den Lauf des Seelenlebens bilden, durch aufgeschriebene Worte verewigen zu wollen, das ist ein verfehltes Beginnen und bringt dem älteren nachlesenden Ich die immerhin beschämende Erkenntnis der eigenen Veränderlichkeit. Hier standen nun auf demselben Blatte und unter demselben Datum, zwei so grundverschiedene Stimmungen verzeichnet: zuerst die zuversichtlichste Hoffnung – daneben die vollständigste Entsagung und die nächsten Blätter sollten doch wieder ganz Neues berichten …
Der Ostermontag war vom herrlichsten Frühlingswetter begünstigt und die an diesem Tage hergekommenermaßen stattfindende Praterfahrt – eine Art Vorfeier des großen Ersten-Mai-Corso, fiel besonders glänzend aus. Ich weiß noch, wie dieser Glanz, diese Fest- und Lenzwonne, die mich da umgab, mit der Traurigkeit kontrastierte, welche mein Gemüt erfüllte. Und doch – ich hätte meine Traurigkeit nicht hergeben wollen – nicht wieder so heiteren, dabei aber leeren Herzens sein, wie vor etwa zwei Monaten, als ich Tilling noch nicht kannte. Denn wenn meine Liebe auch allem Anschein nach eine unglückliche war, so war es doch Liebe – das heißt eine Steigerung der Lebensintensität: dieses warme, zärtliche Gefühl, welches mein Herz schwellte, so oft das teure Bild mir vor das innere Auge trat – ich hätte es nimmer missen mögen.
Daß ich den Gegenstand meiner Träume hier im Prater, mitten im Gewühle weiblicher Fröhlichkeit zu Gesicht bekommen würde, erwartete ich nicht. Und doch: als ich einmal zerstreut die Blicke nach der Reit-Allee
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/143&oldid=- (Version vom 31.7.2018)