auch den diskretesten Menschen nicht zu Grabesverschwiegenheit verpflichten – also können Sie mir doppelt glauben. Und übrigens: hätte ich Wien verlassen wollen, wenn jenes Gerücht begründet wäre?“
„Eifersucht kennt keine Vernunftschlüsse: hätte ich Sie hierher bestellt, wenn ich gekommen wäre, um meinen Vetter Althaus zu treffen?“
„Es wird mir schwer, Martha, so ruhig neben Ihnen herzureiten … Ich wollte Ihnen zu Füßen fallen – wollte wenigstens Ihre geliebte Hand an meine Lippen führen –“
„Lieber Friedrich,“ sagte ich zärtlich, „solche Ergüsse sind nicht nötig – auch mit Worten kann man huldigen, wie mit einem Kniefall und liebkosen, wie –“
„Mit einem Kuß,“ ergänzte er.
Nach diesem letzten Worte, das uns beide elektrisch durchzuckte, schauten wir uns eine Zeit lang in die Augen und erfuhren, daß man auch mit Blicken küssen kann …
Er sprach zuerst:
„Seit wann?“
Ich verstand die unvollendete Frage ganz gut.
„Seit jenem Diner bei meinem Vater,“ antwortete ich. „Und Sie?“
„Sie? Dieses Sie ist eine Dissonanz, Martha. Soll ich die Frage beantworten, so werde sie anders formuliert.“
„Und – – Du?“
„Ich? Wohl auch seit demselben Abend. Aber so recht klar wurde es mir erst am Sterbebett meiner
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder!. Dresden/Leipzig: E. Pierson’s Verlag, 1899, Band 1, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bertha_von_Suttner_%E2%80%93_Die_Waffen_nieder!_(Band_1).djvu/164&oldid=- (Version vom 31.7.2018)