste Verheerung bezeichnete. Kaum hatten die unglücklichen Einwohner sich etwas von den Schrecken des blutigen Hussitenkrieges erholt, so wurde das Voigtland in den Jahren 1463 und 1496 von einer wüthenden Pest heimgesucht, die fast zwei Dritttheile der Bevölkerung in das Grab stürzte. Im dreissigjährigen Kriege litt Reuth nicht wenig durch die vorüberziehenden Truppen, namentlich die kaiserlichen Regimenter, welche der schreckliche Holke befehligte, wie denn der damalige Pfarrer Michaelis bei der Trauungsanzeige des Junkers Adolf von Watzdorf auf Reuth im Kirchenbuche bemerkt, dieser heilige Act sei periculosissimo belli et hostis irruentis tempore geschehen. In den Jahren 1633 und 1634 brach wiederum eine Pest aus, die eine grosse Anzahl Menschen hinraffte, und die Schweden plünderten dabei die armen Leute, dass ihnen kaum das Nothwendigste blieb. Zur Charakteristik des damaligen Geldwerthes mag hier bemerkt werden, dass ein vom Leipziger Consistorium genehmigter noch vorhandener Vergleich dem Pfarrer zu Reuth wegen der von den Schweden ihm geraubten Kühe die Wahl lässt zwischen zwanzig Thalern oder vier neumelkenden Kühen. Der siebenjährige Krieg wie der Franzosenkrieg, welcher letztere die ersten und hoffentlich wohl auch die letzten Kosaken nach Reuth brachte, gingen für den Ort ohne besondere Folgen vorüber. Eine Feuersbrunst, die im Jahre 1818 zu Reuth ausbrach, zerstörte die Wirthschaftsgebäude des Schlosses mit bedeutenden Getreidevorräthen, seitdem aber erhoben sich dieselben im neuesten Geschmack erbaut, aus der Asche, und tragen nicht wenig zur Zierde des Ortes bei.
Das Rittergut giebt, da nur funfzehn nicht eben bedeutende Bauerhöfe im Orte sind, von denen nach und nach drei zum Gute gezogen wurden, dem Orte seine Hauptnahrung, welcher sonst nur noch in der von dem weiblichen Theile der Bevölkerung stark betriebenen Nätherei einen Erwerbszweig besitzt. Die Oekonomie des Rittergutes ist jetzt verpachtet bis zum Tode der Frau Gemahlin des jetzigen Besitzers verwaltete dieser das Gut selbst, worauf er durch seine rege Betheiligung an den landständischen Angelegenheiten veranlasst wurde, seinen bleibenden Wohnsitz in Dresden zu nehmen, und Reuth nur in den Sommermonaten zu besuchen. Das neue Schloss hat dreizehn Fenster Fronte, fünf Fenster Tiefe, besteht aus einem Stockwerk mit eleganter Mansarde und zählt viele schöne Säle und Zimmer nebst vortrefflichen Kellerräumen und Böden. Vor dem Schlosse befindet sich der gegenwärtig dem Pachter überlassene Garten im alten Schlossgraben, hinter dem Schlosse aber der eigentliche Garten von ziemlichen Umfange, in welchem gutes Obst und Gemüse gewonnen werden.
Das zum Rittergute Reuth gehörige Areal beträgt gegen 300 Acker Feld und Wiesen mit guten Bodenclassen und über 300 Acker gutbestandene Waldung mit ehemals nicht unbedeutender Jagd. Der Viehstand enthält 60 Stück Rindvieh, und seit Ablösung der Hutungsgerechtigkeit – wodurch die Schäferei um das Doppelte herabgebracht worden ist – blos 200 Stück Schafe. Die Ablösung der Frohndienste und Lehnangelegenheiten ist vollendet und bereits in Kraft getreten.
Die Kirche zu Reuth, über die ebenfalls die ältesten Nachrichten fehlen, ist ein alterthümliches, lange vor der Reformation errichtetes Gebäude, welches zur Zeit des Katholicismus wahrscheinlich nur eine kleine Messkapelle war, und von der Pfarrei zu Leubnitz besorgt wurde, weshalb auch jetzt noch der Pfarrer zu Leubnitz vom Rittergute Reuth jährlich einen Scheffel Korn erhält. Filial von Reuth ist das nahegelegene Stelzen, und das Patronatsrecht über Kirche und Schule zu Reuth hat der jedesmalige Besitzer des Ritterguts Reuth. Das Dorf Reuth zählt 350 Einwohner und 57 Hausnummern, dabei zwei ganze, vier halbe und sechs Viertelhöfe; die übrigen sind Häuslerwohnungen.
Während das Schloss mit seiner Fronte das Dorf und Gut überschaut, bietet die nach Mittag gelegene Gartenseite ein durch die waldbegränzten Höhen des Erzgebirges und die Anhöhen bei Schwand und Döhles schön abgerundetes Panorama. Hinter dem Schlosse zieht sich ein Fusspfad durch ein liebliches Thal und Wäldchen auf die Strasse, welche über Thossen, Rodersdorf und Strassberg nach Plauen führt, von wo alljährlich gesellige Parthieen nach dem Stelzenbaume oder den Burgruinen bei Stein und Krebes veranstaltet werden, wobei man selten unterlässt, auch dem freundlichen Reuth und seinen einfachen biedern Bewohnern einen Besuch abzustatten. Der Stelzenbaum ist ein uralter Ahornbaum auf einem Höhenpunkte der Fluren des Dorfes Stelzen, der allenthalben in der Umgegend bekannt und besucht ist, weil man von hier eine malerische sehr weite Fernsicht in das obere sächsische Voigtland, links in das Erzgebirge und rechts in das Fichtelgebirge geniesst.
Gustav Adolf Pönicke (Hrsg.): Album der Schlösser und Rittergüter im Königreiche Sachsen V. Section. Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins, Leipzig 1859, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Schl%C3%B6sser_und_Ritterg%C3%BCter_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_V.djvu/5&oldid=- (Version vom 17.10.2016)