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„Nichts geht über frische Luft“ – sagte der Kleine in Nanking – „Sie haben ja hier einen Qualm, daß man ersticken möchte.“

Er suchte jetzt auch, wie sich der Zug kaum wieder in Bewegung setzte, ein Gespräch mit Einem von uns Beiden anzuknüpfen, aber es mißlang ihm gänzlich. Eine nicht wegzuleugnende meteorologische Beobachtung über „schönes Wetter“ wurde todt geschwiegen – eine Frage wohin die Reise gehe, an den Dicken, fand keine Antwort; ich selber that als ob ich schliefe, und so rasselten wir selbander an Kösen, Sulza und Apolda vorüber nach Weimar.

Der kleine Mann war dabei völlig rastlos; unaufhörlich sah er bald nach seiner Uhr, bald nach dem Fahrplan, den er schon ganz zerknittert hatte; bald holte er ein Buch heraus zum Lesen, steckte es aber augenblicklich wieder ein. Jetzt nahm er eine Prise – die er auch dem Dicken anbot, der aber nur mit dem Kopf schüttelte, jetzt zog er sich den Schuh aus und ließ einen kleinen Stein heraus; kurz er saß keinen Augenblick still. Wo auch der Zug hielt, ließ er sich öffnen, und schoß eine Weile auf dem Perron herum.

Er suchte Jemand, aber nicht etwa einen Bekannten, sondern nur ein menschliches Wesen, mit dem er sich unterhalten konnte, ja in letzter Verzweiflung griff er sich sogar den Schaffner auf, der aber nur so lange bei ihm aushielt, als er Zeit gebrauchte seine Dose zu öffnen und ihm eine Prise anzubieten.

Endlich in Weimar fand er das Gesuchte. Dort stieg ein etwas sehr ausgetrockneter Herr mit einer Brille auf, in jeder Hand einen Reisesack tragend und von seiner Frau, einer kleinen lebendigen Brünette gefolgt, in das Coupé. Ein Dienstmädchen das sie begleitet hatte, reichte noch einen großen Tragkorb voll Hutschachteln, Sitzkissen, Vorrathskörben und Regenschirmen, wobei sie die Dame Frau Professorin nannte, in den Wagen, wünschte glückliche Reise und zog sich dann in die Arme eines mittelstaatlichen Artilleristen zurück, der diesen Moment mit großem Takt in der Entfernung abgewartet hatte.

Der Professor suchte indessen, wie der Zug abpfiff – der Kleine in Nanking hatte eben noch Zeit gehabt, wieder in das Coupé zu springen – seine Brille, und als er diese gefunden hatte, seine Cigarrentasche, die sich endlich in dem Arbeitsbeutel seiner Gemahlin fand. Hiernach vermißte er aber plötzlich seinen Secretairschlüssel – der mußte daheim auf dem Tisch liegen geblieben sein, und er schien einen Moment nicht übel Lust zu haben,

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Friedrich Gerstäcker: Auf der Eisenbahn. Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Auf_der_Eisenbahn-Gerstaecker-1865.djvu/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)