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vom Sultan selbst gespendete Gaben wurden in den zwangsweise konvertierten Orten verteilt, wobei billiger Weise diejenigen bevorzugt wurden, die die besten Beweise ihrer Bekehrung zum Islam abgelegt hatten.

Nicht nur die Regierung, auch die türkische Bevölkerung zeigte hier und da Regungen des Mitleids gegen die Armenier. In Severek z. B. fanden während des Massacres einige Christen bei befreundeten Türken Aufnahme und wurden dort, während sich ihre Wirte eifrig an der Plünderung ihrer Häuser beteiligten, verköstigt. Hernach, als sie in die leeren Häuser zurückkamen, liehen ihnen ihre mildthätigen Freunde das notdürftigste an Betten und Kleidern, das sie brauchten, waren auch nicht so hartherzig ihnen Almosen zu verweigern und ließen sie um ein paar Pfennige geringe Dienste in ihren Häusern thun. In Aintab forderten sogar die vornehmen Moslems die Armenier auf, ihnen ihre noch übrige Habe zu überlassen, um, bis bessere Zeiten kämen, darauf acht zu geben.

Da die Regierung die Ausplünderung der Armenier selbst angeordnet hatte, so gereicht es ihr um so mehr zur Zierde, daß sie an einigen Plätzen einen öffentlichen Beweis ihres Rechtsgefühls abgelegt hat, indem sie die Rückerstattung des gestohlenen Gutes sofort in die Hand nahm. Es war allerdings nicht der hundertste Teil und nur wertloser Plunder, der unter dem Gaudium des türkischen Pöbels auf öffentlichen Plätzen an solche ausgeboten wurde, die geneigt waren zu dem Schaden auch noch den Spott zu haben. Aber die Regierung hatte wieder einmal vor den Augen aller Welt ihre Unparteilichkeit in der Handhabung der Gerechtigkeit bewiesen. Nach der Erfahrung, daß Diebe die besten Detektivbeamten abgeben, bestellten die Behörden diejenigen, die sich bei der Plünderung hervorragend ausgezeichnet hatten, zur Wiederauffindung des verlorenen Gutes, wodurch unter Umständen der Raub in andere Hände, aber sicher nicht in die der Eigentümer zurückgelangte.

Von verschiedenen Orten wird berichtet, daß die Gendarmen, die die Regierung beauftragte, gestohlenes Gut zurückzuerstatten, nicht allein nichts ablieferten, sondern unter Drohungen, die noch übrig gebliebenen Häuser zu verbrennen, von den Leuten noch bedeutende Summen erpreßten. Wer kann es auch den armen Teufeln verargen, wenn sie Schmucksachen oder Wertgegenstände, die sie irgend jemand abnahmen, als Abschlagszahlung auf ihren Sold, den sie seit einigen Monaten

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Johannes Lepsius: Armenien und Europa. Eine Anklageschrift. Verlag der Akademischen Buchhandlung W. Faber & Co., Berlin-Westend 1897, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Armenien_und_Europa._Eine_Anklageschrift.pdf/90&oldid=- (Version vom 31.7.2018)