Seite:Alfred Barth Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche.pdf/48

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Das Gesamtergebnis der statischen Untersuchung ist: Schmidt hat in seinem Plan die Mauer­massen geschickt und den Anforderungen der auftretenden Kräfte entsprechend verteilt. Die Querschnitte sind der Materialfestigkeit angepaßt. Der Sicherheitsgrad ist ein hoher. Auch die strengen bau­polizeilichen Vorschriften der Gegenwart sind erfüllt.

Schmidt schuf bewußt auf Grund von Kenntnissen. Er hielt auch trotz der ängstlichen Bedenken seiner Gegner daran fest, unnötigen Aufwand, der dem Laien gegenüber leicht zu begründen ist, zu vermeiden und die volle Verantwortung für das als richtig Erkannte zu tragen. Er glich darin den großen Meistern der Gotik wie der modernen Ingenieurkunst.

Die Schulung unter Bähr trug im Schaffen Schmidts ihre Früchte. Bei der Frauenkirche hatte er die statischen Probleme des Baues und ihre Lösung voll und ganz nachgedacht. Er war der berufene Führer bei der Kuppeluntersuchung durch David Schatz 1738 und das sachkundigste Mitglied der Kommission, die 1765 die Haltbarkeit der Kuppel zu prüfen hatte. Unter den Dresdner Architekten seiner Zeit besaß wohl Schmidt die meisten Kenntnisse in statischen Fragen, sicher hatte er die größten Erfahrungen sammeln können. Welchen Wert er darauf legte, sehen wir in einer von ihm verfaßten Eingabe der Bähr’schen Erben (Sponsel, Frk. Einl.). In ihr charakterisiert er den Baumeister dem bloßen Zimmermeister gegenüber als einen „Mann, der die Gründe des Druckes und Gegendruckes, der Bewegung, der Symmetrie und aller in höhere Baukunst einschlagenden mathematischen Wissen­schaften (die Beschaffenheit aller zum Bauen nötigen Materialien und tausend andere Dinge) in seiner Gewalt hat und gehörig anzuwenden weiß“. Über den Inhalt dieser „Gesetze“ erfahren wir leider aus der Verteidigung Schmidts nur wenig. Sie gründeten sich auf allgemeinen und physikalischen Erwägungen, die deshalb bei ihm richtiger waren wie bei seinen Zeitgenossen (wie auch z. B. die de Bodtschen, vergl. Sponsel, Frk.), weil sie sich nicht bloß auf rein abstraktem Denken und nicht bloß auf einem einzigen ausgeführten Beispiel aufbauten (wie bei Exner auf die katholische Hofkirche), sondern auf dem reichen eigenen und Bähr’schen Studien- und Erfahrungsmaterial. Unbekannt blieb, welcher Sicherheitsgrad gegen Einsturz in den einzelnen Plänen vorhanden war und wie weit sich die Materialbeanspruchung der Bruchgrenze näherte. Bei der katholischen Hofkirche z. B. ist die Sicherheit gegen Einsturz sehr gering, die Größe der Querschnitte aber und damit die Sicherheit gegen Zerdrücken im allgemeinen außerordentlich groß. Bei der Frauenkirche liegen die Verhältnisse gerade umgekehrt. Daß Schmidt und die Baumeister des 18. Jahrhunderts überhaupt den Sicherheitsgrad der Konstruktion nicht klar fassen konnten, nahm ihrer Verteidigung die Durchschlagskraft und hinderte sie, Zweifel und Angriffe überzeugend zurückzuweisen.

Die Sicherheit gegen Bruch ist im Kreuzkirchenplan wesentlich höher als bei der ausgeführten Frauenkirche. Bei dieser beträgt die Mindestbeanspruchung der Pfeiler[1] ohne Berücksichtigung von Schub und Kantenpressung etwa 40 kg / qcm, beinahe das Doppelte wie bei Schmidt. Selbst bei Ausführung der Außenkuppel in Holz[2] ergibt sich eine Pfeilerbelastung von 30 kg / qcm, wenn für Dachholz und Deckung 640 kg / qcm angenommen wird.

Vorbild für Schmidts Wölbkonstruktion war nach seiner Angabe[3] die Schloßkapelle in Versailles von Hardouin Mansart (1699–1710). Sie besteht aus einem 8,9 m breiten Mittelsaal von rechteckigem Grundriß mit Halbkreisabschluß an der Altarseite. Diesen Raum umgeben im Erd­geschoß Arkaden, darüber ein Säulengang. Dessen umlaufendes Gebälk trägt eine durch Fensterkappen kreuzgewölbeartig durchbrochene Tonne mit Halbkuppelabschluß. Außen tritt die Saalhochführung als senkrechtes Attiquegeschoß auf. Den Schub des Hauptgewölbes nehmen in den Knotenpunkten Strebe­bögen

auf, die sich an das Abschlußgesims anschweifen. Die Risse zu diesem Bau waren von Pierre


  1. Nach Schmidts Angabe auf den Frauenkirchenschnitt im R. A. beträgt die Gesamtlast der Außenkuppel von ihrem Gurt in Höhe des inneren Kuppelauges ab bis zur Spitze 10 000 000 kg. Mehr als ein Fünftel hiervon dürfte von der Strebekonstruktion kaum aufgenommen werden. Der Pfeilerquerschnitt beträgt nach Schmidt rund 4 qm. Die sonstige Pfeilerlast wird im Vergleich zur Kreuzkirche mit rund 800 000 kg anzunehmen sein.
  2. Die approbierten Pläne Bährs sehen eine Holzkonstruktion vor bereits von der Umfassungsoberkante ab, in ihnen sind aber auch die Pfeiler schwächer.
  3. Schmidts Verteidigung vom 3. Dezember 1768, vergl. Hauptstaatsarchiv 2257, Bl. 215 flg.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/48&oldid=- (Version vom 27.3.2024)