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Einrichtung der verschiedenen Religions-Genossenschaften oder ihren Beziehungen mit ihren geistlichen Oberhäuptern sollen keine Hindernisse bereitet werden. Geistliche, Pilger und Mönche aller Nationalitäten, die in der europäischen oder asiatischen Türkei reisen, sollen dieselben Rechte, Vorteile und Privilegien genießen. Das Recht offiziellen Schutzes wird den diplomatischen und konsularen Agenten der Mächte in der Türkei gewährt, nicht weniger in Beziehung auf die oben erwähnten Personen mit ihren religiösen und wohlthätigen Anstalten als auch andere in den heiligen Stätten und anderswo.“

Eine angesehene deutsche Tageszeitung, „Die Post“ schrieb im vorigen Jahre bei Gelegenheit der Erörterungen über das Massacre in Sassun: „In Ermangelung sonstiger Gründe für eine europäische Intervention hat für die englische und amerikanische Presse die christliche Religion der Armenier herhalten müssen. Ja Gladstone hat sich gelegentlich jener Komödie des Empfanges der Deputation von Sassun nicht gescheut, von den „um ihres Christenglaubens willen verfolgten Armeniern“ zu reden. Das ist eine handgreifliche Unwahrheit. Welchen Grund hätte wohl die Pforte haben können, eine Religionsverfolgung plötzlich ins Werk zu setzen, nachdem sie sich Jahrhunderte lang um die Religion der Armenier nicht gekümmert hatte? Ueberhaupt hat nie (!) eine eigentliche Christenverfolgung im türkischen Reiche stattgefunden. Es wäre auch das Unklügste, was die Pforte thun könnte, die mannigfachen Schwierigkeiten ihrer Lage durch eine Verfolgung des Christentums zu vergrößern. Jedem, der auch nur ein wenig die Geschichte der Türkei studiert hat. wird bekannt sein, daß von ihr im Prinzip – einzelne Uebergriffe kommen dafür nicht in Betracht – die weitestgehende religiöse Duldung geübt wird, was bei der Menge der Religionen, Konfessionen und Sekten in dem weiten Reich ein Gebot der Selbsterhaltung ist.“

Es verlohnt sich, diese prägnante Fassung einer weitverbreiteten, durch keine Sachkenntnis behinderten Anschauung wiederzugeben, da derselbe Faden ja noch täglich in unserer deutschen Presse gesponnen wird. Wir verzichten, darauf einzugehen, zu welchen Zuständen „die weitestgehende religiöse Duldung“ im türkischen Reich seit Jahrhunderten in Uebereinstimmung mit dem Religionsgesetz der Muhammedaner geführt hat, und wir überlassen es allen Kennern der Religions- und Missionsgeschichte des Orients, sowie der jetzigen religiösen Zustände in

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/34&oldid=- (Version vom 31.7.2018)