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ALLGEMEINE
MUSIKALISCHE ZEITUNG.

Den 5ten März. Nº. 10. 1823.



Ueber die Erfindung der Rohrwerke mit durchschlagenden Zungen.
Nachtrag zu dem Aufsatze über die Crescendo- und Diminuendozüge in No. 8. der allgemeinen musikalischen Zeitung.




Dem Freunde der Kunst und der Wahrheit muss daran liegen, dass jedem, der für die Kunst Nützliches erfand, auch die Ehre der Erfindung bleibe.

Die Erfindung der Rohrwerkmundstücke mit durchschlagenden Zungen haben sich schon Mehrere zugeeignet und sind auch von vielen der musikalischen Literatur Unkundigen für die Erfinder derselben gehalten worden.

Zum Beweise des Obengesagten führe ich kürzlich für diejenigen, welche sämtliche Jahrgänge der allgemeinen musikalischen Zeitung nicht selbst besitzen, Folgendes darüber an:

Im 12ten Jahrgange dieser Zeitung S. 968 wird vom Orgelbauer Hrn. Uthe gesagt, dass er ein Mittel gefunden habe, jedes Rohrwerk so zu arbeiten, dass es eben so wenig verstimmbar sey, als jede andere Labialpfeife, und zugleich sein Klang nicht der rauhe, schmetternde bleibe, sondern angenehmer und den nachgeahmten Instrumenten ähnlicher werde.

Auf diese Mittheilung sagt im 13ten Jahrgange S. 153 Hr. Strohmann: er vermuthe aus gewissen Umständen, dass diese Rohrwerke keine andern, als die von ihm schon vor zwey Jahren (1809) erfundenen und in dieser Zeit noch ausgeführten wären. Er erklärt aber auch, dass er in der nämlichen Zeit erfahren habe, dass der geheime Rath Abt Vogler schon vor ihm diese Art Pfeifen erfunden habe, und überlässt ihm das Verdienst der Erfindung; doch schreibt er sich das Verdienst zu, sie nicht nur für alle Rohrstimmen, sondern auch für die tiefsten und höchsten Töne gleich anwendbar gemacht zu haben.

[150] Ueber diese Mittheilung sagt Hr. Uthe in demselben Jahrgange (1811) S. 429, dass er des Hrn. Strohmanns Erfindung nicht kenne, und nur durch Anfertigung eines Tonmessers, so wie nur durch Studium auf die Verbesserung dieser Rohrwerke schon vor etwa acht Jahren (1805), bey Gelegenheit der für die Orgel zu Neu-Ruppin angefertigten Posaune 32′ nach dieser Struktur, diesem Ziele näher gekommen sey, bey welcher Gelegenheit er auch mehrmals die in der katholischen Kirche zu Berlin befindliche Orgelstimme von 4′ (Angelica 4′) untersucht habe.

Hierauf theilt uns Hr. Sauer zu Prag im 15ten Jahrgange dieser Zeitung S. 118 folgendes über diesen Gegenstand mit: Er hält nicht Hrn. Strohmann für den Erfinder derselben, weil er mit Gewissheit weiss, dass diess Verdienst nur dem Hrn. Kratzenstein gebühre, der in den letzten Regierungsjahren der Kaiserin Catharina in Petersburg lebte, und dass (Catharina II starb am 9ten Nov. 1796) diese Erfindung hernach vom Orgelbauer Hrn. Rackwitz in Stockholm zuerst zu einer Orgelstimme angewandt wurde.

Bekanntlich erbaute A. Vogler sein Orchestrion in den Jahren 1793 bis 1796, und liess sich darauf zuerst in einem Concerte zu Stockholm hören, worin die Rohrwerke desselben alle nach dieser Struktur gearbeitet waren: es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass er sie zuerst bey Hrn. Rackwitz sah, was mir um so wahrscheinlicher wird, da er sich meines Wissens nie selbst für den Erfinder derselben ausgab, sondern nur von vielen dafür gehalten und ausgegeben wurde. Im Jahre 1801 reisete er mit diesem Orchestrion nach Prag, wo Hr. Instrumentmacher Sauer diese Art Pfeifen zum erstenmale sah und bewunderte, sie auch gleich bey einem Fortepiano als 16′ und 8′ anwandte, das zu der Zeit bey ihm bestellt war und das mit einem Flötenwerke versehen

Empfohlene Zitierweise:
Wilke; Frdr. Kaufmann: Ueber die Erfindung der Rohrwerke mit durchschlagenden Zungen. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1823, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Allgemeine_musikalische_Zeitung1823-90-93.pdf/1&oldid=- (Version vom 31.7.2018)