Wenn man es sich aber durchaus belieben läßt, die unmittelbare Anwendung der göttlichen Weisheit an allen Anordnungen der Natur, die unter sich Harmonie und nützliche Zwecke begreiffen, zu erkennen, indem man der Entwickelung aus allgemeinen Bewegungsgesetzen keine übereinstimmende Folgen zutrauet; so wollte ich rathen, in der Beschauung des Weltbaues seine Augen nicht auf einen einzigen unter den Himmelskörpern, sondern auf das Ganze zu richten, um sich aus diesem Wahne auf einmal heraus zu reissen. Wenn die schiefe Lage der Erdachse, gegen die Fläche ihres jährlichen Laufes, durch die beliebte Abwechselung der Jahreszeiten, ein Beweisthum der unmittelbaren Hand GOttes seyn soll, so darf man nur diese Beschaffenheit bey den andern Himmelskörpern dagegen halten; so wird man gewahr werden, daß sie bey jedem derselben abwechselt, und daß in dieser Verschiedenheit es auch einige giebt, die sie gar nicht haben: wie z. E. Jupiter, dessen Achse senkrecht zu dem Plane seines Kreises ist, und Mars, dessen seine es beynahe ist, welche beyde keine Verschiedenheit der Jahreszeiten geniessen, und doch eben sowohl Werke der höchsten Weisheit, als die andern, sind. Die Begleitung der Monde beym Saturn, dem Jupiter und der Erde, würden scheinen, besondere Anordnungen des Wesens zu seyn, wenn die freye Abweichung von diesem Zwecke, durch das ganze System des Weltbaues, nicht anzeigte, daß die Natur, ohne durch einen ausserordentlichen Zwang in ihrem freyen Betragen gestört zu seyn, diese Bestimmungen hervorgebracht habe. Jupiter hat vier Monde, Saturn
Immanuel Kant: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Johann Friederich Petersen, Königsberg und Leipzig 1755, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Allgemeine_Naturgeschichte_und_Theorie_des_Himmels.djvu/233&oldid=- (Version vom 31.7.2018)