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5. Die türkische Lügenfabrik.

Wir haben im vorigen Kapitel unsere Beschuldigungen gegen die türkischen Civil- und Militärbehörden in einer langen Reihe von Anklagen zusammengefaßt und unsern Lesern bereits genügendes Material unterbreitet, um sie in stand zu setzen, sich von der Wahrheit unserer Beschuldigungen zu überzeugen. Wir müssen nun einen Schritt weitergehen und die Frage aufwerfen: Haben diese Behörden aus eigener Initiative oder auf höheren Befehl gehandelt?

Ehe wir eine Antwort auf diese Frage geben, ist es notwendig, zuvor eine merkwürdige Thatsache zu untersuchen, welche aus allen Provinzen in übereinstimmender Weise berichtet wird: In allen Städten und Landdistrikten wurden die Vorsteher, Notabeln und Priester der armenischen Gemeinden durch Einkerkerung, Folterungen, Bedrohung mit Tod und Androhung neuer Massacres durch die Behörden selbst gezwungen, lügenhafte Erklärungen, falsche Berichte, erheuchelte Dankadressen und gefälschte Dokumente jeder Art zu unterschreiben, des Inhalts, daß sie selbst, die Armenier, durch revolutionäre Aufstände den Frieden gestört hätten, der nun, dank der Bemühungen der Regierungsbehörden, wieder hergestellt sei.

Für wen waren diese Zwangserklärungen bestimmt? Von wem wurden sie gewünscht? und welcher Gebrauch wurde von ihnen gemacht?

Die Erörterung dieser Fragen ist notwendig, ehe wir den nächsten Schritt in der Untersuchung der Schuldfrage thun können.

Zunächst die Thatsache der Zwangserklärungen und die Methode, mit der sie erpreßt wurden. Wir geben eine kleine Auswahl von Berichten, die einen genügenden Einblick in beides eröffnen. Anführungen aus dem Botschafter-Bericht setzen wir in Anführungsstrichen:

Diarbekir. „Nachdem Aniz Pascha die Bestätigung seines Amtes als Vali Anfang Oktober 1895 erhalten hatte, begann er damit, die Christen aufzureizen und Zwietracht zwischen den Gemeinden und dem Klerus zu säen, indem er diesen zwingt, ein Dank-Telegramm

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/55&oldid=- (Version vom 31.7.2018)