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10. Was soll daraus werden?

Wir sagen zunächst: Was ist daraus geworden? Eine Verwüstung von acht großen Provinzen und ein Massenraubmord, dem 100 000 Menschen zum Opfer fallen, kann nicht ohne unmittelbare Folgen sein.

Die erste Folge ergiebt sich von selbst: Der vollständige wirtschaftliche Ruin des ganzen östlichen Kleinasiens und des nördlichen Mesopotamiens, durch den naturgemäß auch das vordere Kleinasien und Syrien in Mitleidenschaft gezogen werden.

Mindestens einige Jahrzehnte sind notwendig, bis sich diese weiten Landesteile, die die eigentliche Substanz des türkischen Reiches ausmachen, wieder erholen werden. In den Städten aller betroffenen Provinzen sind fast überall noch 9/10 der Bazare geschlossen. Der Export- und Importhandel, der fast ganz in den Händen der Christen lag, was schon die den Türken abgehende Kenntnis fremder Sprachen mit sich bringt, ist vollkommen lahm gelegt. Die Bebauung des Landes war der allgemeinen Unsicherheit und der Wandlung der Besitzverhältnisse wegen, da die Türken überall den Versuch machen, sich den Landbesitz der Christen anzueignen, eine höchst ungenügende. Schon die Herbstsaat ist zum großen Teil nicht eingeerntet, sondern entweder schon auf den Feldern verwüstet, oder von den Kurden eingeheimst worden. Die Frühlingssaat ist großenteils, da niemand die Dörfer und Städte zu verlassen wagte, überhaupt nicht ausgesät worden. Der Wert des zerstörten und geraubten Gutes beziffert sich auf Milliarden. Aber auch auf dem geraubten Gut, das sich in den Händen der Türken und Kurden befindet, ruht kein Segen. Wer sollte die Fütterung der großen Schaf- und Ziegenheerden besorgen, die den wertvollsten Besitz des Landvolks ausmachen, und die im Winter fast ausschließlich den armenischen Bauern oblag, bei denen auch die kurdischen Aghas ihre ungeheuren Herden für den Winter einzustellen pflegten, um sie im Frühjahr ohne Entgelt für Mühe und Unkosten wieder abzuholen? Kein Wunder, daß der strenge Winter die Herden ungeheuer dezimiert hat. Mancher Kurde oder Türke, der vielleicht für

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/114&oldid=- (Version vom 31.7.2018)